Eintracht Frankfurt - Rot-Weiß Essen

DFB-Pokal 1974/1975 - Halbfinale

3:1 n.V. (1:1, 0:0)

Termin: 29.04.1975
Zuschauer: 22.000
Schiedsrichter: Hermann Schröder (Lahnstein)
Tore: 1:0 Klaus Beverungen (69.), 1:1 Manfred Burgsmüller (85.), 2:1 Klaus Beverungen (111.), 3:1 Bernd Lorenz (116.)

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Eintracht Frankfurt Rot Weiß Essen

 


  • Jürgen Rynio
  • Klaus Senger
  • Gerd Wieczorkowski
  • Eberhard Strauch
  • Hans Dörre
  • Günter Fürhoff
  • Werner Lorant
  • Hermann Erlhoff
  • Dieter Bast
  • Manfred Burgsmüller
  • Willi Lippens

 

Wechsel Wechsel
  • Hermann Lindner für Hans Dörre (76.)
Trainer Trainer
  • Diethelm Ferner

 

Beverungens Krönung

So sehr sich der Eintracht-Trainer Dietrich Weise bereits am spielfreien Wochenende schon klare Sicht auf die notwendigen Personalentscheidungen für das Pokalhalbfinale am Dienstag gegen Essen wünscht, so wird vor einigen wesentlichen Positionen bis Montagabend dennoch eine „Wand aus Milchglas“ stehen. Nur vage zeichnet sich die Angriffsbesetzung ab. Der Trainer muss erst einmal abwarten, „in welcher gesundheitlicher Verfassung Bernd Hölzenbein aus Sofia zurückkommt“. „Gleiches, wie für Hölzenbein, gilt für Karl-Heinz Körbel. Und da Trinklein und Reichel erst am Samstag wieder mit dem Training begonnen haben, werde ich erst kurz vor dem Spiel über ihren Einsatz entscheiden können“, stellt Weise klar, dass er seinen Abwehrverbund für die Partie gegen Essen erst am Spieltag festlegen wird.

In dieser Defensivreihe könnte somit Jürgen Kalb stehen. Acht Jahre ist Kalb nun bei der Eintracht, doch mit dem Ende der Saison wird auch seine Zeit am Riederwald enden. Obwohl er gegen den VfL Bochum eine makellose Partie als linker Verteidiger angeboten hat, steht er bei der Eintracht nur in der zweiten Reihe und zum Rundenende auf dem Abstellgleis. Wohin die Reise des dann vertragslosen Kalb gehen wird, steht noch nicht fest. „Irgendwo werde ich schon unterkommen“, sagt Kalb, der bestätigt, dass der FC Augsburg an ihm interessiert sei und es bereits Kontakte gegeben habe. Es gibt allerdings ein Hindernis: „Ich möchte ungern aus Frankfurt weg, aber im hiesigen Raum gibt’s ja nicht viel Möglichkeiten. Darmstadt, Mainz, vielleicht der FSV (Frankfurt), wenn er aufsteigt. Aber da ist das Problem, ob sie die Ablösesumme bezahlen können.“

Zwei andere Eintrachtler müssen sich um ihren Arbeitsplatz keine Gedanken machen und stehen mit der DFB-Auswahl in Sofia der Elf des bulgarischen Fußballverbandes in einem Qualifikationsspiel für die Endrunde der Europameisterschaft gegenüber. Drei Minuten, nachdem die Bulgaren durch einen Elfmeter von Kolev in der 71. Minute in Führung gegangen sind, wechselt Trainer Schön Karl-Heinz Körbel für Uli Hoeneß ein . Nur eine Minute später erzielt die deutsche Auswahl den Ausgleich und Körbel verweist augenzwinkernd auf seine Einwechslung: „Da kam der Umschwung.“

Den Strafstoß zum 1:1 hat der nach 34 Minuten für den verletzten Heynckes in die Partie gekommene Bernd Hölzenbein herausgeholt. Der Eintracht-Stürmer kann sich glücklich schätzen kann, dass international - im Gegensatz zur Bundesliga - elfmeterreife Fouls an ihm noch geahndet werden. Die Reichweite der „Bild“ und ihrer „Nachrichten“ ist durch den Sprachraum begrenzt. Hölzenbein lässt sich durch die Verbreitung seines angeblichen Geständnisses nicht unterkriegen und meint spitzbübisch: „Ein ganz klarer Elfmeter, das hat selbst der Franz gesagt.“ Und: „Wenn der Franz sagt, es war ein Elfmeter, dann wurde er bestimmt zu Recht gegeben“, sagt der Holz grinsend im Hinblick auf Beckenbauers harte Kritik an den Elfmetern, die dessen Bayern in den letzten beiden Spielen gegen die Eintracht im Waldstadion kassiert haben. Bei der Entstehung der Szene, die zum Strafstoß führte, war Beckenbauer sogar beteiligt, wie Hölzenbein mit sichtlichem Vergnügen berichtet: „Der Franz führte den Ball, ich bin losgerannt, hab’ ihm ein Zeichen gegeben, er ist sofort darauf eingegangen und dem Bulgaren blieb nur noch die Chance, mich umzuwerfen.“

