Eintracht Frankfurt - VfL Bochum

Bundesliga 1975/1976 - 13. Spieltag

6:0 (1:0)

Termin: Sa 08.11.1975, 15:30 Uhr
Zuschauer: 10.000
Schiedsrichter: Jan Redelfs (Hannover)
Tore: 1:0 Rüdiger Wenzel (25.), 2:0 Bernd Lorenz (48., Foulelfmeter), 3:0 Klaus Beverungen (54.), 4:0 Karl-Heinz Körbel (60.), 5:0 Peter Reichel (84.), 6:0 Klaus Beverungen (86.)

 

>> Spielbericht <<

Eintracht Frankfurt VfL Bochum

 


  • Werner Scholz
  • Michael Eggert
  • Hartmut Fromm
  • Jupp Tenhagen
  • Michael Lameck
  • Heinz-Werner Eggeling
  • Hans-Jürgen Köper
  • Hans-Joachim Pochstein
  • Hermann Gerland
  • Holger Trimhold
  • Josef Kaczor

 

Wechsel
Wechsel
  • Dieter Versen für Hans-Joachim Pochstein (46.)
  • Erich Miß für Jupp Tenhagen (54.)
Trainer Trainer
  • Heinz Höher



Käse aus Beton

Die neue Saison verläuft für den amtierenden Pokalsieger und Meisterschaftskandidaten vom Main enttäuschend. Nach der Auftaktniederlage gegen den Aufsteiger KSC ist die Eintracht nach Niederlagen in Offenbach, Hannover und Hamburg und Unentschieden gegen Gladbach und Kaiserslautern im Waldstadion auch gegen den MSV Duisburg nicht über ein 1:1 hinaus gekommen. Am letzten Wochenende folgte eine bittere 3:4-Niederlage bei Rot-Weiß Essen, die die Frankfurter auf Platz 15 abrutschen ließ, nur einen Punkt vor der Abstiegszone und zwei vor dem Tabellenletzten aus Offenbach. Seit sieben Spielen wartet die Elf von Trainer Weise nunmehr in der Liga auf einen Sieg, die Sportzeitung der Eintracht fordert ein "Aufbäumen gegen den Heimkomplex".

Drei Tage vor dem heutigen Heimspiel gegen die Maurermeister aus Bochum haben Grabi, Holz & Co. im Waldstadion aber nicht nur Atlético Madrid mit 1:0 geschlagen und das Viertelfinale im Europapokal der Pokalsieger erreicht, sondern auch eine begeisternde Vorstellung geliefert. Doch wird die Diva vom Main nach dieser Gala ihre schwarze Serie im Alltag der Bundesliga beenden, gegen die graue Maus unter den Erstligisten an einem tristen Novembertag vor 10.000 Zuschauern? Zieht man die Statistik zurate, könnte man trotz der Frankfurter Divenhaftigkeit große Hoffnung bekommen. Alle Heimspiele gegen die biederen Handwerker aus dem Ruhrgebiet hat die Eintracht seit dem Bochumer Bundesligaaufstieg im Jahr 1971 gewonnen.

Bei denen ist allerdings in den letzten Monaten ein Spieler so positiv aufgefallen, dass er mit der Nationalmannschaft in Verbindung gebracht wird und Dieter Ueberjahn im „Kicker“ fordert: „Gebt ihm doch endlich eine Chance!“ „Der Jupp bringt konstant gute Leistungen. Ich habe viele gute Fußballer in meiner Mannschaft, aber er ist sicherlich der einzige Spieler, der über einen längeren Zeitraum hinweg nur gute Spiele gemacht hat. Auf ihn ist immer Verlass“, macht sich auch VfL-Trainer Heinz Höher für Franz-Josef Tenhagen stark, der seinem 1973 gegen Frankreich absolviertem Juniorenländerspiel zu gerne weitere bei den Senioren folgen lassen würde: „Die Nationalmannschaft ist und bleibt mein großes Ziel.“ Tenhagen war bereits einmal zu einem Sichtungslehrgang eingeladen, musste jedoch absagen: „Ein paar Tage vorher wurde ich beim Spiel in Mönchengladbach durch Suraus Foul verletzt und konnte nicht teilnehmen. Ich hatte zeitweise den Eindruck, dass man mir beim DFB diese Absage krumm nahm. Dabei war ich wirklich verletzt.“

