Eintracht Frankfurt - Borussia Mönchengladbach

Bundesliga 1975/1976 - 7. Spieltag

1:1 (1:0)

Termin: Sa 13.09.1975, 15:30 Uhr
Zuschauer: 45.000
Schiedsrichter: Volker Roth (Salzgitter)
Tore: 1:0 Rüdiger Wenzel (5.), 1:1 Hans Klinkhammer (56.)

 

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Eintracht Frankfurt Borussia Mönchengladbach

 


  • Wolfgang Kleff
  • Berti Vogts
  • Hans Klinkhammer
  • Hans-Jürgen Wittkamp
  • Rainer Bonhof
  • Henning Jensen
  • Dietmar Danner
  • Jupp Heynckes
  • Herbert Wimmer
  • Ulrich Stielike
  • Allan Simonsen

 

Wechsel Wechsel
Trainer Trainer
  • Udo Lattek

 

 

Aus Überzeugung

Emanuel Rothschild ist verstorben und Eintracht Frankfurt trauert um das langjährige Vorstandsmitglied, das nach dem Krieg dafür sorgte, dass die Eintracht wieder den Spielbetrieb aufnehmen konnte. Dabei war es bereits fast ein Wunder, dass Emanuel Rothschild als einer von wenigen Juden in Frankfurt den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte. Er war nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 verhaftet und am 14. November in das KZ Dachau gebracht worden. (Das Datum seiner Entlassung ist nicht feststellbar.) Teilweise geschützt durch seine "Mischehe" - seine Ehefrau Elise war christlichen Glaubens – wurde das Ehepaar Rothschild zwecks Ghettoisierung innerhalb Frankfurts zum Umzug gezwungen; als Anfang 1945 dann auch mit der Deportation der Juden aus "Mischehen" begonnen wurde, tauchte Emanuel Rothschild unter und überlebte in einem Versteck.

Am 17. Dezember 1945 erfolgte dann die Auflösung aller Sportvereine. "Damit sollte ein Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit des deutschen Sports gezogen werden. Lokale Neugründungen waren bei den örtlichen Militärbehörden mit einem Entnazifizierungsnachweis der Vorstandsmitglieder zu beantragen." (Zitat aus "Wir waren die Juddebube" von Matthias Thoma.) Und die Lizenz für die Neugründung der Eintracht erwarb niemand anders als Emanuel Rothschild, der seit den 1920er Jahren Mitglied bei der Eintracht war und Frankfurt und Deutschland trotz der schrecklichen Erlebnisse nicht den Rücken gekehrt hatte. Die Eintracht tritt am Samstag gegen Gladbach wegen des Todes ihres Ehrenmitgliedes selbstverständlich mit Trauerflor an und in der 10. Spielminute wird das Spiel zum Gedenken an Emanuel Rothschild für eine Minute unterbrochen werden.

Getroffen, aber auf eine völlig andere Art, hat die Eintracht auch die Niederlage beim Tabellenletzten am letzten Spieltag. Obwohl die Elf Dietrich Weises nahezu über die gesamte Spielzeit mit einem Mann mehr auf dem Platz stand, fand sie nie die geeigneten Mittel, ihren numerischen Vorteil auch in Tore umzumünzen. Für die Offenbacher erweist sich ihr Erfolg aber als wahrer Pyrrhussieg. Vor dem Spiel bei Bayern München fehlen Ritschel, der für seine Rote Karte gegen die Eintracht eine Sperre von acht Wochen erhalten wird, sowie der im Derby erheblich am Meniskus verletzte Skala ebenso wie der für ihn eingewechselte Faß, der schon am Ende der Partie nur noch humpeln konnte. Zudem hat Schiedsrichter Eschweiler nach dem Spiel Trainer Rehhagel und Geschäftsführer Konrad wegen beleidigender Äußerungen dem Kontrollausschuss des DFB gemeldet, ein Verfahren, das besonders über Rehhagel wie ein Damoklesschwert schwebt.

