Fehlende Geschlossenheit

Nach dem Kantersieg im Europapokal gegen den FC Coleraine reist die Eintracht an die Leine zu Hannover 96. Die Niedersachsen sind nach einem Jahr in der 2. Liga Nord wieder in die Bundesliga zurückgekehrt, stehen allerdings nach der Niederlage in Bochum mit nur einem Sieg schon wieder im letzten Drittel der Tabelle auf Rang 14. Doch die Frankfurter sind gewarnt: Zum einen ist ihr letzter Auswärtssieg bei den 96ern fünf Jahre her und zum anderen haben die „Roten“ in den ersten drei Heimspielen dieser Spielzeit nicht verloren und dabei dem amtierenden Meister aus Gladbach zum Saisonstart ein 3:3 abgerungen. Vier ihrer bisher fünf Punkte haben die Hannoveraner zuhause geholt, Weises Elf ist die Heimstärke des Gegners also bekannt.

Gerd Kasperski, der mit 20 Toren zum Aufstieg beigetragen hat, ist zwar zum Zweitligisten Borussia Dortmund abgewandert, aber der Torschützenkönig ist noch da: Peter Dahl. Der Däne, der in der Rückrunde der Abstiegssaison verpflichtet wurde und dort enttäuschte, hat in der 2. Liga 23 Treffer erzielen können. In dieser Saison hat er bisher zweimal getroffen, zum 3:3-Endstand gegen Gladbach sowie zum 3:1 in Duisburg, wobei er die 3:4-Niederlage aber auch nicht verhindern konnte. Die Kritiker, die trotz dieser beiden Treffer weiter an der Eignung des Stürmers für die höchste deutsche Spielklasse zweifeln, wird Dahl gegen die Eintracht nicht vom Gegenteil überzeugen können: Er hat sich Anfang der Woche in einem Freundschaftsspiel verletzt, am Freitag zwar einen Härtetest bestanden, aber heute sind die Schmerzen im Knie dann doch zu groß geworden. „Auf jeden Fall ist es kein Meniskusschaden. Ich vermute eine Verletzung des Kreuzbandes“, stellt Trainer „Fiffi“ Kronsbein seine Diagnose, die hoffentlich am Montag bei der geplanten ärztlichen Untersuchung nicht bestätigt wird.

Auch der mit 19 Treffern in der letzten Saison in der internen Rangliste auf Platz 3 liegende Roland Stegmayer ist dem Club erhalten geblieben, der sich außerdem mit Paul Holz vom VfL Bochum und Peter Hayduk von Eintracht Braunschweig verstärkt hat. Hayduk hat bereits drei Tore erzielt, darunter den Siegtreffer gegen den Hamburger SV am 4. Spieltag. Verzichten müssen die Hannoveraner weiter auf den ehemaligen Offenbacher Herbert Meyer, der wegen seiner Roten Karte aus der Begegnung mit dem MSV gesperrt ist.

Mit dabei ist aufseiten der Eintracht Kapitän Grabowski, der noch am Donnerstag wegen der im Europapokalspiel gegen Coleraine erlittenen Blessuren nicht ohne Sorgen konstatierte: „Die Schmerzen am rechten Knie haben nachgelassen. Es handelt sich um eine Prellung. Am linken Knöchel jedoch macht mir eine Bänderdehnung zu schaffen. Ich habe am Donnerstag mit dem Training ausgesetzt. Am Freitag werde ich mit bandagiertem Knöchel probieren, ob es geht. Im Augenblick ist alles offen.“

Eher einseitig verläuft der Spielbeginn vor 31.000 Zuschauern, die den finanziell chronisch klammen Niedersachsen wieder etwas Geld in die leeren Kassen bringen. In der ersten Viertelstunde ist die Eintracht nicht nur die elegantere Elf, sondern auch die weitaus druckvollere. Mit schnellen Kombinationen kommen die Frankfurter gefährlich vor das von Pauly gehütete Tor und sehen eine 96er-Abwehr, die bedenklich wankt, aber nicht fallen will. Nachdem Torhüter Pauly gegen Beverungen in prächtiger Manier reagiert hat, fällt dann aber doch etwas – das Tor auf der Gegenseite. Den ersten Konter der Heimmannschaft in der 16. Minute netzt Lüttges, der zusammen mit Hayduk für Kaemmer und Dahl in die Startformation gekommen ist, aus etwa 14 Metern Entfernung nervenstark zum 1:0 ein. Es ist Lüttges zweiter Bundesligatreffer, nachdem er in der letzten Saison noch für den anderen Aufsteiger Bayer Uerdingen in der 2. Liga Nord 14 Mal ins Schwarze getroffen hat.

