Eintracht Frankfurt - Hertha
BSC Berlin |
Bundesliga 1972/1973 - 11. Spieltag
2:2 (0:0)
Termin: Sa 04.11.1972, 15:30 Uhr
Zuschauer: 7.000
Schiedsrichter: Walter Eschweiler (Euskirchen)
Tore: 1:0 Bernd Hölzenbein (64.), 1:1 Lorenz Horr (66.), 2:1 Jürgen Kalb (82., Foulelfmeter), 2:2 Lorenz Horr (85., Handelfmeter)
Eintracht Frankfurt | Hertha BSC Berlin |
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Eine Frage der Moral Es ist, wie es immer ist, wenn der Erfolg ausbleibt: Die Stimmung verschlechtert sich. Die Eintracht ist da keine Ausnahme. Wie andernorts hat auch hier der Erfolg viele Väter, für den Misserfolg gibt es da schon deutlich weniger Anwärter. Die dienstbeflissenen Schulterklopfer und Claqueure haben sich bereits eilig in die zweite Reihe zurückgezogen, die ersten Heckenschützen sind dabei, ihre nichtöffentlichen Stellungen zu beziehen, um ihre Ziele ins Visier nehmen zu können. Dem Boulevard geht die Munition nicht aus, denn die wird vom Riederwald frei Haus direkt in die Redaktionsstuben geliefert. So hat Ender Konca am gestrigen Freitag das Trainingscamp der Eintracht verlassen. Die "Bild" vermeldet, dass der Grund für Koncas Fehlen finanzielle Gründe hat. Der "Bild" zufolge wartet der Linksaußen auf eine Zahlung der Eintracht in Höhe von 17.300 DM "Handgeld" – bisher vergeblich. Als die Frankfurter Konca vor zwei Jahren verpflichteten, zahlte man 300.000 DM Ablöse an den Koncas vorherigen Verein Eskisehir. An Konca selbst sollten in zwei Raten 35.000 DM überwiesen werden, Eskisehir verpflichtete sich im Gegenzug, für die Steuern des Handels aufzukommen. Das ist aber nicht geschehen und mit Hinweis darauf verweigert Eintracht-Präsident Zellekens die Auszahlung der zweiten Hälfte des Handgeldes an Konca, der darüber erbost sein soll. Im Zorn – so berichtet die "Bild" – habe er Trainer Ribbeck vor seinem Auszug aus dem Trainingscamp gesagt: "Ich habe keine Moral, ich spiele nicht mehr!" Diese Affäre kommt zur Unzeit, denn Ribbecks Truppe scheint nach den letzten gezeigten Leistungen etwas außer Form geraten zu sein. Nach dem Triumph gegen die Bayern gab es eine Niederlage beim Tabellenletzten Oberhausen und keinen Sieg mehr für die Riederwälder. Ein Debakel in Braunschweig verhinderte beim Stande von 0:3 nur noch der Nebel, der einen Spielabbruch nach sich zog. Seit nunmehr 22 Spielen ist die Eintracht zu Hause zwar ungeschlagen, gegen den nächsten Gegner, Hertha BSC Berlin, konnte man allerdings die letzten sieben Spiele – davon drei im Waldstadion – nicht gewinnen. Die Hertha ist ein Angstgegner für die Eintracht, das ist keine Frage. Zudem ist der Berliner Trainer Kronsbein nach dem 3:0-Sieg seiner Elf gegen Schalke am Mittwoch ausreichend motiviert: "Wenn uns in Frankfurt ein Unentschieden gelingt, müssten wir eine Woche später im Heimspiel gegen Mönchengladbach doch endlich mal 40.000 Zuschauer haben." Die Hertha sieht sich auf einem guten Weg, nachdem sie denkbar ungünstig in die Saison gestartet ist. Vier Niederlagen infolge kassierte die "alte Dame", erst gegen das Tabellenschlusslicht Oberhausen gelang im Kellerduell der erste Sieg. Es ist jedoch keine Überraschung, dass die Berliner Anlaufschwierigkeiten haben. Aus dem tollen Team des Vorvorjahres sind nicht zuletzt