VfL Bochum - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1973/1974 - 5. Spieltag

1:1 (0:0)

Termin: Fr 31.08.1973, 20:00 Uhr
Zuschauer: 28.000
Schiedsrichter: Gert Meuser (Ingelheim)
Tore: 1:0 Hans Walitza (51.), 1:1 Karl-Heinz Körbel (76.)

 

>> Spielbericht <<

VfL Bochum Eintracht Frankfurt

  • Werner Scholz
  • Dieter Versen
  • Harry Fechner
  • Erwin Galeski
  • Michael Lameck
  • Hans Walitza
  • Michael Eggert
  • Heinz-Werner Eggeling
  • Jupp Tenhagen
  • Hans-Günther Etterich
  • Werner Balte

 


 

Wechsel
  • Klaus-Dieter Dewinski für Michael Eggert (46.)
  • Hermann Gerland für Heinz-Werner Eggeling (77.)
Wechsel
Trainer
  • Heinz Höher
Trainer

 

 

Schwaches Viertelstündchen

Trotz des nerven- und kräftezehrenden Kampfes gegen den VfB Stuttgart geht es am Dienstag vor dem Freundschaftsspiel beim SV Sandhausen zur Sache. 75 Minuten scharfe Konditionsarbeit stehen auf dem Programm. Gegen Sandhausen wird dann der seit Saisonbeginn wegen eines Zehenbruchs fehlende Mittelstürmer Parits getestet. Bei der 2:3-Niederlage schießt er zwar ein Tor, doch Trainer Weise hat auch erkannt: „Der Trainingsrückstand von Parits ist noch erheblich.“

Halbfertig ist auch erst das Waldstadion. Bei den ersten beiden Bundesligaspielen der Frankfurter Eintracht hatten zwei Löschzüge Feuerwacht halten müssen, weil der Stadion-Dachbelag aus dem Hartschaum Polystyrol nach Ansicht der Branddirektion bei „Raketenbeschuss“ der Fans in Flammen hätte aufgehen können. Nun ist die Feuerwehr im Stadion nicht mehr von Nöten, denn für 50.000 Mark wurde auf dem Dach eine Schicht von drei Zentimetern – feuersicheren - „Perl-Kies“ verklebt.

Ebenfalls versorgt wurde im Höchster Krankenhaus während einer viertelstündigen Vollnarkose die im Spiel gegen den VfB Stuttgart gebrochene Nase von Uwe Kliemann. „Ick loofe doch lieba für ne Weile mit einer schiefen Nase herum, als dass ick die Eintracht jetzt im Stich lasse“, hatte Kliemann gesagt und sich die Nase nur unter der Bedingung richten lassen, dass er bis zum Spiel am Freitag in Bochum wieder fit ist und spielen kann. Zwei bis drei Tage muss der „Funkturm“ im Bett bleiben. „An Training ist natürlich in dieser Zeit nicht zu denken“, sagt Dr. Degenhardt.

Vielleicht ist es für Kliemann aber auch eine zusätzliche Motivation, dass es nach der Prämienberechnung der Eintracht für die Spieler in Bochum für jeden Punkt 690 Mark zu verdienen gibt, das sind 0,3 Prozent der Einnahmen in Höhe von 230.000 Mark aus dem Heimspiel gegen die Stuttgarter. Trainer Weise zählt jedenfalls auf Kliemann: „Er hat in den letzten Auswärtsspielen toll gespielt und war der große Rückhalt unserer Abwehr. Da hätte ihn Bundestrainer Helmut Schön mal sehen sollen.“ Den hatte die „Bild“ zuvor nach dem sensationell erkämpften 4:3-Sieg der Eintracht gegen den VfB Stuttgart gefragt: „Gibt es für Hölzenbein und Kliemann eine Belohnung in Form einer Berufung in den Nationalelf-Kader?“ „Kinder, nu macht’s mal halblang“, hat Schön geantwortet: „Hölzenbein hat gut gespielt, aber er spielt leider sehr unterschiedlich. Und der Kliemann muss noch besser decken lernen.“

