Eintracht Frankfurt - Werder
Bremen |
Bundesliga 1981/1982 - 14. Spieltag
9:2 (4:1)
Termin: Sa 14.11.1981, 15:30 Uhr
Zuschauer: 23.000
Schiedsrichter: Manfred Uhlig (Dortmund)
Tore: 0:1 Norbert Meier (7.), 1:1 Bernd Nickel (20.), 2:1 Ronald Borchers (24.), 3:1 Ronald Borchers (40.), 4:1 Ronald Borchers (43.), 4:2 Uwe Reinders (64.), 5:2 Norbert Nachtweih (71.), 6:2 Norbert Nachtweih (74.), 7:2 Bum-Kun Cha (78.), 8:2 Bernd Nickel (80.), 9:2 Bum-Kun Cha (89.)
Eintracht Frankfurt | Werder Bremen |
|
|
Wechsel |
Wechsel
|
Trainer | Trainer
|
Einmalig in der Bundesliga 5,7 Millionen Mark betragen laut Präsident Schander „die vorzeitigen Verbindlichkeiten“ der Frankfurter Eintracht bei „extrem hohen Schuldzinsen“ von 15 Prozent. Da ist es ein Silberstreif am Horizont, dass der Magistrat der Stadt Frankfurt dem Verein nach wochenlangen Verhandlungen die Tribüne am Riederwald für 1,8 Millionen Mark abkaufen will, obwohl die dort untergebrachten Umkleideräume und die sanitären Anlagen in einem teilweise verwahrlosten Zustand sind. „Der Kauf ist sicher nicht nur eine normale Grundstücksangelegenheit“, räumt Gustav Hofmann, der Leiter des Sport- und Badeamtes, freimütig ein: „Er hat auch mit dem Zustand der Eintracht zu tun.“ Zwischen der Eintracht und dem Magistrat ist nach dem Sportausschussvorsitzenden Friedrich „alles klar“, die Magistrats-Vorlage muss allerdings noch zum Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vorgelegt werden. In dieser letzten Hürde sieht Eintracht-Schatzmeister Peter Heinz jedoch kein Risiko mehr: „Die Probleme sind mit unseren Verhandlungen vom Tisch.“ Während bei der Eintracht etwas Erleichterung zu spüren ist, zeigt sich der Sportkreisvorsitzende Schwan „schwer geschockt“. „Noch wissen wir nicht, wo das viele Geld herkommen soll“, sagt er und prophezeit: „Auf jeden Fall wird es den Hass gegen die Eintracht schüren.“ Die hat andere Sorgen, zumal Heinz zu bedenken gibt: „Auf der Tribüne lag ohnehin eine hohe Grundschuld. Aber was übrig bleibt, fließt in die andere Schuldentilgung.“ „Keine einzige Mark für Neueinkäufe“, verspricht der Schatzmeister, der den gesamten Verein zum Sparen anhalten muss. Am Mittwochabend wurden dazu erste Gespräche mit den Amateurabteilungen geführt. „Ich halte es für verantwortungslos, die Politik der Vergangenheit fortzusetzen und Aufwendungen für den Amateur-Spitzensport aus der Substanz des Vereins zu finanzieren“, erklärt Präsident Schander in seiner Stellungnahme in der Sportzeitung der Frankfurter Eintracht: „So lange die Bundesligamannschaft keine Überschüsse erwirtschaftet, können wir den Amateur-Abteilungen nur zukommen lassen, was sie an Mitgliedsbeiträgen, Spenden und öffentlichen Zuschüssen selbst aufbringt.“ Er belehrt die Mitglieder über den Inhalt der Vereinsatzung und stellt klar, dass man angesichts der finanziellen Lage „einfach nicht in der Lage ist, zusätzliche Mittel für den Spitzensport im Amateurbereich zu beschaffen. Wer Spitzensport betreiben will, muss sich vielmehr selbst helfen. Tausende von Vereinen in der Bundesrepublik tun dies seit Jahren. Bei den meisten Bundesligaklubs ist das selbstverständlich.“ Nicht leichter wird die Aufgabe für das Präsidium durch den Umstand, dass ein Dutzend Spielerverträge nicht über das Saisonende hinausgehen; und zwar die für Borchers, Eufinger, Funk, Görtz, Karger, Jüriens, Löw, Lorant, Nachtweih, Pahl, Sziedat und Trapp. In den Gesprächen mit den Abteilungen über den Etat 1982 und den Spielern mit auslaufendem Kontrakt werde das Wort ‚sparen‘ eine wichtige Vokabel sein, schreibt Schander und endet: „Gleichzeitig wird jedoch ein Katalog von Maßnahmen erstellt, die dem Verein zusätzliche Einnahmen bringen sollen, denn: Ein Verkauf von ‚Leistungsträgern‘ kommt natürlich nicht in Frage, weil wir eine ‚Spitzen-Mannschaft‘ behalten werden.