Schalke 04 - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1974/1975 - 16. Spieltag

1:1 (1:0)

Termin: Di 10.12.1974, 20:00 Uhr
Zuschauer: 45.000
Schiedsrichter: Hermann Schröder (Lahnstein)
Tore: 1:0 Rainer Budde (16.), 1:1 Bernd Hölzenbein (74.)

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Schalke 04 Eintracht Frankfurt

  • Peter Endrulat
  • Jürgen Sobieray
  • Rolf Rüssmann
  • Helmut Kremers
  • Hartmut Huhse
  • Klaus Fischer
  • Herbert Lütkebohmert
  • Erwin Kremers
  • Rainer Budde
  • Bernd Thiele
  • Hannes Bongartz

 


 

Wechsel
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Trainer Trainer

Beves Traum

Nach fünf sieglosen Bundesligaspielen hat sich die Eintracht mit dem 5:0 gegen den Abstiegskandidaten Nummer eins aus Wuppertal in der Tabelle von Platz 8 auf Rang 6 schieben können. Am heutigen Dienstagabend ist im vorletzten Hinrundenspiel beim Tabellenneunten Schalke 04 ein weiterer Erfolg wünschenswert, wenn es in der Tabelle weiter nach vorne gehen soll.

Trainer Weise ist sich der Schwere der Aufgabe bewusst und hat nicht von ungefähr ein „Sondertraining für Schalke“ angesetzt, wenn man so will. Die Eintrachtspieler kamen am spielfreien Wochenende in den ungewohnten und eher zweifelhaften Genuss eines außerplanmäßigen, sonntäglichen Trainings. Kapitän Jürgen Grabowski verließ das Trainingsgelände dennoch gut gelaunt: Er wird von seiner Verlobten Helga Reuter und seinem Schäferhund Atlas abgeholt, was Grabi die Anstrengung der vorangegangenen Übungseinheit offensichtlich schlagartig vergessen lässt. Etwas Entspannung und Ablenkung wird nicht nur dem Mannschaftsführer gut haben, denn man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass das bevorstehende Auswärtsspiel alles andere als eine vergnügungssteuerpflichtige Fahrt werden wird.

Dazu muss man nicht einmal die Statistik bemühen, die der Eintracht letzten und einzigen Bundesligasieg auf Schalke auf den 21.3.1964 datiert und für die Riederwälder in den letzten vier Spielzeiten vier Niederlagen in Gelsenkirchen ausweist. Die aktuelle Schalker Truppe als heimstark zu bezeichnen, ist nämlich fast schon eine Untertreibung. Siebenmal haben die Knappen in dieser Bundesligasaison einen Gast im Parkstadion empfangen und siebenmal mussten die Gegner ohne Punkte die Heimreise antreten, sechsmal sogar ohne einen Torerfolg verbuchen zu können. Nur dem schwedischen Nationalstürmer Roland Sandberg gelang für Lautern am ersten Spieltag ein Treffer gegen die heimstarken Schalker, niemand sonst konnte Norbert Nigbur im heimischen Stadion bezwingen.

Norbert Nigbur, der in diesem Jahr vor der Weltmeisterschaft seine beiden ersten Spiele für die DFB-Auswahl bestreiten durfte, fehlt heute jedoch verletzt. Peter Endrulat kommt so zu seinem ersten Bundesligaeinsatz. (Anmerkung: Es wird für fast vier Jahre auch sein letztes Spiel in der Eliteliga sein. Dann kommt er am 29. Spieltag der Saison 1977/78 – mittlerweile für Borussia Dortmund spielend – zu seinem zweiten Einsatz und erlebt zwei Spieltage später seinen vielleicht größten Triumph, als er mit dem BVB auf Schalke 2:0 gewinnt. Drei Partien später ist seine Erstligakarriere beendet: Er steht im Tor, als die Dortmunder am letzten Spieltag in Düsseldorf mit 0:12 untergehen und so den Gladbachern fast noch zur Meisterschaft verhelfen. Nach der bis heute höchsten Niederlage der Bundesligageschichte muss BVB-Trainer Rehhagel gehen, Endrulat geht auch: „Ich hatte fest mit einer Vertragsverlängerung in Dortmund gerechnet, aber die Unterschrift wurde immer wieder hinausgezögert. Die Vereinsverantwortlichen wollten wohl gucken, ob sie mich als Nummer eins behalten wollen. Nach dem Spiel habe ich dann keinen Vertrag mehr gekriegt. So schnell geht das.“ Nach dem Debakel der Borussia gegen Borussia verschlägt es ihn für drei Jahre zu einer dritten Borussia nach Berlin in die Zweite Liga Nord, danach beendet er seine Profikarriere.)

