Eintracht Frankfurt - Hamburger
SV |
Bundesliga 1974/1975 - 3. Spieltag
1:3 (0:2)
Termin: Mi 11.09.1974, 20:00 Uhr
Zuschauer: 30.000
Schiedsrichter: Rainer Waltert (Paderborn)
Tore: 0:1 Horst Bertl (17.), 0:2 Willi Reimann (37.), 1:2 Jürgen Grabowski (58.), 1:3 Willi Reimann (90.)
Eintracht Frankfurt | Hamburger SV |
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Begossene Pudel und feuchte Umschläge Der Saisonbeginn verlief für die Eintracht bisher vielversprechend: Nach dem Pokalsieg gegen den HSV wurde ein ungefährdeter Auswärtssieg in Bremen eingefahren und im Pokal konnte in Bielefeld die zweite Runde erreicht werden. Lediglich das erste Bundesligaheimspiel der Saison gegen Gladbach brachte trotz einer überzeugenden ersten Halbzeit am Ende nur einen Zähler. Der heutige Gast im Waldstadion hat in der ersten Liga
zwar bisher nur ein einziges Mal bei den Hessen gewinnen können,
brennt jedoch auf die Revanche für das verlorene Pokalfinale. Klaus
Zaczyk kündigt vor dem Spiel an, dass die Hamburger „einen
Punkt als Rache“ wollen. Außerdem hat der HSV wie die Eintracht
heute die Chance, bei einem Sieg die Tabellenführung zu ergattern.
Körbel, der von Bielefeld aus von Eintracht-Vizepräsident Berger direkt ins Höchster Krankenhaus gebracht wurde, soll heute allerdings nicht als Stopper fungieren, sondern im Mittelfeld agieren – möglicherweise eine Vorsichtsmaßnahme Trainer Weises, um Körbel Kopfballduelle zu ersparen. Für Körbel kommt Helmut Müller, der sonst Außenverteidiger spielt, im Abwehrzentrum zu seinem ersten Pflichtspieleinsatz in dieser Saison. Zwei Spieler im Abwehrzentrum, die bei Kopfbällen behindert oder gehemmt sind, wären wohl auch zu viel des Guten gewesen, da sich Trinklein im Training vor zwei Tagen im Zweikampf mit Reichel eine klaffende Platzwunde am Augenlid zugezogen hat, die im Höchster Krankenhaus genäht werden musste. Trinkleins blaues Auge sieht aus wie das Souvenir einer Kneipenschlägerei, aber behindert wird der „Schoppe-Gert“ durch das Veilchen nicht. Die Eintracht beginnt mit Dr. Kunter im Tor, Trinklein als Libero, Müller als Stopper und Reichel und Kalb als Außenverteidiger, im Mittelfeld mit Körbel, Weidle, Grabowski und Nickel sowie Rohrbach und Hölzenbein im Sturm. Wolfgang Kraus, der zweifache Torschütze des Pokalspiels in Bielefeld, muss also vorerst auf der Bank Platz nehmen. Für Körbel ist die Rolle im Mittelfeld übrigens nicht ungewohnt, sie war sogar bis zum Ende der letzen Saison sein angestammter Platz, weil Uwe Kliemann den Posten des Vorstoppers besetzt hielt. Kliemanns Wechsel nach Berlin hat die Eintracht übrigens nach Einschätzung ihres Kapitäns nicht geschwächt: „Trotz Kliemanns Weggang schätze ich unsere Mannschaft eher stärker ein, weil wir zunehmend an Erfahrung gewinnen.“ Körbels Erfahrung im Mittelfeld nutzt ihm heute jedoch augenscheinlich ebenso wenig wie seinen Kameraden die hinzugewonnenen Erkenntnisse – der HSV überrascht mit einem Mittelfeld, das aus fünf Mann besteht, und die Eintracht hat Probleme sich auf diese Taktik des Gegners einzustellen. Die Verwirrung ist den Gastgebern anzumerken und auch anzusehen. So findet sich Kalb, der eigentlich Außenverteidiger spielen soll, plötzlich auf Rechtsaußen wieder, weil er Memering zugeordnet ist. Die Gäste haben so im wahrsten Sinne leichtes Spiel und kommen rasch zu zwei Ecken, die aber für die Frankfurter folgenlos bleiben. Etwas überraschend hat die Eintracht die erste gute Torgelegenheit, als Grabowski nach 16 Minuten prächtig abzieht und Kargus zu einer