Eintracht Frankfurt - Viktoria
Köln |
DFB-Pokal 1975/1976 - 1. Hauptrunde
6:0 (2:0)
Termin: 01.08.1975
Zuschauer: 9.000
Schiedsrichter: Gert Meuser (Ingelheim)
Tore: 1:0 Bernd Hölzenbein (18.), 2:0 Karl-Heinz Körbel (34., Elfmeter), 3:0 Jürgen Grabowski (64., Elfmeter), 4:0 Bernd Lorenz (74.), 5:0 Bernd Hölzenbein (88.), 6:0 Jürgen Grabowski (89.)
Eintracht Frankfurt | Viktoria Köln |
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Straßenstars und Pokalträume Arbeitslosigkeit ist auch für Fußballprofis ein Thema. Neben Budde (bisher Schalke 04), Heinze (bisher VfB Stuttgart) und Miss (bisher Wuppertaler SV) haben auch die ehemaligen Eintrachtspieler Trinklein, Rohrbach und Andree noch keinen neuen Arbeitgeber gefunden. Fußballstars, die auf der Straße stehen, sind ein eher ungewohntes Bild. Auf den Arbeitsämtern, in deren Listen der Berufsfußballer bislang nicht aufgetaucht ist, stellen nun die Sachbearbeiter fest, dass auch der vertragslose Lizenzspieler Anrecht auf Arbeitslosenunterstützung hat. Angesichts der ursprünglich für die sechs Spieler insgesamt geforderten Ablösesummen in Höhe von 1,5 Millionen Mark fragt der "kicker", ob die "Vereine nicht Gefahr laufen, dieses Kapital gänzlich zu verlieren, wenn ihr Mann, denn bis zur Zahlung der Ablösesumme gehört er dem alten Klub, nicht an den Mann gebracht wird"? "Selbst wenn Trinklein, Rohrbach und Andree bis zum 31. Dezember keinen neuen Verein finden sollten, wirft das die Eintracht nicht um", antwortet Eintrachttrainer Weise und fügt hinzu: "In Griechenland und in der Türkei beginnt die Saison erst im September." Obwohl die Eintracht auch sonst kein Geld zu verschenken hat, kommt sie den Zuschauern beim Pokalspiel gegen die Amateure von Viktoria Köln preislich entgegen, um mehr Zuschauer ins Stadion zu locken. So kostet zum Beispiel ein gedeckter Sitzplatz auf der Gegentribüne nur 9 und auf der Haupttribüne nur 16 DM. Und auch die Stehplätze werden heute billiger verkauft: statt für 7 sind sie dieses Mal für 6 DM zu haben. Am Ende verlieren sich dann dennoch nur 9.000 Zuschauer zum Pflichtspielauftakt der neuen Saison im Frankfurter Waldstadion, das über sechs Mal so viel Fans fassen könnte. "Auf eigenem Platz gegen die Amateure aus Köln ist sicherlich ein leichterer Start als im vergangenen Jahr bei Arminia Bielefeld", versucht Trainer Weise erst gar nicht, seine Elf krampfhaft aus der Favoritenstellung herauszureden: "Und außerdem scheinen wir ja spezialisiert auf Westklubs zu sein." In der Tat: Nachdem die Eintracht im Pokal gegen sieben Vereine aus dem Westen in sieben Spielen ungeschlagen blieb, steht mit Viktoria Köln der nächste Westvertreter im Pokal auf der Matte. So schreibt eine Zeitung auch in Anbetracht der regionalen Herkunft des Gegners: "Eintracht Frankfurt steht wieder vor dem West-Wall!" Gästetrainer Habig, der zuvor auch schon Fortuna Köln gecoacht hat und als Spieler für den 1. FC Köln in der Oberliga und für die Viktoria in der Regionalliga West dem Ball nachjagte, gibt sich allerdings entweder keinen Illusionen hin oder er stapelt bewusst tief: "Wir Amateure haben hier keine Chancen. Ich habe sechs neue Spieler auf der Bank, die ich noch nicht einsetzen kann, weil sie gesperrt sind. Ich habe zurzeit nur 12 spielberechtigte Spieler. Wir wären Träumer, wenn wir uns nur die geringsten Hoffnungen machen würden." Dennoch weiß