Im Eintrachttor steht zum dritten Mal hintereinander Günter Wienhold, der nach dem 5:5 gegen den VfB Stuttgart Dr. Peter Kunter auf dessen eigenen Wunsch hin abgelöst hat. Wienhold hat in den letzten beiden Partien keinen Gegentreffer kassiert, vielleicht sind heute ja der guten Dinge drei.

Ob die überraschende Schalker Aufstellung Wienhold entgegen kommt? Trainer Horvat lässt den jungen Rüdiger Abramczik auf der Bank und beginnt nur mit zwei Stürmern – Erwin Kremers und Klaus Fischer. Doch bei dieser Taktik ist Vorsicht geboten, denn aus alter Verbundenheit zur Eintracht hat sich Ivica Horvat bestimmt nicht für diese Variante entschieden.

Dabei haben viele am Main Horvat noch in bester Erinnerung und das nicht etwa, weil er in den beiden Anfangsjahren der Bundesliga - zuerst als Vertretung für den kranken Meistertrainer Paul Osswald, später alleinverantwortlich - Coach der Eintracht war. Nein, Ivica Horvat ist einer der bereits legendären Spieler, die der Eintracht vor 15 Jahren zu ihrer einzigen Deutschen Meisterschaft verholfen haben. Horvat musste seinerzeit leider in der Endrunde nach dem dritten Spiel passen und aufgrund einer schweren Erkrankung seine Karriere beenden. Ohne seine beispiellose Souveränität als Mittelläufer und seine kompromisslose Deckungsarbeit hätte die Eintracht der Spielzeit 58/59 niemals jene Siegesserie erreicht, die sie letztlich nach Berlin ins Endspiel führte, sind sich seine Kameraden von damals sicher. Möglicherweise hätte die Eintracht mit Horvat ein Jahr später gegen Real Madrid im Endspiel des Europapokals der Landesmeister auch nicht 3:7 verloren - Horvat war ein Mittelläufer der Extraklasse.

Gert Trinklein, der als Libero heute in etwa die Position spielt, die Horvat damals innehatte, reicht bei aller Qualität an Horvat natürlich nicht heran, wurde von Trainer Weise nach dem Spiel gegen Wuppertal jedoch zusammen mit Beverungen wegen seiner disziplinierten Spielweise gelobt. So überraschend gerade dieses Lob für den Bruder Leichtfuß der Eintrachtabwehr kam, so sehr entspricht der Einsatz von Körbel als Vorstopper anstelle von Beverungen den Erwartungen. Körbel hat seine Leistenbeschwerden auskuriert und wird sich um den gegnerischen Mittelstürmer Klaus Fischer kümmern.

Beverungen, der zu Saisonbeginn von den Schalkern zur Eintracht wechselte, brennt naturgemäß auf einen Einsatz gegen seine alten Kameraden. Der ist ihm auch vergönnt, er läuft im Mittelfeld anstelle von Wolfgang Kraus auf. Jürgen Kalb muss also wie im letzten Spiel neben Thommy Rohrbach auf der Bank Platz nehmen. Ob Kalb sich mehr ausgerechnet hat? Immerhin hat er nach seiner Einwechslung gegen Wuppertal das 5:0 durch Grabowski vorbereitet. Bei Trainer Weise haben im Augenblick jedoch andere elf Spieler die Nase vorn: Wienhold - Reichel, Trinklein, Körbel, Müller - Beverungen, Grabowski, Nickel, Weidle - Hölzenbein und Neuberger.

Auch die Eintracht versucht ihr Glück also mit nur zwei Stürmern, die zwei Viererreihen hinter sich haben. Die Devise „Sicherheit zuerst“ dominiert zum dritten Mal hintereinander Weises Taktik und zu Beginn auch das Spiel seiner Elf. Die Gastgeber aber halten sich mit langem Abtasten erst gar nicht auf und gehen sogleich in medias res.