wegen des Bundesligabestechungsskandals und der deswegen verhängten Sperren nur wenige Spieler übrig geblieben: Beer, Hermandung, Horr und Sziedat. Holger Brück und Gerhard Grau wechselten vom KSV Hessen Kassel nach Berlin, während "Hanne" Weiner vom Lokalrivalen TeBe zur Hertha stieß. Talent Hanisch hatte keinen weiteren Weg, er kam von Hertha Zehlendorf. Doch nur Torhüter Wolter und Verteidiger Müller haben von den Neuzugängen ihre große Klasse bereits unter Beweis gestellt. Warum die Hertha sich hat Uwe Kliemann entgehen lassen, der als Berliner bei der Eintracht innerhalb weniger Wochen zum Publikumsliebling avancierte, beantwortete Trainer Kronsbein so: "Er stellte Forderungen, die wir nicht erfüllen konnten. Und er knüpfte noch eine Bedingung daran, die wir ebenfalls nicht akzeptieren konnten: Die Zusicherung sofort einen Stammplatz zu bekommen." Den hat er nun bei der Eintracht und zwar so, wie er spielt: bombensicher. Doch auch die Eintracht hat so ihre Probleme. Außer Konca fallen Lutz, Wirth und Trinklein mit Trainingsrückstand weiter aus. Dr. Kunter ist dagegen wieder einsatzbereit und löst Günter Wienhold ab, der in Braunschweig zwischen den Pfosten stand. Horst Heese, der Trainer Ribbeck vor kurzem wegen seines Reservistendaseins öffentlich die Freundschaft aufkündigte, ist für Schämer ebenfalls von Beginn an dabei. Die Eintracht ist von Beginn an drückend überlegen und erspielt sich – wie so häufig - eine Menge Gelegenheiten, die sie dann nicht zu nutzen versteht. Alles, was die Berliner entgegenzusetzen haben, ist ihre Kampfkraft. Doch die reicht aus, um ein torloses Unentschieden zu retten. Beispielhaft für den unermüdlichen Berliner Kampfgeist sei Luggi Müller genannt, der mit Nürnberg einmal und mit Gladbach zweimal Meister wurde, aber die ersten fünf Saisonspiele für seinen neuen Klub nicht bestreiten konnte. In seinem sechsten Einsatz für die Hertha profitiert die Elf von der Spree von der unerbittlichen Härte des Verteidigers, der in seiner Karriere so manchem Stürmer das Leben sauer machte. Dabei kann Müller wegen einer Knieverletzung nur mit schmerzstillenden Spritzen spielen. Seine Beschwerden hindern den Franken aber nicht, dich mutig und beherzt in die Schüsse der Frankfurter zu werfen. Auch der 18-jährige Frank Hanisch zieht sich in seinem fünften Bundesligaspiel gegen den großartigen Jürgen Grabowski achtbar aus der Affäre. Ein junger Mann aus dem Hertha-Nachwuchs, der zu Hoffnungen berechtigt. Und natürlich können sich die Berliner, wenn es gar zu brenzlig und eng wird, immer wieder an der Übersicht von Erwin Hermandung aufrichten. "Wir hätten doch schon lange einen Treffer erzielen müssen", ärgert sich Ribbeck in der Halbzeit. Sein Berliner Kollege Kronsbein fordert dagegen: "Wir müssen den Ball länger in den eigenen Reihen halten, sonst gibt es eine Niederlage. Denn die Abwehr muss einmal bei diesem Frankfurter Dauer-Sturmlauf zusammenbrechen." Doch noch hält sie stand. Bei den Hessen gibt Parits ein weiteres Mal in dieser Spielzeit den glücklosen Mittelstürmer, während Nickel heute ein Schatten seiner Selbst und meilenweit von seiner vorolympischen Form entfernt ist. Hofmeister ist bemüht, doch auch heute ist Grabowski der einzige Frankfurter Stürmer von Format.