Während Bundestrainer Helmut Schön Tenhagen bei seinen Nominierungen regelmäßig übersieht, geriet der ebenso zuverlässige wie vielseitige Abwehrspieler vor Saisonbeginn in das Blickfeld mehrer Bundesligisten. Schalke 04, Hertha BSC und der 1. FC Kaiserslautern waren unter anderem interessiert, doch Tenhagen unterschrieb beim VfL für drei weitere Jahre.“ Für kein Geld der Welt hätte ich ihn ziehen lassen“, bekräftigt Präsident Ottokar Wüst den Stellenwert des begehrten Spielers für den VfL und fügt hinzu: „Er hat als erster eine Chance bei Helmut Schön verdient, aber ich kann auch Lameck, Köper, Eggeling und Eggert empfehlen.“ „In zwei, drei Jahren werde ich mir natürlich etwas aufbauen, zurzeit mache ich jedoch außer Fußball nichts“, berichtet der gelernte Elektroinstallateur Tenhagen, der ein heimatverbundener Typ ist. Von der D- bis zur A-Jugend spielte er bei Fortuna Millingen: „Ganz in der Nähe wohne ich heute noch. Ich habe eine Wohnung in Ringenberg bei Wesel und muss jeden Tag 140 km zum Training zurücklegen.“

„Ich habe keine großen Probleme und kann hundertprozentig bei der Sache sein“, ist Tenhagen zufrieden. Bei VfL-Libero Klaus Franke, den Tenhagen vertreten muss, sieht das anders aus. Nach einer Herzmuskelentzündung verbrachte Franke 14 Wochen im Krankenhaus, davon 40 Tage in absoluter Ruhelage, und muss sechs Wochen lang im Rehabilitationszentrum Bad Salzuflen regenerieren, bevor er frühestens im Januar mit einem leichten Aufbautraining beginnen kann. „Wir waren uns vor Saisonbeginn im Klaren darüber, dass wir drei Leute auf keinen Fall ersetzen könnten, die das Gerippe unserer Mannschaft darstellen: Lameck, Tenhagen und eben Franke“, hadert Ottokar Wüst: „Der Ausfall von Franke hat uns mit Sicherheit eine ganze Reihe von Punkten gekostet.“

Das Schicksal, das Franke getroffen hat, ist jedoch weitaus härter, wobei er Glück im Unglück hat: „Bei Franke scheint die Sache noch einmal glimpflich zu verlaufen. Normalerweise ist eine Rückkehr zum Leistungssport undenkbar“, erläutert VfL-Internist Dr. Rudolf Meyer, dem Franke zu Dank verpflichtet ist: „Dass Dr. Meyer so schnell und präzise die richtige Diagnose stellte, hat mich vor wesentlich größerem Schaden bewahrt“, weiß Franke, der seinen Auslandsurlaub wegen plötzlich aufgetretener Atem- und Herzbeschwerden abgebrochen hatte, um sich in Deutschland von Meyer untersuchen zu lassen. „Dabei wäre Franke mit ziemlicher Sicherheit von dieser Geschichte verschont geblieben, wenn die geplante Tournee in den Irak nicht kurzfristig abgesagt worden wäre“, erzählt Dr. Meyer. „Die angesetzte Impfung dafür wurde abgesagt, und die Immunität, die ansonsten eingetreten wäre, nicht aufgebaut. Dabei bin ich der Meinung, dass jeder Hochleistungssportler, der ständig seine Kräfte zu verausgaben pflegt, geimpft werden müsste.“ „Ich hatte im Vorjahr über 60 Spiele absolviert und mich dabei, weil die Umstellung von der 2. Liga doch enorm war, körperlich wohl etwas übernommen. Deshalb war ich wohl anfällig, als ich auf Mallorca weilte“, glaubt Franke, der erst in der letzten Saison mit bereits 26 Jahren den Sprung in die Eliteliga geschafft hat.

