Hamburger SV - Eintracht Frankfurt |
Bundesliga 1975/1976 - 10. Spieltag
4:2 (3:1)
Termin: Sa 04.10.1975, 15:30 Uhr
Zuschauer: 43.000
Schiedsrichter: Rainer Waltert (Paderborn)
Tore: 0:1 Rüdiger Wenzel (17.), 1:1 Peter Nogly (23.), 2:1 Ole Björnmose (24.), 3:1 Willi Reimann (39.), 3:2 Willi Neuberger (65.), 4:2 Georg Volkert (71., Foulelfmeter)
Hamburger SV | Eintracht Frankfurt |
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Zündende Funken Im Land des Fußballweltmeisters hat die Sportpresse wieder einmal Grund zum Jubeln und auch der „Kicker“ berichtet stolz: „Die Hoffnungen des bundesdeutschen Fußballs haben sich voll erfüllt. Nach dem MSV Duisburg zogen sechs weitere DFB-Klubs planmäßig in die zweite Runde der drei europäischen Pokalwettbewerbe ein. Das ist Rekord. Italien (1964/65) und England (68/69) hatten von ihren sieben Startern nur vier beziehungsweise fünf in den zweiten Durchgang gebracht.“ In diesem Achtelfinale wartet auf die Frankfurter Eintracht mit Atletico Madrid aber alles andere als der Wunschgegner. Trainer Dietrich Weise, der Atletico Madrid im Spiel in Basel beobachtet hat, ist jedenfalls beeindruckt: „Das ist eine schwer auszuspielende Mannschaft.“ „Aber andererseits hat Basel ja auch in Madrid 1:1 gespielt“, macht er sich und den Seinen Mut. Einem Spieler aus seinem Kader setzt er nach dem Abschlusstraining aber auch ohne Warnung einen Schuss vor den Bug. Vor versammelter Mannschaft eröffnet er dem Überraschten: „Herr Lorenz, Sie bleiben zu Hause. Denken Sie nach, dann wissen Sie warum.“ Das ist nicht notwendig, denn Lorenz weiß, dass er nach dem 6:2-Sieg in Coleraine zu lange und zu laut gefeiert hat, ohne zu bedenken, dass sein Hotelzimmer direkt neben dem von Weise lag. „Ich bin enttäuscht, dass Herr Weise mir nicht früher Bescheid sagte“, beklagt sich Lorenz dennoch: „Ich dachte, mit einem Straftraining genug gebüßt zu haben.“ In Hamburg fehlen wird auch Peter Krobbach, der im Sommer vom HSV zur Eintracht gewechselt ist und sich auf diese Partie natürlich besonders gefreut hat. Krobbach ist bei seinem Vater Albert, der in der Neurologischen Klinik Bonn liegt. Der 48-jährige Hafenmeister von Andernach erlitt Anfang der Woche einen Gehirnschlag. „Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen“, sagt seine Ehefrau am Freitag: „Er ist seit vier Tagen besinnungslos.“ „Die Ärzte registrierten heute den ersten Lichtblick“, gibt Peter Krobbach die Hoffnung aber nicht auf. In Hamburg von Anfang dabei ist Bernd Hölzenbein, der sich aus seinem Tief herausgespielt zu haben scheint. Und während Eintracht-Trainer Weise zögerte, ehe er Hölzenbein im Punktspiel gegen Kaiserslautern überhaupt einsetzte, ist es für Helmut Schön ausgemacht, dass der „Holz“ im Aufgebot für das EM-Qualifikationsspiel gegen Griechenland steht, das am nächsten Wochenende in Düsseldorf ausgetragen wird: „Er hat in Wien (gegen Österreich) gut gespielt, er hat gegen Kaiserslautern bravourös gekämpft, warum sollte ich an ihm vorbeigehen?