Eintracht Frankfurt - Hertha
BSC Berlin |
Bundesliga 1976/1977 - 10. Spieltag
3:3 (1:2)
Termin: Sa 23.10.1976, 15:30 Uhr
Zuschauer: 16.000
Schiedsrichter: Schiedsrichter: Heinz Quindeau (Ludwigshafen)
Tore: 0:1 Jörgen Kristensen (7.), 0:2 Erwin Hermandung (17.), 1:2 Bernd Nickel (40., Foulelfmeter), 2:2 Rüdiger Wenzel (63.), 3:2 Bernd Nickel (73.), 3:3 Jörgen Kristensen (90.)
Eintracht Frankfurt | Hertha BSC Berlin |
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Tumulte, Krawalle und ein Amoklauf Zwei wunderbare Jahre waren es gewesen, in denen Dietrich Weise die Eintracht nach fünf Jahren unter Erich Ribbeck mit nahezu unverändertem Kader aus dem Mittelmaß in die Spitze geführt hatte. Vierter und Dritter war die Eintracht geworden und hatte zwei Mal infolge den DFB-Pokal gewonnen. Die dritte Spielzeit unter Weise – 1975/76 - schloss die Mannschaft, die zum zweiten Mal hintereinander die meisten Tore in der 1. Liga erzielt hatte, jedoch auf einem enttäuschenden 9. Platz ab. Die Zuschauer hatten den Rauswurf des zuvor gefeierten Trainers schon bei der 1:3-Heimniederlage gegen Essen gefordert, aber der stille Weise ging selbst, weil er das Störfeuer des Vizepräsidenten Ernst Berger leid war. Im Halbfinale des Europapokals war die Eintracht an West Ham United ebenso gescheitert wie im Viertelfinale des DFB-Pokals – an Hertha BSC. Und die Berliner sind es auch, die am 10. Spieltag der Saison 1976/77 im Waldstadion gastieren, als sich unter Weises ehemaligen Assistenztrainer Roos unerwartet die Schlinge zuzuziehen beginnt. Waren die Spiele zwischen der Hertha und der Eintracht in den beiden Jahren zuvor Kämpfe um die Plätze hinter dem Spitzenreiter, reisen die Berliner nun als Tabellenfünfter zum 14. an den Main. "Dieses 1:3 bei West Ham war zwar bitter, warf uns jedoch nicht um", will Jürgen Grabowski die negative Entwicklung der Eintracht nicht in Zusammenhang mit dem verpassten Europapokalfinale gebracht sehen. "Wir können zurzeit einfach nicht mehr", hat Trainer Roos bereits nach der Heimniederlage gegen Gladbach eingeräumt. "Fünf Verletzte auf einen Schlag kann keine Mannschaft verkraften. Hölzenbein, Neuberger, Nickel, Beverungen und Kraus kann niemand ersetzen. Ruckzuck saßen wir im Keller", begründet Kapitän Grabowski das Tief seiner Eintracht, ohne dem neuen Trainer eine Schuld zuzuweisen: "Es war überall bekannt, dass die Mannschaft mit Weise prächtig harmonierte. Wir alle wären froh gewesen, wenn er geblieben wäre. Aber an dem Weggang ließ sich nichts mehr ändern, Roos macht seine Sache sehr ordentlich." Eher ist es die Personalpolitik, die seine leise Kritik herausfordert, als er gefragt wird, ob die Eintracht nicht zu spät an wirkliche Verstärkungen gedacht habe: "Spät? Vielleicht. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass sich jeder Klub zu jeder Zeit verstärken sollte. Immer neue Talente heranführen!" Grabowski weiß, was der Eintracht fehlt: "Ein guter Fußballer mit Spielverständnis, der weiß, wann er in Stellung zu gehen hat, wann er marschieren muss und wann er rechtzeitig zu decken hat. Der Jugoslawe Stepanovic bringt viel Technik mit. Vielleicht wäre ein Typ besser gewesen, der nicht einen ähnlichen Stil wie die Eintracht spielen würde. Dennoch - Kampfkraft kann man lernen …" "Wir müssen uns mit dem Schreckgespenst früh genug befassen", will "Grabi" das Thema Abstiegskampf nicht