Zurück in Frankfurt ist die Zeit der Späßchen vorerst vorbei, denn es gilt nun, sich auf das DFB-Pokalhalbfinale gegen Rot-Weiß Essen zu konzentrieren. Wieder muss die Eintracht gegen eine Mannschaft aus dem Westen antreten, allerdings hat sie auch zum dritten Mal in Folge Heimrecht. Zu verdanken hat die Eintracht das einer Frankfurter Fußballerin, Regina Zinke. Die Mittelstürmerin von Oberst Schiel hatte im Studio des Hessischen Fernsehens bei der Auslosung des Halbfinales im DFB-Pokal eine glückliche Hand für die Eintracht, die sich mit Rot-Weiß Essen geeinigt hat, das Pokalspiel vom 30. auf den 29. April zu verlegen.

Für die Essener hat es bisher in der Bundesliga im Waldstadion nur Niederlagen gehagelt. 5:0, 2:1, 3:2, 6:0 und 9:1 lauteten die Ergebnisse und vor fünf Wochen siegte die Eintracht auch erstmals an der Hafenstraße. 5:0 lautete das für die Rot-Weißen niederschmetternde Endergebnis, das ihre negative Bilanz gegen die Frankfurter in dieser Saison auf 1:14 Tore schraubte. In den letzten drei Spielen kassierten die Rot-Weißen von der Eintracht 20 Tore, der erfolgreichste Kanonier war dabei noch vor Hölzenbein und Nickel mit je drei Treffern Klaus Beverungen mit deren vier. Allein beim besagten 5:0-Auswärtssieg steuerte Eintrachts Neuer drei Tore bei. Die Essener sind also vor dem schussgewaltigen Mittelfeldspieler der Diva vom Main gewarnt.

Doch noch ein anderer hat vor dem Halbfinale mit Toren auf sich aufmerksam gemacht: Bernd Lorenz. Der athletische Stürmer, der wegen seiner Ähnlichkeit mit der Figur einer gleichnamigen englischen Krimiserie auch „Jason“ (King) genannt wird, hat sich vor einer Woche gegen den VfL Bochum mit seinen Gewaltschüssen, seiner Kopfballstärke, seinem entschlossenen Handeln und nicht zuletzt drei Toren wieder in Erinnerung gebracht. Die Verlegenheitslösung, die dank Rohrbachs leichter Leistenzerrung in der Bundesliga zum dritten Mal von Beginn an zum Einsatz kam, war zum Volltreffer geworden. „So wie der Bernd diese Chance genutzt hat, wünsche ich mir ihn nun auch gegen Essen“, hofft Weise auf eine Wiederholung der Spielweise von Lorenz, die gegen Bochum das Publikum zu Sprechchören animierte.

Der Trainer vertraut der Mannschaft, die Bochum an selber Stelle vor einer Woche nach Belieben dominierte. Kalb vertritt also weiterhin Reichel, Weidle rückt erneut für Neuberger auf die andere Außenverteidigerposition, weil dieser wieder Libero Trinklein ersetzt und Lorenz erhält den Vorzug vor Rohrbach. Wienhold - Kalb, Neuberger, Körbel, Weidle - Beverungen, Kraus, Nickel - Lorenz, Grabowski und Hölzenbein – diese Elf soll den Einzug ins Finale schaffen.

Diese elf Spieler erleben jedoch wie die 22.000 Zuschauer nach dem Anpfiff von Schiedsrichter Schröder aus Lahnstein eine Überraschung. Die Essener haben zwar erwartungsgemäß mit Burgsmüller und Lippens nur zwei echte Spitzen aufgeboten, die Gäste verschwenden jedoch keinen Gedanken daran, sich auf die Abwehrarbeit zu beschränken. Das verwundert, denn schließlich wurde ihr Versuch, mitzuspielen, in der Hinrunde von der Eintracht mit neun Toren bestraft.