“ Das klingt verdächtig nach einer Quadratur des Kreises, denn zuvor spricht Schander von den durch rückläufige Zuschauerzahlen und extreme Zinsbelastungen weiter erhöhten Bankverbindlichkeiten, die abgebaut werden müssen, sowie von der ‚Luft‘, die man sich für schlechtere Zeiten zu verschaffen versuche. Erschwert wird in dieser Woche aber auch die Trainingsarbeit von Lothar Buchmann. Er muss bei den Übungseinheiten nicht nur auf die verletzten Spieler, sondern auch auf die verzichten, die mit Auswahlmannschaften unterwegs sind. Kapitän Pezzey spielt für Österreichs Verband im WM-Qualifikationsspiel in Sofia gegen Bulgarien und Ralf Falkenmayer ist für die von Berti Vogts betreute DFB-Juniorenauswahl „U 21“ gegen Alemannia Aachen sowie eine Bundeswehrmannschaft im Einsatz. Keinen Einfluss auf den Kader der Profis hat dagegen die Nominierung der Jugendspieler Heiko Ernst und Uwe Müller, die der DFB- und ehemalige Eintracht-Trainer Dietrich Weise vom 15. bis 19.11. mit zum Turnier nach Monaco nehmen wird. Und das Spiel der Nachwuchsrunde bringt den Lizenzspieler-Reservisten Anthes, Eufinger, Löw und Peukert etwas Spielpraxis, die sie nutzen, um sich beim 4:1 gegen den 1. FC Saarbrücken in die Torschützenliste einzutragen und sich so bei ihrem Trainer in Erinnerung zu bringen. Unzufrieden mit der Partie ist denn auch nur der Coach der Saarländer Dieter Schulte, der früher als Co-Trainer bei der Eintracht agierte: „So ein Mistspiel!“ Anthes, der mit Weises Junioren in diesem Jahr Weltmeister geworden ist, hofft weiter auf den nächsten Einsatz bei den Profis. Auf sieben Bundesligaeinsätze ist er bisher gekommen, wobei er viermal eingewechselt wurde. „Der Holger beklagt sich ja nicht“, sagt Mutter Anthes und holt das für ihren Sohn via „Bild“ nach: „Aber da heißt es, die Eintracht muss noch Stürmer kaufen. Da werden seine Chancen ja noch schlechter.“ „Mach dich nicht verrückt. Deine Zeit kommt noch“, tröstet Buchmann Holger Anthes bei einem gemeinsamen Essen: „Es muss nicht nur ein Platz in der Sturmspitze sein. Du kannst auch im Mittelfeld spielen. Vielleicht sogar mal Offensiv-Verteidiger.“ „Die Chance als Joker hat er sicher“, sagt Buchmann, was nicht verwundert, denn seine beiden Bundesligatreffer erzielte Anthes als Einwechselspieler. Norbert Nachtweih steht derweil vor seinem 100. Bundesliga-Spiel, darf sich seines Einsatzes gegen Werder Bremen aber nicht zu sicher sein. „Der Trainer hat mich kritisiert. Ich hätte meine Form während der vier Wochen Sperre im Training verloren. Da muss ich sie ja auch wieder im Training finden“, sagt der pfiffige Nachtweih und ist überzeugt: „Ich bin fast wieder der alte.“ „Gestern hat mich Norbert überzeugt“, lautet Buchmanns Urteil am Donnerstag. Im Fall von Nickel, der wegen der schmerzhaften Entzündung der Lymphdrüse unterhalb der rechten Kniekehle erneut nicht mittrainieren konnte, hofft der Fußballlehrer: „Ich gebe ihn noch nicht auf. Entschieden wird erst am Samstag.“ Borchers, der einen Tag mit dem Training ausgesetzt und zwei Spritzen in seinen verletzten linken Knöchel bekommen hatte, blüht derweil im Nachmittagstraining auf. „Der spielt“, kündigt Buchmann an. Dann erscheint auch Nickel am Freitag wieder im Training und ist sich sicher: „Ich kann spielen.“ Im Gegensatz zur Situation vor einem Monat hat Trainer Buchmann nun die Wahl, die er aber nicht als Qual empfindet: „Es ist doch besser, man kann aus dem Vollen schöpfen. Da kann ich taktieren.“ Zumindest einer aus der Siegerelf des vergangenen Spieltages muss weichen, denn Bruno Pezzey kehrt nicht nur von seiner Länderspielreise, sondern natürlich auch in die Mannschaft zurück. „Ich freue mich, dass die Eintracht auch ohne mich in Darmstadt gewann. Die Jungs waren klasse“, sagt der Kapitän und begründet seinen Ausfall am Böllenfalltor: „Wenn ich mich durch Spritzen hätte fit machen lassen, wäre das Risiko einer langwierigen Verletzung zu groß gewesen.“ Nach