wegschieben: "Etwas Erfahrung haben wir ja darin schon. Und zwar war das 1970/71. Damals standen wir elfmal auf dem Abstiegsplatz 17 und sechsmal auf Rang 16. Das kostete Kraft in jeder Beziehung." Und Nerven, wie es scheint: "Vor einigen Wochen führten wir in Duisburg neun Minuten vor Schluss 3:2. Das Ende (3:4) kennen Sie. Nun steht das Schicksalsspiel gegen Hertha auf dem Programm. Wir müssen gewinnen. Müssen ..." Doch nach 17 gespielten Minuten ist ein Sieg der Eintracht bereits in weite Ferne gerückt. "Die machen aus zwei Chancen fast drei Tore", hatte Eintracht-Trainer Hans-Dieter Roos vor der Hertha gewarnt, recht behalten, doch keinen Nutzen daraus ziehen können. Zuerst hatten die Gäste ein Geschenk der Frankfurter Abwehr dankend angenommen. Die hatte in der eigenen Hälfte den Ball immer wieder quer hin- und her gespielt, bis schließlich Neuberger und Reichel den Ball an Kristensen verloren. Der Herthaner stürmte mit dem eroberten Ball aufs Eintracht-Tor zu, wo ihm Koitka fast an der Strafraumgrenze entgegenstürzte. Ein Haken des schnellen Dänen, Koitka war ausgespielt and der Ball im leeren Tor. Zehn Minuten später schob dann Sidka, das Berliner Laufwunder im Mittelfeld, einen herrlichen Pass zu Erich Beer, den Körbel nach Willen seines Trainers "in jeder Phase des Raumes ausschalten sollte". Körbel, für Weidle ins Team zurückgekehrt, nahm sich eine Auszeit von diesen Phasen, sein Spreizschritt kam zu spät und vergeblich. Beer erreichte den Ball kurz vor der Torauslinie, schlug ihn zurück auf den Elfmeterpunkt, wo Hermandung den Ball aus vollem Lauf unter die Latte hämmerte. Zwei Chancen reichen den Gästen zu zwei Toren, während die Eintracht im selben Zeitraum im Minutentakt etwa ein halbes Dutzend Chancen so harmlos verbläst, als wolle man sich um den Friedensnobelpreis bewerben. Zuerst wird Hölzenbein nach 10 Minuten von Nickel vortrefflich in Schussposition gebracht, aber der Weltmeister schießt frei vor Nigbur über das Tor. Eine Minute später setzt Wenzel Grabowski in Szene, doch der Kapitän erwischt im Fünfmeterraum den Ball nicht mehr. In der 12. Minute knallt Nickel einen glasharten Freistoß auf Nigburs Kasten, doch der Hertha-Keeper lenkt das Leder mit den Fingerspitzen über die Querlatte. Keine 60 Sekunden später hat sich Außenverteidiger Helmut Müller kraftvoll auf den Weg zu Nigburs Heiligtum gemacht, aber wieder bedeutet die Begegnung mit dem Berliner Torwart die Endstation. Und in der 14. Minute ist es erneut der großartige Nigbur, der einen gefährlichen Kopfball von Körbel aus dem Torwinkel fischt. Die Eintrachtfans blicken verzweifelt in den Abgrund, dem ihre Elf entgegen taumelt. So – daran besteht kein Zweifel – spielt ein Absteiger zwar nicht, aber genau so steigt man todsicher ab. Und im Spiel der Berliner ist ebenfalls Musik, die Tempiwechsel wissen zu gefallen und gleichzeitig die Abwehr der Eintracht vor große Probleme zu stellen, in der Stepanovic Trinklein ersetzt und sein Bundesligadebüt gibt. Es ist erstaunlich, wie sich eine derart massiv wirkende Defensive in Sekundenschnelle in Bewegung und dabei blitzsaubere Konter zu setzen vermag. Bienengleich schwärmen die Berliner aus ihrem Strafraum aus und es scheint ihnen spielend leicht zu fallen, die Abwehr der Gastgeber immer wieder zu überlaufen und auszuspielen. Grau, Kristensen, Beer und die regelmäßig nach vorne stoßenden Sidka