Seit dem Bochumer Aufstieg vor zwei Jahren war die Frankfurter Eintracht zwei Mal im Stadion an der Castroper Straße zu Gast und verhielt sich auch stets wie einer: Beide Spiele wurden verloren und die Punkte brav dem Gastgeber überlassen. Nach dem 1:3 im ersten Jahr folgte in der letzten Saison ein 1:2. Nach dem Gesetz der Serie sollte das Spiel also heute eigentlich mit 1:1 enden. Der Sieg in Hannover am letzten Wochenende hat den Gastgebern allerdings ebenso mächtig Auftrieb gegeben, wie den Hessen die erfolgreiche Aufholjagd gegen den VfB Stuttgart, bei der man in den letzten 25 Minuten einen 0:3-Rückstand in einen 4:3-Sieg verwandeln konnte.

Finanziell sind die Bochumer nicht gerade auf Rosen gebettet; sie leben quasi von der Hand in den Mund und ansonsten von ihrem Teamgeist. Heinz Höher, der den VfL seit der Saison 72/73 trainiert, war in der Regionalliga West selbst vier Jahre für die Bochumer am Ball. Die „Perle im Revier“ hat trotz aller Verbundenheit wie jeder andere Verein Zu- und Abgänge zu verzeichnen. Reinhold Wosab, der langjährige Dortmunder Abwehrrecke, hat nach zwei Jahren für den VfL mit dem Ende der letzen Saison seine Profischuhe ebenso an den Nagel gehängt wie Werner „Eia“ Krämer. Dafür ist allerdings mit Jupp Tenhagen vom Absteiger aus Oberhausen ein guter Defensivmann zu den Bochumern gestoßen.

„Wir dürfen uns nicht von der Offensive beeindrucken lassen“, sagt Trainer Weise, der die Umsetzung dieser Forderung am heutigen Freitagabend folgender Elf zutraut: Im Tor Dr. Kunter, in der Abwehr Vorstopper Kliemann, Libero Trinklein und den beiden Außenverteidigern Andree und Reichel, im Mittelfeld Kraus, Körbel, Weidle und im Sturm Rohrbach, Grabowski und Nickel im Zentrum. Eintracht-Trainer Weise bleibt also konsequent. Er setzt, wie nicht anders zu erwarten, den verletzten Kalb nicht ein, lässt aber auch Hölzenbein auf der Ersatzbank sitzen. Die bei diesem zuerst vermutete Oberschenkelprellung hat sich als Muskelverhärtung erwiesen, die bei einem Einsatz die Gefahr eines Muskelrisses bergen könnte. Kraus kommt für Hölzenbein zum Zuge.

Die Mannschaften versuchen sogleich, ihre taktischen Trümpfe auszuspielen, doch um sich so einen Vorteil zu verschaffen, sind die Karten zu gut gemischt. Zu ähnlich sind sich die Blätter, die die Trainer ihren Teams an die Hand gegeben haben: Während Bochum immer wieder das Tempo aus dem Spiel nimmt, um die Eintracht dann mit überfallartigen Angriffen zu überraschen, steht die Frankfurter Mannschaft defensiv und sicher, um dann über blitzschnelle Konter gefährlich im Bochumer Strafraum aufzutauchen.

Gefahr geht bei der Eintracht vor allen Dingen von Thomas Rohrbach aus, der sich auf dem linken Flügel immer wieder durchsetzt und auch einmal mit einem scharfen Kopfball den Bochumer Torwart Scholz auf die Probe stellen kann. Die größte Chance aber hat Nickel in der 28. Minute, als er von Kraus eingesetzt, seinen Gegenspieler Fechner umspielt und frei vor Torwart Scholz zum Schuss kommt. Ein Lupfer wäre nun das Mittel der Wahl, doch Nickel macht seinem Spitznamen Dr. Hammer alle Ehre und donnert das Leder auf den Körper des Bochumer Keepers.

Kliemann hat auf der Gegenseite den gefährlichen Mittelstürmer Walitza sicher im Griff. Mit einer Ausnahme in der 35. Minute, als Kliemann ein Fehler unterläuft und Walitza freie Bahn zu haben scheint. Doch da kommt Körbel herangerauscht und klärt mit vollem Einsatz zur Ecke.

