VfL Bochum - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1975/1976 - 30. Spieltag

5:3 (1:2)

Termin: Sa 08.05.1976, 15:30 Uhr
Zuschauer: 18.000
Schiedsrichter: Ferdinand Biwersi (Bliesransbach)
Tore: 1:0 Josef Kaczor (9.), 1:1 Wolfgang Kraus (29.), 1:2 Bernd Hölzenbein (40.), 2:2 Heinz-Werner Eggeling (48.), 3:2 Michael Lameck (67., Foulelfmeter), 3:3 Bernd Hölzenbein (78.), 4:3 Michael Eggert (80.), 5:3 Josef Kaczor (89.)

 

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VfL Bochum Eintracht Frankfurt

  • Werner Scholz
  • Hermann Gerland
  • Hartmut Fromm
  • Klaus Franke
  • Michael Lameck
  • Josef Kaczor
  • Hans-Jürgen Köper
  • Heinz-Werner Eggeling
  • Jupp Tenhagen
  • Dieter Versen
  • Werner Balte

 


 

Wechsel
  • Michael Eggert für Werner Balte (52.)
  • Hans-Joachim Pochstein für Heinz-Werner Eggeling (79.)
Wechsel
Trainer
  • Heinz Höher
Trainer

 

 

Hinten nicht ganz dicht

Alles ist im Fluss am Main. Klaus Beverungen, dem die Eintracht vor einigen Wochen noch mitgeteilt hatte, dass er sich nach einem neuen Verein umsehen soll, wird nun doch in Frankfurt bleiben, während der wie „Beve“ im Sommer 1974 verpflichtete Bernd Lorenz wohl für eine geschätzte Ablösesumme von 200.000 DM zu Young Boys Bern in die Schweiz wechseln wird. Der schon einmal ausgemusterte Libero Gert Trinklein, der nach einigen Monaten der Arbeitslosigkeit im Oktober des letzten Jahres bis zum Saisonende erneut unter Vertrag genommen wurde, wird die Eintracht wohl wieder verlassen, aber im Lande bleiben. St. Pauli und nun auch Rot-Weiß Essen sollen Interesse haben.

Wieder für die Eintracht spielen will Torwart Wienhold, der nach seinem Knöchelbruch auf dem Gladbacher Bökelberg vor acht Wochen mit leichten Übungen begonnen hat: Schwimmen, Gymnastik und Krafttraining: „Ich darf alles machen, nur den Fuß noch nicht belasten.“ „Ich verzichte in diesem Jahr auf meinen Sommerurlaub“, erklärt der ehrgeizige Keeper, „damit ich zu Beginn der nächsten Saison wieder spielen kann.“

Wienhold wird schmerzlich vermisst, der 13. März in Gladbach war im Nachhinein betrachtet nicht nur sein Unglückstag, sondern auch der der Eintracht. Die hatte in der Rückrunde bis dahin 10:2 Punkte und 17:5 Tore geholt, doch nach Wienholds Ausfall sind es nur 5:7 Punkte bei 11:12 Toren. Der Zorn des Anhangs richtet sich nach dem Ausscheiden im Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger und der 1:3-Heimniederlage gegen Rot-Weiß Essen, durch die das Mindestziel – die Qualifikation für den UEFA-Cup – auch noch verpasst zu werden droht, gegen den Trainer und den Torhüter. Der mittlerweile 35-jährige Ersatzkeeper Dr. Kunter, der in seinem Beruf als Zahnarzt stark engagiert ist und sich nur Dietrich Weise zuliebe in dieser Spielzeit noch zur Verfügung stellte, hat diese Entscheidung ganz sicher bereits bereut. Mit dem Wattenscheider Keeper Koitka und Wulff von Schwarz-Weiß Essen haben sich in dieser Woche zwei Schlussmänner zum Probetraining am Riederwald vorgestellt, doch bis zum Ende der Saison wird Dr. Kunter wohl durch die Hölle gehen müssen, die ihm der eigene Anhang bereitet.

Auch Trainer Weises Kredit ist aufgebraucht. Dem Fußballlehrer, der die Eintracht mit seinem Amtsantritt aus dem Mittelmaß holte und in die Bundesligaspitze führte, fehlen nach zwei DFB-Pokalsiegen in seiner dritten Spielzeit bei der Eintracht die Erfolge. Im DFB-Pokalachtelfinale war in der Verlängerung bei Hertha BSC Endstation, im Halbfinale des Europapokals bei West Ham United und nun muss die als Titelkandidat in die Runde gestartete Eintracht sogar darum bangen, ob man im nächsten Jahr auf der europäischen Bühne vertreten sein wird. Bei der Heimniederlage gegen Essen musste sich der Trainer lautstarke „Weise raus“-Rufe gefallen lassen. „Das ist das Grausame an meinem Beruf“, bilanziert er gewohnt nüchtern: „Hätte die Eintracht in West Ham gewonnen, wäre ich als Deutschlands derzeit erfolgreichster Trainer gefeiert worden, der zum dritten Mal seine Mannschaft in ein Pokalendspiel geführt. hätte. So aber ist jetzt viel Beton abgebröckelt.“