und Werner sind schwerer zu hüten, als der sprichwörtliche Sack Flöhe. Wie flügellahm und schleppend kommt dagegen das Spiel der Gastgeber daher. Nur Helmut Müller, der den Ball mit einem sisyphosähnlichen Gleichmut immer wieder in den Angriff trägt und nebenbei Grau keinen Schaden anrichten lässt, und Wolfgang Kraus mit seinen Dribblings schaffen es, eintrachtseitig Schwung in die Hütte am Main zu bringen. "Der Sieg ist schon im Sack", glaubt Hertha-Trainer Georg Kessler, doch ein durchaus fragwürdiger Elfmeter, der die Berliner Gemüter verständlicherweise erhitzt, bringt die Wende im Spiel. Kraus stürzt bei einem seiner Dribblings im Strafraum auf Sidka zu und zu Boden, der schwache Schiedsrichter Quindeau entscheidet auf Strafstoß. Nickel tritt den Elfmeter, lässt dabei seinen Spitznamen "Dr. Hammer" zu Ehren kommen, doch Nigbur keine Abwehrchance. Bis zur Pause könnte es auf einem Rummelplatz nicht turbulenter zugehen, als im Strafraum der Hertha, doch der Ausgleich will noch nicht fallen. Hertha-Trainer Kessler wechselt zur Pause den schwachen Granitza aus. Der Mitte September von Röchling Völklingen verpflichtete Stürmer hat sich an der Spree mit vier Toren in den ersten drei Spielen zwar gut eingeführt, doch heute hat er gegen Reichel enttäuscht. Für Granitza kommt Detlev Szymanek, der seit dem 5. Spieltag nicht mehr gespielt hat und mit seiner Situation in Berlin unzufrieden ist. In der zweiten Halbzeit setzt die Eintracht ihr Powerplay fast im Stile einer Eishockeymannschaft fort und kämpft verbissen gegen eine Hertha, die den Preis für ihr kräftezehrendes Anfangstempo zu zahlen scheint. Erst scheitert Nickel noch mit einem indirekten Freistoß am Elfmeterpunkt, in dem sein Schuss in der Mauer hängen bleibt, doch dann leitet er nach 63 Minuten mit einem seiner Gewaltschüsse den Ausgleich ein. Nigbur kann Dr. Hammers Freistoß aus gut 20 Metern Torentfernung zwar noch erreichen und abwehren, doch den Abpraller schiebt Rüdiger Wenzel zum 2:2 über die Linie. Kessler versucht, seiner Defensive neue Stabilität zu geben und wechselt Michael Sziedat für Diefenbach ein. Diese Maßnahme verpufft wirkungslos. Die Eintracht ist – wer hätte das nach diesem Auftakt gedacht – längst Herr der Lage, sie bestimmt Tempo und Spiel, fesselt die Hertha in deren eigenen Hälfte. Fast zwangsläufig fällt nur zehn Minuten nach dem Ausgleich nach einer der wunderbar fließenden Frankfurter Kombinationen über Neuberger und Grabowski das 3:2 für die Eintracht – erneut hat Nickel zugeschlagen. Die Zuschauer im Waldstadion toben - noch vor Freude. Die hält auch an, als ein Doppelpass zwischen Kraus und Grabowski in letzter Sekunde an der Fußspitze eines Hertha-Spielers hängen bleibt und ein weiterer Scharfschuss von Nickel um Zentimeter am Pfosten vorbeizischt. Und sie erreicht beinahe einen neuen Höhepunkt, als Grabowski nach Vorarbeit von Stepanovic in der 86. Minute frei stehend zum Schuss kommt, doch der Ball nur an den Pfosten klatscht. Diese Nachlässigkeit soll nicht ohne Folgen bleiben. In der Schlussminute stürzt nämlich der unermüdliche Motor des Berliner Spiels, Erich Beer, im Wettlauf mit Bernd Nickel und der Schiedsrichter entscheidet ein zweites Mal an diesem Tag auf Strafstoß, dieses Mal für die Gäste. Die Eintrachtspieler wollen das - den Sieg so knapp vor Augen - natürlich nicht wahrhaben und bestreiten vehement, dass sich