Eintracht Frankfurt - Schalke
04 |
Bundesliga 1974/1975 - 33. Spieltag
2:1 (0:1)
Termin: Sa 07.06.1975, 15:30 Uhr
Zuschauer: 18.000
Schiedsrichter: Peter Gabor (Berlin)
Tore: 0:1 Klaus Fischer (20.), 1:1 Klaus Beverungen (54.), 2:1 Jürgen Grabowski (69.)
Eintracht Frankfurt | Schalke 04 |
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Beves Stachel sitzt Es ist seltsam. Da steht die Eintracht zum zweiten Mal infolge im Finale des DFB-Pokals, ist Tabellendritter, hat in der Bundesliga drei Siege hintereinander verbuchen können und dabei zehn Tore erzielt und doch wird Kritik an Mannschaft und Trainer laut. Die Vorwürfe sind der Tatsache geschuldet, dass es die Eintracht weder bei den Niederlagen in Offenbach und gegen die Hertha, noch bei den Siegen gegen Köln und Wuppertal verstanden hat, ihr Spiel bis zur Schlussphase auf dem hohen Anfangsniveau zu halten. Ob das heute gegen Schalke 04 anders sein wird? Die Schalke haben in 11 Bundesligagastspielen noch nie in Frankfurt gewinnen können, nur im Pokal ist ihnen das einmal gelungen. In der Liga stehen jedoch nur zwei Unentschieden auf dem Schalker Habenkonto, die letzten sechs Gastspiele in Frankfurt gingen allesamt verloren. Zudem haben die Schalker am letzten Spieltag durch die Heimniederlage gegen den neuen Deutschen Meister Borussia Mönchengladbach eine günstigere Ausgangsposition im Kampf um den 5. Platz verspielt. Zwar ist der Abstand mit einem Zähler gleich geblieben, der neue Fünftplatzierte, der 1. FC Köln, hat jedoch gegenüber den Schalkern das deutlich bessere Torverhältnis. Mit anderen Worten: Die Knappen müssen heute im Waldstadion punkten, wenn sie in der nächsten Saison im UEFA-Cup mitspielen wollen. Daran ist natürlich auch der Mann interessiert, der die Gelsenkirchener in der nächsten Spielzeit trainieren wird: Max Merkel. Ungewöhnlich genug, aber doch passend zum Ruf Schalkes und Merkels ist die Episode, die sich am Abend vor dem Spiel zuträgt. Ede Lichtenberg, der einflussreiche Mannschaftsbetreuer der Knappen, der mit dem Präsidium die Personalie Merkel bis zu diesem Tag unter Verschluss gehalten hat, bittet den bekannten Trainer in das Frankfurter Parkhotel, damit der sich der Mannschaft vorstellt. Während nun der aktuelle Schalker Trainer, Ivica Horvat, nach der Begrüßung mit Merkel vor der Tür des Besprechungszimmers bleibt, gibt drinnen sein designierter Nachfolger der Mannschaft vor dem wichtigen Spiel gegen die Eintracht etwas mit auf den Weg: Der Sommerurlaub wird um vier Tage gekürzt, Schalke wird nicht wie geplant am 18., sondern bereits am 14. Juli ins Trainingslager fahren. Reaktionen der Spieler auf die Motivationskünste ihres nächsten Trainers sind nicht überliefert, dafür jedoch die Begründung des Übungsleiters für seine unpopuläre Maßnahme: „Ich will mir so früh wie möglich ein genaues Bild über die konditionelle Verfassung jedes einzelnen Spielers machen. Ich bin gekommen, um mit Schalke Meister zu werden.“ Später – so berichtet Wolfgang Tobien im „Kicker“ – sollen Lichterfeld und der „Meistertrainer“ in der Frankfurter Wohnung eines adligen Merkel-Freundes zu mitternächtlicher Stunde schon mal die Marschroute zur nächsten Meisterschaft abgesteckt haben. Dem Anlass und den beiden Hauptdarstellern angemessen geschieht dies feucht-fröhlich bei Pilsner Urquell und Wachauer Heurigen sowie in passender Garderobe: der Mannschaftsbetreuer im blauen Trainingsanzug mit weißen Streifen und der Trainer im weiß-blauen Seidenhemd und himmelblauen Kaschmirpullover. Während Lichterfeld und Merkel auf einer blau-weißen Zukunftswolke schweben, muss sich der scheidende Schalker Trainer Horvat um die Gegenwart kümmern. Und die bereitet ihm mit einem Blick auf die noch zur Verfügung stehenden Spieler nicht eben geringe Sorgen: „Das ist unser letztes Aufgebot. Gestern bekam van den Berg eine Spritze: Er hat Drüsenschwellungen am Hals, so etwas Ähnliches wie Mumps.