Rehhagel wurde am Mittwoch nämlich bereits wegen eines anderen Verfahrens durch das DFB-Sportbericht mit sofortiger Wirkung für zwei Monate gesperrt und zu einer Geldstrafe in Höhe von 1.000 Mark verurteilt. Anlass für die Verurteilung war Rehhagels Aufforderung im Spiel der Offenbacher gegen die Eintracht am 19. April an seinen Spieler Theis: "Tret’ dem Hölzenbein doch in die Knochen!" Das Sportgericht sieht darin eine "Aufforderung zur Körperverletzung". Rehhagel bestreitet vehement etwas Derartiges gerufen zu haben, das Gericht schenkte aber der Aussagen Hölzenbeins Glauben. Das harte Urteil habe sich Rehhagel selbst eingebrockt, vermuten Prozessbeobachter. Trotzig habe Rehhagel alles abgestritten, sei auf die Vorhaltungen des DFB-Chefanklägers Kindermann und des Sportgerichts nicht eingegangen, und habe zudem in seinem Schlusswort Hölzenbein angegriffen: "Ich hatte es doch gar nicht nötig, Theis auf Hölzenbein scharf zu machen. Hölzenbein hatte damals so wenig drauf wie am vergangenen Samstag." Mit der Bemerkung, dass er seinen Freispruch als selbstverständlich ansehen würde, dürfte sich Rehhagel ebenfalls keine Freunde gemacht haben und so ging am Ende seine Strafe weit über die von Kindermann in dessen Plädoyer geforderten 3.000 Mark Geldstrafe hinaus.


Derzeit viel Freizeit für Trinklein

Ein anderer zeigt sich in diesen Tagen wortwörtlich verhandlungsbereiter als Rehhagel: "Ich habe zu hoch gepokert und 30.000 Mark Handgeld zu viel verlangt. Heute wäre ich vernünftiger", bekennt Gert Trinklein. Der ehemalige Eintrachtlibero ist seit dem Beginn der Saison ohne Verein und hält sich mit einem Privat-Sportlehrer fit. Präsident von Thümen beeindruckt die Läuterung Trinkleins nicht. Obwohl Trinkleins Nachfolger Krobbach bisher die Erwartungen nicht erfüllen konnte, will er den verlorenen Sohn nicht wieder aufnehmen: "Gerts Einsicht kommt zu spät. Wenn wir uns im November verstärken sollten, dann durch einen besseren Mann."

"In den Vorbereitungsspielen hatten sich die Neuzugänge Rüdiger Wenzel und Peter Krobbach in die Mannschaft eingefügt, die Härte des Punktekampfes zeigte, dass ein schnelles, gegenseitiges Verstehen doch nicht gleich zu vollziehen ist. In einigen Spielen bewiesen sie, dass sie Stärke und Klasse haben, in anderen gelang ihnen weniger, aber ich bin überzeugt, dass sie zu wertvollen Verstärkungen werden", meint Dietrich Weise. Der Trainer gibt offen zu, dass er und seine Mannschaft bislang hinter den Erwartungen zurück geblieben sind: "Die Mannschaft hat nach sechs Spielen 7:5 Punkte. Das ist sicherlich weniger, als von ihr erhofft worden war. Der Fehlstart im Heimspiel gegen den KSC stand in keiner Rechnung Aber er passt offenbar in das Bild dieser Saison, die voller Ungewissheit ist. Von Enttäuschungen ist bisher keine Mannschaft verschont geblieben, auch der Tabellenerste Borussia Mönchengladbach hat nur zwei Punkte mehr als wir, obwohl er eine der beiden noch ungeschlagenen Mannschaften ist. Das sei ein kleiner Trost", findet Weise und fährt fort: "Allgemein ist zu der Startphase, zu der diese sechs Spiele gezählt werden müssen, zu sagen, dass die Vorbereitungszeit gut war, auch wenn der spielerische Glanz noch fehlt. Wir hatten keine Verletzungen bis auf Wolfgang Kraus, der uns von der vorhergehenden Saison noch fehlt. Wir erwarten sehnlichst seine Rückkehr in die Mannschaft, freuen uns, dass er wieder mittrainieren kann und Fortschritte macht. Mitte bis Ende Oktober könnte es wieder soweit sein."

