Danke,
Toni
† 21. 09. 2016
Als
Alfred Pfaff und Richard Kress am Riederwald mit dem Bällchen
zaubern, als die Eintracht in Berlin die Deutsche Meisterschaft
feiert, als der junge Grabowski erstmals für die Frankfurter
seine Fußballschuhe schnürt, als die Eintracht zwischen
1974 und '81 insgesamt fünf Pokaltitel erringt, als Dietrich
Weise und seine Bubis in letzter Sekunde den Abstieg verhindern,
als die Eintracht nach Malta, Korea und in die USA reist, als
Bein, Yeboah und Co. auf dem Rasen des Stadions den Fußball
2000 zelebrieren, als die Uhren in Frankfurt auf einmal anders
gehen sollen, und als Köhler den Ball nach innen legt, damit
Chris mit dem 2:0 den Heimsieg gegen Nürnberg sicherstellt
- einer ist immer dabei: Anton Hübler, den alle nur Toni
nennen.
Über Toni Hübler werden rund um die
Eintracht viele Geschichten erzählt, doch noch viel mehr
weiß er selbst zu erzählen. Geschichten, die kaum einer
so erzählt wie er. Es sind Geschichten, in denen aus großen
Triumphen und bitteren Niederlagen der Riederwälder persönliche
Erlebnisse werden und aus bewunderten Fußballstars Menschen,
die einem nach Tonis Erzählung so nahe stehen wie gute Freunde.
Denn Toni erzählt diese Geschichten mit etwas, was in diesen
Tagen, in denen Menschen wie nie zuvor öffentlich an den
Pranger gestellt werden, selten geworden ist: Toni erzählt
mit Herz.
Nie rückt er sich bei seinen Geschichten
aus fünf Jahrzehnten Eintracht Frankfurt in den Vordergrund,
nie erhebt er sich über andere, immer zeigt er bei seinen
Erzählungen Verständnis für die Fehler und Schwächen
anderer. Und wenn es selbst ihm schwerfällt, einen Eintrachtler
in Schutz zu nehmen, winkt er mit einer Hand kurz ab, macht eine
Pause und erzählt lieber eine andere Geschichte.
Die Odyssee zur Eintracht
Im Sommer des Weltmeisterjahres 1954 zieht es
einen jungen Landschaftsgärtner, der bislang in Württemberg
lebte, ins Hessische. Ziel ist die kleine, seinerzeit noch eigenständige
Gemeinde Urberach im damaligen Landkreis Dieburg, in der bereits
sein Vater wohnt. Die Gründe für den Umzug sind eher
lapidar, wie Toni Hübler heute berichtet: "Ich war jung,
gerade 25 geworden, und wollte einfach einmal einen Tapetenwechsel."
Kaum in der neuen Heimat, der er bis heute treu
geblieben ist, angekommen, geht es für Toni auf Arbeitssuche.
Erfolglos bleibt der Besuch des Arbeitsamts Langen, das er mit
dem Tipp verlässt, es einmal in Frankfurt zu versuchen. Und
dort muss Toni nicht lange warten, bis er eine Stelle angeboten
bekommt. Denn er trifft vor Ort zwei Herren der Eintracht, die
für den im August 1952 eingeweihten Riederwald einen jungen
Landschaftsgärtner suchen. "Die haben mich regelrecht
hofiert", so Toni, "haben den damaligen Spielausschussvorsitzenden
Balles hinzugerufen, mich bewirtet und mit mir gleich einen Vorstellungstermin
für den nächsten Tag am Riederwald ausgemacht, um die
Einzelheiten zu besprechen."
Wie später in all den Jahren bis heute versetzt
die Eintracht Toni Hübler in Aufregung. Mit 3 Mark in der
Tasche steigt er in den Zug gen Hauptbahnhof, vergisst jedoch,
sich eine Fahrkarte zu besorgen und muss nachlösen. 1,50
Mark hätte die einfache Fahrt gekostet, weitere 1,50 kostet
die Strafe; kurzum Toni ist zwar in Frankfurt, hat aber keinen
Pfennig mehr in seinen Taschen. Auf Schusters Rappen geht es kreuz
und quer durch die unbekannte Stadt, am Schauspielhaus weist ihm
ein freundlicher Herr den Weg ins Stadion.
