Kickers Oxxenbach - Eintracht
Frankfurt |
Bundesliga 1974/1975 - 28. Spieltag
2:1 (0:1)
Termin: Sa 19.04.1975, 15:30 Uhr
Zuschauer: 32.000
Schiedsrichter: Jan Redelfs (Hannover)
Tore: 0:1 Jürgen Grabowski (1.), 1:1 Norbert Janzon (65.), 2:1 Manfred Ritschel (75.)
Kickers Oxxenbach | Eintracht Frankfurt |
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Die letzte Konsequenz Der Countdown für das Derby setzte am Montag bei der Frankfurter Eintracht mit der Routine des Bundesliga-Alltags ein. Neben dem Lauftraining am Riederwald gab es also lediglich eine Bestandsaufnahme der im letzten Spiel erlittenen Blessuren. „Ich bin zuversichtlich, dass wir wieder mit unserer Standardbesetzung spielen können“, zieht Trainer Weise sein Fazit. Klaus Beverungen, der im Spiel gegen Fortuna Köln eine stark blutende Fußverletzung erlitten hat, die im Krankenhaus genäht werden musste, wird sich zwar auch am Dienstag noch mit Lauftraining begnügen müssen, „aber an seinem Einsatz bestehen keine Zweifel“, meint Weise. Gert Trinklein, der gegen in der Pokalpartie gegen die Fortuna wegen einer Zerrung pausieren musste, stieg zudem wieder ins Training ein. Dietrich Weises Möglichkeiten nehmen wieder zu: „Wenn Wolfgang Kraus am Mittwoch im Olympia-Qualifikationsspiel keine Blessuren erleidet, haben wir keine Probleme.“ Es herrscht zwar Derbyfieber zwischen Riederwald und Bieber, aber so hoch ist die Temperatur dann doch nicht, dass Bernd Hölzenbein dem „Kicker“ nicht noch im Interview Rede und Antwort stehen könnte. Holz spricht dort ... ... über eigene Fehler: „Fehler, die ich im Training abzustellen hätte? Wissen Sie, was man mit 29 nicht beherrscht, wird sich kaum mehr zur Perfektion bringen lassen. Ich bin kein Kopfball-As wie einst Uwe Seeler oder kann die Pässe 30- 40 Meter weit schlagen, wie es Beckenbauer oder Grabowski machen. Diese Mängel suche ich zu verdecken, zu überspielen.“ ... seine Lieblingsposition: „Ich spiele alles aus, was in mir steckt - auf allen Posten. Auch auf den beiden Flügeln. Besonders reizen würde mich die Mittelfeldrolle, die etwa Uli Hoeneß in der Nationalmannschaft spielt. Ich möchte in den Torraum eindringen ...“ ... Jürgen Grabowskis Comeback in der DFB-Auswahl: „Ich habe oft mit Grabi gesprochen. Auch der Trainer und andere Leute. Bisher allerdings vergebens. Dennoch sehe ich noch eine Chance, dass Grabowski in die Nationalmannschaft zurückkehrt. Gerade jetzt, bei seiner konstanten Bombenform. Er wäre so wertvoll und in dieser Form kaum zu ersetzen.“ ... den Einsatz der „Spanien-Legionäre“ Breitner und Netzer: „Breitner ist eine wichtige Verstärkung unserer Abwehr. Also ein bedingungsloses Ja zu Paul. Und wenn Netzer seine Form der letzten Wochen hält oder an den Leistungsstand der letzen Woche der Weltmeisterschaft anschließt, kann man ihn nicht übergehen. Die Nationalmannschaft wird bald wieder stiller. Also nochmals: ja zu Breitner und Netzer. Aber beide müssen in bester Form sein.“ ... Eintrachts Meisterschaftschancen: „Meine geheime Rechnung enthielt eine Niederlage von Mönchengladbach bei den Bayern. Jetzt wird es für uns schwerer. Noch dazu, wenn man bedenkt, in welchem Stil die Borussia dieses 1:1 erzwang. Mönchengladbach ist noch stabiler geworden. So könnte der neue Meister aussehen.“ ... Eintrachts Pokalchancen: „Im Pokal spricht alles für uns. Aber die Konzentration darf nicht nachlassen. Das sah man gegen Fortuna Köln. Einige Schwächen, schon waren wir bedrängt und hatten viel Mühe. Aber wir können fighten und spielen. Eine ideale Mischung. Den Pokal müssen wir holen.