“ Doch auch sein Frankfurter Kollege Weise kann nicht seine stärkste Elf aufbieten. Kraus fällt durch seinen Knöchelbruch für längere Zeit aus und nun ist auch Hölzenbein angeschlagen. Weise bietet dafür Rohrbach auf, der vor einigen Wochen seinen Stammplatz an Bernd Lorenz verloren hat. Mit den heute sommerlichen Temperaturen kämpfen aufseiten der Eintracht damit folgende Spieler: Wienhold - Reichel, Trinklein, Körbel, Neuberger - Beverungen, Weidle, Nickel - Lorenz, Grabowski und Rohrbach. Beverungen stöhnt vor dem Anpfiff von Schiedsrichter Peter Gabor aus Berlin: „Oh, diese Hitze, wer kann denn hier Fußball spielen?“ Die Frage, wer hier spielt, ist ja bereits mit den Aufstellungen beantwortet, und die Frage, wie gespielt wird, auch schon nach wenigen Minuten. Die Eintracht zeigt für ihren Teil einen Kick, der mit der furiosen Anfangsphase gegen Köln rein gar nichts zu tun hat, dafür jedoch als lupenreiner Sommerfußball durchgeht. Der Eintracht reicht ein Punkt aus dieser Partie, um sich endgültig für den UEFA-Cup zu qualifizieren, und das merkt man dem Spiel der Mannschaft auch an. Die Gäste sprühen ebenfalls nicht vor Kreativität und brennen auch kein Feuerwerk überlegener Spielkunst ab, haben jedoch deutlich erkennbar den energischeren Zug zum gegnerischen Tor. Das erreichen die Frankfurter zwar auch mit einiger Mühe und Not, doch dort spielen sie sich entweder fest oder beschäftigen Nigbur mit dem Abfangen ebenso hoher wie harmlos in den Strafraum geschlagener Flankenbälle. Aufseiten der Schalker sorgen Scheer im Mittelfeld sowie der offensive Außenverteidiger Sobieray für gefällige, wenn auch vorerst nicht zwingende Aktionen. Körbel hat unterdessen große Probleme mit dem kopfballstarken und wendigen Fischer. Es kann nicht beruhigen, dass Fischer mit bislang 15 Saisontoren nicht ganz die Quote erreicht hat, die ihn in den Spielzeiten vor und nach seiner Sperre auf jeweils über 20 Treffer kommen ließ, und dass der Mittelstürmer für Schalke gegen die Eintracht bislang nur im heimischen Stadion getroffen hat. Fischer kann nämlich durchaus im Waldstadion zuschlagen, wie er am 1.11.1969 bewiesen hat, als er – noch in Diensten von 1860 München – alle gegnerischen Tore beim 4:3-Sieg der Eintracht erzielte. Wer abergläubisch ist, wird bei dieser Erinnerung dreimal auf Holz klopfen, doch da ist es schon passiert. Sobieray gelingt nach 20 Minuten einer seiner druckvollen Flankenläufe und eine präzise Flanke, die es Fischer ermöglicht, den Ball wuchtig am machtlosen Wienhold vorbei ins Tor zu köpfen. Schalke führt nicht nur, sondern bestimmt nun auch die Partie. Das Publikum wartet auf eine schnelle Reaktion der Eintracht, doch die lässt auf sich warten. Erst kurz vor der Pause kommt die Eintracht auf. Nach drei aus Sicht der Eintrachtspieler ausgebliebenen Elfmeterpfiffen von Schiedsrichter Gabor richten sie ihren Zorn auf den Unparteiischen. Ob berechtigt oder nicht, sei dahin gestellt, die Adlerträger hätten jedoch allen Grund, angesichts der vertrödelten ersten Hälfte mit sich selbst ebenfalls hart ins Gericht zu gehen. Die Zuschauer bleiben in der Halbzeit ratlos zurück. Hat Weise heute Doubles aufs Feld geschickt, um seine Stars für das Pokalfinale zu schonen? Die Antwort geben die Spieler im zweiten Durchgang: Die Eintracht spielt in unveränderter Aufstellung, doch die „Doubles“ sind in der Kabine geblieben. Während die Frankfurter in den letzten Spielen in der zweiten Halbzeit oft dem hohen Anfangstempo Tribut zollen mussten, legen sie nun einen höheren Gang ein, ohne Rücksicht auf die Temperaturen zu nehmen. Angetrieben von ihrem vorbildlichen Kapitän Grabowski scheint jeder beim Laufen eine höhere Übersetzung gewählt zu haben und in den Zweikämpfen einen Zahn bissiger zu Werke zu gehen. Grabis Initialzündung überträgt sich auf das Mittelfeld mit Beverungen, Nickel und Weidle, die - wie eine Welle Treibgut erfasst - das Frankfurter Spiel an sich reißen und nach vorne treiben.