Dort im Glauben angekommen, sein Ziel erreicht
zu haben, wird er schnell eines Besseren belehrt. Denn als er
nach der Eintracht fragt, wird er belehrt: "Ach du lieber
Gott, die is grad uff de annern Seit." Weiter geht es also
auf Schusters Rappen, zurück in die Innenstadt und bis zum
Riederwald. Mittags um 2 Uhr ist Toni endlich am Ziel, um 10 Uhr
hatte man sich verabredet.
Zum Glück für Toni scheint die Sonne
an diesem Tag nicht nur für ihn, sondern auch für Fritz
Becker, der das schöne Wetter nutzt, um am Riederwald 'Überstunden'
in Form eines Sonnenbades zu schieben. Becker ist nicht nur der
erste Nationalspieler der Frankfurter als Stürmer der Frankfurt
Kickers und der erste Torschütze einer DFB-Elf im ersten
Länderspiel gegen die Schweiz anno 1908, sondern aktuell
auch der Vorsitzende des Platzausschusses. Toni erzählt Becker
die Geschichte seiner Odyssee und erntet dafür von Becker
nicht nur ein Lachen, sondern auch einen Probevertrag und geliehene
10 Mark, damit er wieder nach Hause kommt.
Sumpfbrache Riederwald
Acht Wochen sollte Toni ursprünglich auf
Probe werkeln, doch bereits nach sechs Wochen ist für die
Eintracht klar: Mit diesem jungen Gärtner haben wir den Richtigen
gefunden. Toni erhält einen festen Arbeitsvertrag und damit
eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn der neue Riederwald ist zu dieser
Zeit zwar eines der modernsten Stadien in Deutschland, die gesamte
Sportanlage präsentiert sich allerdings noch als sumpfiges
Brachland mit hohem Grundwasserspiegel und niedrigem Freizeitwert.
"Da stand kein einziger Baum, kein Strauch, kein gar nichts",
erinnert sich Toni.
Mit Gartenbaurat Vollmer, der fast täglich
vorbeischaut und als Verantwortlicher des Sport- und Badeamtes
der Stadt für die Planungen zuständig ist, gewinnt der
ehrgeizige und selbstbewusste Toni einen einflussreichen Verbündeten.
"Er mochte mich und fragte, ob ich mir vorstellen könne,
den Riederwald zu bepflanzen, was ich natürlich bejaht habe".
Zusammen mit zwei Hilfskräften nimmt Toni die Arbeit in Angriff:
"Wenn du mal in einer Gärtnerei gearbeitet und das Eintönige
dort kennengelernt hast, bist du für so eine Aufgabe sehr
dankbar." So finden unter anderem die Pappeln, für Jahrzehnte
quasi ein Wahrzeichen des Riederwalds, ihren Weg aufs Sportgelände.
Toni pflanzt sie, um das Grundwasser zu senken und so die Tribüne
vor Hochwasser zu schützen.
Karlchen
Mit seiner Arbeit als Gärtner rückt
für den ehemaligen Handballer Hübler, der seine aktive
Zeit aufgrund einer Schulterverletzung beenden musste, nun der
Fußball in den Fokus. Denn am Riederwald trainiert die Oberligamannschaft
der Eintracht, zu der unter anderem Egon Loy, Adolf Bechtold,
Ernst Kudrass, 'Ali' Remlein, Hans Weilbächer, Richard Kreß,
Alfred Pfaff und Hermann Höfer zählen. Spieler, die
für lange Jahre einen gemeinsamen Weg mit Toni gehen und
die teilweise noch heute in freundschaftlichem Kontakt mit ihrem
'Gärtner' stehen.
Neben den Aktiven tritt auch noch ein weiterer
Eintrachtler in Tonis Leben; ein kleiner Mann, meist mit dicker
Zigarre im Mund: Karl Schildger. Das 'Karlchen' ist nicht nur
ein echtes Unikat und das Maskottchen der Eintracht, er sorgt
auch seit vielen Jahren dafür, dass die Schuhe der Spieler
in Ordnung gehalten und die Trikots gewaschen werden. "Wir
hatten ja nur drei oder vier Satz Trikots. Die Trainingskleidung
haben die Spieler bis 1957 mit nach Hause genommen und gewaschen",
erinnert sich Toni. "Erst 1957, als Trainer Patek kam, hat
die Eintracht mit Karl Krause einen Schuhmacher eingestellt und
einen Schuhraum am Riederwald eingerichtet. Krauses Frau hat dann
das Waschen der Trikots übernommen."