“ ... und in Offenbach gewinnen, wenn die Eintracht zum zweiten Mal Deutscher Meister werden will. Das ist leichter gesagt als getan - seit 1971 haben die Riederwälder nicht mehr auf dem Bieberer Berg gewinnen können. „Was Siege angeht, sind wir ja nicht gerade verwöhnt, sondern recht bescheiden geworden“, sagt Jürgen Grabowski vor diesem Prestigeduell, verspricht aber: „Wir spielen in Offenbach voll auf Sieg, denn nur, wer alles wagt, kann den Meisterschaftsfavoriten Mönchengladbach eventuell noch einholen.“ „Wir müssen gewinnen, wenn wir unsere Meisterschaftschance im Kampf gegen Mönchengladbach wahren wollen“, sagt auch Trainer Weise: „Wir spielen 4-3-3 und haben uns natürlich etwas Besonderes ausgedacht. Wir sind dazu verdammt, mit vollem Risiko zu spielen.“ Kickers-Funktionär Willi Konrad hält sich entgegen seiner sonstigen Gewohnheit geradezu bedeckt und auffallend zurück: „Wir wollen unter die ersten fünf. Damit hätten wir für Offenbacher Verhältnisse schon viel erreicht. Und darum wird die Mannschaft mit unbändigem Willen kämpfen.“ „Das ist wahrlich kein Auswärtsspiel wie jedes andere. Auch für mich als Spieler ist das Derby gegen Offenbach der Höhepunkt des Jahres“, stellt Grabowski klar und setzt nicht nur auf die bestechende aktuelle Form seiner Mannschaft, sondern auch auf einen psychologischen Vorteil, den er ausgemacht haben will: „Für uns wäre ein doppelter Punktverlust auf dem Bieberer Berg eine normale Auswärtsniederlage, die uns noch nicht entscheidend zurückwerfen würde. Hinter Offenbach jedenfalls steht das größere Muss." „Eine Niederlage gegen die Eintracht wäre für uns gleichbedeutend mit einem Sturz ins Bodenlose“, bestätigt Kicker-Spieler Siegfried Held Grabis Einschätzung.
Der Eintracht-Kapitän besiegelt zwei Tage vor dem Derby die am Samstag nach dem Spiel erzielte Einigung mit den Verantwortlichen des Vereins. Nach dem Donnerstagstraining unterzeichnet der 30-Jährige im Trophäenraum des Riederwalds einen Dreijahresvertrag, der ihn bis Saisonende 1978, also bis kurz vor seinem 34. Geburtstag, an die Eintracht bindet. „Ich glaube fest, dass ich noch, einige Jahre die erforderliche Leistung bringen kann", sagt Grabowski, dessen Forderung nach drei Jahren der Ausgangspunkt der langwierigen, „aber stets offen und fair geführten Verhandlungen" gewesen sei, wie der Spielführer unumwunden zugibt: „Wir haben uns zusammengerauft." Grabowski akzeptiert ebenso wie vorher schon Bernd Nickel, Roland Weidle und Dr. Peter Kunter das neue, leistungsorientierte Verdienstsystem. Dies beinhaltet „Sicherheits- und Risiko-Klauseln auf beiden Seiten“, sagt Grabowski, der keinen Hehl daraus macht, dass er der „spanischen Vorlockung“ erlegen wäre, wenn mit der Eintracht keine Einigung zu erzielen gewesen wäre: „Dann hätte ich mich wohl in das spanische Abenteuer gestürzt. Über einen Mittelsmann stand ich mit einem spanischen. Club in Verbindung, und da wären die finanziellen Bedingungen sogar besser gewesen.“ Die sportlichen Aussichten schätzt der Weltmeister aber auch in Frankfurt als gut ein, „denn die Mannschaft ist noch steigerungsfähig und auf dem besten Weg, eine Spitzenmannschaft zu werden“. „Ich fange mit 30 Jahren an, Mittelstürmer zu spielen, eine Position, aus der sich andere in diesem Alter zurückziehen“, wischt Grabi Bedenken weg, die die Vertragslaufzeit in Anbetracht seines Alters für zu lang halten. Für seinen Trainer ist Grabis Alter ohnehin kein Thema: „Ohne Grabowski hätten wir unsere Spielführung ändern müssen, hätte das ganze Eintracht-Spiel andere Züge bekommen. Jetzt können wir auf der einmal angefangenen Ebene weiter arbeiten!" Weise Befürchtung, dass „die Aufbauarbeit ins Straucheln geraten“ könne, hat sich mit der Vertragsverlängerung seines Kapitäns verflüchtigt und die „Hauptphase der Vertragsverhandlungen abgeschlossen“. Erst aufgenommen werden sollen dagegen in den nächsten Tagen die Gespräche mit Gert Trinklein und Thomas Rohrbach. Bis zum 30. April müssen die Verträge bei beiden