den Siegen gegen Rostow und in Darmstadt hofft die Eintracht weiter auf
die Unterstützung ihres Anhangs. „Wenn dieser Trend anhält,
erleben wir ab sofort auch im Waldstadion die heißen Spiele mit
Ruhrpott-Atmosphäre. Das verspreche ich“, sagt Buchmann. Die
Mannschaft habe aus der schwierigen Lage des Vereins gelernt und wisse,
wie schwer es sei, das kritische Frankfurter Publikum zurückzugewinnen:
„Ich bin überzeugt, dass es kein Strohfeuer ist.“ 20
Punkte, mindestens aber 19, seien bis Ende der Hinrunde „machbar“,
mehr sogar möglich. „Der UEFA-Cup-Platz ist wieder drin“,
meint Buchmann. In der Tat: Erstligarückkehrer Bremen liegt derzeit
mit 16 Punkten auf Platz fünf, die Eintracht rangiert mit einem Punkt
Abstand direkt dahinter. Im Bremer Tor steht übrigens nicht wie seit Jahren gewohnt Dieter Burdenski. Wie Eintrachts Torhüter Pahl, dessen sieben Zentimeter lange Risswunde aus dem Spiel in Darmstadt direkt genäht wurde, hat sich der Werder-Keeper am letzten Spieltag beim 1. FC Köln verletzt. Doch während Pahl heute wieder im Kasten stehen kann, hat sich Burdenski beim Zusammenprall mit Klaus Fischer einen Bruch des Kieferhöhlendachs zugezogen und fällt aus. Bremens Trainer Otto Rehhagel kann zudem nicht auf den langjährigen Ersatztorwart Albert Voß zurückgreifen, weil der sich mit Manager Assauer nicht über eine Gehaltsverbesserung einig wurde und nach dem Aufstieg zum VfB Oldenburg zurückgekehrt ist, obwohl ihn Rehhagel gerne behalten hätte. So schlägt zum zweiten Mal die Stunde von Hermann Rülander, der nach der Verletzung von Burdenski am letzten Wochenende bereits 14 Minuten Bundesligaluft schnuppern durfte. „Hermann Rülander hat nichts zu verlieren, sondern die Chance ganz groß rauszukommen“, meint Rehhagel über seinen unerfahrenen Schlussmann, der bei seinem Debüt in der vorletzten Spielminute den Ausgleich durch den Kölner Fischer hinnehmen musste. Lothar Buchmann verzichtet dagegen freiwillig auf Erfahrung, in dem er Deckungsspieler Michael Sziedat „aus taktischen Gründen“ aus der Elf nimmt, die Darmstadt geschlagen hat. Für Sziedat verteidigt auf der ungewohnten rechten Seite Ralf Falkenmayer gegen Norbert Meier. Die offensiv ausgerichtete Maßnahme Buchmanns scheint aber nach hinten loszugehen, denn wenige Minuten nach dem Anpfiff hat Falkenmayer gegen den Gästestürmer das Nachsehen. Lang kommt der Pass aus der eigenen Hälfte auf den rechten Flügel, wo Körbel am Strafraumrand im Laufduell mit Reinders ins Stolpern gerät und auf dem Bauch landet, während der Bremer den Ball auf den kurzen Pfosten zieht. Dort läuft vier Meter vor dem Tor Meier im Rücken von Pezzey schneller als Falkenmayer ein und spitzelt den Ball ins linke Eck. Die Kugel geht zwar an den Innenpfosten, doch die Rettungsversuche von Falkenmayer und vor allem Pahl kommen zu spät: Der Keeper kann den zurückprallenden Ball hinter der Torlinie nur ins Netz patschen. Werder führt nach nur sieben Minuten. Die 23.000 Zuschauer atmen tief durch, soweit sie Anhänger der Eintracht sind. Sicher, man hat den Aufsteiger von der Weser stark erwartet, doch das ging allzu leicht. Buchmanns Elf aber lässt sich vom frühen Rückstand nicht beirren und spielt weiter nach vorne. Und nur zwei Minuten nach dem 0:1 schlägt die Eintracht durch Nachtweih fast postwendend zurück, doch der Schuss klatscht nur an den Pfosten. Bis hierhin ist es eine Partie zweier ebenbürtiger Mannschaften.