Mit Karl Schildger verbindet Toni einer seiner
bewegendsten Erinnerungen an den Riederwald: "An einem Herbstabend
im Jahr 1960 ist Karl zu mir gekommen. Eigentlich hatte ich ja
schon alles abgeschlossen, wir sind dann aber doch noch in mein
kleines Büro gegangen. Karlchen hat immer gesagt, er möchte
am Riederwald sterben. An diesem Abend saßen wir da, auf
einmal sagt Karl: 'Anton ...' und rutscht vom Stuhl. Ich habe
natürlich gleich Notarzt und Krankenhaus verständigt,
doch es war zu spät, er war in meinen Armen gestorben. Es
war ein sehr trauriger Moment, aber für Karl ist ein Wunsch
in Erfüllung gegangen."
Rote und weiße Begonien
Schon
in den ersten Jahren bei der Eintracht erlebt Toni, dass sein
Arbeitgeber nicht nur ein Sportverein, sondern auch eine Diva
ist. Eindringlich klar wird dies in den letzten Spielen der Saison
57/58. Vier Partien vor Rundenende hat die Eintracht die Tabellenführung
durch einen eindrucksvollen 5:3-Sieg beim Tabellenzweiten aus
Nürnberg verteidigt und anschließend auch das nächste
Heimspiel mit 2:0 gegen Schweinfurt 05 gewonnen. Die Presse feiert
die Riederwälder bereits als neuen Süddeutschen Meister,
doch nach einem unglücklichen 1:2 gegen die SpVgg Fürth
wird die Entscheidung auf den letzten Spieltag vertagt. An diesem
führt der Weg der Adlerträger zum Jahn nach Regensburg,
der bereits als Absteiger feststeht und daher mit zahlreichen
Spielern aus der zweiten Reihe antritt. Doch statt des erwarteten
Sieges gibt es ein 0:1, bei dem Pfaff einen Elfmeter verschießt.
"Die waren sich einfach zu sicher, dass sie gewinnen. Der
Schuss ging nach hinten los", so Toni.
Im Anschluss an dieses Desaster findet ein Personalwechsel
statt, der zu den wohl wichtigsten in der Historie der Eintracht
zählt: Paul Osswald kommt zum dritten Mal in seiner Trainerkarriere
als Übungsleiter an den Riederwald. Toni möchte den
kommenden Erfolg aber nicht nur Osswald zuschreiben, sondern macht
ihn maßgeblich auch am Namen Ivica Horvat fest: "Mit
Ivica haben wir auf einmal regelmäßig zu Null gespielt,
er war hinten wie eine Wand. Dabei hatten wir Glück, dass
er überhaupt zu uns gekommen ist. Ursprünglich wollte
er ja zum FSV, der aber hat sich mit seinem jugoslawischen Trainer
Bodgan Cuvaj entzweit und so wechselte Horvat, der sich eigentlich
mit den Bernemern schon einig war, nicht an den Hang, sondern
zu uns." Auch an das tragische Ende der aktiven Karriere
Horvats erinnert sich Toni: "Er hat die gesamte Oberligarunde
hinten dicht gemacht, wir haben in 30 Spielen gerade mal 25 Gegentore
kassiert und sind Süddeutscher Meister geworden. Doch dann,
während der Spiele der Endrunde, ist er schwer erkrankt."
Auch ohne Horvat gelingt der Eintracht der souveräne
Einzug ins Finale, bei dem Toni natürlich nicht fehlt. Vor
seinem Abflug am Donnerstag - er ist unter anderem in Berlin,
um Istvan Sztanis Vater zu betreuen, der seinen Sohn davon überzeugen
soll, wieder nach Ungarn zurückzukehren - ist Toni noch konspirativ
tätig: "In der Woche vor dem Endspiel habe ich in der
Markthalle fast 2.000 rote und weiße Begonien gekauft. Damit
habe ich auf den Beeten vor der Tribüne den Schriftzug 'Eintracht
Frankfurt - Deutscher Meister' angelegt und gleich abgedeckt.