Mittlerweile drücken Franke aber auch andere Sorgen: „Ich habe meinen absoluten Tiefpunkt zwar gottlob überwunden, denn zwischendurch habe ich mal gemeint, es ginge überhaupt nicht mehr weiter. Aber ich mache mir langsam um meine Finanzen Gedanken. Ich kann nur hoffen, dass ich mein Gehalt weiterhin bekomme, wo ich schon genug an Prämien verloren habe.“ Doch ihm ist in seiner Leidenszeit auch Positives widerfahren: „Man merkt doch, dass in Bochum noch ein echter Kameradschaftsgeist herrscht. Täglich erhielt ich Besuch von Spielern und Funktionären, wurde mit Geschenken überhäuft, und „Ata“ Lameck hat meiner Frau sogar beim Umzug geholfen, als ich noch in der Intensivstation lag. Es ist ein herrliches Gefühl, von solcher Freundschaft zu wissen. Das hat mir sehr weitergeholfen.“

Eine „Herzensangelegenheit“ brachte vor Beginn der Saison auch seinen neuen Mannschaftskameraden Holger Trimhold aus dem Gleichgewicht. Der jüngere Bruder des früheren Eintrachtspielers Horst „Schotte“ Trimhold bekam nach einem routinemäßigen Leistungs-EKG im Krankenhaus „Bergmannsheil“ in Bochum ein niederschmetterndes Zeugnis ausgestellt: „Ein weiterer Einsatz wäre unverantwortlich. Dieser Mann darf nie mehr Fußball spielen.“ „Damals, als ich von Professor Rosenkranz untersucht worden war, dachte ich, mich hätte ein Pferd getreten. Ich war seelisch down, entnervt. Aber dann habe ich mich noch von mehreren anderen Ärzten untersuchen lassen. Ergebnis: keine Bedenken! Alles war in Ordnung“, erzählt Trimhold über diese Zeit: „Ich musste wochenlang herumsitzen, man schleppte mich von einem Spezialisten zum anderen, ich musste sogar zum Psychologen. Vielleicht war mein Kreislauf durch eine schwere Erkältung nicht in Ordnung, als ich das erste Mal untersucht worden war.“

„An ein Manöver des VfL glaubte ich nie“, erklärt er zu den Vorwürfen, der VfL würde so versuchen, die 300.000 DM Ablöse an Trimholds bisherigen Verein, Schwarz-Weiß Essen, zu drücken. Am Ende einigten sich beide Klubs auf eine Ratenzahlung: 175.000 DM zahlte der VfL sofort, weitere 75.000 DM wurden nach Trimholds viertem Punktspiel fällig und der Rest ist am Ende der ersten Serie an die Essener zu überweisen. „Das ging mir auf die Nerven. Ich wollte und konnte spielen. Durfte aber nicht. Ich bin froh, dass die weiteren Untersuchungen positiv ausfielen und dass die Vereine sich schließlich gütlich über die Ablösesumme einigten“, sagt Trimhold: „Ich bin gerne nach Bochum gekommen, von dieser Mannschaft verspreche ich mir sehr viel.“ Sorge bereitet ihm aber sein Knie: „Zurzeit merke ich noch nichts. Aber es ist Tatsache, dass etwas in meinem Knie nicht in Ordnung ist. Ich hoffe, dass es lange hält.“

Die Umstellung von der 2. Liga auf die Bundesliga fiel ihm nicht schwer. „Was für mich überraschend war, ist die Tatsache, dass in der Bundesliga lange nicht so getreten wird wie in der 2. Liga. In der Bundesliga kann man wirklich Fußball spielen und braucht nicht zu befürchten, dass man nur umgesenst wird, so wie es bei mir in der 2. Liga oft der Fall war. Ich bin jedoch schon frecher geworden. Heute beiße ich auch schon zurück.“ Seinen neuen Trainer kennt Trimhold bereits von früher: „Er war schon eineinhalb Jahre mein Trainer in Essen. Ich habe unter ihm immer gerne gearbeitet.“ Die regelmäßig durchgeführten Leistungs-EKGs jedoch bleiben für Trainer wie Spieler ein Fragezeichen, das sie mit Sorge erfüllt: „Mit dieser Angst müssen mein Trainer und ich wohl noch eine ganze Weile leben", prophezeite der Bochumer Mittelfeldspieler. „Aber ich hab mich inzwischen daran gewöhnt. Mich kann nach diesem ganzen Theater um meine Person so schnell nichts mehr erschüttern.“