Spielern gekündigt werden, sonst laufen sie zu den gegenwärtigen Bedingungen automatisch ein Jahr weiter. „Möglich, dass wir oder die andere Seite zu diesem Termin die Kündigung aussprechen, wenn wir uns bis dahin nicht arrangiert haben. Das heißt aber nicht, dass wir nach dem 30. April nicht weiterverhandeln“, sagt Weise, der sich darüber hinaus nach neuen, vor allem jungen Spielern umzuschauen scheint. Wie der Präsident des VfL Bochum, Ottokar Wüst, bestätigt, hat die Eintracht Interesse an dem 21jährigen Flügelstürmer Heinz-Werner Eggeling bekundet. Im Derby sind sowohl Trinklein als auch Rohrbach wieder mit von der Partie und kehren in die erste Elf zurück. Trinklein spielt Libero, Neuberger Außenverteidiger, während Kalb und Lorenz auf der Bank Platz nehmen müssen. Während die Anhänger der Heimmannschaft lautstark den Einsatz Erwin Kosteddes fordern, humpelt Klaus Beverungen nach dem Warmmachen mit blutdurchtränkter Socke in die Kabine – die genähte Wunde aus dem Spiel gegen Fortuna Köln ist wieder aufgeplatzt. Zum Anpfiff von Schiedsrichter Redelfs steht „Beve“ jedoch seinen Mann und damit auf dem Platz. Das Erscheinen von Redelfs nehmen die Offenbacher als gutes Omen. Der Unparteiische aus Hannover pfiff nicht nur die Kickers-Siege in Gladbach und Bayern, sondern auch den 5:2-Sieg der Einheimischen an selber Stelle im Derby der letzten Saison. Einen erneuten Erfolg der Gastgeber soll diese Eintracht-Elf verhindern: Wienhold - Reichel, Trinklein, Körbel, Neuberger - Beverungen, Kraus, Nickel - Rohrbach, Grabowski und Hölzenbein.
Die knisternde Spannung ist beim Anpfiff des Schiedsrichters fast mit den Händen zu packen, aber sie entzieht sich dem Zugriff, indem sie sich bereits in der 1. Minute im Torjubel der Frankfurter entlädt. Ein langer Pass von Bernd Nickel erreicht Bernd Hölzenbein, der den zu seinem Sonderbewacher nominierten Amand Theis mit zwei raffinierten Tricks ins Leere stolpern lässt und den Ball auf Grabowski zurücklegt. Der Eintracht-Kapitän hämmert den Ball aus vollem Lauf flach ins lange Eck - Fred Bockholt hat nicht den Hauch einer Abwehrchance. Das ist ein Auftakt nach Maß für die Eintracht, so schön wie gemalt. Und das Spiel steht diesem Auftakt nicht nach. Zweimal, in der 4. und 6. Minute, muss Wienhold bei Chancen von Janzon eingreifen. Erst meistert er Janzons Kopfball und zwei Minuten später auch noch dessen Volleyschuss. Im anderen Strafraum zeigen die beiden Weltmeister der Eintracht wie schön Fußball sein kann und führen perfektes Spiel und Gegner mit einem Doppelpass vor, den wiederum Grabowski mit einem Gewaltschuss abschließt. Fred Bockholt steht jedoch Wienhold nicht nach und wehrt den Schuss des Eintracht-Kapitäns ab. Nur eine Minute später kann Bockholt sich erneut auszeichnen, als er einen gefährlichen Kopfstoß Beverungens über die Querlatte bugsiert. Während die Chancen der Eintracht aus eleganten Kombinationen entstehen, entspringen die Gelegenheiten der Kickers biederem Handwerk, das sich die Offenbacher zudem mühsam abringen müssen. Ungefährlich sind die Aktionen der Heimelf jedoch deswegen keineswegs. In der 31. Minute muss Nickel einen Kopfball von Janzon von der Linie köpfen und ein Flachschuss von Schwemmle zischt eine Minute später am linken Pfosten vorbei ins Aus. Auch Hickersberger zielt in der 39. Minute knapp daneben. Die Eintracht spielt weiter auf, provoziert den Beifall ihrer Anhänger auf offener Szene und hat mit ihrer überlegenen Technik Spiel und Gegner im Griff. Ständig sind die Eintrachtspieler in Bewegung und absolvieren auch ohne Ball ein enormes Laufpensum. Durch diese Beweglichkeit ist immer jemand anspielbar und Nickels wunderbare lange Pässe finden auf diese Weise vor allem in Beverungen, Kraus, Reichel und Körbel dankbare Abnehmer.