Direkt nach dem 5:3 habe ich dann meinen Mitarbeiter Otto angerufen,
damit er die Blumen aufdeckt. Leider hat das niemand fotografiert."
Beszèlek magyarul
Der Auftrag, Sztanis Vater zu betreuen, war den
Sprachkenntnissen Tonis geschuldet, der im ungarischen Pécs
(Fünfkirchen) geboren ist. So gehören die 1957 aus Ungarn
geflüchteten und zur Eintracht gewechselten Nachwuchsspieler
Janos Hanek, Tibor Lörinc und Istvan Sztani zu seinen ersten
'Ziehkindern' bei der Eintracht, auf die im Laufe seiner Karriere
noch viele folgen sollten.
Auch in späteren Jahren sind die Übersetzungsfertigkeiten
Tonis gefragt. So gehört er zusammen mit Geschäftsführer
Röder und Schatzmeister Knispel zu einer Delegation der Eintracht,
die zu Verhandlungen nach Ungarn fliegt, um unter strengster Geheimhaltung
den Wechsel von Detari an den Main voranzutreiben. Tonis Rolle
ist dabei eine besondere, denn keiner verrät den Gesprächspartnern,
dass er Ungarisch spricht, und so kann Toni das ein oder andere
wichtige Detail aus den internen Gesprächen der Ungarn erfahren.
Der konspirative Auftrag wäre allerdings beinahe gescheitert,
als er sich zum Mittagessen Rotwein wünscht und ein hoher
Offizier den Wunsch als "Der Alte will Roten" an die
Bediensteten weitergibt. "Da hätte ich mich fast verraten".
Nach dem erfolgreichen Detari-Transfer wird Toni
dann quasi zum Chefdolmetscher, was auch anderen auffällt.
So wird er vom Journalisten Hartmut Scherzer gefragt: "Du
machst jetzt den Dolmetscher für Detari, wirst du dafür
auch extra bezahlt?" Tonis Antwort ist legendär: "Der
Lajos und ich verdienen ganz gut zusammen." Die Beziehungen
zu den Detaris haben auch nach dessen Wechsel nach Griechenland
Bestand. So besucht Toni einige Jahre später Detaris Vater,
der als hochrangiger Offizier ein Revier sein eigen nennt, um
seiner großen Leidenschaft, der Jagd, zu frönen.
Toni wird Profi
Zurück in die 60er. Mit dem Start der Bundesliga
1963 verliert der Riederwald seine Stellung als Heimspielstätte,
fortan wird die Eintracht ihre Ligaspiele im Stadion austragen.
Um seinen Arbeitsplatz bei der Eintracht muss Toni aber nicht
fürchten, denn Präsident Rudolf Gramlich teilt ihm mit:
"Du bist ab jetzt Profi. Du wirst als Zeugwart die Eintracht
in der Bundesliga betreuen." Im Riederwaldstadion, das jetzt
nicht mehr zu Spielen der Ersten genutzt wird, entsteht ein großes
Lager, ein Duschraum wird zur Heimat dreier neuer Waschmaschinen,
die "der treuen" Seele Frau Schneider, die fortan die
Wäsche macht, unterstellt sind.
"In
meinem Arbeitsvertrag war festgelegt, dass ich nur Präsidenten
Gramlich unterstellt bin. Und er hat wirklich jedem erzählt,
ich sei sein bester Mitarbeiter", berichtet Toni von seiner
Anfangszeit als Zeugwart. Zum Präsidenten der Eintracht,
der in den 20er und 30er Jahren selbst erfolgreich für die
Eintracht und in der Nationalelf spielte, pflegt er ein gutes
Verhältnis: "Gramlich war ein respekteinflößender
Mensch - vor ihm haben alle gezittert. Für mich war er aber
ein guter Präsident und ein Freund." Bereits 1957 zeigt
sich dies, als der Frankfurter Oberbürgermeister Werner Bockelmann
seinen 50. Geburtstag im Römer feiert und Gramlich eingeladen
ist. Alleine mag der Präsident allerdings nicht gehen, und
verdingt kurzerhand Toni als Begleitung. "Die ganzen Bonzen
aus der Stadt waren da, die SPD-Spitze mit Wehner", erinnert
sich dieser. "Ich war recht leger angezogen, da ich zuvor
nicht wusste, wo es hingeht, und ein wenig nervös. Da hat
mich Bockelmann zur Seite genommen, und gesagt: 'Wissen Sie, Sie
sind mir auch ohne Krawatte lieber, als zwei Drittel der ganzen
anderen, die hier sind".