Das ist bei den Verantwortlichen des VfL nicht anders, die trotz der unbefriedigenden sportlichen Situation Ruhe und Augenmaß bewahren. „Seit Beginn dieser Spielzeit fallen uns mit Klaus Franke mit Virus in der Herzkammer und Dieter Versen wegen Verletzung der Achillessehne zwei ganz wichtige Spieler aus. (..) So etwas kann eine Elf schon aus der Bahn werfen“, hat Wüst am 9. Spieltag nach der bereits dritten Heimniederlage zu Bedenken gegeben: „Unsere Mannschaft kann viel mehr als sie bisher in der Bundesliga zeigte. Manche Leute stehen zwar auf dem Standpunkt, dass zwei, drei Ausfälle von einem Bundesligaklub verkraftet werden müssten, ich bin jedoch, wie mein Trainer, nicht dieser Meinung. Immerhin sind die Verletzten Stützen der Mannschaft gewesen. Nehmen Sie Beckenbauer und Müller aus der Bayern-Elf heraus, ist der FC Bayern ein Abstiegskandidat der Bundesliga“, lautete Wüsts gewagte These. „Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass wir uns wieder fangen und nicht in Abstiegsgefahr kommen“, hatte Trainer Höher zur selben Zeit auf Optimismus gemacht. Bei einer Niederlage in Frankfurt droht jedoch erstmals in dieser Runde das Abrutschen auf einen Abstiegsplatz.

Sein Kollege Dietrich Weise muss die erfolgreiche Mannschaft, die Madrid bezwungen hat, ebenfalls verletzungsbedingt umstellen, aber nur auf einer Position. Die Spanier haben Bernd Nickel ein Andenken hinterlassen und die Schwellung in Nickels rechter Kniekehle lässt einen Einsatz gegen die Bochumer nicht zu. Dr. Hammer fehlt somit erstmals in dieser Saison in einem Bundesligaspiel. Für ihn kommt Bernd Lorenz in die Mannschaft, der zuletzt als Einwechselspieler in Essen seine Torgefährlichkeit unter Beweis gestellt hat. Außerdem steuerte der Stürmer im April beim 4:1 gegen Bochum drei Treffer bei. „Für uns gibt es nur eine Parole, und die lautet: Sieg über den VfL. Bochum! Wir müssen unbedingt verlorenen Boden gutmachen“, lässt es Weise vor dem Heimspiel an Deutlichkeit nicht fehlen: „Noch ist die Führungsgruppe nicht uneinholbar entschwunden. Doch mit 10:14 Punkten können wir natürlich nicht auf den ersten oder zweiten Platz schielen, sondern müssen erst einmal versuchen, ein ausgeglichenes Punktekonto zu erreichen.“

Die Gäste, die punktgleich, aber wegen der um einen Treffer besser ausgestatteten Tordifferenz einen Rang vor der Eintracht auf Platz 14 liegen, wollen das natürlich verhindern. Das versuchen sie in der ihnen eigenen Art, die in der Bundesliga ebenso bekannt wie gefürchtet ist. Von Beginn an demonstrieren sie, wie sie in den bisherigen sechs Auswärtsspielen zu vier Unentschieden gekommen sind, von denen eines torlos und die anderen jeweils 1:1 endeten. „Die hätten uns doch bald mürb gemacht“, schimpfte zuletzt der Kölner Wolfgang Weber über die Taktik des VfL: „aber so ein Tor kurz vor Schluss war die gerechte Strafe für diese Mauerei.“ „Das Spielfeld ist doch 70 mal 110 Meter groß“, verteidigte sich da Trainer Höher gegenüber dem Vorwurf, ob man mit diesem „Anti-Fußball die Zuschauer aus dem Stadion vertreiben wolle“. „Wir können gegen eine Truppe von Nationalspielern natürlich auch „Hurra“ spielen und liegen dann bei Halbzeit mit 0:5 hinten. Dann ist uns wenigstens der Beifall der Zuschauer sicher“, bemerkte Höher spitz.

Auch heute schirmen acht Bochumer am eigenen Strafraum ihr Tor ab, und ohne dass eine erkennbare Notwendigkeit bestehen würde, schieben sie immer wieder den Ball zu ihrem Torwart Scholz zurück. Dieser äußerst destruktiven Auslegung eines Fußballspiels begegnen die Frankfurter, indem sie ihren Libero aufgeben und auf konsequente Manndeckung umstellen. Trainer Weise hat Neuberger, der sonst als Libero fungieren würde, gegen Bochums Spitze Kaczor gestellt sowie Vorstopper Körbel gegen Mittelfeldspieler Trimhold. Rechtsaußen Hölzenbein agiert noch weit vor Mittelstürmer Wenzel gegen den Libero der Bochumer, so dass auch die Gäste im Grunde ohne freien Mann spielen müssen. Weises Schachzug ist nicht ohne Risiko, aber der VfL scheint bisher von der Kunst des Konterns so viel zu verstehen wie die ersten Menschen von Organtransplantationen. So reicht es völlig aus, dass Reichel als quasi letzter Mann Eggeling im Auge hat.