Die Führung gibt dem Aufsteiger Auftrieb und Selbstsicherheit. Der zuvor untergetauchte Weber kommt nun endlich etwas besser in die Partie und kann sich ins Angriffsspiel einschalten, während die Eintracht in der Offensive mit Grabowski, Wenzel und Hölzenbein vom unbändigen Stiller, dem stellungssicheren Höfer und dem überragenden Anders abgemeldet wird. Stiller, der wegen einer Verletzung vor dem Spiel noch eine schmerzstillende Spritze bekommen hat, geht gegen Grabowski - wie so oft im Niedersachsen-Stadion – mit der bekannten Härte vor.

Beispielhaft für den Auftritt der Eintracht in der letzten halben Stunde der ersten Halbzeit ist aber Hölzenbeins Darbietung. Der Nationalspieler, der in den letzten Wochen auch in Helmut Schöns Elf seiner Formkrise mit großem Engagement buchstäblich davon gelaufen ist, überlässt seinem Gegenspieler Peter Anders fast kampflos das Feld. In der Defensive hilft Hölzenbein nicht aus und im Angriff ist er ungefährlich. Hannover geht mit einer verdienten Führung in die Pause und kann sich über den in der ersten Halbzeit stark spielenden Holz und den clever agierenden Lüttges freuen, während sich Stegmayer zu eigensinnig verhält.

Trainer Weise wartet offensichtlich auch im zweiten Durchgang auf einen Geistesblitz Hölzenbeins und wechselt in der 55. Minute den ebenfalls blassen Wenzel aus. Bernd Lorenz soll im Sturm für mehr Druck und Drang sorgen. Nur eine Minute später steht es auch tatsächlich bereits 1:1, doch den Ausgleich erzielt nicht Lorenz, sondern Roland Weidle. Das Tor setzt Kräfte frei, Weises Elf scheint wieder an einen Sieg zu glauben, und spielt beherzt nach vorn, vergisst dabei allerdings, dass der Gegner weiterhin mitspielt und in der eigenen Abwehr ein Spieler steht, der hinten so enttäuscht wie Hölzenbein vorn: Peter Krobbach.

Krobbach, ohne Zweifel ein guter Fußballer, bekommt ein weiteres Mal seine Nerven nicht in den Griff. Schon im ersten Durchgang lief er als Schatten seiner Selbst ohne Vertrauen in die eigene Stärke über den Platz herum und sorgte bereits da für Gefahr vor Wienholds Tor. Die 96er quittieren das in Person von Krobbachs Gegenspieler Hayduk. In der 61. Minute erzielt der Stürmer die erneute Führung und nur acht Minuten später sorgt er für die Entscheidung, in dem er sich bei einer Flanke am linken Pfosten energisch gegen Reichel und dem dahinter postierten Wienhold durchsetzt, der dem hochspringenden Hayduk von einer Etage tiefer zusieht, wie der den Ball mit der Stirn kraftvoll aufs Tor köpft. Weidles Rettungsversuch auf der Torlinie kommt zu spät und geht ins Leere. Hayduk, dessen spielerische Mängel nicht verborgen bleiben, hat damit bereits seinen fünften Bundesligatreffer erzielt.

Wieder einmal ist bei der Eintracht ein Teil der Mannschaft nicht in der Lage und wohl auch nicht willens, den vom Gegner angebotenen Kampf anzunehmen und dem Spiel noch einmal eine Wende zu geben. Die Hausherren müssen zwar in den letzten Minuten noch einmal zittern, nachdem Nickel aus Frankfurter Sicht auf 2:3 verkürzt hat, doch am Ende siegt die Mannschaft, die mit mehr Biss agiert hat. Die Eintracht aber hat im dritten Duell mit einem Aufsteiger in dieser Saison schon die zweite Niederlage kassiert.

Hannover 96 hätte sich bei einer Niederlage auf dem letzten Tabellenplatz wiedergefunden, die Punktedifferenz zwischen dem 13. und dem 18. Platz beträgt zurzeit nur einen einzigen Punkt. Trainer Helmut Kronsbein ist sich der Tatsache bewusst, dass sich die Lage nur für den Augenblick ein wenig entspannt hat und kritisiert trotz des Erfolges besonders sein Mittelfeld auffallend deutlich. „Vor allem Jürgen Weber blieb den Beweis seiner Spielmacherqualitäten schuldig“, mäkelt Kronsbein, der auch Holz im zweiten Durchgang mit einer abfallenden Leistung gesehen hat. Getreu seiner Devise „nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, richtet Kronsbein schon seinen Blick auf das Spiel bei Bayern München. „Mal sehen, wie die beim Oktoberfest ausschauen“, witzelt er und verspricht, mit seiner Mannschaft vor dem Spiel keinen Besuch auf der „Wiesn“ zu machen. Peter Anders’ Leistung gegen Hölzenbein belohnt der „kicker“ übrigens an diesem Wochenende mit einem Platz in der „Elf des Tages“, wobei aber auch Pauly im Tor ausgezeichnet gehalten hat.