Der viel zu schwerfällige Theis rudert und klammert, ohne den Irrwisch Hölzenbein auch nur ansatzweise bremsen zu können. Auch Skala steht als Bewacher von Grabowski auf verlorenem Posten. Grabi brilliert mit enormer Spielübersicht und riesigem Aktionsradius. Was der Eintracht bei aller Kunstfertigkeit jedoch vorzuwerfen ist, ist der mangelnde Ertrag ihrer Darbietung. Es ist ein Versäumnis, aus dieser Überlegenheit kein weiteres Kapital geschlagen zu haben. Ein Versäumnis, das sich im Fußball allzu oft rächt, wie man weiß. Vielleicht haben die Eintrachtspieler eine ähnliche Befürchtung, als kurz vor der Pause Kraus und Rohrbach vor dem gegnerischen Tor einen Pass von Grabowski verfehlen und so die große Chance zum 2:0 ungenutzt verstreichen lassen. Rohrbach sitzt auf dem Allerwertesten und schreit seine Enttäuschung hinaus, während sich Kraus mit beiden Händen an den Kopf fasst und Hölzenbein - wie zu einem Gebet - beschwörend die Hände hebt. Vertan. Das klare Übergewicht die Eintracht im Mittelfeld ist auch Bundestrainer Helmut Schön nicht entgangen, der zu Pause beeindruckt ist: „Ein großartiges Spiel. Die 1:0-Führung der Eintracht ist vollauf verdient.“ Otto Rehhagel, den der Ausfall Kosteddes zum Umstellen gezwungen hat, kann dagegen mit kaum einem seiner Akteure zufrieden sein. Schwemmle hat im Mittelfeld ebenso versagt wie Theis als Sonderbewacher Hölzenbeins und Schäfer fiel im Mittelfeld bisher nur mit einer Serie von Fehlpässen auf. Die Angriffe der Kickers sind auf Einzelaktionen abgestellt, das Zusammenspiel ist so durchsichtig und vorhersehbar wie die Absichten eines Ehemannes in der Hochzeitsnacht. Nur Held, der mit Körbel jedoch seine Last hat, sorgt für Torgefahr, denn Ritschel bringt am rechten Flügel gegen Neuberger wenig zustande. Neben Held weiß im Grunde auf Seiten der Kickers nur der energische Libero Rausch zu überzeugen. Der schwache Schwemmle, der nach einem Foul an Kraus den Schiedsrichterpfiff damit quittierte, dass er den Ball wütend wegtrat und dafür eine Gelbe Karte kassierte, wird zur Pause von Rehhagel ausgewechselt. Für ihn kommt Enders. Und mit dem kommt tatsächlich mehr Druck ins Mittelfeldspiel der Gastgeber. Enders bewacht nun Kraus, der zuvor gegen Schwemmle leichtes Spiel hatte, und Rausch übernimmt die Bewachung von Grabowski. Im sicheren Gefühl ihrer Überlegenheit versucht die Eintracht, die Kickers schlecht aussehen zu lassen. Doch sie lässt sich die Initiative immer mehr entreißen, dabei ist abzusehen, dass sie nun dem Elan, der Verbissenheit und der Kampfmoral der Heimelf mehr entgegen setzen muss als Schönspielerei. Nach einem gefährlichen Kopfball von Klaus Beverungen in der 56. Minute, den Bockholt mit den Fingerspitzen gerade noch um den Pfosten lenken kann, übernehmen die Kickers völlig die Initiative und sorgen für eine Reihe turbulenter Szenen im Strafraum der Eintracht. Dass die Gastgeber mit ihren hohen Flankenbällen scheitern, ist dem kopfballstarken Beverungen zu verdanken. Doch Beve ist nicht nur ein Turm in der Schlacht, er liefert zudem ein beachtliches Laufpensum und ist folgerichtig vor beiden Toren zu finden. Doch der Druck der Kickers wird von Minute zu Minute größer. Die Eintracht lässt sich von den Kickers förmlich an die Wand drücken. Der Aufschwung der Heimelf wird schließlich in der 65. Minute belohnt, als Wienhold von Hickersberger bedrängt, einen hohen Ball nicht richtig zu fassen bekommt. Den trudelnden Ball hämmert Janzon ins Netz.