Heute sieht es jedoch für die Gäste besser aus. Vielleicht liegt es an den flexiblen Mittelfeldspielern, die ihre Defensive nicht vernachlässigen, aber doch immer wieder den Nachschub für ihre Sturmreihe sicherstellen. Vielleicht liegt es auch an der besonderen Atmosphäre im Pokal, wo eine Niederlage eben das endgültige Scheitern bedeutet. Die Eintracht hat ja beim mageren 1:0 gegen die Bochumer im Achtelfinale erfahren, wie groß der Unterschied zwischen Pokal und Bundesliga zuweilen sein kann.

Die erste gute Torchance gehört dann auch Rot-Weiß Essen. Willi Lippens wartet mit einer seiner „Standeinlagen" auf, um dann am Gegenspieler vorbeizuziehen. Seine Flanke erreicht den aufgerückten Dörre, der in Bedrängnis den Ball neben den Pfosten setzt. Das war knapp.

Die Eintracht zeigt sich unbeeindruckt und ist um eine schnelle Antwort bemüht. Die erfolgt tatsächlich in der 10. Minute. Lorenz setzt sich rechts durch, und flankt weit auf die andere Seite, wo Kraus per Kopfball Beverungen einsetzt. „Beve“ zieht den Ball nach innen auf Hölzenbein, doch Rynio kann das Leder gerade noch an den Pfosten lenken. Das war noch eine Spur knapper als zuvor auf der Gegenseite.


Hölzenbein im Zweikampf
mit Senger

Dennoch kommt das Spiel der Eintracht nicht auf höhere Touren. Es wird zu viel quer gespielt, was jedoch auch daran liegt, dass sich die Sturmspitzen der Gastgeber nur selten anbieten können. Werner Lorant versucht sich als zweite Haut von Jürgen Grabowski und deckt ihn messerscharf, während Klaus Senger beständig auf den Schnürsenkeln von Hölzenbein steht.

Immerhin zeichnet sich derweil Libero Neuberger mit einer bemerkenswerten Portion Übersicht aus, die er zudem mit gutem Stellungsspiel würzt und so manchen Essener Angriff unterbindet. Neuberger ist es auch, der anstelle von Nickel mit steilen Pässen den Versuch unternimmt, den Riegel der Gästeabwehr zu öffnen.

Neuberger erkennt, dass es der Offensive seiner Mannschaft an Unterstützung und Kreativität fehlt, und schaltet sich deswegen des Öfteren in den Angriff ein. Die Schwächen der Gastgeber liegen im Mittelfeld, wo Nickel immer noch keine Betriebstemperatur erreicht hat, Kraus eine farblose Partie liefert und Weidle einige Fehlpässe unerlaufen. Einzig Beverungen erreicht seine Normalform.

Nach einer halben Stunde gelingt es der Eintracht, endlich Druck hinter ihre Aktionen zu bekommen. Es ist kein Zufall, dass es Beverungen ist, der Essens Torwart Rynio mit einem knallharten Schuss aus 18 Metern die Möglichkeit gibt, sich auszuzeichnen. Rynio, den man „die Katze“ nennt, ergreift sie zum Leidwesen der Eintracht und faustet den Ball aus dem Tor.

Mitten in diese Drangphase der Eintracht zieht sich Körbel eine Zerrung am linken Oberschenkel zu. Es sind 40 Minuten gespielt, als der Vorstopper an der Außenlinie behandelt werden muss. Mit einem Verband kommt er dennoch wieder ins Spiel, für wie lange vermag keiner zu sagen.

Zwei Minuten nach Körbels Verletzung übernimmt der Essener Strauch die Vertretung von Rynio: Mit der Hand fängt er Kalbs Flanke vor Lorenz ab. Das ist insofern für die Gäste ärgerlich, als dass das Handspiel im Strafraum nur dem Torhüter gestattet und ein Schiedsrichter anwesend ist, der derlei Regelverstöße ahndet, in diesem Fall durch einen Elfmeter. Unverhofft kommt oft, mag sich mancher Zuschauer denken, und gut, dass mit Jürgen Kalb ein sicherer Elfmeterschütze in der Elf der Eintracht steht. Die Situation ist Kalb nicht fremd, im DFB-Pokalhalbfinale der letzten Saison schoss er die Eintracht mit einem Strafstoß gegen die Bayern in allerletzter Sekunde ins Finale. Doch dieses Mal ereilt ihn das Schicksal Jürgen Grabowskis, der damals gegen die Bayern ebenfalls mit einem Elfmeterschuss scheiterte: Kalb bleibt gegen Rynio nur zweiter Sieger, was eine diplomatische Umschreibung für den Unterlegenen dieses Duells ist.