Gegen den amtierenden Deutschen Meister Gladbach rechnet die Eintracht mit 50.000 Zuschauern. "Das wäre gut, denn vor einer großen Kulisse steigert sich die Mannschaft fast immer", hofft Weise, dem Körbels Verletzung Sorgen bereitet. Bereits in der letzten Spielzeit laborierte der Defensivmann an der immer wieder aufbrechenden Verletzung an seiner rechten Leiste, dieses Mal bereitet ihm die linke Leiste Schmerzen. "Von Statur wie von Motorik ein überdurchschnittlicher Athlet", der "in letzter Zeit etwas Raubbau mit seinen Kräften getrieben hat" und "mit seiner ebenso kraftvollen wie kräftezehrenden Spielweise schonungslos sich selbst gegenüber war", beschreibt Wolfgang Tobien Körbel im "kicker" den "Boy von der badischen Bergstraße". "Ich habe schon am Freitag vor dem Spiel gemerkt, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung ist, doch auf Befragen beteuerte er mir, dass er gegen Offenbach einsatzbereit sei. Es wäre besser gewesen, ihn pausieren zu lassen", erklärt der Fußballlehrer Weise, der seinem bisweilen zu ehrgeizigen Schützling unter vier Augen ins Gewissen geredet, keine Blessuren mehr zu verschweigen und diese vollständig auszukurieren. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, aber auch weil der Trainer um den nicht zu bremsenden Tatendrang seines Spielers weiß, hat Weise Körbel bis zum Donnerstag ein vollständiges Spiel- und Trainingsverbot erteilt. Danach darf Körbel erst einmal nur eine halbe Stunde Lauftraining absolvieren. "Wenn Karl-Heinz nicht spielen kann, kommt Helmut Müller in die Mannschaft. Die Chancen stehen 50:50", bleibt Weise gelassen.

Erregt war dagegen beim vorletzten Auswärtsspiel in Hamburg der Trainer des heutigen Gegners, Udo Lattek: "Wir waren kurz vor dem Stadion. Da hat uns die Polizei zurückgeschickt. Wir mussten wieder auf die Autobahn, eine andere Abfahrt hinaus und haben dadurch über eine halbe Stunde verloren", zürnte Lattek, dessen Elf nach dem torlosen Remis beim HSV vom enttäuschten Hamburger Publikum mit Pfiffen verabschiedet wurde. Lattek, der in der Hinrunde der letzten Saison noch Bayern München trainierte und sich in der Rückrunde als zukünftiger Trainer von Rot-Weiß Essen bereits im Waldstadion zwei Spiele seiner neuen Angestellten ansah und öffentlich kommentierte, hat seinen Arbeitsplatz an der Hafenstraße nie angetreten, sondern ein besseres Angebot von Borussia Mönchengladbach angenommen. Dort sieht er sich als Nachfolger von Hennes Weisweiler aber nun dem Vorwurf ausgesetzt, er habe den "nüchternen Zweckfußball von Giesings Höhen zum Bökelberg verpflanzt". Lattek, der die Bayern zu Deutschen Meisterschaften und zum Europapokalsieg führte, bestreitet das energisch: "Man kann immer nur die Taktik anwenden, für die man die entsprechenden Spieler hat. Durch den Ausfall von Heynckes und der nicht hundertprozentigen Fitness von Bonhof und Danner war ich bei diesem starken HSV zur Vorsicht gezwungen."

Ein Wahl-Hamburger, der wie Rüdiger Wenzel in der letzten Saison noch beim FC St. Pauli gegen den Ball trat, hatte Lattek in der Saisonvorbereitung überzeugt, Horst Wohlers. "Der Horst gehört zum Stamm von 15 bis16 Spielern, aus denen ich meine Mannschaft in dieser Saison bilden will", kündigte Lattek da schon an, doch bislang konnte sich der angehende Lehrer mit dem ersten Staatsexamen nicht in den Vordergrund spielen. "Fussel", wie der leichtgewichtige Spieler – 64 Kilo bei 1,76 cm Körpergröße – genannt wird, konnte nur am 1. Spieltag für acht Minuten Erstligaluft schnuppern.