Nun marschieren die Kickers erst richtig. Ritschel, der eine Stunde lang so gut wie unsichtbar geblieben ist, schafft es nun immer öfter an Neuberger vorbeizuziehen, Janzon kommt langsam, aber sicher wie ein Dieselmotor auf Touren und Held entscheidet die Duelle gegen Körbel nun immer häufiger für sich. Trinklein muss einige Male rettend eingreifen, während Grabowski mit Ballhalten und Ballstafetten das Spiel zu beruhigen sucht. Das gelingt dem Eintracht-Kapitän jedoch mangels Unterstützung nicht. Von Hölzenbein, den Theis nach den Regeln alter Metzgerskunst bearbeitet, ist immer weniger zu sehen, Thommy Rohrbach vergibt zwei große Chancen im Kickers-Strafraum, weil er da zu lange zögert oder dort zu eigensinnig ist. In der 75. Minute nimmt Ritschel auf der Gegenseite eine Flanke von Schäfer aus der Luft und donnert das Leder aus 18 Metern ins Tor. Das muss selbst der Neid dem Schützen lassen: Das war ein Treffer der Marke „Tor des Monats“. Weise wechselt nun Rohrbach gegen Bernd Lorenz aus, um so etwas wie eine Schlussoffensive in Gang zu bringen. Zu Pass kommt der Eintracht, dass beim Gegner Held zehn Minuten vor Schluss mit einer Oberschenkelzerrung dem jungen Egon Bihn den Platz auf dem Feld überlassen muss. Acht Minuten vor Schluss kommt Weidle für Trinklein, und die Eintracht, obwohl genauso wie die Kickers mit ihren Kräften am Ende, bäumt sich noch einmal gegen die Niederlage auf. In der 83. Minute verfehlen Hölzenbein und Lorenz im Kickers-Strafraum ein Zuspiel von Körbel und danach setzt Lorenz nach einer Neuberger-FIanke den Ball nach einem kraftvollen Kopfstoß nur knapp neben das Tor. Der Unparteiische hat in der Schlussphase alle Mühe das hektisch gewordene Spiel einigermaßen über die Runden zu bringen. Die Kickers verwalten die Führung und versuchen begreiflicherweise mit einigen Tricks, Zeit zu schinden. Rausch erhält die Gelbe Karte, weil er nach Redelfs Pfiff den Ball auf die Tribüne schlägt. Auch Nickel wird nach einem Foul mit der Gelben Karte verwarnt, was nichts daran ändern kann, dass die Einheimischen auch nach Verwarnungen vorne liegen und zwar deutlicher als nach Toren: 5:2 steht es hier. An Spielfluss ist nun nicht mehr zu denken. Vier Minuten lässt Redelfs zum Ärger des Kickersanhangs nachspielen, doch die letzte große Chance in diesem packenden Spiel haben nicht die Gäste: Wienhold kann einen Freistoßball vor dem heranbrausenden Hickersberger erst im Nachfassen sicherstellen. Das war’s. Die Eintracht verliert auch dieses Derby. Ihr Trainer Weise ist bedient und vermisst bei seiner Elf die letzte Konsequenz: „Für mich ist es maßlos enttäuschend, wenn man 60 Minuten den Gegner beherrscht und dann nicht gewinnt. Wir haben die zweite Halbzeit echt verbummelt. Das ist eine Bestätigung für meine alte Behauptung, dass uns immer noch viel zu einer überdurchschnittlichen Mannschaft fehlt. Für die Kickers und gegen uns spricht, dass sie eine verlorene Partie noch aus dem Feuer rissen. Es gehört in letzter Konsequenz bei einer Mannschaft ein gewisser Biss dazu, um ihre Überlegenheit in Tore auszudrücken und das war bei uns nicht ausgeprägt genug. Ich hätte ja auch gern einmal gegen die Kickers gewonnen, aber so geht es nicht. Wir haben eine große Chance verpasst. Dennoch ist das Rennen in der Fußball-Bundesliga noch immer nicht gelaufen. Jetzt sind mehrere Mannschaften noch mit guten Chancen im Titelrennen dabei. Gladbach ist noch lange nicht Meister, auch wir haben noch die Möglichkeit, aber das wischt die Enttäuschung nicht weg.