sein Kollege Dietrich Weise ganz genau, dass es in der vergangenen Saison "gerade die Kölner Viktoria war, die mit ihrem Sieg in Braunschweig bewiesen hat, dass auch Amateure im Pokal einen Bundesligisten aus allen Träumen reißen können". Das ist richtig. Nachdem die Viktoria in der letzten Saison in der Auftaktrunde den Zweitligisten Stuttgarter Kickers mit 4:0 glatt aus dem Pokal gekegelt hatte, wurde die hessische Usinger TSG in der nächsten Runde sogar mit 6:1 geputzt, wobei alle Tore erst in der Verlängerung fielen. Das von Weise erwähnte Meisterstück lieferten die Kölner dann bei Eintracht Braunschweig ab, wo die Viktoria mit 2:1 siegreich blieb. Endstation war erst im Achtelfinale gegen Borussia Dortmund, doch die Borussen benötigten nach einem torlosen Unentschieden bei den Amateuren das Wiederholungsspiel vor heimischer Kulisse, wo sich die Viktoria nach einem frühen Gegentreffer in der 4. Minute am Ende mit 3:0 geschlagen gegeben musste. Die Viktoria ist auch sonst ein interessanter Verein, obwohl man in der Domstadt im Fußball nur die dritte Geige hinter dem FC und der Fortuna spielt. Der Präsident der Fortuna, die ja vor einem Jahr nach nur einer Runde wieder aus der 1. Liga absteigen musste, ist bekanntlich Hans "Jean" Löring. Und eben jener Löring spielte vor Einführung der 1. Bundesliga unter dem späteren Gladbacher Meistertrainer Weisweiler an der Seite von Habig, Carl-Heinz Rühl, Gero Bisanz und Horst Nussbaum, den heute die meisten als erfolgreichen Musikproduzenten Jack White kennen dürften, für die Viktoria in der Oberliga. In der 1963 eingeführten Regionalliga West verfehlte Weisweilers Elf, in der neben Jürgen Sundermann und dem aktuellen Coach des MSV Duisburg, Willibert Kremer, auch der ehemalige Eintrachttrainer Erich Ribbeck stand, den Aufstieg in die Erstklassigkeit. Dieser gelang Weisweiler, der 1958 vom 1. FC Köln zur Viktoria gekommen war, übrigens mit Borussia Mönchengladbach ein Jahr später auf Anhieb. Während Weisweiler seit dieser Saison beim ruhmreichen CF Barcelona als Trainer fungiert, kämpft die Viktoria, die in der letzten Saison der Regionalliga West als Tabellenletzter absteigen musste, in der Verbandsliga Mittelrhein, in der man die letzte Runde mit einem 5. Platz abschloss, um die Verwirklichung ihres neuen Traumes – den Wiederaufstieg in die Zweitklassigkeit, der neu eingeführten 2. Liga Nord. Die Eintracht wird die Kölner dennoch nicht unterschätzen und so lässt Dietrich Weise auch seine vermeintlich stärkste Formation auflaufen. Im Tor steht wieder Wienhold, Reichel, der nach seiner Mandeloperation das Training wieder aufgenommen hat, löst Müller als rechten Verteidiger ab, auf Rechtsaußen stürmt Wenzel anstelle von Lorenz, und auch der andere Neuzugang, Krobbach, ist wie erwartet mit von der Partie: "Er ist zurzeit unser bester Mann als Libero", ist Weises Erkenntnis aus der Vorbereitungszeit. Die Kölner versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen und beschränken sich vom Anpfiff an ausschließlich auf die Defensive. Auch wenn es ihnen an diesem Freitagabend gewiss nicht am Ehrgeiz fehlt, beim Bundesligisten erfolgreich zu sein und sich nach Kräften zu wehren, der eine Stürmer, der an der Mittellinie auf sich allein gestellt auf einen verwertbaren Ball hofft, könnte dort ebenso erfolgversprechend auf einen plötzlichen Wintereinbruch hoffen.