Auf Seiten der Eintracht ist ein Pädagoge bereits unumstrittener Stammspieler: Peter Reichel. Der ehemalige Jugendnationalspieler hat in dieser Spielzeit nach Einschätzung seines Trainers bereits die besten Stürmer der Bundesliga ausgeschaltet und unterrichtet mittlerweile als Lehrer Mathematik und Sport. Darin sieht Dietrich Weise auch den Hauptgrund für Reichels gute Form und abermalige Leistungssteigerung: "Seit dem Ende der letzten Saison ist er völlig befreit vom Druck des Studiums und der Prüfungen."

Völlig fit ist am Samstag dann auch Körbel, dessen 35-Minuten-Test am Vormittag im Stadtwald positiv ausgefallen ist. Körbel läuft jedoch für Weidle im Mittelfeld auf, denn Weises ausführliche Analyse der Niederlage in Offenbach hat zu einer Neuordnung der Abwehr geführt. In dieser nimmt Neuberger als Libero die Rolle des Abwehrorganisators anstelle des zuletzt überfordert wirkenden Krobbach ein, der jedoch nicht wie allgemein erwartet seinen Platz in der ersten Elf verliert. Krobbach soll als Vorstopper wieder aufgebaut werden, während Reichel von der rechten auf die linke Abwehrseite wechselt und Helmut Müller nach monatelanger verletzungsbedingter Pause sein Comeback auf Reichels bisheriger Position gibt.

Die Eintracht beherzigt Weises Weisung, den Ball laufen zu lassen, anstatt ihn zu lange zu treiben und erwischt einen Start nach Maß. Einer der direkten Spielzüge ist bereits in der 5. Minute von Erfolg gekrönt, als Grabowski sich auf der linken Seite gegen Danner den Ball erobert, Wenzel präzise bedient und dieser die Abwehr der Gäste ins Leere laufen lässt, indem er zunächst einen Schuss antäuscht und dann abzieht. Wittkamp bekommt seinen Fuß zwar noch dazwischen, sorgt so aber nur dafür, dass sich der Ball über den zu weit vor dem Tor stehenden Kleff ins rechte Tordreieck dreht.


Grabowski gegen Vogts

In Anbetracht der Klasse beider Mannschaften ist das Spiel nach dem Frankfurter Führungstreffer von einer unerwarteten Abwechslung geprägt: Kann man eben noch beobachten wie sich die Spieler mit Fehlpässen zu übertrumpfen versuchen, kommt im nächsten Moment ein brillanter Spielzug, der den technischen Fähigkeiten der Einzelspieler weit eher entspricht. Die Eintracht hat sich allerdings nach dem 1:0 erst einmal für 20 Minuten komplett von so etwas wie konstruktivem Spielaufbau losgesagt. Hier ist es Leichtsinn, dort schlicht Überforderung, womit im letzteren Fall Helmut Müller gemeint ist. "Helle" bringt zwar durchaus das technische Rüstzeug mit, doch hat er dieses heute gegen schwache Nerven eingetauscht. Nachdem er im Dezember 1974 sein letztes Bundesligaspiel bestritten hat, kommt er in dieser Partie nach der langen Pause, einfach nicht in Tritt und sorgt mit vier schlimmen Fehlern für brenzlige Situationen in der eigenen Hälfte. In dieser Phase ist es Torhüter Wienhold zu verdanken, dass die Gäste vom Bökelberg nicht zum Ausgleichstreffer kommen. In der 20. Minute dreht Wienhold einen Schuss des sonst von Reichel ausgezeichnet kontrollierten Simonsen mit der Hand gerade noch um den Pfosten, und in der 25. Minute fischt er einen gefährlichen Distanzschuss von Danner aus dem Winkel.