“ Nicht vorbeikommen soll der vom VfB Stuttgart zum HSV gewechselte „Buffy“ Ettmayer, mit dessen Schussgewalt die Eintracht durchaus schon negative Erfahrungen gemacht hat. Klaus Beverungen hat die Aufgabe, die Kreise des österreichischen Nationalspielers einzuengen. Der Abwehr Stabilität verleihen soll Gert Trinklein, der nach seiner Rückkehr zur Eintracht und gerade einmal zwei Wochen Training als Libero auflaufen wird. Diese doch unerwartete Entscheidung verkündet Dietrich Weise eine Stunde vor Spielbeginn. Das Liberoproblem beim HSV hat sich auf eine andere Weise gelöst. Klaus Winkler, der Stammlibero der letzten Spielzeit, laborierte lange an einer Schulterverletzung, die kurz vor der Sommerpause sogar einen operativen Eingriff nötig gemacht hat. Somit war der Weg frei für Horst Blankenburg, der nach einigen erfolgreichen Jahren bei Ajax Amsterdam, das mit ihm von 1971 bis 1973 dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister erringen konnte, zurück nach Deutschland gewechselt ist. „Bei Blankenburg sehe ich keine Schwierigkeiten, ihn in die Mannschaft einzubauen“, hatte Trainer Kuno Klötzer bereits in der Vorbereitungsphase zur neuen Saison gesagt. Skeptischer war er da schon in Sachen Ettmayer: „Wir müssen die Ergebnisse der Testspiele abwarten, ehe ich sagen kann, ob er der erwartete Spielgestalter werden kann.“ „Ein Vereinswechsel hat schon oft Erstaunliches bewirkt“, war da Mitspieler Klaus Zaczyk schon optimistischer. Bislang zurecht: Bei den ersten neun Ligaspielen war Ettmayer achtmal mit von der Partie und erzielte in den letzten beiden Begegnungen drei Tore. Und auch heute trägt er in der Anfangsphase dazu bei, dass es Wienhold im Kasten der Eintracht nicht langweilig wird: Ettmayer, Volkert und Björnmose decken den Keeper mit mächtigen Weitschüssen ein. In der 8. Minute zeigt Ettmayer dann, dass er nicht nur über eine ausgezeichnete Schusstechnik verfügt. Über fast 50 Meter schlägt er einen präzisen Pass auf den ungedeckten Reimann, der mit seinem Volleyschuss das Heiligtum der Gäste nur ganz knapp verfehlt. Die Eintracht versucht, das Spiel zu beruhigen und sich des Drucks der Norddeutschen zu entledigen, doch es gelingt Weises Elf nicht, sich aus der festen Umklammerung des HSV zu befreien. Umso überraschender fällt die Frankfurter Führung in der 17. Minute. Nickel schickt Neuberger auf der linken Außenbahn auf die Reise, wo dieser ungehindert flanken kann. Sowohl Torhüter Kargus als auch Verteidiger Kaltz spielen eine Art Beamtenmikado, bei dem der erste, der eingreift, verliert. Dieses Duell der beiden HSV-Spieler endet unentschieden und mit dem 5. Saisontor Rüdiger Wenzels, der die Gunst der Sekunde nutzt und mühelos aus zwei Metern einnetzt. Was für eine Freude für den Neuzugang der Eintracht, der erst im Sommer vom Hamburger Zweitligisten St. Pauli zur Eintracht gewechselt ist. Obwohl Klötzers Männer in dieser Saison nun bereits zum sechsten Mal mit 0:1 in Rückstand geraten sind, ist der bis hierhin so überzeugend auftretende HSV für einige Minuten aus dem Konzept gebracht. Der Anhang der Hanseaten teilt diesen Schockzustand durch stille Lähmung. Die Gäste können aus dieser Situation jedoch keinen Vorteil ziehen, weil sie weiterhin nicht zu ihrem gewohnten Kombinationsspiel finden.