Die Ära Gramlich bringt Toni übrigens
einen weiteren Job bei der Eintracht: den als Fahrer. "Ich
habe Gramlich nämlich in seinem aus den USA importierten
Lincoln chauffiert. Auf Uhr- und Arbeitszeiten hat dabei keiner
geachtet. Einmal ging es nachts direkt nach einer Generalversammlung
zur Europapokalauslosung nach Genf. Los sind wir um Mitternacht,
um 5 Uhr morgens waren wir da. Und als Entschädigung für
meine Überstunden hat Gramlich dann zu mir gesagt: 'Toni,
jetzt machen wir erst mal zwei Tage Urlaub, die sollen in Frankfurt
machen, was sie wollen.'"
Sie kamen und sie gingen ...
23 Trainer erlebt Toni bei der Eintracht am Spielfeldrand,
in der Kabine, beim Training und auch privat. Und mit fast allen
hat er ein gutes, mit vielen ein herzliches und freundschaftliches
Verhältnis: "Da waren lustige dabei wie Friedel Rausch
oder auch Senekowitsch mit seinem Wiener Schmäh, ernsthafte
wie Jörg Berger. Und Otto Knefler hat mir das 'Du' angeboten,
als er gesehen hat, was ich alles leiste. Das war bei einem solch
distinguierten Menschen etwas Besonderes."
Fast alle Trainer sehen in Toni nicht nur den
Mann für Trikots und Schuhe, sondern wissen um seine Nähe
zur Mannschaft und seine Bereitschaft, für die Eintracht
alles zu tun. So wird er von Erich Ribbeck beauftragt, bei den
in Gravenbruch wohnenden Spieler zu kontrollieren, ob sie die
vorgeschriebene Ausgangssperre ab 23 Uhr auch einhalten - ein
Auftrag, den Toni zwar nicht ablehnt, in der Umsetzung aber nach
eigenen Regeln interpretiert: "Ich habe da nie jemanden angeschwärzt,
bei mir waren sie immer alle daheim." Ribbeck selbst wird
einmal sogar selbst Opfer seiner angeordneten Kontrollen, als
er Thommy Rohrbach ins Visier nimmt, den er ob des fehlenden Autos
vor der Tür seiner Wohnung am Palmengarten aushäusig
wähnt. Fazit: Das Auto parkte um die Ecke, Rohrbach war zuhause,
Ribbeck wartete bis halb vier morgens, bis er klingelte. Spieler
und Trainer waren gleichermaßen verdutzt. "Von da ab
ist nicht mehr kontrolliert worden", weiß Toni.
Auch seiner selbstauferlegten Fürsorgepflicht
bei Rohrbachs Spezi Trinklein kommt Toni auf besondere Weise nach:
"Die beiden kamen selbst im tiefsten Winter mit dem offenen
Buggy an, Gert immer in zerrissenen Jeans und Cowboystiefeln.
Die hat er so schief gelaufen, dass ich sie ihm heimlich weggenommen
und zum Schuhmacher
gebracht habe. Gert hatte dann zwar ein Paar reparierte Stiefel,
an dem Tag musste er aber in Badeschlappen durch den Schnee nach
Hause."
Überhaupt kümmert sich Toni gerne um
andere, übernimmt Verantwortung. So ist Toni da und hilft,
als Jürgen Pahl und Norbert Nachtweih 1976 die Flucht aus
der DDR gelingt, Gemeinsam mit Jürgen Gerhardt holt er sie
im Auffanglager Gießen ab, später bringt er sie zum
Einkleiden nach Herzogenaurach, holt sie zum Training ab und fährt
sie auch wieder nach Hause.