Den sich durch den fehlenden Rechtsaußen ergebenden freien Raum wissen die Schalker prächtig zu nutzen, in dem ihre Mittelfeldspieler abwechselnd in diese Position hinein stoßen. Besonders tut sich hierbei Jürgen Sobieray hervor, der in dieser Saison sein erstes Bundesligaspiel nach langer Verletzungspause (Muskelfaserriss im Oberschenkel) bestreitet.

Die Eintracht kommt mit der Schalker Zwei-Stürmer-Taktik viel schlechter zurecht, als es umgekehrt der Fall ist. „Natürlich habe ich das sofort erkannt und Müller durch den offensiveren Rohrbach ersetzt“, nimmt Eintracht-Trainer Weise für sich in Anspruch. Das ist auch richtig, allerdings führen die Schalker zu diesem Zeitpunkt bereits mit 1:0.

Zwei Minuten, bevor Rohrbach für Müller ins Spiel kommt, schießt Erwin Kremers einen angeschnittenen Freistoß in Richtung des Frankfurter Tores. Schlussmann Wienhold zögert, läuft ein Stückchen aus dem Tor, bleibt dann stehen und scheint zu überlegen, ob er sich wieder zurückorientieren soll, da ist es schon geschehen: Budde bugsiert den Ball über die Linie, ansonsten hätte Rüssmann in der Mitte wohl zugeschlagen.

Das dritte Saisontor für Budde und sein viertes in seiner Bundesligalaufbahn gegen die Eintracht. Die ersten drei erzielte er noch für den MSV Duisburg, der ihn im Dezember 1972 zum damals amtierenden DFB-Pokalsieger nach Gelsenkirchen ziehen lassen musste. Auf Schalke kam Budde jedoch an Klaus Fischer und Erwin Kremers im Sturm nicht vorbei und am Ende in deren Schatten nicht zurecht. Im Mittelfeld scheint er sich in dieser Spielzeit deutlich wohler zu fühlen.

Wohler scheint sich jetzt auch die Eintracht trotz des Rückstandes mit der Hereinnahme durch Rohrbach nach 18 Minuten zu fühlen, zumindest gestalteten die Gäste das Spiel nun offensiver und ausgeglichener. Torchancen, das muss nicht nur der Neid den Schalkern lassen, sondern auch der Schreiber dieses Berichtes, haben fast allein die Gastgeber.

Würden die Schalker zur Halbzeit höher führen, die Frankfurter könnten sich nicht beschweren. Doch die Knappen gehen mit ihren Tormöglichkeiten so leichtfertig um wie Erwin Kremers mit seiner Teilnahmekarte zur WM vor wenigen Monaten, die er in der 90. Minute des 34. Spieltages beim aussichtslosen Spielstand von 0:4 auf dem Betzenberg mit einer Roten Karte wegen Schiedsrichterbeleidigung im allerletzten Moment entwertete. Einen in der Bundesliga gesperrten Spieler wollte der DFB nicht für eine WM nominiert wissen.

Die Weltmeisterschaft ist heute Abend wie der letzte Sommer bereits Geschichte, in der Gegenwart scheinen die Schachzüge von Ivica Horvat aufzugehen, zumal die Eintracht nicht in der Lage ist, den unerfahrenen Torhüter der Schalker auf ernsthafte Proben zu stellen. Der junge Mann wirkt zwar verständlicherweise etwas nervös und unsicher, doch daraus können die Gäste vom Main kein Kapital schlagen.

Bernd Hölzenbein, ihr gefährlichster Stürmer, liegt bei Rüssmann an einer Kette, die der Frankfurter Weltmeister noch nicht zu knacken imstande war. „Noch nicht“ stimmt bis eine gute Viertelstunde vor dem Spielende, dann beschert Torhüter Endrulat den Gästen 14 Tage vor Heiligabend ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk, das Hölzenbein ohne zu zögern und nur zu gerne annimmt. Dem erst 20jährigen Nigbur-Vertreter Endrulat kann man in seinem ersten Bundesligaspiel keine übertriebenen Vorwürfe machen. Hätten seine Mitspieler ihre Überlegenheit der ersten Hälfte in Toren ausgedrückt, wäre Endrulats Missgeschick nicht weiter ins Gewicht gefallen. So aber kommen die Frankfurter mit ihrem zweiten brauchbaren Schuss auf das Schalker Tor nach 74. Minute zum Ausgleich - nach 664 Minuten kassieren die Knappen zu Hause wieder einen Gegentreffer.