Das unfassbar defensiv angelegte Konzept der Gäste stellt Beverungen aber schon in den ersten Minuten auf die Probe. Seinen kapitalen Schuss aus dem Hinterhalt kann der Bochumer Keeper Scholz nicht fangen und der Abpraller kommt zum aufgerückten Körbel. Doch der Vorstopper der Hessen bringt es fertig, den Ball aus zwei Metern an die Querlatte zu setzen ...

Bei dieser Torgelegenheit bleibt es aber nicht. In der 13. Minute ist Hölzenbein einschussbereit, doch Tenhagen ist zur Stelle und spitzelt den Ball im letzten Moment weg. Was Hölzenbein hier widerfährt, fügt er wenig später seinem Sturmpartner Wenzel zu, als der "Holz" eine Flanke von Weidle mit dem Kopf so unglücklich abfälscht, dass Wenzel den Ball knapp verpasst.

Weil der VfL sich so weit zurückzieht, erfreuen sich die Mittelfeldspieler der Eintracht ungewohnter Freiheiten. Lameck und Köper decken nur den Raum um Jürgen Grabowski, und Roland Weidle auf der rechten Seite bleibt gar gänzlich ohne Gegenspieler. Weidle ist so ständig anspielbar und wird deswegen auch immerzu von seinen Mitspielern gesucht, die den fleißigen Schwaben damit fast in die Rolle eines Spielmachers drängen. Das ist Weidle natürlich mitnichten, aber gegen hausbackene Gegner sind manchmal geniale Ideen auch gar nicht vonnöten. Weidles unermüdlicher Einsatz und seine fast schon legendäre Laufbereitschaft sind in jedem Fall von großem Nutzen für seine Elf, während sie den Gästen erhebliche Schwierigkeiten bereiten.


Wenzel zum 1:0

Weidle ist es auch, der nach 25. Minuten die verdiente und bereits überfällige Führung der Eintracht vorbereitet. Es ist der gleiche Spielzug, der Wenzel vorher noch um seine Chance brachte. Diesmal jedoch verlängert Hölzenbein Weidles Flanke per Kopf zu Wenzel und nicht an diesem vorbei. Wenzel erhascht den Ball vor der Torauslinie, lässt Fromm mit einem Haken aussteigen und schließt den Angriff fast von der Grundlinie mit einem harten Schuss ab. Aus derart spitzem Winkel trifft ein Stürmer im besten Fall den Torwart, meist aber wohl nur das Außennetz, Wenzels Geschoss jedoch zischt wie ein Strahl in die äußerste Ecke des Bochumer Tores. Lothar Emmerich hätte man einen solchen Treffer zugetraut, Gerd Müller auch, aber dass Rüdiger Wenzel solch ein Tor zu erzielen vermag, hätte dem jungen Mann kaum einer zugetraut. "Ich habe in der Mitte kein weißes Hemd für eine Vorlage gesehen, also habe ich drauflos gedroschen", gibt sich der stürmende Neuzugang der Eintracht bescheiden.

Wer nun glaubt, die in Rückstand geratenen Bochumer würden ein bisschen offensiver spielen, irrt. Ein Schuss von Kaczor in der 43. Minute aus fünf Metern über das Eintracht-Tor bleibt die einzige Torchance der Bochumer in der ersten Halbzeit. Die Frankfurter sind dem 2:0 deutlich näher als die Gäste dem Ausgleich. Die letzte Chance hat Körbel, dessen Volleyschuss in der 44. Minute von Fromm von der Linie geschlagen wird.

Bochums Trainer Heinz Höher hat trotz des knappen Rückstands offensichtlich schon zur Pause die Hoffnung auf einen Punkt aufgegeben, denn er ersetzt zum Wiederanpfiff Linksaußen Pochstein durch Abwehrspieler Versen. Ob er tatsächlich mit dem 0:1 zufrieden ist und es halten will?