"Meine jungen Spieler habe ich mir immer
'erzogen', für viele war ich derjenige, dem man seine Probleme
erzählen konnte. So habe ich dem Ralf Falkenmayer, der zwar
ein Riesentalent, aber auch sehr schüchtern war, dabei geholfen,
einen Vorschuss zu bekommen, damit er sich eine eigene Wohnung
anmieten konnte. Ralf kam vorher zu mir und ich habe für
ihn Schatzmeister Jakobi angerufen."
Thymian und Davidoff
Eine
besondere Marke unter den Trainern setzt Gyula Lorant, der mit
den Funktionsträgern der Eintracht im Dauerclinch liegt,
Toni aber ins Herz geschlossen hat. Anlässlich des UEFA-Pokalspiels
1977 in Malta gegen die Sliema Wanderers zeigt Gyula Lorant nicht
nur seine Wertschätzung für Toni, er lässt auch
die Chance nicht ungenutzt, dem damaligen Präsidenten Achaz
von Thümen - von ihm konsequent 'Thymian' genannt -, eins
auszuwischen, wie Toni berichtet: "Abends war ein gemeinschaftliches
Bankett beider Vereine. Und als es ans Verteilen der Präsente
ging, stellte mich Gyula allen Versammelten als Präsident
der Eintracht vor. Das gab ein Riesengelächter unter denen,
die es besser wussten, und Gyula hat sich mächtig gefreut."
Gyula ist auch in anderen Dingen eigen. So muss
Vereinsarzt Degenhardt stets der Mannschaft nachreisen, da Lorant
seine Anwesenheit nicht wünschte. Nur der Masseur und Toni
dürfen mit der Mannschaft und Lorant fahren, selbst Co-Trainer
Csernai wird verbannt. "Doktor, Friedhof und Krankenhaus
sind tabu, damit will ich nichts zu tun haben", zitiert ihn
Toni.
Umso
mehr zu tun haben, will der ungarische Trainer allerdings mit
den schönen Dingen des Lebens. Der gepflegte Cognac - "nur
einen" - für ihn direkt vor einem Spiel gehört
genau so dazu wie die Davidoff-Zigarre zu 18 Mark, die er ausschließlich
raucht. Am gepflegten Genuss lässt er auch seine Spieler
teilhaben. So überrascht er die Mannschaft während eines
Trainingslagers mit einer riesigen Käsetafel samt des obligatorischen
Rotweins zum Abendessen. Auch führt er die Tasse Kaffee vor
dem Spiel ein. "Die Gegner sind teilweise fast verrückt
geworden, als ich den Spielern direkt vor dem Einlaufen noch einen
Kaffee gereicht habe", freut sich Toni heute noch. Wohl am
meisten aus der Fassung gebracht haben dürfte Lorant dabei
die Mannschaft des FC Bayern München. Hier gab es nicht nur
die Tasse Kaffee für die Eintracht-Kicker, zusätzlich
war im Gang zum Spielfeld eine Kuchentafel aufgebaut.
Der 25. Februar 1984
Zu den Trainern, zu denen Toni ein besonders
vertrauliches Verhältnis pflegt, zählt Dietrich Weise.
Allerdings muss er sich von Weise auch einen Rüffel gefallen
lassen: "Ich will das gar nicht wissen, das machen Sie bei
mir bitte nicht." Anlass für diese Bemerkung ist die
Beichte Tonis, warum die Eintracht seinerzeit auf angefrorenem
Boden auf dem Betzenberg gegen die von Weise trainierten Lauterer
einen Auswärtssieg einfahren konnte. "Ich hatte da so
meine besondere Art, die Schuhe für vereisten Boden zu präparieren",
berichtet Toni. "Ich habe die Lederummantlung der Stollen
längs eingeschnitten und den Schnitt mit einer Paste gefüllt,
so dass er bei der Schuhkontrolle durch das Schiedsrichterteam
nicht auffiel. Während des Spiels hat sich dann sehr schnell
das Leder gelöst und es ragte nur noch die Nägel aus
der Sohle. Mit diesen Spikes hatten wir natürlich viel mehr
Standfestigkeit als unsere Gegner."