das Foul im Strafraum abgespielt habe. Quindeau hat in Sekundenschnelle fast das gesamte Stadion gegen sich, Grabowski kassiert wegen zu heftigen Reklamierens die Gelbe Karte. Erst nach langem Hin und Her kann der eingewechselte Szymanek den Elfmeter ausführen, doch Koitka hat die vom Schützen gewählte Ecke erahnt, ist hinabgetaucht und pariert den Schuss. Der Frankfurter Schlussmann ist der Held des Augenblicks, das Waldstadion - eben noch ein Meer aufgebrachter Gemüter – verwandelt sich innerhalb von Sekunden in eine Insel der Glückseligen. Koitka selbst lässt sich feiern und schlägt in seinem Strafraum vor Begeisterung über seine eigene Tat Purzelbäume, als sei er Gollum aus Tolkiens Herr der Ringe und habe soeben seinen "Schatz" wiedergefunden … Doch kein Glück ist von Dauer. Quindeau lässt zur erneuten Verärgerung der Frankfurter Zuschauer die Verzögerung, die bei der Ausführung des Elfmeters entstanden ist, konsequent nachspielen und Koitka, der "Held", stürzt sich selbst vom Sockel. Vier Frankfurter Abwehrspieler, darunter der offensivstarke, aber defensiv schwache Kristensen-Bewacher Stepanovic in seinem ersten Bundesligaspiel, stehen in der 92. Minute bei dem letzten Angriff in dieser Partie gegen zwei Berliner Angreifer Spalier, als hielten sie eine Ehrenwache ab. Kristensen zieht aus spitzem Winkel ab und überrumpelt Koitka, der noch immer auf Wolke 7 zu schweben scheint. 3:3. Schiedsrichter Quindeau pfeift ab.
Die Fans und Spieler der Eintracht sind am Boden zerstört und auch Koitka ist nun aus seiner Wolke gefallen. Auf den Rängen bricht ein Sturm der Entrüstung los, der Keeper der Eintracht dreht auf und durch. Aus seinem Tor sprintet der Wildgewordene über das halbe Spielfeld auf Schiedsrichter Quindeau zu. Koitka kann von Glück reden, dass einige seiner abgekämpften Mitspieler noch die letzten Kräfte mobilisieren, um den Rasenden von Dingen abzuhalten, die er später bereuen würde. Gert Trinklein – wie schon bei Helmut Müller im letzten Spiel in Duisburg - und vor allem Bernd Hölzenbein bändigen den Wüterich nur mit großer Mühe. Quindeau ist sich keiner Schuld bewusst: "Die Eintracht hat durch ihre Reklamationen gegen den Elfmeter das Spiel derart lang verzögert, dass ich nachspielen lassen musste." "Meine Mannschaft hat nach dem gehaltenen Elfmeter abgeschaltet und ist dafür bestraft worden. Es darf einfach nicht passieren, dass vier Abwehrspieler gegen zwei Berliner den Torschuss nicht verhindern können", sieht Trainer Roos die Verantwortung auch bei seiner Elf, nimmt aber überraschend Koitka in Schutz: "Das muss man verstehen: erst der unberechtigte Elfmeter, denn das Foul von Nickel an Beer war nach Aussage des Linienrichters außerhalb des Strafraums geschehen, dann hat er den Elfmeter gehalten und geglaubt, das Spiel sei zu Ende, und dann musste er doch noch das dritte Tor hinnehmen – da verlor er die Nerven." Die verlieren auch einige Hundert Zuschauer, die sich nach dem Unentschieden ebenfalls nicht im Griff haben. Die folgende Zeitungsmeldung zu den folgenden Vorfällen ist noch die harmloseste: "In Frankfurt gegen Hertha BSC Berlin kam es vor dem Waldstadion zu schweren Zuschauerausschreitungen. Es flogen Bierflaschen und Büchsen gegen den dort parkenden Bus von Hertha BSC Berlin. Jugendliche forderten die Herausgabe von Schiedsrichter Quindeau. Polizei musste mit Schutzschilden gegen