MSV Duisburg - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1974/1975 - 6. Spieltag

1:3 (0:1)

Termin: Sa 28.09.1974, 15:30 Uhr
Zuschauer: 15.000
Schiedsrichter: Ferdinand Biwersi (Bliesransbach)
Tore: 0:1 Bernd Nickel (8.), 1:1 Rudolf Seliger (51.), 1:2 Bernd Lorenz (86.), 1:3 Peter Reichel (88.)

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MSV Duisburg Eintracht Frankfurt

  • Dietmar Linders
  • Werner Schneider
  • Kees Bregman
  • Bernard Dietz
  • Michael Bella
  • Rudolf Seliger
  • Bernd Lehmann
  • Ronald Worm
  • Lothar Schneider
  • Theo Bücker
  • Herbert Büssers

 


 

Wechsel
  • Klaus Thies für Herbert Büssers (75.)
Wechsel
Trainer
  • Willibert Kremer
Trainer

 

Gefährlich ist´s, den Leu zu wecken

Vor dem Spiel in Duisburg ist alles ruhig. Zu ruhig für einige, wie man daran sehen kann, dass die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird, das sich so gerne als Weltmetropole sieht. Getrieben wird die Sau standesgemäß mitten auf den Boulevard oder sollte man sagen: durch den Boulevard. Der Treiber ist natürlich das vielgelesene Blättchen mit den großen Buchstaben, das arme Schwein ist Bernd Hölzenbein.

„Jawohl, ich habe mich für Elfmeter hingelegt“ lautet die Überschrift im Massenblatt und Bernd Hölzenbein wird im Artikel mit den Worten zitiert: „Ich habe mich bei den Elfmetern im Polen-Spiel und im Finale gegen Holland fallen lassen.“

Unklar bleibt, warum Bernd Hölzenbein gerade der Boulevardzeitung dieses Geständnis gemacht haben soll, zumal ihm die „Bild“ auch folgendes Zitat zuschreibt: „In Zukunft pfeifen die Schiedsrichter bei mir auch dann nicht mehr Elfmeter, wenn es einer ist.“

Warum um alles in der Welt sollte Hölzenbein eine Grube graben, um dann freiwillig und ohne Not hineinzuspringen, fragt sich der kritische Leser? Auf diese Frage gibt der Verfasser des Artikels, Karl-Walter Reinhardt, keine Auskunft. Sollte ein Bundesligaprofi tatsächlich so dämlich sein, sich einem Journalisten gegenüber in dieser Weise zu äußern und mit dem Satz „Beim Elfer in Kaiserslautern habe ich mich selbst gewundert, dass Kindervater gepfiffen hat“ noch einen oben draufzusetzen?

Bernd Hölzenbein, der es auf dem Platz auch schon einmal mit drei Gegnern gleichzeitig aufnimmt, bekommt recht schnell zu spüren, dass auch ein Fußballweltmeister gegen die Macht der „Bild“ nicht viel ausrichten kann, allein schon gar nicht.

Im Zweikampf mit der „Bild“ benötigt Hölzenbein professionelle Unterstützung und sucht anwaltlichen Rat. Mit Hilfe seines Rechtsbeistandes erwirkt er eine einstweilige Verfügung und reicht Klage ein, um die „Bild“ zu einer Gegendarstellung zu zwingen. Doch ein einmal gesagtes Wort kann man ebenso wenig wieder einfangen, wie eine veröffentlichte Meldung ungeschehen machen - etwas bleibt immer hängen Hölzenbein dürfte ahnen, dass er diese Geschichte so oder so bis an sein Lebensende nicht mehr los werden wird.

Selbst Bundestrainer Helmut Schön meldet sich zu Wort wundert sich: „Seltsam, bei der Ehrung in Bonn haben wir im Spielerkreis gerade über dieses Thema gesprochen, und ich habe Hölzenbein gegen jeden Verdacht verteidigt. Ich habe gesagt, der Bernd ist ein Spieler, der so schnell in den gegnerischen Strafraum eindringt, der Haken schlagend jedes Risiko eingeht, dass der Gegner entweder auf einen solchen Hakentrick reinfällt oder ihn foult – und dann gibt´s eben Elfmeter.“

Für den Bundestrainer besteht kein Zweifel: „Ich habe schon viele Fouls gegen Hölzenbein im Strafraum gesehen und habe die verhängten Elfmeter immer für gerechtfertigt gehalten. Allerdings muss ich zugegeben, er beherrscht das Hinfallen, er macht eine Schau daraus. Das ist eben eine persönliche Zugabe.“