Wenn, dann gelingt es ihm nicht. Drei Minuten nach der Halbzeitpause wird Wenzel von Tenhagen im Strafraum schwer gefoult. Diese Entscheidung hat der Bochumer Spieler Schiedsrichter Jan Redelfs wirklich einfach gemacht: Strafstoß. Hier zahlt sich nun doch noch aus, dass die Eintracht vor dem Rückspiel gegen Madrid fleißig Elfmeterschießen geübt hat. Bernd Lorenz beweist, dass er nicht nur ein Freund lässiger Mode ist, sondern auch ebenso lässig seiner Arbeit nachzugehen versteht. Den Elfer verwandelt er jedenfalls so eiskalt, wie man einen Korn serviert haben möchte.

Die Bochumer bekommen jetzt die gerechte Strafe für ihren Fußball, der die Zuschauer eine Halbzeit lang leiden ließ. Die Bestrafung wird von Beverungen fortgeführt, der in der 54. Minute von Hölzenbeins mit einem maßgerechten Rückpass bedient wird. Beve trifft den Ball nicht richtig, aber der verunglückte Schuss landet dennoch zum 3:0 im Bochumer Tor. Doch damit nicht genug, die Bochumer haben nun Pech, als hätten sie eine Lkw-Ladung Spiegel zerbrochen: Jupp Tenhagen, ihr bester Mann neben dem unermüdlichen, aber auf sich allein gestellten Eggeling im Sturm, stürzt und fällt dabei so unglücklich auf seine rechte Hand, dass diese bricht. Der zu Saisonbeginn vom Absteiger Wuppertaler SV nach Bochum gewechselte Erich Miß kommt für den Verletzten ins Spiel.

Nach einer Stunde erhalten die Gäste den nächsten Schlag. Körbels Offensivgeist wird belohnt, nachdem Wenzel den Vorstopper mit einem Fallrückzieher bedient hat. Vor den ausgestreckten Armen des Bochumer Torhüters kommt Körbel an das Leder und stößt die Kugel mit dem Kopf zum 4:0 ins Netz. Der Bochumer Beton bröckelt nicht nur, er hat mittlerweile so viele Löcher wie ein Schweizer Käse.

Die 10.000 Zuschauer fordern lautstark eine Zugabe und in den nächsten 10 Minuten bemüht sich die Eintracht auch, dem Wunsch der Zuschauer zu entsprechen. Grabowski und Hölzenbein ziehen fließende Kombinationen auf, die dem Fußballgourmet das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, den Gästen jedoch den Appetit verderben. Rüdiger Wenzels Wucht im Sturmzentrum bedeutet zudem eine ständige Gefahr für die Abwehr des VfL, die auch kein Mittel gegen Neuberger findet, der das Spiel seiner Elf clever von hinten aufbaut und ankurbelt.

In den letzten 20 Minuten lassen die Anstrengungen der Hausherren, weitere Treffer zu erzielen, sichtbar nach. Die Eintracht nimmt das Tempo und damit den Druck aus dem Spiel, ein Debakel bleibt den harmlosen Bochumern dennoch nicht erspart. Sechs Minuten vor dem Ende ist es Reichel, der bereits am Mittwoch das Siegtor gegen Madrid erzielte und nun erneut zuschlägt. Aus dem Gewühl heraus vollstreckt der Außenverteidiger zum 5:0. Zwei Minuten später macht dann Beverungen das halbe Dutzend voll und die Bochumer Blamage perfekt. Beves mächtiger Schuss prallt zwar vom Pfosten zurück, aber dann an das Bein von Schlussmann Scholz und von dort ins Tor – 6:0.

Nach sieben sieglosen Bundesligaspielen meldet sich die Eintracht mit diesem Triumph eindrucksvoll zurück. Überhaupt zum ersten Mal in dieser Runde gelang es der Abwehr, ein Gegentor zu verhindern, was aber angesichts der Torflut auf des Gegners Seite kaum Beachtung findet. Günter Wienhold hatte auf alle Fälle den ruhigsten Nachmittag seit langem.