Dem haben die Schalker nichts entgegenzusetzen, sie spielen zum Leidwesen ihres Trainer weiterhin nur „sympathisch schön“, wie Horvat machtlos feststellen muss. Horvats Wechsel mit Budde für Kremers sorgt nicht für die erhofften Impulse. Der Torschütze des 1:1-Ausgleichstreffers im Hinrundenspiel ersetzt den stürmischen Kremers-Zwilling, besser als Erwin ist er nicht. Auf der Gegenseite zeigt die Eintracht, wie es gemacht wird. Körbel zwingt mit seinen Vorstößen nun Fischer ihm hinterher zu rennen und Reichel nutzt den vom Mittelfeld erzeugten Druck ebenfalls für Ausflüge in des Gegners Hälfte. Nach 54. Minuten nimmt sich Reichel Sobierays Vorstoß aus dem ersten Durchgang zum Vorbild und liefert eine perfekte Kopie ab, die Klaus Beverungen im Strafraum der Schalker erreicht. Beve, der in dieser Saison von Schalke zur Eintracht wechselte, beweist, dass er nicht nur über einen gewaltigen Bumms in den Füßen verfügt, sondern auch ein ausgezeichneter Kopfballspieler ist. Nigbur ist noch nicht geschlagen, da jubelt Beverungen schon über den Ausgleich. Was er in diesem Moment noch nicht weiß: Ihm ist gerade das 1.000 Tor dieser Erstligaspielzeit gelungen. Die Eintracht spielt nun auf, als habe sie sich unsichtbarer Fesseln entledigt. Der größte aller Entfesselungskünstler in Reihen der Frankfurter aber ist Grabowski. Der Houdini unter den Fußball spielenden Magiern der Riederwälder hat zur Verblüffung seiner Gegenspieler immer noch einen Trick auf Lager, den die noch nicht zu kennen scheinen. Kurz nachdem Hölzenbein für Lorenz ins Spiel gekommen ist, nimmt der große Grabi ein Zuspiel von Weidle auf und bittet zum Finale. Dieses Solo soll seine Vorstellung krönen und das tut es auch. Während sich die Knappen überrumpelt fragen, worin der Trick besteht, der sie des Frankfurters nicht habhaft werden lässt, ist dieser halbrechts in den Strafraum eingedrungen. Mit gestrecktem rechten Bein fliegt Thiele heran, um Grabis Schuss im letzten Moment abzublocken, doch er kommt zu spät – der Weltmeister hat bereits mit dem rechten Fuß abgezogen und Nigbur ist zum zweiten Mal geschlagen.
Es sind noch etwas mehr als 20 Minuten zu spielen, der Vorsprung der Frankfurter ist knapp, doch Max Merkel hat genug – gesehen. Auf eine Reaktion seiner zukünftigen Schützlinge, die der Frankfurter Antwort auf die Schalker Führung ähneln könnte, hofft er offensichtlich nicht. Der sonst nicht um Sprüche verlegene Trainer verlässt die Haupttribüne des Waldstadions fast wortlos. „Kein Kommentar“, mehr ist ihm nicht zu entlocken. Unten am Spielfeldrand stemmt sich Ivica Horvat weiter gegen die drohende Niederlage: Vier Minuten nach Grabis Treffer bringt er Dubski für Lütkebohmert. Doch auch dieser Wechsel verpufft wirkungslos, an der Überlegenheit der Eintracht vermag nun keiner mehr zu rütteln, der Sieg ist ihr nicht mehr zu nehmen. Schalkes Trainer Horvat, der in Frankfurt als Trainer und Mitglied der Meistermannschaft von 1959 immer noch einen guten Namen hat, ist Sportsmann und erkennt den aufgrund der zweiten Halbzeit verdienten Frankfurter Sieg an. Besonders hat es ihm der Spielführer der Eintracht angetan. „Sehr stark in der Offensive und in der Abwehr, gute Vorlagen und glänzende Einzelaktionen“ lautet sein Urteil über Jürgen Grabowski, der vom „Kicker“ wie Franz Beckenbauer zum 11. Mal in dieser Saison in „die Elf des Tages“ berufen wird. Frankfurts Trainer Weise freut sich über den Erfolg, der die Eintracht auf den 2. Tabellenplatz bringt, ist mit seinen Gedanken aber schon vor dem letzten Bundesligaspiel in Braunschweig auch beim Pokalfinale: „Ein verdienter Sieg, aber hoffentlich ist Hölzenbein im Endspiel wieder ganz fit. Beverungens Treffer war für uns enorm wichtig. Ich bin froh, dass wir diesen vorletzten Test vor dem Pokalendspiel gut überstanden haben.