Das Echo im Ausland, vor allen Dingen in Holland macht Schön allerdings Kopfzerbrechen: „Für unsere Freunde drüben ist dieses angebliche Geständnis das gefundene Fressen.“ Eintracht-Trainer Weise denkt dagegen nicht nur an die Bewertung der beiden WM-Spiele, sondern auch an die internationale Zukunft: „Wie ein holländischer oder polnischer Schiedsrichter in einem Europapokalspiel jetzt auf ein Foul im Strafraum an Hölzenbein reagiert, kann man sich leicht vorstellen.“

Für die Bundesliga rechnet Dietrich Weise ebenfalls mit Konsequenzen: „Wenn Hölzenbein das wirklich gesagt hat, wird es die Eintracht bezahlen müssen. Denn welcher Schiedsrichter wird ihm künftig noch glauben, falls wirklich ein Foul an Hölzenbein begangen wird.“

Weise würde es dennoch für einen Fehler halten, „ihn jetzt aus der vordersten Front wieder ins Mittelfeld zurückzuziehen. Bernd muss jetzt noch mehr als bisher den Zweikampf im Strafraum suchen, um den Schiedsrichtern zu beweisen, dass sie in der Vergangenheit zu Recht Elfmeter gepfiffen haben.“

Dietrich Weise ist sich sicher, dass sein Spieler die Elfmeter nicht „herausschindet“, sondern diese „erkämpft“. Weise erläutert seine Ansicht: „Hölzenbein ist einer von jenen Typen, die im Strafraum den Zweikampf suchen. Dass sie dabei öfter als andere gefoult werden, liegt in ihrer verwirrenden Spielweise begründet. Seppl Pirrung und Gustl Jung sind ähnliche Typen. Würde man sich einmal die Mühe machen, würde man herausfinden, dass etwa Pirrung weitaus mehr Elfmeter herausgeholt hat als Hölzenbein.“

Hölzenbein wegen der „Bild“-Kampagne vorübergehend aus der Mannschaft zu nehmen, kommt für den Eintracht-Trainer überhaupt nicht in Frage: „Wenn Wolfgang Kraus gesund aus dem Türkenspiel der Amateure zurückkehrt, wird sich die Mannschaft für Duisburg am Samstag kaum ändern, also auch Hölzenbein selbstverständlich dabei sein.“ Sein Einsatz könne nur durch seine Knöchelverletzung in Frage gestellt werden, sagt Weise und Hölzenbein bekräftigt: „Ich spiele.“

Auch auf die Nationalelf hat die Affäre keine Auswirkungen. Helmut Schön sieht keinen Grund, seinem Stürmer „den Kopf abzureißen“. Einen guten Rat gibt er Bernd Hölzenbein dennoch mit auf dem Weg: „Hoffentlich lernt er daraus, was er wem zu sagen hat.“ Man weiß eben nie, was ein anderer daraus macht...

Am Tag vor dem Spiel ist Hölzenbeins Einsatz dann doch ernsthaft gefährdet, weil ihm seine Verletzung am rechten Knöchel, die er vier Tage vor der Partie beim MSV in einem Freundschaftsspiel gegen eine Taunusauswahl erlitten hat, immer noch Probleme bereitet. „Wir wissen noch nicht, ob Hölzenbein spielen kann“, sagt Trainer Weise und befürchtet: “Außerdem werden die Duisburger nach der letzten Niederlage gehörig Dampf machen“.

Mit 1:4 hat der MSV am Bökelberg verloren, das ist richtig, aber die beiden Heimspiele dieser Saison klar gewonnen – 2:0 gegen Schalke und 4:0 gegen Bremen. Die Eintracht muss sich gegen die gut gestarteten Duisburger aber nicht verstecken, denn die Hessen haben in dieser Spielzeit auswärts alle Partien gewonnen, sowohl im Pokal als auch in der Liga.

Entsprechend selbstbewusst beginnt die Mannschaft von Trainer Weise im Wedau-Stadion das Spiel, an dem Bernd Hölzenbein letztendlich teilnehmen kann. War es vor dem Spiel noch das neue MSV-Maskottchen „Ballermann“, das für Stimmung sorgte, sind es nun die Gäste, die zum Tanz bitten. „Ballermann“, ein Riesen-Vieh - 2 Meter groß und 2,50 Meter lang – aus Stoff und Holz, muss von zwei Männern bewegt werden, die Eintracht bewegt dagegen die gesamte Duisburger Mannschaft und zwar mehr als ihr lieb sein kann.