steinwerfende Jugendliche vorgehen und setzte dabei auch Hunde ein. Mehrere Personen wurden mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht." Der Boulevard lässt sich diese Gelegenheit nicht nehmen, berichtet von "blutigen Fußball-Krawallen", von einem "Fußballkrieg in Frankfurt", der in den Straßenbahnen weitergeht und von Hertha-Fans, die angeblich in "Todesangst" ihre "blau-weißen Pullover ausziehen" oder um "Einlass ins Stadioninnere betteln": "Lasst uns rein, die schlagen uns noch tot." Natürlich wird darüber gestritten, ob Koitkas Zornesausbruch auf dem Spielfeld außerhalb des Platzes unrühmliche Nachahmer findet. Fest steht, dass Schiedsrichter Heinz Quindeau und seine beiden Linienrichter Heinz Nickel und Heinz Dilgs nur unter Polizeischutz in die Kabinen gelangen. Es hagelt Wurfgeschosse, von denen leider eines sein Ziel findet: "Ich bin von einer Büchse getroffen worden", klagt Heinz Nickel. In der Schiedsrichterkabine wartet das Trio auf sicheres Geleit aus dem Stadion. "Ich werde wegen dieser Vorkommnisse Meldung an den DFB erstatten müssen", sagt Quindeau, der den Lauf Koitkas indes nicht erwähnen will: "Aber es ist schon eine Schande, wenn sich ein Fußball-Profi so aufführt. Nachdem Frankfurt sich in letzter Minute den Sieg aus der Hand nehmen ließ, werde ich jetzt zum Sündenbock gemacht." Ein Zivilbeamter der Polizei fährt den Wagen des Schiedsrichters auf das Gelände des DFB, wohin später auch Quindeau und seine Kollegen in einem privaten Wagen gebracht werden – heimlich, versteht sich, nachdem sie durch einen Hinterausgang aus dem Stadion geschleust werden. "Diese Sicherheitsmaßnahme war mit der Kripo abgesprochen. Denn jeder Uniformierte stand doch unter Beschuss", rechtfertigt sich Eintracht-Geschäftsführer Jürgen Gerhardt. Bis zur Autobahn nach Ludwigshafen bekommt Quindeau Begleitschutz. Der Hertha-Bus, in dem auch etwa 20 Fans Zuflucht gefunden haben, wird ebenfalls unter Polizeischutz zum Flughafen gebracht, zuvor ist er im Stadion wie die Funktionärsräume mit Steinen beworfen worden. Der Steinhagel ist so heftig, dass niemand die Tribüne durch den Haupteingang verlassen kann. Ersatzspieler Krobbach rührt sich nicht von der Stelle: "Ich gehe nicht raus, das ist lebensgefährlich." Unter den Wurfgeschossen habe sich neben Flaschen und Dosen auch ein Hammer ohne Stiel befunden, meldet der Polizeibericht, der darauf verweist, dass die Einsatzkräfte rund 300 aufgebrachte Zuschauer mit Schlagstöcken von der Haupttribüne zurückgedrängt hätten und bei diesem Einsatz sieben Polizeibeamte durch Stein- und Flaschenwürfe verletzt wurden. Von verletzten Zuschauern spricht der Bericht nicht, angeblich wurden jedoch 12 vor Ort notärztlich versorgt, sechs von ihnen mussten gar im Krankenhaus weiter behandelt werden. "Die Verletzungen waren auf Würfe mit gefüllten Flaschen und Dosen zurückzuführen. Eine Gehirnerschütterung durch einen mit Sand gefüllten Plastiksack", teilt ein Sprecher des DRK mit. Ob man nun gegen die Eintracht eine Platzsperre verhängen werde, wird DFB-Sprecher Koltzenburg gefragt. Der gibt sich bedeckt: "Platzsperre? Das sind Spekulationen. Für das, was auf dem Spielfeld geschieht, machen wir grundsätzlich die Vereine haftbar. Aber für das, was außerhalb des Stadions vor sich geht, dafür sind die Haftungsfragen sehr schwierig. Wir untersuchen das." Das Präsidium der Eintracht bittet