Bochums Trainer Heinz Höher wirkt trotz der bösen Schlappe fast ungerührt und gibt erstaunlich sachlich zu Protokoll: "Nach zehn Minuten war mir schon klar, dass die Eintracht wie gegen Madrid im Spielrausch war und wir keine Chance haben würden." Diese Erkenntnis manifestierte sich wie vermutet dann auch in der Auswechslung seines zweiten Stürmers vor Beginn der 2. Halbzeit. Die hohe Niederlage hat Höher aber bereits abgehakt, er sieht andere Probleme auf sich und die Mannschaft zukommen: "Härter als die hohe Niederlage trifft uns der Handbruch von Tenhagen, ein fast unersetzlicher Spieler. Ich hoffe, dass wir uns bis zum Bayern-Spiel am nächsten Wochenende wieder erholt haben."

"In unserer Situation und bei diesem Gegner mussten wir uns ganz einfach was einfallen lassen", beginnt Kapitän Grabowski seine Ausführungen zu den taktischen Grübeleien, zu denen Trainer Dietrich Weise vor der Partie gegen Bochum auch die Mannschaft hinzugezogen hatte. Das "Geheimnis", wie die Eintracht Bochums Defensivtaktik aushebeln konnte, vermittelt Jürgen Grabowski nach dem Spiel den in der Umkleidekabine (sic!) versammelten Journalisten so überzeugend, dass einer der Zuhörer danach schreibt: "Seine Analyse der ausgetüftelten Taktik gegen den VfL Bochum hätte für eine wissenschaftliche Arbeit über Fußballstrategie ausgereicht."

Warum es hüben wie drüben in diesem Spiel keinen "freien Mann" gab, obwohl die Eintracht mit Willi Neuberger und Gert Trinklein über zwei Akteure verfügt, die diesen Part überzeugend zu spielen verstehen, erklärt Grabi den Journalisten so: "Wir haben es gegen Bochum einmal probiert, ohne Libero zu spielen und den gegnerischen Libero auszuschalten. Jeder von uns hat einen Spieler des Gegners gedeckt, zehn gegen zehn. So wurde bisher noch nie gespielt." "Grabi" erläutert auch die Vorzüge dieser Taktik: "In der Spielhälfte des Gegners wird das Zahlenverhältnis ausgeglichen, der Gegner wird dadurch völlig verunsichert. Die Mannschaft, die sich entschließt, auf den eigenen Libero zu verzichten und den gegnerischen auszuschalten, bestimmt, was gemacht wird." Lediglich Bernd Hölzenbein, der in dieser Partie zwar den Führungstreffer von Wenzel und das 3:0 durch Beverungen vorbereitete, selbst jedoch ohne Torerfolg blieb, scheint nicht ganz glücklich mit dem neuen System und seinen defensiven Aufgaben und bemerkt ironisch: "Immerhin habe ich den Fromm ausgeschaltet."

"Es war ein höchst riskantes Unternehmen", gesteht Weise nach dem Spiel, "jedoch die einzige Möglichkeit, um die Verzögerungstaktik der Bochumer zu durchkreuzen und die Initiative an uns zu reißen." Der Trainer findet hier natürlich die Unterstützung seines Mannschaftsführers: "Es gibt in der Bundesliga keine Mannschaft, die auswärts so konsequent auf ein 0:0 spielt wie Bochum." "Es war eine Spezialtaktik gegen die 0:0-Spieler von Bochum, eine harte Deckung Mann gegen Mann, sobald der Gegner am Ball war. Der VfL Bochum war heute nicht in der Lage, Ruhe in sein eigenes Spiel zu bekommen", bilanziert Weise. Die strikte Manndeckung habe bewirkt, "dass sich dann die Mannschaft mit den besseren Fußballspielern durchsetzt." Eine Taktik, die jedoch nur aufgehen konnte, weil sich schnelle Spieler wie Reichel und Neuberger bei Konterangriffen nicht ohne weiteres überlaufen lassen, wie Weise unterstreicht: "Mit Trinklein, der ein ganz anderer Typ ist, kann man das nicht spielen."