In der 20. Minute schlägt Nickel eine Ecke von der linken Seite mit dem linken Außenrist. Wie man seit fast genau sechs Jahren weiß, ist es dennoch kein Ding der Unmöglichkeit so einen Eckball direkt ins Tor zu schießen. Damals, am 22.11.1975, verwandelte Nickel an der schräg gegenüberliegenden Eckfahne im Waldstadion eine Ecke gegen keinen geringeren als Nationaltorwart Sepp Maier, heute übertölpelt er mit dem angeschnittenen Ball Schlussmann Rülander. Der patscht das Leder in seiner Überforderung an die Unterkante der Latte und bugsiert anschließend den zurückspringenden Ball mit der Brust endgültig zum 1:1 über die Torlinie. Dass er der Kugel hinterher springt und sie im Liegen nach vorne auf die Linie schiebt, nutzt dem Unglücksraben nichts, denn Schiedsrichter Uhlig hat genau hingeschaut.
Die Eintracht hat nun Oberwasser, während die Gäste ob des vermeidbaren Gegentreffers leicht verunsichert wirken. Vier Minuten nach dem Ausgleich führt Cha nach einer Kombination von Pezzey über Nickel den Ball mit einigem Tempo Richtung Strafraum, als sich Fichtel aus dem Abwehrverbund löst, um den Stürmer anzugreifen. Doch Cha hat gesehen, dass Borchers rechts im Strafraum unbewacht ist und spielt das Leder präzise ab. Mühelos schließt der Nationalspieler den Angriff allein vor Rülander aus zehn Metern mit einem halbhohen Schlenzer ins linke Eck zur Frankfurter Führung ab. Das Spiel ist gedreht und die Eintracht hat das Heft des Handelns auch weiter in der Hand. Wie verunsichert der Bremer Schlussmann ist, sieht man bei einem Schuss von Nachtweih aus 22 Metern. Rülander will den Ball fangen, doch der rutscht ihm durch die Hände. Der Keeper hat Glück, dass der Ball hinter ihm aufs und nicht ins Netz fällt … Den folgenden Eckball schlägt Nickel fünf Minuten vor der Pause wieder von links. Der am linken Eck des Fünfmeterraumes postierte Fichtel kann das hoch herein getretene Leder nicht erreichen. Hinter Fichtel steht Borchers und köpft die Kugel aus vier Metern am zu spät herauseilenden Rülander vorbei ins Tor. 3:1.
Noch schöner ist der Treffer, den Borchers drei Minuten später aus ähnlicher Position wie beim 2:1 erzielt. Nachtweih schlägt einen wunderbaren langen Pass rechts in den Strafraum, wo ihn Borchers mit dem rechten Fuß annimmt und direkt nach links legt, was seinem Gegenspieler Otten zu schnell geht. Mit einem Dropkick nimmt Borchers die Kugel mit dem linken Fuß und hämmert sie zum 4:1 in den rechten Torwinkel. Ein Hattrick – das ist Borchers in der Bundesliga bislang noch nicht gelungen. Rigobert Gruber kann einem derweil leidtun. Bei seiner Rückkehr nach Frankfurt ist er im defensiven Mittelfeld eingesetzt, kann dort dem Frankfurter Angriffswirbel jedoch nichts entgegensetzen und geht mit seiner Elf unter. Eintrachts Vizepräsident Hermann Höfer verschwendet natürlich keinen Gedanken an Gruber und eilt in der Halbzeitpause in die Kabine, um seine Spieler zu erinnern: „Denkt daran: Ein Spiel dauert 90 Minuten!