Trainer Horvat müsste jetzt im Grunde den jungen Abramczik bringen, der in der letzten Saison mit seinem Treffer zum 2:1 in der 88. Minute den Grundstein für einen späten Schalker Sieg gegen die Eintracht legte. Doch Horvat tut es nicht, vielleicht weiß er nicht, wen von seinen Spielern er herausnehmen soll. Schlecht spielt keiner, einer sticht sogar wie Körbel auf der Gegenseite aus seinem Team besonders heraus: Bernd Thiele.

Als der am 18.2.1956 geborene Abramczik am 11. August 1973 beim 0:3 in Stuttgart sein Debüt in der 1. Bundesliga gab und zum jüngstes Spieler er Bundesligageschichte wurde, kam auch Bernd Thiele nach 64 Minuten zu seinem ersten Einsatz bei den Profis. Fast hätte er den gerade aufgestellten Rekord gebrochen, doch der für Budde eingewechselte Thiele ist 25 Tage älter als „Abi“.

Dieser Thiele macht heute ein großes Spiel und Jürgen Grabowski schwer zu schaffen. Grabi spielt gut, doch so wie gewohnt kommt er nicht zur Entfaltung. Schon vor dem Spiel hatte Thiele trocken bemerkt: „Weltmeister Grabowski - na und? Ich spiele gegen alle.“ Der „kleine, drahtige, rotzfreche Knabe“, wie Schalke-Präsident Siebert Thiele nennt, macht der Einschätzung des ersten Mannes im Verein alle Ehre. Nicht weniger ehrenwert ist auf Seiten der Eintracht die Leistung Karl-Heinz Körbels, der den torgefährlichsten Schalker Stürmer bewacht und 90 Minuten lang zur Harmlosigkeit verurteilt. Fischer wird auf sein neuntes Saisontor mindestens bis zur nächsten Partie waren müssen und die Schalke büßen zu Hause zum ersten Mal in dieser Saison einen Punkt ein.

Klaus Beverungen, ehemaliger Schalker und heutiger Stammspieler bei der Frankfurter Eintracht, freut sich besonders über das 1:1: „Ich hatte mir gewünscht, dass wir hier, bei meinem alten Verein, einen Punkt holen würden“, erklärt er, „jetzt, nachdem dieser Traum Wahrheit geworden ist, bin ich happy. Wir halten zum Schluss sogar noch gewinnen können.“ Während „Beves“ Traum in Erfüllung gegangen ist, zeigt sich Bernd Hölzenbein nicht ganz zufrieden mit der Leistung der eigenen Mannschaft: “Bei diesem Torwart haben wir noch zu wenig geschossen. Insgesamt geht dieses Unentschieden jedoch in Ordnung“, findet der Torschütze.

Trainer Dietrich Weise bleibt wie immer auch im Erfolg bescheiden und ehrlich: „Schalke hätte in der ersten Halbzeit mehr Tore erzielen können, dann wären wir sicherlich nicht mit einem solchen Erfolg nach Hause gefahren. Aber nachher haben wir uns doch beträchtlich gesteigert.“

Diese Steigerung wird die Eintracht beibehalten müssen, wenn sie das letzte Hinrundenspiel gegen den Namensvetter aus Braunschweig erfolgreich gestalten will. Mit einem Heimsieg gegen die andere Eintracht würde die Tabellenspitze wieder ein gutes Stück näher rücken.

Ein gutes Stück näher hofft Bernd Hölzenbein bereits jetzt einer vernünftigen Versorgung für die Zeit nach seiner Laufbahn als professioneller Fußballer zu sein. Bei der Eröffnung seiner Mode-Boutique in der Frankfurter Innenstadt kann er neben Vereinspräsident Achaz von Thümen und Trainer Dietrich Weise auch seine Mannschaftskameraden begrüßen. „Wenn der Ansturm immer so stark ist wie heute, kann nichts schiefgehen“, sagt Hölzenbein.

Er sollte es besser wissen, denn im Leben wie im Fußball bleibt nichts wie es ist und schiefgehen kann alles. Immer. (rs)

 

 

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