Ist diese Taktik also nur eine einmalige Geschichte gewesen oder doch ein Erfolgsrezept für die Zukunft? „Vielleicht. Gegen massiv deckende Mannschaften lässt sich das gut spielen, gegen Gladbach aber sicher nicht“, antwortet Willi Neuberger, der im „Kicker“ in der „Elf des Tages“ steht, und auch Grabowski sieht keine neue Allzweckwaffe: „Gewiss ist das kein Patentrezept, das gegen jede Mannschaft passen muss.“ Eine Wiederholung hält der Kapitän aber nicht für ausgeschlossen, im Gegenteil: „Doch ich glaube, wir haben nicht zum letzten Mal mit einer so konsequenten Manndeckung gespielt. Möglicherweise bietet sich diese Deckungsart sogar für Auswärtsspiele an. Denn was spricht eigentlich dagegen, nicht auch auf des Gegners Platz die taktische Initiative zu übernehmen?“

Abseits aller Zukunftsvisionen ist Trainer Weise erst einmal im Hier und mit dem Jetzt zufrieden: „Wir sind sehr froh, unserem Ziel, einem ausgeglichenen Punkteverhältnis, wieder ein Stück nähergekommen zu sein. Besonders angenehm überrascht bin ich über die Kampfmoral meiner Mannschaft. Alle haben sich wirklich bis zum Letzten eingesetzt.“ Nur mit sich selbst geht der Fußballlehrer angesichts der starken Leistung des besten Bochumers ins Gericht: Eggeling gab nie auf und blieb trotz mangelnder Unterstützung als einziger Gästespieler gefährlich. „Ich kann mich ärgern, dass wir das Tauziehen um diesen hervorragenden Linksaußen so schnell aufgegeben haben. Doch ich bin weiterhin sehr stark an ihm interessiert“, versichert Weise.

Groß ist auch das Interesse Bernd Nickels an guten Leistungen von Bernd Lorenz. „Weil ein guter Linksaußen die größte Gewähr dafür bietet, dass ich von dieser Position wieder wegkomme“, lautet Nickels Begründung: „Dies ist auf die Dauer kein Job für mich, weil ich für einen Linksaußen nicht schnell und auch nicht dribbelstark genug bin. Auf längere Sicht werde ich mich mit diesem Posten nicht abfinden können und werde daher mit allen Mitteln um eine Rückkehr ins Mittelfeld kämpfen.“ Die Vermutung, dass seine „Verbannung“ mit einer zuvor ausgemachten Lauf- und Deckungsschwäche im Frankfurter Mittelfeld zusammenhänge, lässt „Dr. Hammer“ nicht gelten: „In unserem Mittelfeld wird heute nicht besser und nicht schlechter gedeckt und auch nicht mehr und nicht weniger gelaufen als zuvor. Ich kam nur deswegen auf die Linksaußenposition, weil nach den vielen sieglosen Spielen irgendetwas unternommen werden musste. Die wussten offensichtlich nicht mehr so richtig, wie es weitergehen soll.“ „In dieser Rolle bin ich für die Eintracht totes Kapital“, stellt er nachdrücklich fest: „Meine Stärken liegen ganz eindeutig im Mittelfeld.“ Die zwischenzeitliche Misere seiner Elf sieht Nickel darin begründet, dass „nicht jeder gekämpft und sich eingesetzt hat. Wenn das erst einmal stimmt, kommt unser großes spielerisches Element von ganz allein, wie wir es gegen Madrid und zuletzt gegen Bochum gesehen haben. Das war schon fast wieder der alte Eintracht-Glanz!“

Epilog

Tenhagen, der 1977 unter Helmut Schön zu drei Einsätzen in der DFB-Auswahl kommt, spielt nach seinem Mittelhandbruch mit einer Manschette im nächsten Bundesligaspiel gegen den FC Bayern München. „Seine Einsatzbereitschaft ist geradezu sagenhaft“, lobt Präsident Wüst den Musterprofi, der beim 3:1-Sieg sogar das 2:0 schießt. Holger Trimhold erzielt mit dem Führungstreffer zwar sein erstes Tor für die Bochumer, doch nach dem Spiel fällt auch er aus: Er muss sich am Außenmeniskus operieren lassen. Er absolviert noch die beiden nächsten Spieltage und fällt dann bis zum Rundenende aus. Klaus Franke kehrt in der Rückrunde zurück auf den Platz und ist bis gegen Ende der Saison 1977/78 Stammspieler beim VfL Bochum. Dann muss er verletzungs- und erkrankungsbedingt erneut passen und wird, ohne in den nächsten beiden Spielzeiten noch einmal ein Pflichtspiel absolviert zu haben, 1980 Sportinvalide. (rs)

 

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