“ „Viel besser können wir nicht spielen, wir müssen nur noch mehr Tore schießen“, fordert Buchmann. Otto Rehhagel bringt zum Wiederanpfiff Pasi Rautiainen für Uwe Bracht, was natürlich nichts daran ändert, dass sich Rülanders große Schwierigkeiten mit Nickels Eckbällen fortsetzen. So lässt der Bremer Torhüter, bedrängt von Pezzey, in der 49. Minute den Ball durch die Hände rutschen, hat aber Glück, dass Körbels Kopfball nur an die Querlatte geht. Die Bremer haben ein Sicherheitsrisiko und es steht – denkbar ungünstig – bei ihnen im Tor. Rülander greift aber nicht nur daneben, sondern hat auch gute Szenen. Wie in der 62. Minute, als er sich dem einschussbereiten Falkenmayer entschlossen vor die Füße wirft, oder drei Minuten später, als er den Schuss des mit Macht um einen Treffer kämpfenden Cha entschärft. Bei aller Spielfreude bleibt Buchmanns Forderung nach mehr Toren entsprechend vorerst unerfüllt, weil die Eintrachtmannschaft nicht nur wie in alten Zeiten brilliert, sondern dabei wie ihre Vorgänger dem eigenen Zauber erliegt. Auch diese Elf scheint in Verzückung über die fließenden Kombinationen zu geraten und zu vergessen, dass das höchste Ziel des Spiels das Toreschießen ist. Das scheint sich in der 64. Minute zu rächen. Die Bremer führen eine Ecke von rechts kurz aus und Okudera flankt auf den kurzen Pfosten, wo sich Reinders fünf Meter vor dem Tor gegen Pezzey durchsetzt. Gegen diesen Kopfball ist Pahl machtlos; er kann den Ball zwar erreichen, doch nicht am Überschreiten der Linie hindern. Plötzlich scheint das Spiel noch einmal eine Wendung erfahren zu können, denn bei der Eintracht ist der Faden erst einmal gerissen und die Gäste drängen nun mit Macht auf den Anschlusstreffer. Ob das hohe Tempo nun seinen Tribut fordert? Trainer Lothar Buchmann jedenfalls schickt Sziedat und Löw von der Bank zum Warmlaufen an den Spielfeldrand. Knapp 20 Minuten vor dem Ende sorgt dann aber Nachtweih für die endgültige Entscheidung. Der Pass, den ihm Cha auf dem linken Flügel zurücklegt, verunglückt ein bisschen, doch Nachtweih kann das Leder mit dem rechten Fuß unter Kontrolle bringen. Er zieht nach innen, aus 30 Metern Torentfernung ab und erzielt in diesem Spiel bereits den dritten Treffer der Marke „Tor des Monats“. Unhaltbar für Rülander schlägt Nachtweihs Geschoss im linken Giebel des Bremer Kastens ein.
Drei Minuten später kommt der Ball nach einem abgeblockten Schuss Falkenmayers und dessen folgender Kopfballablage zum wieder einmal aufgerückten Pezzey. Der Libero schickt Nachtweih mit einem feinen Pass links in den Strafraum, wo der blonde Mittelfeldspieler aus vollem Lauf mit einem Schrägschuss aus sieben Metern in den rechten Torwinkel das 6:2 erzielt. Sziedat und Löw beenden ihr Aufwärmen, ziehen sich wieder die Trainingsklamotten über und kehren auf die Ersatzbank zurück.
Wie beim sechsten Treffer ist Pezzey auch am 7:2 beteiligt, das Cha nach 78 Minuten gelingt. Nickels Pass zu Cha auf den Elfmeterpunkt legt der Stürmer für Pezzey zurück, doch dessen Schuss wird von den Bremer Abwehrspielern geblockt. Heute jedoch passt für die Frankfurter fast alles und für die Bremer fast nichts und so springt der Ball zu Cha, der die Kugel aus elf Metern volley in den linken Winkel knallt.
Nun wird Hermann Rülander von seinem Trainer erlöst. Otto Rehhagel schickt mit Amateurtorwart Robert Frese seine Nummer drei und einen Bundesligadebütanten in den Kasten. Und dem fliegt nur zwei Minuten nach seiner Einwechslung bereits der erste Ball um die Ohren. Nickel hat Pezzey an der Strafraumgrenze angespielt, der sich einmal um die eigene Achse dreht und dann den Ball zu der Nummer 10 zurückpasst. „Dr. Hammer“ nimmt 17 Meter mittig vor dem Tor Maß und schießt das Leder halbhoch neben den linken Pfosten ins Tor. Frese bleibt nur die Rolle des Zuschauers, der den Ball auch noch aus dem Netz holen muss.