Im Kasten der Hertha zeigt Torwart Wolter eine Reihe von Glanzparaden und beweist, dass er wieder ganz der Alte und ein wahrer Rückhalt seiner Mannschaft ist. Das wird dem Neu-Berliner und ehemaligen Nationaltorhüter, der in der letzten Saison bei Eintracht Braunschweig seinen Stammplatz an Bernd Franke verlor, gut tun. Wohin die Frankfurter auch schießen, Wolter ist schon da. Vielleicht ist es auch umgekehrt: Nicht Wolter ist da, wo der Ball hinkommt, sondern der Ball kommt dahin, wo Wolter steht. Der Keeper scheint den Ball magisch anzuziehen, selbst einen Schuss von Hölzenbein aus drei Metern Entfernung pariert er. Nach einer Stunde werden die Sichtverhältnisse im Waldstadion schlechter. Durch den Stadionumbau stehen statt vier nur drei der Flutlichtquellen zu Verfügung und der aufziehende Dunst erschwert den Torhütern wie dem Schiedsrichter die Arbeit. Hölzenbeins fünftes Saisontor in der 64. Minute hat mit dem aufkommenden Nebel allerdings nichts zu tun. Gegen seinen Bogenschuss aus 18 Metern Torentfernung ist Wolter einfach chancenlos. Dieser Treffer erlöst die Eintracht vorübergehend. Doch nur zwei Minuten später bringt Horst Hesse seinen Gegenspieler Lorenz Horr ohne Not zu Fall. Aus dem fälligen Freistoß machen die Herthaner den Ausgleich. Horr, der in der letzten Saison erfolgreichster Berliner Schütze war, erzielt mit diesem Freistoßtor seinen vierten Treffer in dieser Spielzeit. In der 77. Minute bringt Ribbeck Krauth für Parits, aber frischen Wind bringt kein Spieler, sondern der Schiedsrichter in die Partie. Eschweiler pfeift in der 82. Minute den ersten Strafstoß in diesem Spiel, weil Sziedat Hölzenbein im Strafraum nicht regelkonform attackiert haben soll. Jürgen Kalb, der in der letzten Saison sechs Elfmeter sicher einnetzte, tritt an und verwandelt auch seinen ersten Strafstoß in der neuen Spielzeit. Vielleicht will Ribbeck eine Minute später mit dem zum Verteidiger umgeschulten ehemaligen Stürmer Schämer für Hofmeister die Defensive stärken, vielleicht ist Ribbeck auch abergläubisch und hofft mit einer erneuten Einwechslung auf einen weiteren Elfmeter? Auf jeden Fall gibt es kurz darauf tatsächlich einen weiteren Elfmeter, diesmal allerdings für die Berliner, deren Moral eine Niederlage durch eine mutmaßliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters nicht zulassen will. Horst Heese ist nun der Unglücksrabe auf Seiten der Eintracht. Verschuldete er bereits das erste Tor, wird ihm nun im Strafraum der Ball an die Hand geschossen. Hand ja, Elfer nein – keine Frage, denken alle. Alle bis auf einen – Herrn Eschweiler aus Bonn ist vielleicht aufgefallen, dass der erste Strafstoß doch nicht so eindeutig war, wie er ihm auf den ersten Blick schien. Er scheint jedenfalls um ausgleichende Gerechtigkeit bemüht und die Justitia in schwarz entscheidet – blind wie es von der Göttin der Gerechtigkeit erwartet wird – auf Elfmeter. Horr lässt sich diese Möglichkeit nicht entgehen. 2:2 und noch fünf Minuten zu spielen. In der 87. Minute läuft der Pfeifenmann dann endgültig zur Hochform auf. Sang der Mann in schwarz mit dem Namen Johnny Cash einst davon, dass er in Reno einen Mann erschoss, nur um ihn sterben zu sehen, pfeift der Mann in Schwarz namens Eschweiler Elfmeter, um die Schützen schießen zu sehen, wie es scheint. Auf jeden Fall hat Eschweiler an den Strafstößen offensichtlich endgültig Gefallen gefunden und zeigt zum Entsetzen der Berliner zum dritten Mal auf den bekannten Punkt. Durch den dichter werdenden Nebel will der Schiedsrichter ein Handspiel von "Luggi" Müller erkannt haben. Berlins Trainer Kronsbein hält es nun nicht mehr auf seiner Bank, wie von der Tarantel gestochen rennt er zur Torauslinie. Doch alles Zetern und Schimpfen ist zwecklos – Eschweiler, den man wie die Eintracht eine Diva nennt, bleibt natürlich bei seiner Entscheidung.