Als könne man Kalbs Fehlschuss mit erhöhtem Tempo vergessen machen, nimmt die Eintracht zu Beginn der zweiten Halbzeit den Kessel unter Dampf. Doch wieder ist es Rynio, der der Eintracht mit einer Parade in die solche fährt: Nickels Geschoss lenkt der formidable Essener Schlussmann zur Ecke.

Das ist der Auftakt zu einem schnellen Schlagabtausch, der zwei Leichtgewichtsboxern zur Ehre gereichen würde. Beim nächsten Konter verfehlt Lorant das Frankfurter Gehäuse denkbar knapp, bei Frankfurts Antwort durch Nickel pariert Rynio abermals prächtig.

Das Spiel wird nicht nur schneller, sondern auch härter, zumindest was die Gangart der Gäste anbelangt. Lorants Foul an Grabowski bildet den vorläufigen Höhepunkt, den der Schiedsrichter mit der Gelben Karte für Lorant honoriert.

Die Strafe für Lorant hat keine Auswirkungen auf das muntere Scheibenschießen, dass die beiden Mannschaften beherzt fortsetzen. Fürhoff hat mit einem Fernschuss Pech, Weidle verdirbt sich selbst zwei gute Chancen. Kurz darauf hat die Eintracht einiges Glück: Nickel spielt den Ball vor das eigene Tor, Burgsmüller schießt knallhart, trifft aber nur die Latte. Nickel bügelt seinen Fehler aus, als er den Nachschuss von der Linie schlägt.

Körbel erlebt diese Szene als Zuschauer, denn in der 57. Minute machte seine Oberschenkelverletzung ein Weitermachen unmöglich. Für Körbel spielt der lange verletzte Hans-Joachim Andree, dessen letztes Pflichtspiel für die Eintracht über 15 Monate zurückliegt. Am 5.1.1974 war er 74 Minuten lang am 2:1-Sieg der Eintracht über den 1. FC Köln beteiligt.

In der Partie trifft Andree auf zwei alte Bekannte, mit denen er zwei bzw. drei Jahre bei Borussia Dortmund zusammenspielte: Werner Lorant und Jürgen Rynio. Rynio zog es erst zu Beginn dieser Saison nach Essen, nachdem er beim BVB seinen Stammplatz zwischen den Pfosten an Horst Bertram verloren hatte. Werner Lorant, dessen goldenes Tor die Rot-Weißen gegen Düsseldorf ins Halbfinale brachte, wechselte schon ein Jahr früher an die Hafenstraße.

Jürgen Rynio denkt sicher nicht während der Partie an die gemeinsame Zeit der drei Spieler zurück und wirkt doch in der 69. Minute leicht abwesend. Beverungen zieht los und nach einem langen Lauf überraschend aus weit über 20 Metern ab. Rynio, der bis dahin so vorzüglich haltende Torwart, springt zu spät nach dem aufsetzenden Ball und kann das Leder nur noch an den linken Innenpfosten lenken, von wo er ins Netz rollt. 1:0 für die Eintracht. Ist das schon die Fahrkarte ins Finale?

Essens Trainer Ferner wechselt eine knappe Viertelstunde vor dem Ende aus: In der 76. Minute kommt Hermann Lindner für Hans Dörre in die Partie. Unermüdlich rennen die Gäste an, doch ihre Bemühungen bleiben erfolglos.

Wenige Minuten sind noch zu spielen, das Finale ist greifbar nah, doch die Begegnung steht weiter auf des Messers Schneide. Und in der 85. Minute schneidet dieses Messer tief in das Frankfurter Fleisch. Bast geht am rechten Flügel los, flankt und Burgsmüller drückt den Ball zum 1:1 über die Linie. Es ist Burgsmüller fünftes Tor im laufenden Wettbewerb, in der Bundesliga sind es bereits 15 Treffer.

Die Eintracht wirkt geschockt. Gegen diese angeschlagenen Gastgeber hat „Ente“ Lippens kurz darauf sogar den Siegtreffer vor Augen, doch Andree rettet im letzten Moment zur Ecke. Auch die Eintracht hat noch eine große Chance in der regulären Spielzeit, doch Kalb scheitert auch dieses Mal an Rynio, der den Ball über die Latte lenkt.