Noch in der vorletzten Minute bemühen sich die Werderaner um eine Ergebnisverbesserung, doch sie laufen dabei in einen Konter. Falkenmayer treibt den Ball vom eigenen Strafraum bis über die Mittellinie und passt dann auf Cha. Der wird von Fichtel nicht energisch genug angegriffen und entschließt sich nach einigen schnellen Schritten zu einem Schuss aus 18 Metern. Auch dieses Mal kann der gut sechs Meter vor seinem Tor postierte Frese lediglich dem Strahl hinterherschauen, bis dieser im linken Winkel seines Kastens eingeschlagen ist. 9:2 und noch eine Minute zu spielen. „Nur noch eins!“ fordern die Anhänger der Eintracht den ersten zweistelligen Sieg der Frankfurter Bundesligageschichte und die Elf von Lothar Buchmann ist willig. Beim Bremer Anstoß attackieren sie sofort den Gegner und überfallen diesen fast in seiner Hälfte, doch der gewünschte zehnte Treffer fällt nicht mehr. „Da hätte ich gerne mitgeschossen ...“, meint der verletzte Torjäger Harald Karger, der das Spiel auf der Bank erlebte, beim Gehen aber immer noch auf Krücken angewiesen ist und auf seine Rückkehr im nächsten Jahr hofft. Wie schwer es Werner Lorant erwischt hat, der kurz vor Schluss des Spiels auf dem Feld zusammenklappte, kann noch keiner sagen. Das Frankfurter Publikum, „das seitdem Rostow-Spiel endlich zu unserem zwölften Mann geworden ist“, wie Borchers meint, feiert derweil die Gala-Vorstellung der Eintracht mit prasselndem Beifall und Jubelstürmen. Das ist angemessen. Zwar hat die Eintracht Werder während ihrer niederlagenfreien Serie von 22 Punktspielen unter Gyula Lorant im April 1977 mit 7:1 und in der ersten Bundesligasaison im April 1964 gar mit 7:0 geschlagen, doch neun Tore sind ihr in der Bundesliga erst einmal gelungen. Nur knapp haben sie es heute verpasst, den höchsten Sieg ihrer Bundesligageschichte – das 9:1 gegen Rot-Weiss Essen vom 5.10.1974 – zu überbieten. Aus jener 74er Elf, in der natürlich die Weltmeister Grabowski und Hölzenbein standen, waren heute mit Karl-Heinz Körbel und Bernd Nickel noch zwei Spieler dabei, die damals übrigens auch zu den Torschützen zählten. „Der Bernd ist für uns zweifellos eine Schlüsselfigur im Positiven wie im Negativen“, lautet Buchmanns Urteil: „Bernd kann den Ball auch mal um die Ecke spielen. Wenn er sich 90 Minuten zu Höchstleistungen zwingt, sind wir zu allem fähig.“ Ein Anteil an dieser Leistung schreibt sich der Trainer zu: „Er wußte, dass ich andernfalls Konsequenzen gezogen hätte.“ Nachtweih staunt: „Mensch, haben wir die auseinandergenommen.“
„Wir haben eben wieder Moral“, lautet Nickels Begründung:
„Auch nach dem 0:1 hatte ich nie das Gefühl, dass heute etwas
passieren könnte.“ „Solch einen Traumfußball hat
es seit den Zeiten von Grabowski und Hölzenbein nicht gegeben“,
ist sich Borchers sicher und Nickel meint sogar: „Es kam mir vor,
als hätten heute Grabowski und Hölzenbein mitgespielt.“
„Dr. Hammer“ schwärmt von Borchers und Nachtweih: „Ich
konnte sie im Strafraum anspielen wie einst Grabowski und Hölzenbein.