Glanzparade zwingt. Ohne Zweifel, dieser Ball wäre im Kasten der Hamburger eingeschlagen, doch Kargus pariert und lenkt das Leder zur Ecke. Nun sind es die Frankfurter, die aus dem Eckball kein Kapital schlagen können, und so dem HSV die Chance geben, seinerseits einen Angriff vorzutragen. Winkler schlägt eine Flanke in den Strafraum der Hausherren, der Ball wird zu kurz abgewehrt und diese misslungene Aktion ruft Bertl auf den Plan, der in der 17. Minute aus 16 Metern Volley abzieht. Das Glück ist mit ihm, die Kugel wird abgefälscht und Dr. Kunter ist geschlagen – 1:0 für den HSV. Es ist Bertls zweites Saisontor. Seinen ersten Treffer für den HSV erzielte Bertl am 2. Spieltag, als er den Vizemeister von 1959 in der 90. Minute mit dem einzigen Tor der Partie in das tiefe Tal der Tränen schickte. Nach 33 Minuten läuft Körbel kopfschüttelnd zur Frankfurter Trainerbank, es geht nicht mehr. Wolfgang Kraus, der im Pokalfinale gegen den HSV mit seinem Tor zum 3:1 alles klar machte und dabei seinen ersten Treffer als Profi erzielte, kommt in die Partie. An der Überlegenheit des HSV ändert die Einwechslung des quirligen Mittelfeldspielers zunächst nichts. Vier Minuten nachdem Kraus den Platz betreten hat liegen die Gäste sogar 2:0 in Führung: Zaczyk manövriert seinen Gegenspieler im Strafraum der Eintracht aus und Willi Reimann besorgt das zweite Tor der Hanseaten. Reimann könnte heute einen Hat-Trick erzielen, doch bei seinen beiden anderen Chancen ist Dr. Kunter auf dem Posten und macht die guten Einschussgelegenheiten des ehemaligen Stürmers von Hannover 96, der auch bei der Eintracht im Gespräch war, zunichte. So geht es mit 2:0 für den HSV in die Pause. Trainer Weise scheint in der Kabine die richtigen Worte gefunden zu haben. Seine Spieler wirken in der zweiten Halbzeit deutlich konzentrierter und haben sich endlich auf das Fünfer-Mittelfeld der Gäste eingestellt. Auch in der Offensive sind die Hausherren gefährlicher als im ersten Durchgang. Das Bemühen, dem Spiel noch eine Wende zu geben, wird auch alsbald belohnt. Fünf Minuten nach Wiederanpfiff schlägt Wolfgang Kraus eine Flanke in den Strafraum des HSV, wo Caspar Memering zum Entsetzen seiner Mitspieler reflexartig mit der Hand nach dem Ball greift. Klarer Fall, Elfmeter. Jürgen Kalb, der sicherste Elfmeterschütze, den die Eintracht zu bieten hat, tritt an, doch Kargus kann das Leder mit einer Faustabwehr am Überschreiten der Torlinie hindern. Die große Chance zum Anschlusstreffer ist vertan. Die Eintracht lässt sich jedoch von Kalbs Fehlschuss nicht beirren; Jürgen Grabowski weicht auf den Flügel aus und wirbelt die Hamburger Hintermannschaft von der Position aus durcheinander, die er nur noch im Ausnahmefall und aus freien Stücken bekleidet. Hölzenbein tummelt sich dagegen gerade dort, wo er sich im Algemeinen am Wohlsten fühlt, im dichten Gewühl vor des Gegners Tor. Holz setzt sich durch, passt auf Grabowski, der Björnmose mit einer Körpertäuschung aussteigen lässt und sofort aus der Drehung schießt. Gegen Grabis harten Schuss aus fünf Metern Entfernung hat der gute Kargus keine Abwehrchance. Es steht nur noch 1:2 und es sind regulär noch 32 Minuten zu spielen. Als ob die Hamburger erkannt hätten, von wem ihnen die größte Gefahr droht, tritt Bertl den Frankfurter Kapitän im Zweikampf so in die Knochen, dass Grabowski nur noch humpelnd seinen Dienst verrichten kann. Ohne die ordnende Hand und die überraschenden Ideen Grabis wirken seine Mitspieler überfordert; zu einfallslos und umständlich sind ihre Versuche, die HSV-Abwehr zu überrumpeln. 