Eine Nummer größer
Ein
Trainingslager für Erstligaprofis ist harte Arbeit, schweißtreibend
und so kräfteraubend, dass die Spieler am Abend nur noch eines tun:
erschöpft in ihre Betten fallen. Kaum einer käme wohl auf den
Gedanken, diese anstrengende Vorbereitungszeit mit Urlaub zu verwechseln,
doch genau das ist diese Woche im Bayrischen Wald für Gerd Simons
gewesen. Simons, der vor drei Jahren von Kickers Offenbach zur Eintracht
wechselte und seit einigen Wochen als DFB-Amateur geführt wird, musste
bei seinem Arbeitgeber eine Woche Urlaub nehmen, um in Grafenau dabei
sein zu können und den erhofften Sprung in den Lizenzspielerkader
zu schaffen. "Ich will Profi werden und beim viel härteren Bundesligatraining
kann ich meine Leistung am ehesten steigern", lautet die deutliche
Ansage des 23-jährigen Abwehrspielers, der allerdings froh ist, dass
er regelmäßig bei den Amateuren der Eintracht im Einsatz sein
kann: "Denn immer nur bei den Lizenzspielern einige Minuten zu spielen,
befriedigt auf die Dauer nicht."
Simons
schöpft Mut und Zuversicht aus den Beispielen von Helmut Müller
und Wolfgang Kraus. Beide haben den Sprung vom Amateurlager zu den Profis
geschafft und sich sogar als Stammspieler etablieren können. Zwischenzeitlich
wurden die beiden zwar durch Verletzungen zurückgeworfen und müssen
– was bei Kraus noch etwas dauern wird – wieder aus der zweiten
Reihe angreifen, aber beide haben nichtsdestotrotz bewiesen, was mit etwas
Glück und viel Fleiß möglich ist. Diese Chance will auch
Simons suchen und, wenn sie sich bietet, entschlossen nutzen. Wo Müller
als Rechtsverteidiger mit Reichel allerdings bereits ein starker Konkurrent
im Weg steht, hat Simons als Vorstopper mit Karl-Heinz Körbel ein
nahezu unüberwindliches Hindernis vor sich. "Vorstopper ist
zwar mein Stammposten", will sich Simons deshalb auch nicht auf eine
Position festlegen lassen und flexibel sein, "aber auch Außenverteidiger
wäre keine große Umstellung. Die Entscheidung liegt ganz allein
beim Trainer."
Entscheiden
muss sich Trainer Weise auch zwischen Bernd Lorenz, der in der letzten
Spielzeit in nur 16 Bundesligapartien immerhin 10 Treffer erzielen konnte
sowie im DFB-Pokal zwei Mal erfolgreich war, und Rüdiger Wenzel.
Wenzel, der nach nur einer Saison in der 2. Liga vom FC St. Pauli an den
Riederwald gefunden hat, ist mit seinen bisherigen Leistungen in den Testspielen
aber ganz und gar nicht zufrieden: "Ich kann mir auch nicht erklären,
warum es noch nicht richtig läuft. Das harte Training allein ist
aber sicher nicht der einzige Grund, denn selbst die einfachsten Sachen
gehen schief." "Ich weiß doch, dass ich viel mehr kann",
macht er sich selbst Mut, "und irgendwann muss der Knoten doch platzen."
Probleme bereitet dem jungen Mann von 22 Lenzen vor allen Dingen die Umstellung
auf die Trainingsanforderungen bei einem Erstligisten: "Die Vorbereitung
ist viel intensiver und alles in allem eine Nummer größer als
bei St. Pauli", zieht Wenzel einen Vergleich.
Die Stärke des Stürmers, der vor etwas mehr
als einem Jahr noch als Amateur beim VFB Lübeck spielte, liegt in
seinem direkten Zug zum Tor. So kam er in der letzten Saison für
den FC St. Pauli auch auf beachtliche 24 Treffer. Doch gerade im Strafraum
will es in den Testspielen nicht recht klappen: "Ich konnte mich
bisher noch selten gegen meinen Gegenspieler durchsetzen und habe einige
klare Torgelegenheiten ausgelassen. Das muss einfach besser werden",
sagt er selbstkritisch. Sportjournalist "Peppi" Schmitt, der
den Norddeutschen als "sympathisch" beschreibt, vermutet indes
weniger ein körperliches als ein psychologisches Problem: "Vielleicht
fehlt Rüdiger Wenzel einfach nur mal ein Tor …"
Das
gelingt Wenzel beim letzten Test der Frankfurter Eintracht vor dem Pokalspiel
gegen Viktoria Köln vor 6.000 Zuschauern beim Hessenligisten VfB
Gießen. Wenzel trifft in der 71. Minute zum 4:2-Endstand, nachdem
Döring die Amateure gegen eine unaufmerksame und nachlassende Eintracht
in der 60. und 68. Minute auf 3:2 herangebracht hat. Die klare 3:0-Führung,
die Körbel in der 41. Minute, Grabowski quasi mit dem Pausenpfiff
und Hölzenbein direkt nach Wiederanpfiff zum zweiten Durchgang erzielt
hatten, ist zwar verspielt, am Ende reicht es aber eben auch dank Wenzels
Treffer für den wackeren Hessenpokalsieger der Jahre 1964 und 1972
doch nicht für die ganz große Überraschung. Während
der Verein für Bewegungsspiele immerhin einen schönen Achtungserfolg
verbuchen kann, darf sich Eintracht-Trainer Weise darüber freuen,
dass Wenzel eine aufsteigende Tendenz zeigt und er auch wieder mit Peter
Reichel rechnen kann. Reichel zeigte in den ersten 45 Minuten eine solide
Partie und untermauerte seine Ansprüche auf die Position des rechten
Außenverteidigers. Eine überzeugende Leistung darf erneut Neuberger
attestiert werden, der in Offensive und Defensive gleich stark spielt.
Positiv aufgefallen ist ebenfalls wieder die Offensivstärke von Peter
Krobbach, der bei einem Pfostenschuss ebenso wie Weidle viel Pech hatte.
Für das Pokalspiel gegen Viktoria Köln ist Neuzugang Krobbach
als Libero gesetzt, während Wenzel nicht nur wegen seines Treffers
weiter auf einen Einsatz von Beginn an hoffen darf. (rs)
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