“ Kickers-Coach Rehhagel ist natürlich zufrieden: „Die Eintracht hat unwahrscheinlich stark begonnen. So hatten wir es uns auch vorgestellt. Womit wir nicht gerechnet hatten, war die frühe Führung der Frankfurter. Und wir hatten Glück, dass wir nicht noch ein weiteres Tor einfingen. Ich habe bei Halbheit zu meinen Spielern gesagt: Spielt mit vollem Risiko, geht mehr in den Gegner hinein, jetzt geht es um alles oder nichts, auch wenn das Blut aus den Schuhen kommt. Die Eintracht war zwar spielerisch besser, aber wir haben Kerle, die über ihren Schatten springen können, und das entschied dieses Spiel. Dieser Sieg war für uns ungeheuer wichtig. Im Falle einer Niederlage wäre die Moral unserer Mannschaft kaputt gewesen.“ Die Offenbacher haben zwei Punkte, die Eintracht drei Verletzte: Bei Klaus Beverungen platzte schon beim Warmmachen die Fleischwunde über dem Knöchel wieder auf, Peter Reichel erlitt eine klaffende Augenbrauenverletzung und Gert Trinklein verließ wegen seiner alten Zerrung vorzeitig den Platz: „Jetzt spiele ich mindestens zwei Wochen nicht.“ In „die Elf des Tages“, die der „Kicker“ nach jedem Spieltag zusammenstellt, schafft es aus der heutigen Partie nur ein Spieler: Jürgen Grabowski. Trösten wird das den Eintracht-Kapitän aber sicher nicht. „So wie die Eintrachtspieler müssen sich Leute über sich selbst ärgern, die samstags sechs Richtige im Lotto haben, aber vergessen haben, den Tippschein abzugeben“, schreibt die Abendpost / Nachtausgabe. Wie geprügelte Hunde schleichen die Eintrachtspieler vom Ort der bitteren Niederlage. Selbst Karl-Heinz Körbel, der sonst so heitere und immer gesprächsbereite Akteur der Eintracht, sucht schweigend das Weite. Jürgen Grabowski aber „steht Rede und Antwort, freilich knapp, nüchtern und mit jener todernsten Miene und Zurückhaltung, mit der Unternehmer Pleiten in ihrer Firma einzugestehen pflegen“ (A/N): „Wir haben gegen eine gute Kickers-Mannschaft verloren. Bei uns wurde ein bisschen pomadig gespielt. Nach einer Stunde wurde plötzlich hinten der Ball langsam hin- und hergeschoben. Da war unser Spielfluss mit einem Mal weg. Die Ausgangsposition ist wie vorher, nur sind es jetzt eben zwei Vereine mehr, die noch Chancen auf den Titel haben.“ „Ein Glück, dass Mönchengladbach mitverloren hat“, findet auch Trainer Weise, nachdem er seinen ersten Ärger überwunden hat. Präsident Achaz von Thümen sieht das anders: „Das macht die Sache ja nur noch schlimmer. Wie würden wir dastehen, wenn wir heute unsere so lange Zeit vorhandene Überlegenheit zum durchaus möglichen Sieg in Offenbach genutzt hätten. Doch jede Serie geht zu Ende. Wir dürfen jetzt nicht nachlassen.“ Bernd Hölzenbein, blass, hohlwangig, mit eingefallenen Augen übt derweil Selbstkritik: „Wir wollten die Kickers demütigen, das war unser Verhängnis. Wir haben dabei unsere Spiellinie verloren. Wären wir 0:5 untergegangen, wäre die Enttäuschung nicht so schlimm gewesen wie über das 1:2, nachdem wir den Gegner derart klar beherrschten.“ Und dann sorgt der sichtlich aufgebrachte Hölzenbein noch für ein Nachspiel: „Das ist doch das Letzte. Da ruft der Otto Rehhagel ständig dem Theis zu, er soll mir nur ordentlich in die Knochen hauen, und an diese Order hat Theis sich ja auch strikt gehalten.“ Dieses „Nachspiel“ wird die Gerichtsbarkeit
des DFB beschäftigen. Die letzte Konsequenz aus diesem Derby
steht damit noch aus … (rs) |