Nicht weniger unangekündigt als das erste Tor fallen auch die beiden nächsten in der 23. und 24. Minute. Zuerst trifft Nogly aus 25 Metern bei seinem vierten Saisontor genau in den rechten Torwinkel. Ebenfalls ohne Wienhold eine Abwehrchance zu lassen, markiert Björnmose in der nächsten Minute seinen fünften Saisontreffer, nachdem Nickel mit einem schweren Fehler im Mittelfeld den HSV in Ballbesitz gebracht hat: Aus 16 Metern schlenzt Björnmose das Leder gefühlvoll ins Netz. Der dynamische und glänzend aufgelegte Torschütze Björnmose sorgt im Trio mit dem diesmal betont mannschaftsdienlich spielenden und erstaunlich kämpferischen Ettmayer sowie dem fleißigen Bertl für die erdrückende Überlegenheit des Hamburger Mittelfeldes. Die Eintracht ist mittlerweile komplett von der Rolle und Libero Trinklein hat seine liebe Mühe, die Abwehr einigermaßen zusammenzuhalten. Groß ist die Nervosität und auch der Frust bei den Frankfurtern, wie man am überflüssigen Foul Wenzels an Kaltz erkennen kann, mit dem sich der Stürmer die Gelbe Karte einhandelt. Willi Reimann, der schon am Mittwoch im UEFA-Pokal beim 4:2 gegen Young Boys Bern mit einem Treffer und einer Torvorlage auf sich aufmerksam gemacht hat, avanciert in seinem dritten Pflichtspiel dieser Saison zum besten Stürmer des HSV. Er füllt die Lücke in der Sturmmitte und erzielt in der 39. Minute auch das überfällige 3:1, indem er sich im Strafraum gegen Körbel und Neuberger durchsetzt, entschlossen abzieht und ins untere Eck trifft. Mit diesem Rückstand ist die Eintracht zur Pause noch gut bedient.
Aus den Kabinen kommen beide Teams zur zweiten Halbzeit unverändert. Die Eintracht ist nun jedoch deutlich offensiver ausgerichtet, auch wenn der HSV durch Reimann zunächst eine große Torchance hat. Der Stürmer scheitert an Wienhold, mit weniger Eigensinn wäre das 4:1 möglich gewesen. Die Gäste könnten in der 56. Minute durch Hölzenbein verkürzen, doch auch ihm gelingt der Treffer nicht. Es entwickelt sich ein offener Schlagabtausch, bei dem die vom immer stärker werdenden Willi Neuberger angetriebene Eintracht spielerische Vorteile für sich verbuchen kann. Es kommt nicht von ungefähr, dass es Neuberger ist, der in der 65. Minute zum 2:3 einschießt. Blankenburg hat dem Frankfurter Verteidiger den Ball maßgerecht vor die Füße geköpft und der zieht aus 18 Metern Torentfernung stramm ab. Kargus fliegt dem Ball fast schon verzweifelt, aber eben auch vergeblich hinterher. Jetzt macht sich aufseiten des HSV die Nervosität breit, die im ersten Durchgang den Gästen zu schaffen gemacht hat. Inmitten einer Serie von Fehlpässen tauchen die Hamburger aber auch gefährlich vor dem Tor der Frankfurter auf, Körbels Attacke im Strafraum gegen Reimann in der 69. Minute bleibt jedoch ungeahndet. Zwei Minuten später erinnert sich der schwache Schiedsrichter Waltert wohl an diese Szene und versucht seinen vermeintlichen Fehler wieder gutzumachen. Die Entscheidung, in Trinkleins Rempler am gekonnt fallenden Sperlich ein strafstoßwürdiges Vergehen erkannt haben zu wollen, ist sonst kaum zu erklären. Georg Volkert ist es gleich: Der im Zweikampf oft unbeherrschte Linksaußen bleibt am Elfmeterpunkt gelassen und verlädt Wienhold. Auch nach dem 4:2 für den HSV gibt die Eintracht nicht auf. Sie bleibt allerdings im Angriff mit ihren Weitschüssen glücklos und bietet dem