Beide Mannschaften bevorzugen das Querspiel, steile Pässe sind eine Rarität. Bei der Eintracht zeigt Verteidiger Reichel gegen den jungen Eggeling ungewohnte Schwächen, Weidle und Körbel im Mittelfeld sind nicht so konzentriert wie sonst. Besonders Weidle unterlaufen etliche Fehler beim Abspiel. Jürgen Grabowski setzt sich früh von der rechten Außenposition ab und zieht sich ins Mittelfeld zurück, doch auch von der zentralen Position gelingt es ihm vorerst nicht, die Offensive der Eintracht gegen die massierte und stabile Abwehr Bochums zwingend in Szene zu setzen. Andererseits zwingen Rohrbach und Grabowski die beiden Bochumer Offensivverteidiger Lameck und Versen weitgehend zur Defensive.

Von einem Torerfolg gekrönt sind auf diese Weise in der ersten Halbzeit weder die Bemühungen der Gastgeber noch die ihrer Gäste. Walitza hat die letzte Chance kurz vor der Pause, als er sich in der 41. Minute mit einem ungeahndeten Foul gegen seinen Gegenspieler durchsetzt, den Ball mit aller Macht aufs Tor donnert, Dr. Kunter aber parieren kann. „Dumm von mir“, sagt Walitza in der Pause: „Ich werde ab sofort platziert und flach schießen.“

Zu Beginn der zweiten Halbzeit bringt Bochums Trainer Höher Dewinski für Eggert. Ein Geburtstagsgeschenk für Dewinski, der heute 23 Jahre wird, und so zu seinem zweiten Einsatz in dieser Saison kommt? Auch in seinem zweiten Profijahr hat sich Dewinski bisher beim VfL nicht durchsetzen können. Ähnlich ergeht es auf Frankfurter Seite Raimund Krauth. Der wird für Nickel in die Partie gebracht, weil Nickel mit einer tiefen Fleischwunde am Knöchel nicht weiter spielen kann. Krauth spielt ebenfalls im zweiten Jahr für die Eintracht, kommt dabei in dieser Saison jedoch zu seinem ersten Einsatz überhaupt. Auswirkungen haben beide Wechsel zunächst nicht. „Ich kann nicht von Ersatzspielern sprechen“, bemerkt Weise, den ein Journalist nach der Wirkung der Ausfälle von Nickel und Hölzenbein befragt: „Die Jungs von der Bank passen sich ein, wie wir es geübt haben.“

Der gefährlichste Bochumer Angreifer, Walitza, wird von Kliemann um Haupteslänge überragt. Die Lufthoheit im Frankfurter Strafraum gehört dem „Funkturm“, dem Walitza am Boden wiederum leicht überlegen ist. Dumm nur, dass seinen Mitspieler dieser Fakt völlig zu entgehen scheint – flach angespielt wird Walitza jedenfalls kaum. In der 51. Minute macht der unverdrossene Kämpfer Etterich eine rühmliche Ausnahme und bedient Walitza an der Strafraumgrenze flach. Die gesamte Frankfurter Abwehr inklusive des Walitza-Bewachers Trinklein erwartet den unvermeidlichen Doppelpass mit Etterich. Sie warten nur kurz, aber vergebens: Walitza dreht sich mit der Kugel am Fuß um die eigene Achse, zieht dann ab, Dr. Kunter wird auf dem falschen Fuß erwischt und das Netz in der äußersten, unteren Ecke des Eintracht-Tores beult sich gefährlich. Mit diesem platzierten Schuss des ungünstig postierten Walitza hat Dr. Kunter nicht rechnen können. Die Führung für die Gastgeber. Es ist bereits Walitzas 3. Saisontreffer. Schon in den letzten beiden Spielzeiten war der Publikumsliebling mit 22 bzw. 18 Toren Bochums bester Schütze.

Bei den Bochumern bringt der Führungstreffer keine Änderung ihrer Spielanlage. Die Gastgeber scheinen mit diesem unerwarteten Erfolg hochzufrieden. Der VfL stellt seine Angriffsbemühungen nun nicht mehr in den Vordergrund, sondern beschränkt sich auf die Verwaltung der Führung und baut auf eine verstärkte Abwehr, nur Walitza und Eggeling lauern vorne. Viele der 28.000 Zuschauer beschleicht ein ungutes Gefühl, schließlich ist ein 1:0 eine denkbar knappe Führung und Angriff soll ja angeblich die beste Verteidigung sein – vor allen Dingen, wenn man zu Hause spielt, könnte man meinen.