In die zweite Ära Weise fällt aber
auch ein Erlebnis, das Toni fast einen Herzinfarkt bereitet hätte:
"Ich habe es oft nicht am Spielfeldrand ausgehalten und bin
sehr früh in die Kabine, zum Beispiel bei der Relegation
in Saarbrücken. Den größten Schreck habe ich aber
dabei 1984 erlebt." Und zwar genau am 25. Februar 1984.
Es ist der 23. Spieltag, die Eintracht seit September
'83 ohne Bundesligasieg. Auch unter dem neuen Trainer Weise reichte
es in neun Spielen bei drei Niederlagen lediglich zu sechs Unentschieden,
regelmäßig hängt Toni am Montag zum Training eine
Rote Laterne an die Kabinentür, um die Spieler auf die prekäre
Situation hinzuweisen. Und nun steht das Derby gegen den Vizemeister
von 1959 an. Zur Halbzeit liegt die Eintracht durch ein Eigentor
von Kutzop kurz vor der Pause, der hierfür vom Frankfurter
Anhang in der gesamten Pause frenetisch gefeiert wird, mit 1:0
in Führung. Toni ist das alles zu viel - er bleibt nach der
Halbzeit in der Kabine, dreht die Duschen auf, um nichts vom Stadionlärm
zu hören. Plötzlich erscheint Sziedat, allein, wie in
der Vorrunde vorzeitig des Feldes verwiesen - mit letztem Einsatz
hat er den Konter zum möglichen 1:1 verhindert und dafür
mit dem vorzeitigen Abgang bezahlt. 10 Mann kämpfen da draußen,
Tonis Buben, seine Jungs und es steht immer noch 1:0 ... Doch
20 Minuten später wird Toni erlöst und sein treues Herz
belohnt: Die Eintracht, die Toni so sehr liebt, dass er es kaum
noch aushält, siegt in Unterzahl mit 3:0.
Bazillus Eintracht
1995
nimmt Toni Abschied, sein Nachfolger wird Friedel Lutz. Es ist
jedoch lediglich ein Abschied vom Arbeitsplatz, seiner Diva vom
Main bleibt Toni treu. Heute noch hat er regelmäßigen
Kontakt zu Spielern, für die er am Riederwald und im Stadion
immer die gute Seele und ein Ansprechpartner mit stets offenem
Ohr war. Die Stars der 60er, 70er und 80er wie Hölzenbein,
Kunter oder Nickel schauen regelmäßig bei ihm in Urberach
vorbei, treffen sich mit ihm im Stadion, oder man telefoniert
miteinander. Der alte Haudegen Ernst Kudrass, der zwischen 1948
bis 1962 in 231 Spielen den eisenharten Verteidiger in der Oberligamannschaft
der Eintracht gab, wohnt in unmittelbarer Nähe von Toni.
Regelmäßig zu Gast bei ihm und seiner Frau Christel
ist zudem der Eintracht-Fanclub Kommando Anton Hübler. "Das
sind meine Mädels und Jungs", zeigt er sich schon ein
wenig stolz darüber, dass er auch für viele Jüngere
zu denen gehört, die das Wort 'Eintracht' mit Leben füllen.
Auch
im Stadion trifft man Toni regelmäßig. Es macht ihm
Spaß, den sportlichen Weg seiner Eintracht zu verfolgen:
"Ich gehe praktisch zu allen Heimspielen und freue mich heute
über das Publikum. Kein Spieler spielt gerne einen Fehlpass,
macht gerne einen Fehler. Früher wurden sie dann gleich ausgepfiffen,
das ist heute nicht mehr so. Heute haben wir mehr als 40.000 Zuschauer
statt 10.000 früher, und die Spieler werden aufgemuntert
und nicht ausgepfiffen. Und der Fanblock ist eine einmalige Geschichte,
was zum Beispiel an Arbeit in den Choreografien steckt ... Das
macht die Spieler von früher schon ein wenig neidisch.
Toni Hübler verstarb am 21. September 2016 im
Alter von 87 Jahren. Danke für alles, was Du uns gegeben hast.
Wir werden Dich nie vergessen.
|