Es ist „eine tragische Saison für die Eintracht“, meint Weise, während sich sein Kapitän kämpferisch gibt: „Wir resignieren nicht! Noch können wir die UEFA-Cup-Qualifikation schaffen. Wir müssen dem Verein diese Einnahmemöglichkeit erhalten. Außerdem wäre unser in jahrelanger Arbeit aufgebautes Image angekratzt, wenn wir in der nächsten Saison nicht in einem europäischen Pokalwettbewerb vertreten wären“, warnt Grabowski. Der VfL Bochum könnte der richtige Aufbaugegner sein, zumal die Frankfurter in der Hinrunde den Bochumer „Beton in Käse“ verwandelten und die Elf von Trainer Höher mit einem 6:0 zurück ins Ruhrgebiet schickten. Am letzten Wochenende gelang dem VfL gegen den 1. FC Köln durch einen Treffer ihres Torjägers „Jupp“ Kaczor zwar ein 1:0-Sieg, doch zuvor haben sie vier Bundesligaspiele hintereinander verloren. Der VfL steht somit trotz des Erfolges gegen Köln weiter auf einem Abstiegsrang und das Wasser reicht ihr immer noch bis zum Hals.

Doch vor 18.000 Zuschauern im Herner Stadion am Schloss Strünkede, das der VfL Bochum während des Umbaus des Ruhrstadions für seine Heimspiele nutzt, schwimmen sich die Gastgeber bei hochsommerlichen Temperaturen schnell frei. Bereits in der 9. Minute erzielen sie das 1:0 und Torschütze ist wieder Kaczor. Körbel, der in den letzten Wochen ohnehin um seine Form ringt, bekommt den Mittelstürmer des VfL auch in dieser Szene nicht in den Griff. Kaczor ist nach einem langen Pass im Spurt aber nicht nur schneller als Bewacher Körbel, sondern auch als Libero Trinklein und kommt als erster an den Ball, den er am Elfmeterpunkt mit der ersten Berührung über den herausstürzenden Keeper Dr. Kunter ins Netz hebt.

Weises Elf nimmt den Fehdehandschuh auf. Weidle, der für Wenzel in die Mannschaft gekommen ist, kurbelt zusammen mit dem ebenso fleißigen Kraus unter Regie von Grabowski und Nickel das Angriffsspiel der Gäste an. Kraus ist es auch, der nach einer knappen halben Stunde für den Ausgleich sorgt. Neuberger, der zuvor Schlussmann Scholz mit einem Schuss in den rechten Torwinkel zu einer Flugparade animierte, zeigt seinen Gegenspieler am linken Flügel die Hacken und zieht das Leder von der Torauslinie mit dem rechten Außenrist nach innen, wo Kraus sechs Meter vor dem Kasten ungedeckt hochsteigt. Seinen Kopfball bekommt Scholz erst hinter der Torlinie zu fassen, was Schiedsrichter Biwersi trotz aufgewirbelten Staubs und Kreide nicht entgeht. Auch dass Scholz aufsteht und den Ball abwirft, täuscht den Unparteiischen nicht, zumal die erboste Geste des neben Scholz stehenden Gerland unmissverständlich zeigt, wo das Leder gewesen ist – im Tor.

Nachdem Tenhagen nach Körbels missglückter Grätsche den Ball ungedeckt erhält, aber seinen halbhohen Schuss am rechten Pfosten vorbei setzt, geht die Eintracht fünf Minuten vor dem Halbzeitpfiff von Schiedsrichter Biwersi sogar in Führung. Wieder heißt der Vorbereiter Neuberger, der den Ball im Mittelfeld treibt und 25 Meter vor dem Tor aus halblinker Position nach rechts in den Strafraum auf den lauernden Hölzenbein lupft. Der läuft zwei Schritte und verwandelt dann Neubergers Vorlage ais der Luft mit einem unhaltbaren Direktschuss in die lange Ecke.

Die sommerliche Hitze hält auch nach dem Seitenwechsel an, doch die Bochumer kommen erfrischt aus der Kabine. Drei Minuten nach Wiederanpfiff zeigt Flügelflitzer Eggeling, dass er bei Hölzenbeins Treffer gut aufgepasst hat. Er steht fast an derselben Stelle wie zuvor der Frankfurter, als ein abgeblockter Schussversuch Tenhagens auf ihn zugehoppelt kommt. Den aufspringenden Ball nimmt Eggeling aus der Drehung und schlenzt ihn als Aufsetzer – ebenfalls wie Hölzenbein – ins linke Eck. Trainer Höher bringt in der 52. Minute mit Eggert für Werner Balte einen neuen Mann. Für Stammspieler Eggert ist die Rolle des Einwechselspielers noch eine ungewohnte, die er in dieser Saison erst einmal zugewiesen bekam – am letzten Wochenende gegen Köln.