Der erste „Ballermann“ kommt wenig überraschend aus Frankfurt und er heißt Bernd Nickel. Unfreiwillige Unterstützung bekommt „Dr. Hammer“ dabei von Kees Bregman, dem Duisburger Neuzugang, der nach zwei Einwechslungen zum ersten Mal in der Startelf der Zebras steht. Als Stürmer geholt muss er heute in der Abwehr als Libero aushelfen, weil Detlev Pirsig in Mönchengladbach eine Rote Karte erhalten hat und gesperrt ist.

Bregman wirft sich in Nickels Schuss, als dieser aus etwa 18 Metern mit seiner linken Klebe abzieht. Torhüter Lindner hätte den Ball wohl sicher abgewehrt, doch Bregman fälscht das Leder unhaltbar für seinen Keeper ins eigene Netz ab. Das ist bitter für den MSV und noch bitterer für Bregman – 0:1 nach nur 9 Minuten.

MSV-Kapitän Pirsig nimmt seinen Stellvertreter in Schutz, der in seiner ganzen Karriere noch nicht ein einziges Mal die Position des Liberos gespielt hat: „Ein blödes Tor. Aber Kees hatte keine Schuld. Ich hätte mich genauso dazwischen geworfen.“

Die Eintracht, bei der Bernd Nickel Jürgen Grabowski im Mittelfeld ideal ergänzt, nimmt nun das Tempo aus dem Spiel. Die Führung scheint den Hessen vorerst zu genügen. Der Trainer der Gastgeber, Willibert Kremer, sieht den frühen Rückstand seiner Mannschaft mit Sorge: „Hoffentlich verlieren meine Spieler jetzt nicht die Nerven.“

Die Befürchtung Kremers erweist sich als unbegründet. Die Frankfurter wirken abgeklärter und haben die durchdachtere Spielanlage, doch der MSV nimmt den Kampf an und auf. Besonders Bella scheint sich mit Jürgen Grabowski eine Art Privatfehde liefern zu wollen, was den Frankfurter Kapitän zunehmend ärgerlicher macht.

An Bernd Hölzenbein ist der Ärger der letzten Tage nicht spurlos vorübergegangen und es ist ihm auch anzumerken, dass ihn die Knöchelverletzung mehr behindert als er sich wohl eingestehen wollte. Holz hat gegen Dietz einen denkbar schweren Stand und kann sich nicht wie gewohnt entfalten.

Mit Bernard Dietz hat Hölzenbein den stärksten Duisburger gegen sich, der wie Theo Bücker und Herbert Büssers zu Torgelegenheiten kommt, allerdings ohne dass einer der MSV-Akteure daraus Kapital schlagen könnte.

Die Halbzeitführung der Eintracht ist verdient, aber von der Wedau an den Main geschaukelt haben die Gäste die beiden Punkte damit noch lange nicht. Nach der Pause drängen die Duisburger mit Mann und Zebra auf den Ausgleich, ihre Methode ist jedoch einfallslos: Mit langen Pässen versuchen die Hausherren die Frankfurter Abwehr zu überwinden, doch die Mehrzahl der Bälle erreicht den Mitspieler nicht.

In der 51. Minute fällt der Ausgleich eher zufällig und ähnlich unglücklich wie der Führungstreffer der Eintracht. Seliger setzt zu einem Solo an, versetzt seinen Gegenspieler Helmut Müller und spielt sich tatsächlich bis zur Torauslinie durch, von wo er jedoch bestenfalls noch eine Flanke schlagen kann, die Frankfurts Torwart Dr. Kunter auch erwartet. Die scharfe Hereingabe Seligers erreicht der Keeper jedoch nicht, Trinklein lenkt die Kugel ins eigene Tor. „Ich bekam den Ball voll auf den Stiefel“, erklärt der Gäste-Libero das Zustandekommen von Seligers drittem Bundesligator in dieser Saison.

Trainer Weise hat genug gesehen und wechselt vier Minuten nach dem Ausgleich Bernd Lorenz für Hölzenbein ein, der ihm diese Maßnahme nicht übelnimmt. Der Frankfurter Weltmeister humpelt vom Platz, sein Knöchel braucht Ruhe und Holz sicher auch.