Der aufmerksame Beobachter Dietrich Weise wägt ab, was er Müller mit einer frühen Auswechslung antut und wie viel er ihm und der Mannschaft gleichzeitig damit erspart. Weise ist kein Zauderer und so nimmt er Müller bereits in der 27. Minute aus dem Spiel und bringt Roland Weidle. Das hat wiederum einige Umstellungen zur Folge, denn Körbel kehrt nun auf seinen Vorstopperposten zurück, während Krobbach für Müller als rechter Außenverteidiger fortan Heynckes bewacht. Körbel wirkt als Vorstopper auch gleich sattelfester als im Mittelfeld und dass bei alledem nicht die für das Eintracht-Spiel so wichtige Offensivkraft Neubergers als Verteidiger verloren geht, dafür sorgt Reichel. Der kann sich als stürmender Außenverteidiger in der Offensive nach Herzenslust austoben, ohne dabei Simonsens Beschattung zu vernachlässigen.


Beverungen

Weises Elf operiert nun viel geschickter, schiebt den Ball im Mittelfeld verzögernd hin und her, um dann plötzlich überfallartige Angriffe zu starten. Die Gladbacher Abwehr bekommt zusehends Probleme und die Tormöglichkeiten für die Gastgeber häufen sich. Kleff steht jetzt wieder im Mittelpunkt der Ereignisse. In der 34. Minute muss er einen raffinierten Weitschuss von Neuberger parieren und keine 60 Sekunden später bekommt er Grabowskis überlegten Heber gerade noch so im Flug zu fassen.

Auf der Gegenseite muss auch die Eintracht eine brenzlige Situation überstehen, bei der Neuberger auf der Linie rettet, doch die Mehrzahl der Chancen haben die Frankfurter. Reichel trifft in der 37. Minute mit seinem Schuss nur den Innenpfosten des Gladbacher Kastens und bei einem weiteren Schuss verfehlt er das Tor nur knapp. Sekunden vor dem Pausenpfiff vergibt auch Grabowski das mögliche zweite Tor, als er nach einer Steilvorlage Kleff ausspielen will, doch bei diesem Versuch ins Rutschen kommt.

Die Borussia erhöht wie erwartet nach dem Wiederanpfiff das Tempo, ohne die Abwehr zu entblößen. Dort bekommt Hölzenbein gegen Vogts kaum einen Stich und Grabowski hat mit Bonhof einen hartnäckigen und nahezu gleichwertigen Widersacher. Latteks Elf hat im Spiel ohne Ball Vorteile gegenüber der Eintracht, sie kombiniert schnell und setzt die Defensive der Hausherren unter Druck. Der Ausgleich kommt deshalb nicht unerwartet, nur die Entstehung überrascht: In der 56. Minute lässt Verteidiger Klinkhammer Wenzel mit einer Körpertäuschung aussteigen und erwischt so bei seinem Schuss auch Torwart Wienhold auf dem falschen Fuß. Es ist Klinkhammers erstes Bundesligator und eines, das den Frankfurter Torwart besonders ärgern muss, wenn man bedenkt, welche Schüsse anderen Kalibers er zuvor entschärft hat.

Die Mönchengladbacher überlassen der Eintracht nun zwar großzügig das Mittelfeld, markieren ihre Gegenspieler dann jedoch hauteng und warten geduldig auf Abspielfehler, um blitzschnell zu kontern. Der Druck, um den sich Krobbach, Körbel, Neuberger und Reichel bemühen, findet keine Entladung in der Spitze, weil sich dort keine Anspielstationen finden. Selbst Grabowski fällt es jetzt schwer, sich aus der Umklammerung Bonhofs zu befreien, Latteks Elf hat Oberwasser. So hat Heynckes in der 70. Minute nach einer flüssigen Kombination den Führungstreffer für die Gäste auf dem Fuß, doch Wienhold reagiert gedankenschnell und begräbt den Ball unter sich.