Auch Weise wechselt und wählt eine defensivere Variante: Gerd Simons kommt in der 61. Minute für Roland Weidle in die Partie. Doch die Abwehr um Trinklein, der für den verletzten Reichel ins Team gerückt ist und von Neuberger die Liberoposition übernommen hat, steht auch in der Folge alles andere als sicher. Und so ist es nicht verwunderlich, dass in der 67. Minute der dritte Treffer gegen die Frankfurter folgt. Der VfL benötigt dazu allerdings einen Strafstoß, den Biwersi gibt, nachdem Tenhagen Körbel versetzt hat und von Beverungen im Strafraum zu Fall gebracht wird, wobei der Bochumer etwas spät und eine Spur zu theatralisch zu Boden geht. Die Hoffnung, dass Lameck wie Ende März gegen den HSV im ersten Versuch scheitert, erfüllt sich nicht. Mit links schiebt Lameck den Ball in die rechte Ecke, während Kunter in die linke fliegt.

Dafür ist auf den Scharfschützen Hölzenbein Verlass. Wenige Minuten nachdem Trainer Weise alles auf eine Karte gesetzt und mit Wenzel einen Stürmer für Libero Trinklein gebracht hat, schlägt der „Holz“ aus spitzem Winkel zu. Nickels Eckball von der linken Seite ist von einem Bochumer zum rechten Strafraumrand verlängert worden, wo Hölzenbein wartet, den Ball stoppt und dann abzieht, in dem er die Kugel über den rechten Außenrist rollen lässt. Wie eine Rakete zischt das Leder schräg aufsteigend durch den Strafraum und schlägt im linken Dreieck ein. Ein sensationeller Treffer der Marke „Tor des Monats“.

Der Gleichstand nach 78 Minuten lässt wiederum Bochums Trainer Höher nicht ruhen – er bringt keine 60 Sekunden später Pochstein für den Torschützen. Und es ist Pochstein, der Initiator eines überfallartigen Angriffs ist, der über die rechte Seite vorgetragen wird. Körbel kann den Querpass nach innen nicht verhindern, doch Simons stoppt den einschussbereiten Eggert sechs Meter vor dem Tor mit einer Grätsche. Unglücklicherweise springt der Ball im hohen Bogen zurück zum Vorlagengeber, den Körbel zu weit weg stehend erneut nicht am Querlegen hindern kann. Den folgenden Schuss Kaczors aus sieben Metern kann erneut Simons blocken, doch dieses Mal springt der Ball nicht zur Seite, sondern nach vorn zu Eggert, der beim Schuss im Abseits lag. Jetzt hat er sich aufgerappelt, eilt dem Ball einen Schritt entgegen und kickt ihn vor dem heraneilenden Körbel aus drei Metern zum 4:3 ins Netz. Es ist Eggerts drittes Saisontor.

Das Spiel steht in der Schlussphase auf des Messers Schneide. Der erneute Ausgleich ist ebenso möglich, wie die Entscheidung zugunsten der Gastgeber. Und in der vorletzten Minute neigt sich die Waage nach einer Seite und die Glückgöttin zwinkert den Bochumern zu. Köpers Vorlage findet Kaczor, der allein auf Kunter zusteuert und dann vor dem Keeper nach rechts zieht. Den folgenden Schuss kann Kunter noch abfälschen, doch der der zurücksprintende Körbel kommt nicht mehr rechtzeitig, um die Kugel daran zu hindern, dass sie neben dem rechten Pfosten zum 5:3 ins Tor hoppelt. Dabei bleibt es. Deprimiert schleichen die Frankfurter Akteure vom Platz, der von erleichtert jubelnden Bochumer Fans gestürmt wird.

„Wir haben hinten zu viele Fehler gemacht. Da passt vieles nicht“, erklärt Kapitän Grabowski und erhält Unterstützung von einem der besten Frankfurter, Willi Neuberger: „Es wurde nicht genau genug gedeckt, in der Offensive waren wir nicht schlecht, aber in punkto Deckung fehlte doch einiges.“ Trainer Weise bleibt ruhig: „Ein Libero-Problem gibt es für mich nicht: Wenn alle gesund sind spielen wir so wie in den letzten Wochen. Das heißt: Mit Neuberger als Libero.“

Wolfgang Tobien zieht im „kicker“ für die Eintracht eine Zwischenbilanz und kommt zu dem Schluss. „Fünf Gegentore für die Eintracht — das ist in Frankfurt zum letzten Male vor eineinhalb Jahren beim 5:5 auf eigenem Platz gegen Stuttgart passiert. Damals, am 16. November 1974, wie diesmal am 8. Mai 1976 beim 3:5 in Bochum stand Dr. Peter Kunter zwischen den Pfosten des Frankfurter Tores. Damals flüchtete der Zahnarzt nach fünf Stuttgarter Gegentreffern vor den Pfiffen und den Schmähungen von den Rängen aus dem Tor und überließ seinem Konkurrenten Wienhold fortan kampflos das Feld. Diesmal freilich kann es keine Flucht mehr geben. Der „Doc“ muss aushalten bis zum Ende der Spielzeit. Und dieses Saisonende dürfte für die Eintracht wohl recht bitter werden.“ (rs)


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