In der Verlängerung will die Eintracht die Entscheidung, um ein Wiederholungsspiel an der Hafenstraße zu vermeiden. Doch die Essener führen bei ihren Kontern weiter eine scharfe Klinge, die jederzeit in der Lage scheint, den Hausherren die entscheidende Wunde zuzufügen.

Was ein wahrer Kapitän in einem solchen Spiel wert ist, beweist nun Jürgen Grabowski. Die Einsatzbereitschaft des Kapitäns ist das Signal für seine Elf. An ihm richtet sich die Mannschaft im Sturm der Gäste auf, wie ein Segel am Mast. Es gelingt Grabowski auch den Ball nach einer gelungenen Kombination ins Netz der Essener zu schießen, aber Schiedsrichter Schröder entscheidet auf Abseits.

Das Spiel verhält sich wie ein Schiff in schwerer See, es wogt hin und her. Unmöglich zu sagen, zu welcher Seite das Pendel der Glücksgöttin Fortuna ausschlagen wird, um den Sieger zu bestimmen. Es sind keine zehn Minuten mehr zu spielen, als die beiden besten Eintrachtspieler an diesem Abend Fortuna die Wahl abnehmen und ihr Glück in die eigenen Hände nehmen.


Beverungens 2:1

In der 111. Minute ist Jürgen Grabowski auf dem rechten Flügel und schlägt eine Flanke lang, aber präzise auf Klaus Beverungen, der die treffliche Vorlage seines Kapitäns mit dem linken Fuß verwertet und zum 2:1 einschießt. Die Essener geben sich nicht geschlagen, doch fünf Minuten nach der Frankfurter Führung beendet Bernd Lorenz die Hoffnungen der Gäste mit seinem Tor zum 3:1. Ein spannendes, ja dramatisches Halbfinale hat einen weiteren Höhepunkt erreicht, zum Glück für die Nerven der Eintrachtfans ist es der letzte.

Die Essener lassen nach dem Abpfiff verständlicherweise die Köpfe hängen. Die Enttäuschung über das unglückliche Ausscheiden ist groß. Der Geschäftsführer des Vizemeisters von 1959, Konrad, findet, dass „Essen eine einmalige Chance vergab, ins Finale vorzustoßen“. Er täte besser daran, sich mit den Chancen zu befassen, die seine Mannschaft vergeben hat. Schließlich sind die Offenbacher Kickers bereits in der ersten Runde im Wiederholungsspiel bei Union Solingen aus dem Pokal geflogen, den Solingern, für die Eintracht eine Runde später Endstation war.

Die Rot-Weißen haben, als sie nach dem Duschen aus der Kabine kommen, die Enttäuschung noch nicht überwunden, aber ihre Fassung bereits wiedergefunden. So überwiegt im Fazit von Trainer und Mannschaft die Genugtuung, dem hohen Favoriten beinahe ein Bein gestellt zu haben, das Bedauern, die durchaus mögliche Sensation versäumt zu haben. „Hätten wir unsere Chancen kaltblütig genutzt, die Überraschung in Frankfurt wäre perfekt gewesen! Doch ich muss meiner Mannschaft (dennoch) ein großes Lob aussprechen.“ Werner Lorant, der sich mit Grabowski 120 Minuten lang einen erbitterten Zweikampf geliefert hat, bedauert, dass es nicht ganz zu einem Wiederholungsspiel gerecht hat: „Schade! Neun Minuten haben gefehlt, um die Frankfurter zur Fahrt nach Essen zu zwingen.“

Eintracht-Trainer Weise will die unglückliche Niederlage der Gäste nicht in Abrede stellen und zeichnet sich wie immer durch seine Fairness aus: Ein 1:3, so räumt er ein, wäre ebenso möglich gewesen wie das tatsächliche Endergebnis. Udo Lattek, der ab dem Sommer Ferner ablösen soll und bereits im März die 0:5-Heimniederlage seiner neuen Mannschaft erlebte, ist auf der Tribüne mit seinen zukünftigen Schützlingen zufrieden: „Ich übernehme eine gute Mannschaft, Rynio, Bast und Wieczorkowski haben auf mich einen ganz hervorragenden Eindruck gemacht.“