Bernd Lorenz, der Neuzugang von Rapid Wien, hat in dieser Saison erst ein Ligaspiel über 90 Minuten bestritten, heute wird er zum vierten Mal eingewechselt. In den letzten beiden Partien hat Lorenz in nur 108 Minuten drei Tore erzielt und Weise hofft auf einen ähnlichen Effekt wie bei der Einwechslung des Ex-Bremers am letzten Spieltag gegen Kaiserslautern, als Lorenz nach seiner Einwechslung in der 72. Minute innerhalb von sieben Minuten zwei Treffer gelangen. Heute wirkt Lorenz wie in manch anderer Partie allerdings erst ein Mal wie ein Fremdkörper in der Frankfurter Elf.

Jürgen Grabowski, der sich - als er zum wiederholten Male von Bella scharf attackiert wird – beim interessiert zuschauenden, aber tatenlosen Schiedsrichter beschwert, erhält von Biwersi für seine Reklamation den gelben Karton vor die Nase gehalten.

Gefährlich ist´s, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn, jedoch der schrecklichste der Schrecken ist für das Zebra Grabis Zorn. Einen Jürgen Grabowski führt man nicht vor und man kanzelt ihn auch nicht ab wie einen kleinen Schulbuben. Grabi tut das, was er seiner Klasse schuldig ist: Er spielt seine Gegner schwindlig. Auf der rechten Seite dribbelt er sich herrlich durch und schlägt eine Flanke nach innen, genau auf den Kopf des kleinen Wolfgang Kraus. Glück für den MSV, der Ball springt an die Innenkante des Pfostens und wieder aus dem Tor heraus. „Scheppe“ Kraus, der im Pokalfinale gegen den HSV sein erstes Tor im bezahlten Fußball erzielte, muss auf seinen ersten Bundesligatreffer weiter warten.

Das Spiel nähert sich nun dem Ende, Frankfurts Körbel ist angeschlagen, hat eine Verhärtung am Oberschenkel und beide Teams können mit der Punkteteilung anscheinend leben.

Da läuft in der 86. Minute nach einem Fehlpass von Dietz ein eher harmlos anmutender Angriff der Frankfurter, den man schwerlich Konter nennen kann, in Richtung MSV-Tor. Kraus passt den Ball auf den schnellen Rohrbach, der den Ball mit dem Außenrist des rechten Fußes zurücklegt. In diesem Moment tankt sich Lorenz heran und nimmt die Kugel direkt, die wie aus einer Kanone abgefeuert auf das von Linders gehütete Tor zufliegt. Ein Schuss wie ein Strich, sagt man da wohl. Im oberen Toreck schlägt der Ball ein, Linders hat nicht den Hauch einer Chance gegen dieses herrlichen Treffer aus 17 Metern Entfernung.

Natürlich wirft der MSV nun alles nach vorne, doch das Glück der vergangenen Saison als Theo Bücker in der 90. Minute gegen die Eintracht den Ausgleich erzielen konnte, ist ihnen diesmal nicht hold.

Im Gegenteil: Ein Drehschuss von Dietz geht wie vorher der Kopfball von Kraus an den Innenpfosten und springt ins Spielfeld zurück. Doch damit nicht genug – Peter Reichel startet einen Sololauf, der ihn bis vor Linders führt und über den herauseilenden MSV-Keeper lupft der Außenverteidiger den Ball aus 12 Metern zum 3:1 für die Eintracht ins Tor. Das ist die Entscheidung.

„Nach der 1:4-Schlappe vom Bökelberg wollen wir gegen Frankfurt glänzen“, hatten die Zebras in ihrem Magazin „MSV-Blick“ versprochen, aber dieses Versprechen werden sie heute nicht mehr einlösen können. Die Duisburger verlieren und rutschen von Platz sieben auf Platz zehn ab.

Der Torschütze Bernd Lorenz ist nach seinem vierten Bundesligatreffer in nur 143 Minuten glücklich: „Der passte ganz genau. Zu meiner Überraschung gratulierte mir sogar unser Vizepräsident.“

Frankfurts Trainer Weise bleibt trotz des erneuten Auswärtssieges und des zweiten Tabellenplatzes gewohnt sachlich, ist mit seiner Mannschaft aber sehr zufrieden: „Wir haben gut gespielt und die Duisburger nicht stark aussehen lassen. Natürlich war der Sieg letztlich etwas glücklich, weil auch der MSV hätte gewinnen können, aber wir waren bis zum Schluss voll konzentriert. Das Tor von Lorenz zum 2:1 hatte wirklich Seltenheitswert.“ (rs)

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