Kalb, der sicherste Elfmeterschütze der Eintracht in den letzten beiden Spielzeiten, läuft an und schießt den Ball vom Torwart aus gesehen halbhoch in die rechte Ecke. Wolter hat die Ecke erahnt und Kalbs Versuch ist weder platziert noch hart genug geschossen. Der Hertha-Keeper fliegt in die rechte Ecke, reißt die linke Faust hoch und wehrt den Ball ab. Diese Chance ist vertan und das "Elfmeterschießen" der letzten fünf Minuten ist damit zu Ende – wie wenige Minuten später auch das Spiel. Auch nach dem Schlusspfiff haben sich die Berliner Spieler über Eschweilers angebliche Fehlentscheidung noch nicht beruhigt. Frisch ist noch die Erinnerung, als Eschweiler den Herthanern in München ein reguläres Tor aberkannte und den Bayern so zum Sieg verhalf. Trainer Kronsbein gelingt es jedoch zusammen mit den Betreuern seine Mannen zu beruhigen. Erst dann können sich die Berliner über die 250 DM Punktprämie freuen, die ihnen das Unentschieden in Frankfurt eingebracht hat. Die Hertha verbessert sich um einen Platz auf den 15. Rang und "Fiffi" Kronsbein sieht es realistisch: "Wir müssen ja auch auswärts Punkte holen, um die in den ersten beiden Heimspielen verlorenen vier Punkte auszugleichen." Die Frankfurter dagegen können sich für das Eckenverhältnis von 20:3 nichts kaufen. Im Gegenteil: In der Tabelle geht es einen Rang runter auf den 10. Platz. Erich Ribbeck ist nach der Partie denn auch sichtlich angefressen und mag die Frankfurter Fußballwelt nicht mehr verstehen. "Was soll das?", fragt er und bestimmt: "Wer das ganze Spiel macht, muss gewinnen." "Unser Kampfgeist hat sich gelohnt", ist Gästetrainer "Fiffi" Kronsbein mit seiner Elf nicht unzufrieden. Jürgen Grabowski ist nicht nach Lob zumute, er beklagt sich über die Elfmeterentscheidung des Unparteiischen zugunsten der Hertha. "Der Linienrichter winkte abseits, aber der Schiri gab Elfer", schüttelt der Kapitän den Kopf. Die Leistung Eschweilers treibt den ohnehin leicht erregbaren Kronsbein die Zornesröte ins Gesicht. "Ich wage zu behaupten, dass keiner der Elfmeter berechtigt war", schreit der Hertha-Trainer. Wer will es ihm verdenken? Die Eintracht wird sich an selber Stelle in vier Tagen mit Fortuna Köln im Rückspiel des Viertelfinales im Ligapokal messen und in einer Woche beim überraschend starken Aufsteiger Wuppertal versuchen, endlich auch in der Fremde zu überzeugen und zu punkten. WSV-Trainer Horst Buhtz ist vor der Eintracht nicht bange. "Wuppertal ist eine echte Bereicherung für die Liga", tönt er nach dem 2:1-Sieg in Schalke, der seiner Elf den 4. Tabellenplatz sichert. Widersprechen kann ihm zurzeit keiner. Einstweilen erreicht über das Sportmagazin "Kicker"
eine Meldung über den ehemaligen Weltklasseverteidiger Fahrudin Jusufi
seine alte Wirkungsstätte. Jusufi, dessen Karriereende Horst Heese
als Grund für seine Wechselwilligkeit anführt, wirkt laut dem
"Kicker" nach seinen beiden Jahren beim Drittligisten SG Germania
Wiesbaden in Österreich "recht erfolgreich als Spielertrainer
beim FC Dornbirn". Auch DFB-Auswahltrainer Helmut Schön meldet
sich im "Kicker" zu Wort. Auf die Frage, welches Paar er von
den "vier erstklassigen Außenstürmern Grabowski, Heynckes,
Erwin Kremers und Held" bevorzuge, antwortet der Bundestrainer nach
ein paar einleitenden Sätzen: "Sieht man es von der Ergänzung
her, dann haben wir zwei "Paare": Grabowski – Held und
Heynckes – Kremers. Für Heynckes spricht das Zusammenwirken
mit Netzer und Wimmer, für Erwin Kremers im gleichen Maße das
gute Zusammenspiel mit Günter Netzer. Das hindert mich aber nicht
zu sagen, dass Grabowski und Held ein genau so starkes Paar bilden. Da
ist dann der "Spieler" mehr am rechten Flügel und am linken
der "Reißer". Erwarten könnte man in Düsseldorf,
wenn man an Brüssel denkt, Heynckes und Kremers. Aber Grabowski ist
sicher auch dabei. Und ich vergesse auch Sigi Held nicht. Wir müssen
ja auch noch eine B-Mannschaft aufstellen." Nachtrag Beim legendären 5:1 der DFB-Auswahl gegen die Schweiz am 15. November in Düsseldorf spielen Heynckes und Kremers. Als Kremers in der 68. Minute – es steht bereits 4:0 für die Elf von Helmut Schön – wechselt der Bundestrainer den Lokalmatadoren Reiner Geye ein, der vom Düsseldorfer Publikum lautstark gefordert wird. Grabowski und Held, die beiden Flügelspieler, die am 29. April ihren Teil zum ersten Sieg der DFB-Elf in England beigetragen haben, sitzen ebenfalls auf der Ersatzbank, finden jedoch keine Berücksichtigung. (rs)
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