Hertha BSC wegen der Ausschreitungen schriftlich um Entschuldigung und schickt sieben Blumensträuße an die verletzten Polizisten. Das Präsidium arbeitet zudem mit Polizei und Stadionverwaltung für das nächste Heimspiel gegen Borussia Dortmund neue Sicherheitsvorkehrungen aus. Sie werden jedoch nicht so umfangreich sein, wie bei der WM. Dieser Aufwand – 50.000 Mark pro Spiel – ist der Eintracht zu teuer. Quasi umsonst will Präsident Achaz von Thümen aber in einer Versammlung den Vertretern der 61 Fanclubs "gehörig den Marsch blasen", wie er ankündigt. Ob er sich gegenüber den Prominenten und Reichen bei der Eintracht im ähnlichen Ton äußern wird? Oder hat er vergessen, dass er dem Schiedsrichter den Zugang zum Ehrenbereich verweigerte, weil er auch dort um dessen Sicherheit fürchtete. "Um Gottes willen, lasst ihn nicht hoch", lauten seine überlieferten Worte. Nicht ohne Grund, denn selbst die sonst so freundliche Frau von Willi Neuberger wird mit zornigen Worten zitiert: "Heute würde ich mich sogar vergreifen und dem Quindeau eine scheuern." Den Spielern droht das Eintracht-Präsidium drastische Geldstrafen an, damit wenigstens diese sich in Zukunft besser beherrschen. Koitka ist jedoch von Einsicht und Selbstkritik so weit entfernt, wie die Eintracht von der Tabellenführung: "Ich weiß nur, dass ich auf Schiedsrichter Quindeau loswollte. Sein Glück oder meins, dass mich die Kameraden zurückhielten. Quindeau hat uns betrogen." Diese Aussage Koitkas ändert sich allerdings, nachdem beim DFB der Bericht Quindeaus eingegangen ist. Hierin bestätigt der Schiedsrichter nicht nur, dass beim Gang in die Kabinen Bierdosen von der Tribüne auf die Aschenbahn geworfen worden seien, von denen eine Linienrichter Heinz Nickel an der Brust getroffen habe, sondern auch den "Amoklauf" des Eintracht-Torhüters. Dieser sei, berichtet Quindeau, nach dem "Abpfiff aus seinem Tor gerannt und musste von mehreren Mannschaftskollegen festgehalten werden." Wem die Attacke gegolten habe, konnte Quindeau nicht feststellen. Koitka will es plötzlich nicht länger auf den Schiedsrichter, sondern auf einige Berliner Spieler abgesehen gehabt haben. "Du bist ein Schauspieler und Fliegenfänger", soll Gerhard Grau zu ihm gesagt und ihm dabei eine goldene Kette vom Hals gerissen haben, während Ersatztorwart Horst Wolter Koitka zugerufen habe: "Na warte, der Psychiater kommt gleich!" In diesen Nebenkriegsschauplätzen verliert sich Bernd Nickel nicht und lenkt dankenswerterweise den Blick auf das Sportliche. Dr. Hammer, der zusammen mit Helmut Müller auffälligster Spieler beim Kraftakt auf dem Weg zum 3:2 war, klagt über die neue Spielart der Eintracht: "Wir spielen nur noch mit Kraft, müssen Rückstände aufholen und kloppen. Die spielerische Linie ist bei uns völlig weg. Hertha war in der ersten Halbzeit eine ganze Klasse besser als wir." Spielerische Klasse fehlt auch der DFB-Auswahl, so dass Jürgen Grabowski wieder einmal darauf angesprochen wird, ob er seinen Rücktritt aus der Nationalelf nicht bereuen würde. Und dieses Mal gibt "Grabi" eine Antwort, die von seinen bisherigen etwas abweicht: "Ich würde lügen, wollte ich feststellen, dass mich alles kalt ließe. Wenn ich vor dem Fernsehschirm Länderspiele verfolge, ertappe ich mich oft bei dem Gedanken: Siehst du, hier könntest du auch dabei sein ..." (rs)
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