Gegner durch die eigene Schlussoffensive eine entblößte Abwehr. Der HSV kommt so mehrfach zu erstklassigen Konterchancen, die jedoch vom schwachen und unbeherrschten Volkert sowie von Reimann vergeben werden, und geht nach 90 Minuten insgesamt als verdienter Sieger vom Platz. „Ohne den Elfmeter wären wir gegen Frankfurt vielleicht ganz schön ins Schwimmen gekommen“, bekennt Klaus Winkler, der überstandener Verletzungspause Horst Blankenburg die Liberorolle wieder streitig machen will. „Der Elfmeter zum 4:2 für den HSV war nie berechtigt“, schimpft der angesichts falscher Schiedsrichterentscheidungen meist gelassene Weise. 9:11 Punkte und ein enttäuschender 13 Rang mögen auch an seinen Nerven zerren. Allerdings ereifert er sich nicht grundlos: „Warum reißt es immer mehr ein, dass Schiedsrichter eine Fehlentscheidung mit einer anderen gutmachen wollen?“ Bei zwei für den HSV nicht gegebenen Eckbällen „haben eindeutig unsere Spieler den Ball ins Aus geschlagen und das konnte der Schiedsrichter mit Sicherheit sehen.“ Diese Entscheidungen empörten das Publikum ebenso wie die ungeahndete Attacke von Körbel an Reimann und „von diesen Situationen beeindruckt, zeigte er in der 70. Minute nach der völlig harmlosen Situation auf den Punkt und warf uns entscheidend zurück“, glaubt Weise. „Es war bestimmt kein Elfmeter, Langer“, ruft auch Nationalspieler Manfred Kaltz Gert Trinklein auf dem Weg zum Mannschaftsbus nach: „Aber mach dir nichts draus, das kann jedem passieren.“ Sein Comeback hat sich Trinklein ohnedies anders vorgestellt: „Wenn man 2:4 verliert, kann man natürlich nicht froh sein.“ „Ich wage es nicht, mich selbst zu beurteilen. Das soll der Trainer tun“, weicht er den Fragen der Journalisten aus, die Weise so beantwortet: „Nach nur zwei Wochen Training konnte man von Trinklein nicht mehr erwarten.“ Mit seiner Mannschaft aber geht der Fußballlehrer ins Gericht: „Wir haben verdient verloren, weil wir vor der Pause einfach zu passiv und vorsichtig waren. Vor der Pause hatten wir keine Chance gegen diesen HSV, der alles brachte, was man sich als Trainer nur wünschen kann“, zeigt sich Weise als gewohnt fairer Verlierer vom „tollen Angriffswirbel“ der Gastgeber begeistert. HSV-Trainer Kuno Klötzer wartet, bis sein Kollege Weise den Presseraum verlassen hat, wohl um nicht in Verdacht zu geraten, seine Lobeshymne über die Eintracht nur aus reiner Höflichkeit zu platzieren: „Ich bin sicher, die Eintracht wird noch ganz nach vorne kommen, denn es spricht doch für die Moral dieser Truppe, dass sie, nach für sie deprimierenden Minuten vor der Pause, noch den Mumm hatte, zurückzuschlagen. Ich muss zugeben, dass ich trotz unserer Konterchancen große Befürchtungen hatte, den Ausgleich hinnehmen zu müssen.“ „Es war schon beeindruckend, wie auf einmal Willi Neuberger seine Mannschaft mitriss und nicht darauf wartete, bis der zündende Funke von Grabowski ausging“, sagt der Trainers des aktuellen Tabellenzweiten: „Das zeigt doch, welch gesunde Mischung mein Kollege Dietrich Weise hat.“ „Ich bin nicht bange vor den nächsten Spielen“, hatte der Eintrachttrainer wohl auch in diesem Geist bereits zuvor verkündet. Und das Sportmagazin „Kicker“ hat Willi Neuberger so gut gesehen wie der HSV-Trainer: Neuberger steht dort in der „Elf des Tages“. (rs)
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