Wann habe ich zuletzt ein rundes Dutzend Mal den Ball in den 16-Meter-Raum
gelupft?“ „Glückliche Eintracht, die sich mit Borchers
und Nachtweih nach dem Abtritt von Grabowski und Hölzenbein neue
Ball-Virtuosen, wenn auch anderen Stils, herangezogen hat“, schreibt
der Journalist Hartmut Scherzer: „Und der Nachfolger für Bernd
Nickel ist auch schon ‚geboren‘: Ralf Falkenmayer.“ „Die Tore waren alle so herrlich, so schön herausgespielt, so präzise geschossen, dass da auch gute Torhüter keine Chance gehabt hätten“, kommentiert Jürgen Grabowski in seiner Kolumne in der Abendpost/Nachtausgabe: „Sagen wir: Mit Dieter Burdenski hätte Werder vielleicht nur ein halbes Dutzend kassiert, gegen Rülander und Freese aber hätte es sogar ein Dutzend werden können.“ „Solch einen Sturmwirbel wie heute haben wir noch nie entfacht. Das ist wohl einmalig in der Bundesliga. Da hat aber auch alles zusammengepasst, jedes Tor saß im Winkel, da gab‘s doch gar nichts zu halten. Es war wie Weihnachten“, meint auch Pezzey und bedauert: „Schade, dass jetzt so eine lange Pause ist.“ Das war die Eintracht, wie sie sich Trainer Buchmann vorstellt: „Ganz sicher. Dabei will ich gar nicht das Resultat herausheben, sondern vielmehr die bestechende Art, wie es erzielt worden ist. Die Mannschaft war eine echte Einheit. Sie spielte offensiv mit dem Mut zum Risiko, aber ohne Aufgabe des Sicherheitsprinzips.“ Allerdings: „Es gibt immer noch etwas, was man besser machen könnte. Aber darüber muss ich erst mal nachdenken.“ Das tut er und findet: „Wir dürfen uns nicht so leicht vom Gegner überraschen lassen wie beim ersten Tor.“ Außerdem: „Dass wir durch den Wermutstropfen zum 2:4 erst wieder geweckt werden mussten, zeigt, dass meine Mannschaft immer ein bisschen Druck braucht. Bei uns lief dann aber alles hervorragend zusammen, und es herrscht jetzt eine tolle Stimmung nach dem Sieg.“ „Das Publikum und wir waren heute eine Einheit. Wenn das so bleibt, gibt‘s noch viele große Spiele“, hofft Bruno Pezzey und Präsident Schander ist gerührt. „Die Spieler haben begriffen, was für uns alle auf dem Spiel steht. Die Fans kommen wieder und lassen die Eintracht doch nicht im Stich. Ein neuer Anfang ist gemacht. Wir haben schlimme Zeiten hinter uns. Jetzt geht‘s aufwärts.“ Ins Fernsehen geht es erst einmal für Borchers, dessen Treffer zum 4:1 die ARD-„Sportschau“ zum „Tor des Tages“ kürt. „Das aktuelle Sportstudio“ des ZDF lädt den dreifachen Torschützen ein und Borchers überzeugt auch dort. Selbstsicher, doch nicht überheblich gewinnt er Sympathien. Vor der Partie, übrigens der dritten innerhalb von zehn Tagen, habe er nicht gewusst, wo er stehe: „In Darmstadt war ich kräftemäßig noch nicht auf der Höhe.“ Die Fußwurzelverletzung, die ihn fünf Wochen lang kein Spiel bestreiten ließ, ist noch nicht gänzlich überwunden. „Das Vertrauen von Herrn Derwall, mich letzte Woche trotz der langen Pause nach nur einem Bundesligaspiel schon wieder ins Aufgebot zu holen, hat mich unheimlich aufgemöbelt“, erzählt Borchers, „aber daran habe ich im Spiel keine Sekunde gedacht.“ „Gegen Albanien spielen bestimmt die Sieger aus Österreich“, schätzt er seine Einsatzchancen realistisch ein: „Ich bin schon froh, dass ich nach meiner Verletzung wieder im Kader bin.“ Nach dem samstäglichen Hochgenuss kehrt aber auch der Alltag mit seinen Problemen zurück. „Die Reise in die Wüste mache ich eventuell mit, wenn der Trainer Leute braucht“, sagt beispielsweise Werner Lorant, der in Berlin beim Ablösespiel für Sziedat fehlen wird. Er hat gegen die Bremer eine Zerrung im Sprunggelenk und ein überdehntes Innenband erlitten und trägt eine Gipsschale am Knie. Das passt dem harten Kerl, der über seine Vertragsverlängerung verhandeln und seine Trainer-Prüfung ablegen will, nicht in den Kram. „Dieses Spiel kann für uns sehr kritisch werden, da uns die vorausgehende Kuweit-Reise in den Vorbereitungen sehr stört“, warnt Buchmann bereits vor dem Gastspiel in Düsseldorf und auch Borchers macht sich Sorgen: „Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir in unserer gegenwärtigen Form gleich am nächsten Samstag in Düsseldorf spielen könnten. Stattdessen fahren wir zu einem Freundschaftsspiel nach Berlin und fliegen dann in der nächsten Woche über London zu zwei weiteren Spielen nach Kuweit und Dubai an den Persischen Golf, von wo wir erst am Donnerstag wieder zurückkommen. Diese Privatspiele sind für die Vereinskasse sicher sehr wichtig. Hoffentlich aber schaden sie nicht unserer augenblicklichen Form, mit der wir bis zum Saisonende noch ganz weit nach vorne in der Tabelle kommen könnten.