Einer der drei gelobten Akteure wird an diesem Abend wohl der unglücklichste Essener sein. Jürgen Rynio. Der Torhüter war bei den Schüssen von Grabowski, Hölzenbein, Kraus und Nickel stets auf dem Posten und parierte selbst Kalbs Elfmeter, um dann bei Beverungens Tor eine unglückliche Figur abzugeben. Wolfgang Tobien bemerkt im „Kicker“ treffend: „Tausendsassa Jürgen Rynio muss sich (..) schließlich vorgekommen sein wie ein Lottospieler, der sechs Richtige getippt hatte, aus purem Leichtsinn den Tippzettel aber nicht abgegeben hatte.“

Willi Neuberger fühlt sich dagegen nach dem Spiel gut wie selten zuvor, denn er hat zum ersten Mal in seiner Laufbahn ein Pokalfinale erreicht. Wie er nach dem Sieg gesteht, war er sich dessen nach Burgsmüllers Ausgleich nicht mehr sicher: „Sollte ich mit einer Mannschaft auch zum dritten Mal in einem Pokal-Halbfinale scheitern? Stand mir auch mit Frankfurt gegen Essen bevor, was ich mit Dortmund und Werder Bremen schon hatte erleben müssen?“

Was den überragenden Abwehrspieler der Eintracht in jenem Moment bewegte, ließ auch den unermüdlichen Angriffsmotor der Riederwälder nicht unberührt: „In diesem Moment und während der Minuten bis zum Ende der regulären Spielzeit hatte ich wirklich Angst, dass das Spiel umgehen würde“, gibt Jürgen Grabowski in der Kabine zu. „Doch es folgte die Erkenntnis, dass wir in den verbleibenden fünf Minuten, nachdem der Gegner gerade das 1:1 erzielt hatte, nicht mit aller Gewalt das 2:1 erstürmen durften, sondern erst einmal die Verlängerung abwarten mussten. Und es folgte schließlich die seltene Gelegenheit, wo man sich als Fußballer später selbst auf die Schulter klopfen kann, weil der Funke, der der Erkenntnis entsprang, jetzt muss einer die Verantwortung, die Initiative übernehmen, auf die Mannschaft übersprang und allen plötzlich wieder klar war, dass wir während unseres Traums vom Endspiel ganz nahe vor einem bösen Erwachen standen.“

Dieses Erwachen und Neubergers Albtraum verhinderten letztlich der Kapitän selbst sowie die Torschützen Bernd Lorenz und Klaus Beverungen. Beve, der seinen drei Treffern beim Auswärtsspiel in Essen heute Abend zwei weitere Tore im Waldstadion folgen ließ, wird von seinem Trainer besonders gelobt. Dietrich Weise findet, „dass ihm (Beverungen) in diesem Spiel die Krone gebührt“.

Hertha-Trainer Kessler, der die Partie wegen des folgenden Spitzenspiels der Frankfurter gegen seine Mannschaft beobachtet hat, zeigt sich nicht eben wenig beeindruckt: „Die Eintracht ist zu Hause eine Macht, gegen die wir einen sehr schweren Stand haben werden.“ „Allen voran kann ich nur Grabowski erwähnen, der der Prototyp eines vorbildlichen Kapitäns ist. Ich bin davon überzeugt, dass mit ihm die deutsche Nationalmannschaft das Länderspiel in Sofia gewonnen hätte“, schwärmt Kessler fast vom Ex-Nationalspieler. Der ist mit seinen Gedanken bereits beim nächsten Pflichtspiel: „Jetzt können wir uns ganz auf die Meisterschaft konzentrieren. Wir sind gewiss nicht schlechter als unsere Konkurrenten und können an einem guten Tag sogar die besseren sein.“

Warum die Eintracht gegen Essen zwar siegte, aber nicht die Überlegenheit wie bei den beiden letzten Bundesligaheimspielen demonstrieren konnte, glaubt Essens Mannschaftsbetreuer Jupp Breidbach zu wissen, der seine Erkenntnis mit der „Bild“ teilt: „Diesmal wohnten wir nicht im Esso-Motor-Hotel. Denn da wurden wir ausspioniert.“ Das Hotel ist das Stammquartier der Eintracht, was Breidbach in der „Bild“ zu folgender Spekulation veranlasst: „Dort scheint die Flüsterpropaganda gut zu funktionieren. Die Frankfurter wussten zuletzt fast besser über unsere Taktik Bescheid als wir.“ Trainer Ferners kriminalistischer Spürsinn scheint geweckt: „Ich habe den Oberkellner in Verdacht.“

Ja ja, der Mörder ist immer der Gärtner und der Kellner ist der Verräter … (rs)

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