Das Handspiel von Bonhof

Eine gute Viertelstunde vor dem Ende kommt es dann zu einer Szene, die die Zuschauer im Waldstadion den Neubau am liebsten abreißen ließe. Nach einem Freistoß von Grabowski setzt sich der überragende Reichel durch, köpft und der Ball senkt sich im hohen Bogen auf das Tor des Mönchengladbacher Nationaltorwarts Kleff. Kleff steht zu weit in der kurzen Ecke und hat keine Chance an das Leder zu kommen, obwohl er es im Sprung noch zu erreichen versucht. Der neben ihm auf der Linie postierte Bonhof springt hoch, streckt den rechten Arm hoch bis zum Querbalken und schlägt den Ball vor dem lauernden Hölzenbein mit der Hand aus dem Tor. Aus ungefähr fünf Metern Entfernung, knapp hinter der Grundlinie stehend, beobachtet Schiedsrichter Roth den eindeutigen Regelverstoß, der bis in die hinterste Ecke des Stadions gut sichtbar gewesen ist. Doch Schiedsrichter Roth hat das Handspiel nicht bemerkt, der von allen erwartete Elfmeterpfiff bleibt aus. Der Frankfurter Anhang tobt, die Spieler auf beiden Seiten können es nicht fassen, wobei das natürlich den Akteuren der Eintracht weitaus deutlicher anzumerken ist. Doch alle Proteste bleiben erfolglos und Reichel bleibt nach Bonhofs Handspiel durch Roth ein zweites Mal die Krönung seiner großen Leistung verwehrt.

Die Eintracht lässt sich von dieser haarsträubenden Fehlentscheidung nicht unterkriegen und rafft sich in den verbleibenden 16 Minuten noch einmal zu einer bemerkenswerten kämpferischen Leistung auf. Sie stürmt mit offenem Visier, um das Siegestor vielleicht doch noch zu erzielen, und ist dabei immerzu der Gefahr der Gladbacher Konter ausgesetzt, die Wienhold glücklicherweise als letzte Bastion abzuwehren weiß. Für Weises Elf ergibt sich nur noch eine, allerdings recht große Tormöglichkeit. Nickel zieht in der 85. Minute knallhart von der Strafraumgrenze ab, doch Wittkamp ist auf der Linie mit dem Kopf zur Stelle und wehrt den Ball ab. Es bleibt beim Unentschieden.

Wienholds gute Gesamtleistung ist auch dem "kicker" positiv aufgefallen, der den Torwart bereits zum zweiten Mal in dieser Saison in "die Elf des Tages" beruft. Die Eintracht kann den 5. Tabellenplatz festigen, den Gladbachern kostet das Remis aber den Spitzenplatz, sie rutschen auf Rang 3 ab. "Im Grunde genommen ist es ein gerechtes Ergebnis" findet Udo Lattek: "Für die Zuschauer wäre es besser gewesen, es hatte vielleicht 5:5 geheißen, denn das wäre durchaus möglich gewesen. Über weite Strecken haben wir ein hochklassiges Spiel gesehen. Erst in der zweiten Halbzeit, als beide Mannschaften mehr kämpften, ging die Linie verloren. Wenn einer unterlegen wäre, dann wäre das unverdient gewesen." "Man hat wieder einmal gesehen, wie schwer es ist, gegen Grabowski und Hölzenbein zu spielen. Aber Bonhof und Vogts haben ihre Aufgaben gut gelöst", fährt er fort, um sich dann selbst zu loben: "Ich bin froh, dass ich Klinkhammer eingesetzt habe. Die Entscheidung fiel erst in letzter Minute und Klinkhammer hat es mit seinem Tor belohnt."