Die Führung der Eintracht ist also nur eine Frage der Zeit und die Zeit ist bereits nach 18 Minuten gekommen. Bernd Hölzenbein bleibt es vorbehalten, das erste Pflichtspieltor der Eintracht in der neuen Saison zu erzielen. Dabei bleibt es vorerst, denn die Kölner haben in Holubeck einen Keeper, der der überbordenden Spiellaune der Profis sein ganzes Können entgegen setzt, das ihn zudem als Meister seines Fachs ausweist. Für seine tollen Paraden erhält er vom Publikum immer wieder Szenenapplaus. Nur in der 34. Minute ist er machtlos, als Schiedsrichter Meuser nach einem Foul des überforderten Grabowski-Bewachers Rönsch auf Strafstoß entscheidet, den Körbel sicher zum 2:0 verwandelt. Holubeck hat sich aus Torwartsicht die linke Ecke ausgesucht, Körbel sich jedoch für die andere entschieden. Angesichts der eigenen Führung bei unverändert defensiver Ausrichtung des Gegners kann Trainer Weise zur zweiten Halbzeit seine Elf noch eine Spur stürmischer aufstellen, in dem er für Mittelfeldspieler Beverungen den Stürmer Lorenz bringt. Wenige Minuten nach der Halbzeitpause ist es aber überraschenderweise der Gast, der zu einer Torchance kommt und Wienhold zum ersten Mal die Gelegenheit gibt, sich auszuzeichnen. Mittelstürmer Matt steht nach einer Steilvorlage dem Schlussmann gegenüber, doch er kommt an Wienhold nicht vorbei. Weitaus mehr Gelegenheit, sich zu zeigen, hat Außenverteidiger Reichel, der sich stürmend in das Angriffsspiel der eigenen Mannschaft einschaltet. Nach etwas mehr als einer Stunde ist sein Arbeitstag nach überzeugendem Leistungsnachweis aber vorzeitig beendet, denn Weise gibt nun Reichels Konkurrent Müller das Signal, dicht an der ersten Elf zu sein, in dem er ihn für Reichel einwechselt. Eine gute Entscheidung: Reichel hat zwar die Nase vorn, doch Müller steht ihm an Klasse nicht nach. Erfreulicherweise scheint Weise, in der Vorbereitung auch die Trainingsschwerpunkte richtig gelegt zu haben: Im ersten Pflichtspiel zeigen die Frankfurter eine Spritzigkeit, die am letzten Wochenende in der Begegnung mit den Offenbacher Kickers doch meist vermisst wurde. Den Amateuren aus der Verbandsliga kann das natürlich gar nicht recht sein, denn in diesem Wettrennen müssen sie sich vorkommen wie ein Igel gegenüber einem Hasen. So weiß sich Rönsch eine Minute nach Müllers Einwechslung gegen Grabowski im Strafraum ein zweites Mal nicht anders als mit einem Regelverstoß zu helfen. Den fälligen Foulelfmeter verwandelt dieses Mal der Gefoulte selbst und es steht 3:0.
Neben Grabowski präsentiert sich auch Hölzenbein in wirklich großartiger Spiellaune, vor der Pause am linken Flügel und im zweiten Durchgang, in dem der eingewechselte Lorenz Linksaußen spielt, im Mittelfeld. Die beiden Weltmeister werden vielleicht noch von Nickel überragt, der mit präzisen Pässen und Gewaltschüssen glänzt. Die wuchtigen Geschosse Nickels sind eine Gefahr für die Kölner Feldspieler, nur den ausgezeichneten Horst Holubeck kann "Dr. Hammer" nicht überwinden. Ohne den Amateur-Nationaltorwart müsste die Viktoria fürchten, am Main zweistellig unterzugehen. Doch für den Schlussmann im orangefarbenen Sweater ist an diesem Abend kein Schuss zu scharf oder zu platziert. Erst eine gute Viertelstunde vor Spielende gelingt Lorenz der vierte Treffer. Gegen den Schuss des kräftigen Stürmers, der direkt vor ihm zum Abschluss kommt, hat Holubeck keine Abwehrmöglichkeit.
In der Schlussphase lassen dann die Kräfte und die Gegenwehr der Amateure deutlich nach. Die Eintracht, bei der Libero Krobbach die gewohnt und erwartet solide Leistung abliefert, während Wenzel im Sturm mit Antrittsschnelligkeit und Schussstärke überzeugt, drängt auf die nächsten Tore. Zwei Minuten vor dem Abpfiff ist der mehr und mehr auf sich allein gestellte Holubeck dann zum fünften Mal geschlagen. Hölzenbeins Treffer lässt Grabowski keine sechzig Sekunden später noch einen weiteren folgen und macht so das halbe Dutzend voll. Elegant lupft er den Ball im Fünfmeterraum aus spitzem Winkel über Holubeck, der sich ihm ein letztes Mal entgegen wirft – diesmal ohne Erfolg. 6:0 – die erste Hürde hat die Eintracht im vollen Lauf genommen. Der Aufsteiger Karlsruher SC kann zum Bundesligaauftakt kommen. Die Elf von Trainer Weise scheint gerüstet. (rs)
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