“ „In der Spiellaune vom Samstag können wir sicher jeden Gegner schlagen. Realistisch ist für mich der 4. oder 5. Platz. Dazu gehört aber, dass einige Spieler auswärts nicht unter ihrem Niveau bleiben und sich nicht zu sehr auf Leistungsträger wie Pezzey und Körbel verlassen“, fordert Buchmann: „Es ist wichtig, dass das Spiel unserer Mannschaft nicht nur, wie so oft, von Pezzey und Körbel getragen wird.“ Mit diesen Äußerungen macht sich Buchmann sicher nicht nur Freunde in der Mannschaft. Und so hält beispielsweise Borchers die Vermutung, die Elf habe beim 9:2 für Trainer Buchmann und dessen Vertragsverlängerung gespielt, für falsch. „Die Forderung ‚Buchmann oder ich‘ spricht er nicht aus“, schreibt Sportjournalist Wolfgang Blum und zitiert Borchers: „Aber nur aus taktischen Gründen.“ „Auch Borchers sitzt am Verhandlungstisch“, fährt Blum fort und bilanziert: „Für Konfliktstoff bei der Eintracht ist also gesorgt. Auch in Erfolgszeiten.“
In der Rückrunde verliert die Eintracht gegen Werder mit 1:2. Der Aufsteiger beendet die Runde als 5., die Eintracht verpasst auf Rang 8 die Qualifikation für den UEFA-Pokal. Lothar Buchmann verlässt wie Norbert Nachtweih die Frankfurter Eintracht am Ende der Saison. Ronald Borchers bleibt bis 1984. Zu einem weiteren Länderspiel kommt er nicht mehr. „Wenn die Frankfurter erst merken, was für einen Mann wir hinten drin haben, dann gute Nacht“, soll Mittelstürmer Erwin Kostedde vor dem 2:9 gesagt haben, schreibt „Bild“-Autor Georg Münzberg, der im selben Artikel behauptet, dass Otto Rehhagel im Frankfurter Airport Hotel Willi Konrad, dem früheren Geschäftsführer der Offenbacher Kickers, vor dem Spiel anvertraut habe: „Wenn wir keine zehn Stück kriegen, bin ich schon heilfroh.“ „Ich brauche noch Zeit und Erfahrung. Vielleicht geht es beim nächsten Mal besser“, hofft Rülander noch, während Rehhagel klar ist: „Wir müssen dringend über die Verpflichtung eines zweiten Torhüters beraten.“ Eine Woche später verpflichtet Werder mit Klaus Funk, der bei der Eintracht hinter Jüriens nur noch die Nummer 3 ist, einen neuen Ersatztorwart. Rülander bestreitet – wie Robert Frese – nie wieder ein Spiel in der 1. Liga, sein Vertrag wird noch vor dem Ende der Hinrunde aufgelöst. 1982 kommt Rülander beim SV Meppen unter, mit dem er 1987 in die 2. Liga aufsteigt. Bis 1992 absolviert er dort 97 Zweitligaspiele. „Meppen – das war mein großes Glück“, erzählt Rülander Anfang 2010 der „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ): „Ich hatte dort eine wunderschöne Zeit, bin in den Profifußball zurückgekommen und konnte Otto Rehhagel und ein paar Millionen Menschen zeigen, dass dieses eine Spiel nicht mein wahrer Leistungsstand war.“ Das Debakel im Waldstadion bleibt jedoch unvergessen. „Hallo, Bernd, du hast mir meine Karriere zerschossen“, begrüßt Rülander etwa Jahre später Bernd Nickel, den er beim gemeinsamen Golfspielen trifft, und sogar Andreas Möller, der mit damals 14 Jahren viel zu jung war, um mitgespielt zu haben, spricht ihn auf das 2:9 an: „Ich war damals Balljunge im Waldstadion.“ Der NDR berichtet viele Jahre später, dass der Torwart vor dem Spiel einen Autounfall hatte und deswegen alle Bälle doppelt sah, die auf sein Tor kamen. Erzählt hat Rülander davon niemandem, er wollte die Chance seines Lebens nicht verstreichen lassen. „Aus einem Traum wurde ein Trauma, aber ich bin längst geheilt“, sagt Rülander der NOZ: „Das erste und das dritte hätte ich verhindern müssen. Aber richtig gut haben auch die anderen nicht gespielt ...“ (rs)
|