"Es war stellenweise ein sehr starkes und spannendes Spiel", meint auch Dietrich Weise: "Die Nervosität war meiner Mannschaft anzumerken in vielen Missverständnissen und Abspielfehlern. Das wurde bald abgelöst vom Tempofußball." "Wir hätten gerne gewonnnen, aber wir müssen uns auch mit dem 1:1 zufrieden geben", ist Weise um die Balance zwischen öffentlicher Erwartungshaltung und Realität bemüht: "Dieses Spiel hat es gezeigt, dass die Leistungsdichte sehr viel größer geworden ist als in den ersten Jahren. Es gibt in der Bundesliga mittlerweile viele sehr gute Mannschaften, aber keine mehr, die die anderen wirklich überragt. Auch Mönchengladbach nicht mehr und auch Frankfurt nicht." "Unsere Konter sind nicht mehr oder noch nicht wieder so zwingend. Jedoch nicht, weil wir schlechter geworden sind, sondern weil einige andere Mannschaften gelernt haben, sich auf unsere Spielweise einzustellen", pflichtet Heynckes Weise bei und Lattek analysiert: "Einen Schritt nach vorn in fußballerisches Neuland zu machen ist nun einmal schwerer als drei, vier Schritte zu tun, um aufzuschließen. Die anderen profitieren von den Erfahrungen der fußballerischen Pionierarbeit, die München und Mönchengladbach bisher jahrelang verrichtet haben."

"Das Handspiel von Bonhof haben wohl alle gesehen, nur der Schiedsrichter nicht. Aber meine Spieler nahmen ihn selbst in Schutz", berichtet Weise, dessen Schützlinge Herrn Roth eine Art "goldene Brücke" gebaut haben: "Er hat wahrscheinlich unglücklich gestanden. Der Pfosten war dazwischen. Er hat’s wohl nicht gesehen." Volker Roth indes geht in der Unfehlbarkeit eines Richters über keine Brücke, er beharrt auf der Richtigkeit seiner Entscheidung und ignoriert, was 45.000 Augenzeugen vor Ort und Millionen von Fernsehzuschauern wahrgenommen haben: "Ich habe genau gesehen, dass nicht Bonhof, sondern Torwart Kleff den Ball aus dem Tor schlug. Davon bin ich auch felsenfest überzeugt. Ich brauche kein Fernsehen, um meine Entscheidung noch einmal zu überprüfen. Ich bin sicher", beharrt Herr Roth und betont den Nachsatz: "Schließlich kann ich nicht gegen meine Überzeugung pfeifen." "Ich habe den Ball überhaupt nicht berührt", gibt dagegen Kleff zu: "Ich war in der Luft. Der Ball flog über mich hinweg. Ich konnte ihn nicht mehr erreichen. Was danach passiert ist, habe ich nicht gesehen. Ich möchte natürlich nicht beschwören, dass Bonhof ihn mit der Hand aus dem Tor geschlagen hat. Ich war es jedenfalls nicht." "Ich weiß es nicht", drückt sich Bonhof vor einer ehrlichen Antwort: "Bei solchen Szenen nehme ich zur Sicherheit immer die Hand mit hoch, aber ich glaube, ich habe den Ball mit dem Kopf getroffen." "Wenn es ein Handspiel eines unserer Feldspieler gewesen wäre, dann hätte der Schiedsrichter doch bestimmt gepfiffen", feixen Bonhof und Vogts außerdem unisono. "Kleff war geschlagen. Der Ball wurde immer länger. Da hat ihn Bonhof mit dem Hinterkopf oder sonst irgendwie ’rausgebracht", erklärt Klinkhammer, der hinter Hölzenbein stehend ebenfalls das Handspiel gesehen haben muss, diplomatisch und meint entschuldigend: "Es war sehr hektisch." Nur Gladbachs Trainer Lattek gibt zu: "Im Fernsehen sah ich, Rainer hatte doch wohl die Hand dran."


Hölzenbein und Roth

Dietrich Weise wundert sich – noch in Unkenntnis von Roths Stellungnahme - einstweilen nur über etwas anderes: "Der Linienrichter auf der Seite der Haupttribüne hatte das Handspiel gesehen und die rote Fahne gehisst. Aber der Schiedsrichter befragte nur den Linienrichter auf der anderen Seite, und der hatte auch nichts gesehen. Ich habe Willi Neuberger sofort zugerufen, er soll zum Schiedsrichter gehen und ihn auf den Linienrichter auf unserer Seite aufmerksam machen, doch mein Zuruf wurde nicht verstanden. Wir hatten viel Pech." Doch auch hier erleben Weise und seine Spieler eine Überraschung: Dieter Rögner, der besagte Linienrichter, streitet nach dem Spiel ab, die Fahne überhaupt gehoben zu haben: "Ich habe nicht gewunken." "Dass der hinterher kneift, finde ich feige", lautet Weises Reaktion, während Roth angibt, seinen anderen Kollegen nur wegen "eines Aus" befragt zu haben. Das Trio ist sich nach dem Duschen in seinen Aussagen einig. "Wir haben uns abgestimmt", sagt Roth in den Kabinengängen.