10 Minuten vor dem Ende hat Trainer Weise ein Einsehen und Erbarmen mit seinem Spielführer, der eine Bänder- und Kapselverletzung erlitten hat. Für Grabowski kommt der kopfballstarke Neuzugang aus Wien, Bernd Lorenz. Das Spiel ist nichts für schwache Nerven. Gut, dass sich Reichel von den Provokationen Volkerts nicht beeindrucken lässt. Der Angreifer des HSV hat offensichtlich nicht verwunden, dass ihn Reichel im Pokalfinale so beiläufig kaltgestellt hat wie eine Flache Bier. Doch obwohl Reichel, dem Volkert immer wieder hitzige Auseinandersetzungen anbieten will, den Hamburger Stürmer im Griff hat und Trinklein trotz blauen Auges seine Übersicht behält, sind die Gäste bei ihren Kontern dem dritten Tor näher als die Eintracht dem Ausgleich: Zaczyk und Björnmose haben die Entscheidung auf dem Fuß, doch sie vergeben. In der letzten Minute ist es dann aber soweit: Die Frankfurter sind aufgerückt, um doch noch den Ausgleich zu erzielen, und der HSV nutzt die Situation zu einem Konter über Volkert, der den Ball über den sich ihm entgegenwerfenden Dr. Kunter hinweg hebt - Willi Reimann hat keine Mühe den Ball per Kopf im leeren Tor unterzubringen. Die erste Heimniederlage der Eintracht seit dem 24. Februar 1973 ist besiegelt und die Frankfurter schleichen wie begossene Pudel vom Platz. Kuno Klötzer, der Trainer des neuen Tabellenführers aus Hamburg, sieht das Geheimnis seines Erfolges in seinem Führungsstil begründet: „Ich habe nur deshalb das uneingeschränkte Vertrauen, weil ich keine Verbeugung vor den Stars mache.“ Den Grundstein für den heutigen Sieg hat der HSV aber mit der taktischen Maßnahme gelegt, im Mittelfeld mit fünf Spielern zu agieren. Das sieht auch „Ritter Kuno“ so: „Die Folge war, die Frankfurter Gegenspieler waren total verwirrt und wussten nicht, wer nun wen zu beschatten hatte.“ Trainer Weise – wie immer auch in der Niederlage ein fairer Sportsmann - lobt seinen Kollegen für dessen gelungenen Schachzug: „Mit der Taktik wäre diesmal keine Elf, auch nicht Bayern München zurechtgekommen.“ Ganz aus der Kritik nehmen mag er seine Mannschaft freilich nicht: „In der ersten Halbzeit haben unsere Mittelfeldspieler nicht genau genug gedeckt. Nach dem Donnerwetter in der Pause klappte das in der zweiten Halbzeit besser, aber da war es schon zu spät.“ Auch mit seinem Musterschüler Körbel ist Weise diesmal nicht zufrieden, zumal dem Trainer zur Last gelegt wird, dass er entgegen seiner Gewohnheit diesmal einen angeschlagenen Spieler in der Anfangself hatte. Weise räumt ein: „Es wird mir eine Lehre sein. Ich werde zukünftig auf seine Beteuerungen, es sei alles in Ordnung, nicht mehr eingehen.“ 10 Minuten vor Spielbeginn hatte Weise überlegt, die Aufstellung zu ändern und auf Körbel zu verzichten: „Denn beim Warmmachen bemerkte ich, dass eben doch nicht alles in Ordnung ist.“ Der Grund für Körbels frühe Auswechslung ist laut Weise jedoch in einer Aktion während der Partie zu suchen: „Karl-Heinz Körbel musste ich auswechseln, weil er bereits in der Anfangsphase des Spiels wieder einen Schlag gegen den Kopf bekam und starke Schmerzen verspürte.“ Starke Schmerzen verspürt auch der Frankfurter Kapitän
nach dem bösen Tritt Bertls wie Weise bestätigt: „Bei
Jürgen Grabowski befürchten wir eine Bänderdehnung, das
wäre böse für die kommenden Wochen.“ Grabi beruhigt
allerdings seinen Trainer und die Eintrachtfans: „Es ist diesmal
nicht so schlimm wie vor zwei Jahren.“ Feuchte Umschläge von
Mutter Lilli sollen zu einer schnellen Genesung beitragen. (rs) |