“ Den Gelobten zieht es nach dem Schlusspfiff als Ersten unter die Dusche. „Ich bin fix und fertig. Die 26 Grad haben mich geschafft“, stöhnt Beve, der seine Genugtuung über seinen Treffer nicht verstecken mag: „Als ich vor zwei Jahren bei Schalke war, wurde ich nie richtig für voll genommen. Daher sitzt noch immer ein Stachel in mir“, bekennt er ehrlich. Dass er bereits jubelte, noch bevor der Ball im Netz zappelte, erklärt er so:. „Ich war sicher, dass er sitzt.“ „Ich hatte gleich das Gefühl, diesen Ball von Reichel erwischst du und sah dann, wie er an Nigburs Händen vorbei ins Netz flog. Statistisch ist das ja ein ganz besonderer Fall. Aber wichtiger für mich war es, dass das Tor den Ausgleich bedeutete“, strahlt Beve über seinen 14. Pflichtspieltreffer für die Eintracht, der gleichzeitig das 1000. Tor dieser Bundesligasaison darstellt. Beverungen bringt dieser Kopfball die Auswahl zwischen drei Preisen ein, die die „Bild“ für den Schützen des 1000. Tores vergibt, für die Eintracht bedeutet dieser Treffer bereits die Qualifikation für den UEFA-Cup. Für den MSV Duisburg, den Endspielgegner im DFB-Pokal, ist damit die europäische Bühne ebenfalls bereitet: Im Falle einer Finalniederlage tritt der MSV für die Eintracht im UEFA-Cup an. Eintracht-Trainer Dietrich Weise hat allen Grund zufrieden zu sein und gibt zur Feier des Tages in der Kabine eine Runde Sekt aus. Vorsorglich bittet Jürgen Grabowski die Pressevertreter den Umtrunk nicht falsch zu verstehen: „Wir wollen noch Zweiter und Pokalsieger werden. Für uns geht die Saison munter weiter.“ Grabowski, der Kapitän, der daneben den Kämpfer, Regisseur, Renner und nun auch noch den Torschützen vom Dienst gibt, ist nach seinem 13. Saisontreffer sichtlich und hörbar zufrieden: „Soviel Tore habe ich noch in keiner Spielzeit geschossen. Ich habe mich aber auch noch nie auf einem Posten so wohl gefühlt wie als zurückhängender Mittelstürmer“, erklärt Grabowski. Wohl fühlt sich auch Dietrich Weise. Die ihm gestellte Frage, ob es Absicht gewesen sein könnte, dass seine Mannschaft „diesmal gemäß den dramaturgischen Regeln die Höhepunkte ihrer Darbietungen in den zweiten Spielabschnitt verlegte - gewissermaßen als Demonstration gegen die Kritik und das Kopfschütteln, die ihr abruptes Nachlassen nach sechzig feurigen Minuten zuletzt ausgelöst hatte“ - wie Hartmut Scherzer notiert – beantwortet der Trainer so: „Das überlasse ich dem Urteil der Journalisten.“ Scherzer empfindet diese Äußerung Weises als "schnippisch". Vielleicht wirft der begabte Journalist damit aber auch eine Frage auf, die nicht gestellt wurde: Wie empfindlich ist sein Berufsstand? Jürgen Grabowski zeigt sich auskunftsfreudiger als
sein Trainer und weist die Vermutung des Journalisten erwartungsgemäß
zurück: ,,Vielmehr haben wir diesmal nicht auf Teufel komm raus begonnen,
weil uns ein Unentschieden für die Qualifikation zum UEFA-Cup genügte.“
Der Rückstand, der die Leistungssteigerung provozierte, war natürlich
nicht Teil des Plans: „Es war gar nicht so einfach, sich in dieser
Hitze dazu aufzuraffen, und hätten die Schalker eine ihrer Chancen
zum 2:0 genutzt, hätten wir's wahrscheinlich nicht mehr gepackt.“
(rs) |
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