"Eine Schiedsrichter-Entscheidung kann so schwerwiegend sein, dass man in solch einem Fall auch das letzte Mittel ausschöpfen und die beteiligten Spieler direkt befragen sollte. Das wäre das Einfachste." Grabowski appelliert an die Fairness seiner Mitspieler: "Es gibt unter uns Fußballern auch viele ehrliche Kerle, die so etwas zugeben würden." "Wir können nur hoffen, irgendwann in Zukunft auch durch den Schiedsrichter begünstigt zu werden", schließt Dietrich Weise dieses so unerfreuliche wie unglaubliche Kapitel.

"Genau in dieser Hoffnung jedoch liegt die Gefahr, der Kern des Frankfurter Handspiel-Skandals: Der Betrogene erwartet die Reparatur des Schadens durch neuen Betrug", schreibt der renommierte Sportjournalist und Buchautor Ulfert Schröder in seinem Kommentar. "Wo hört die Bereitschaft auf, einem Menschen Fehlerhaftigkeit zuzugestehen?", fragt Schröder und gibt zu bedenken: "Ein Schrankenwärter, der vergisst, im richtigen Augenblick den richtigen Knopf zu drücken, darf für den Rest seines Lebens höchstens Fahrkarten knipsen, aber Herr Roth darf, so lehrt es die Erfahrung, weiter pfeifen. Skandale wie der in Frankfurt gehören auch zu den Ursachen der Brutalität in den Stadien. In Frankfurt haben die Leute nur gebrüllt und gepfiffen. Roth kann sich glücklich schätzen, sein Black-out nicht anderswo gehabt zu haben."

Für die Einstimmung auf das Europapokalspiel gegen Wacker Innsbruck war das 1:1 von wesentlicher psychologischer Bedeutung, meint Lattek: "Wenn wir verloren hätten, wäre die Moral ziemlich kaputt gewesen und in zwei, drei Tagen kaum zu reparieren." Weise will gegen den FC Coleraine Neuberger wieder als Libero aufstellen, der seine Sache auf dieser Position recht ordentlich gemacht habe: "Damit tue ich auch Krobbach einen Gefallen." Krobbach soll entweder Vorstopper oder Verteidiger spielen. "Im direkten Zweikampf liegt Krobbachs Stärke", lautet Weise Urteil: "Krobbach hat sich mit dem heutigen Spiel gefangen. Ich hoffe es wenigstens."

In der Tat gibt es für Weise keinen Anlass, die neu formierte Abwehr umzustellen. Auch Reichel, der aus taktischen Gründen mit Neubergers Übernahme der linken Verteidigerposition rechts überwiegend mit defensiven Aufgaben betraut wurde, weil Weise nicht mit zwei stürmenden Außenverteidigern operieren mochte, hat gegen Gladbach seine Offensivqualitäten wiederentdeckt. Für Weise ist das keine Überraschung: "Der Peter ist einer meiner vielseitigsten Spieler, mit dem ich in der Abwehr alles machen kann. In seinem Kopfballspiel hat er sich stark verbessert. Und mit seinem kalkulierten Mut zum Risiko, seinem Schneid und seiner Kampfbereitschaft kommt er auch bei unserem Publikum gut an. Normalerweise müsste ich jetzt fordern: ,Der Peter Reichel gehört in die Nationalmannschaft!' Doch so schnell schießen die Preußen nicht", meint Weise augenzwinkernd in die Richtung besonders voreiliger Kollegen und Journalisten. (rs)


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