Für Eintrachttrainer Weise steht die Spitzenstellung der Eintracht in der Bundesliga auf dem Spiel. „Wir haben an mannschaftlicher Geschlossenheit verloren, weil die Unterschiede im Laufpensum der einzelnen Spieler zu groß sind. Wenn wir ganz oben mitmischen wollen, musste hier mindestens ein Unentschieden herausspringen“, kommentiert Weise die überflüssige Niederlage, wobei es im dem sonst als besonnen und souverän bekannten Trainer sichtbar brodelt. Der lieblose und unkonzentrierte Auftritt seiner Elf erinnert nicht nur ihn an den Schlendrian einer überwunden geglaubten Frankfurter Schule. Selten hat man den Fußballlehrer so verärgert erlebt, zehn Minuten nach dem Spiel hat er sich noch immer nicht gefasst: „Ich bin nicht bereit, mir das in acht Wochen kaputtmachen zu lassen, was wir uns in Frankfurt in zwei Jahren mühsam erarbeitet haben“, wettert er, und auch Präsident Achaz von Thümen ist aufgebracht: „Es schreit zum Himmel, was die Mannschaft heute geboten hat.“ Weise kündigt an, seiner Truppe in der nächsten Woche gehörig die Leviten zu lesen. Vorher waren bereits in der Kabine harte und laute Worte gefallen, zu Recht, wie nicht nur Verteidiger Peter Reichel eingesteht. Übel nimmt Weise seiner Mannschaft, dass sie keineswegs an einem überragenden Gegner, sondern vielmehr an ihrer eigenen Unzulänglichkeit gescheitert war und – wie früher – den Kampf nicht angenommen hat.

Weise steht aber selbst ebenfalls in der Kritik, da seine Verpflichtungen nicht wie erhofft eingeschlagen haben. Der in der letzten Saison geholte Lorenz ist trotz seiner bemerkenswerten Torquote nur Ersatz, während der in dieser Saison vom FC St. Pauli aus der zweiten Liga gekommene Wenzel genau diese Torgefährlichkeit zu oft noch vermissen lässt. Besonders schlecht weg kommt Weise beim Thema Libero. Trinklein, den Weise im Sommer im Vertragspoker wegen seiner überzogenen Forderungen und seiner unkonstanten Leistungen kein neues Angebot machte, beschäftigt mit dem ehemaligen Stuttgarter Torwart Heinze das Arbeitsamt, weil es dort an einer eindeutigen Regelung für Fußballprofis fehlt. Ob Berufsfußballspieler tatsächlich abhängige Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes sind, muss möglicherweise noch gerichtlich geklärt werden muss – das Arbeitsamt unterstützt die beiden Prominenten aber aufgrund von Einzelfallentscheidungen bereits mit einer Geldleistung. Trinklein ist dank seiner Arbeitslosigkeit und auch der Berichterstattung der „Bild“ bei der Eintracht immer noch ein Thema, weil der von Weise aus Hamburg geholte Nachfolger Krobbach nach starker Saisonvorbereitung die Erwartungen nicht annähernd erfüllen kann.

Krobbach „wirkt schon jetzt, im achten Spiel, am Ende seiner Kräfte und war im Niedersachsenstadion zum Auswechseln reif. Und genau da wird der Teufelskreis sichtbar, in dem sich Dietrich Weise und damit die Eintracht befindet: für schwache Stammspieler gibt es keine Alternativen, da auf der Bank niemand sitzt, der Besseres zu leisten vermag. Müller befindet sich selbst noch mitten im Formtief und Stradt ist einfach noch zu grün, um in einer schwachen Eintracht eine gute Rolle zu spielen“, kommentiert Sportjournalist „Peppi“ Schmitt: „Was bleibt sind taktische und personelle Verschiebungen innerhalb der 12 Spieler, die in Hannover zum Einsatz kamen. Und auch da hat Weise nicht mehr viele Möglichkeiten zur Auswahl, denn schon in den bisherigen acht Begegnungen wurde die Mannschaft fast ständig geändert. Und da schließt sich wieder der Kreis, aus dem die Eintracht bald ausbrechen muss, wenn sie nicht eine bittere Bundesligasaison erleben will. Sie, die auszog, Meister zu werden und sich nun urplötzlich im Mittelfeld wiederfindet, mit nur zwei Punkten mehr auf dem Konto als der Tabellenletzte.“ Neueinkäufe aber sind „indiskutabel, da Spitzenkräfte nicht zu bekommen sind und wir Durchschnittsspieler in unseren eigenen Amateurreihen genug haben“, wie Weise in Kenntnis der finanziellen Situation klarstellt. (rs)

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