Das 1:1 durch Körbel, Rohrbach jubelt

Die Frankfurter dagegen sind natürlich mit diesem Ergebnis alles andere als glücklich und gehen verstärkt in die Offensive, als bei den Bochumern die Kräfte nachzulassen beginnen. Auch Trinklein, bis dahin recht matt, marschiert nun energisch nach vorne. Während die Gastgeber die Siegerhymne schon auf den Lippen haben, beweist der Kapitän und Kapellmeister der Eintracht, dass er seine Elf nicht nur zu führen versteht, sondern darüber hinaus auch weiterhin der unerreichte virtuose Solist sein kann, wenn es verlangt wird. In der 76. Minute zieht Grabowski auf der linken Seite nach einem Einwurf mit dem Ball nach innen, Torwart Scholz kann den Ball nicht fangen, sondern nur wegfausten und bietet Grabowski die Gelegenheit zu einem Fallrückzieher. Er hebt den Ball wieder nach innen, wo Fechner mit dem Kopf zu kurz abwehrt und Körbel sofort zuschlägt. Leicht abgefälscht landet der Ball zum 1:1 unhaltbar im Netz. Es ist das 13. Tor der Frankfurter in dieser Saison und alle 13 Tore fielen in der zweiten Halbzeit. Außerdem ist der Ausgleichstreffer gleichzeitig das erste Bundesligator für den 18jährigen Körbel, der erst in der letzten Saison beim 2:1-Sieg gegen die Bayern als Gegenspieler von Gerd Müller sein vielbeachtetes Debüt feierte.

Weniger Beachtung findet dagegen die kurz nach Körbels Treffer vollzogene Auswechslung auf Bochumer Seite. Trainer Höher bringt Hermann Gerland für Heinz-Werner Eggeling, der in seiner ersten Bundesligasaison zwar pfeilschnell aber wenig torgefährlich ist. Doch die Chance zum Siegtor hat die Eintracht: Trinklein riskiert noch einmal einen Weitschuss, der aber knapp über die Latte streicht. Die Eintracht ist in der Schlussphase eine Spur gefährlicher, besonders wenn der Ball über Rohrbach in den Angriff kommt, aber am Ergebnis ändert sich nichts mehr.

Das verdiente Unentschieden der Eintracht lässt ihren vormaligen Ruf als Punktelieferant auf fremden Plätzen endgültig vergessen, in den bisherigen drei Auswärtsspielen hat sie auswärts mehr Punkte geholt als in der ganzen vorigen Saison. In der Tabelle hilft die Punkteteilung jedoch vorerst keiner der beiden Mannschaften, die jeweils um einen Platz nach unten rutschen: Frankfurt ist nach diesem Spieltag Dritter und Bochum Achter. Und Rohrbach und Reichel stehen verdientermaßen in der „Elf des Tages“ im „Kicker“.

Mit Nickel und Hölzenbein fehlten „zwei der stärksten Leute. Es kam gleich knüppeldick. Und dennoch spielten wir taktisch gut“, lobt Weise seine Mannschaft. „Das bisher schwerste Spiel für uns. Die Eintracht ist wesentlich stärker als letztes Jahr“, findet auch Heinz Höher: „Diese ballfertige Truppe wird in der Endabrechnung unter den ersten fünf landen.“ Dietrich Weise kommt dieses Lob viel zu früh. „Wir haben bis auf unser traditionelles schwaches Viertelstündchen nach der Pause das Spiel ständig kontrolliert“, erkennt Weise an, der aber mit dieser „Tradition“ hadert: „Diese schwache Viertelstunde kriegen wir wohl nie raus.“ „Ich muss einen Preis für den stiften, der unser erstes Tor vor der Pause schießt, und einen doppelten Preis für den, der uns mal in Führung bringt“, sagt Weise, um sofort klarzustellen: „Sonderprämien für Tore in Form von Geld gibt’s natürlich nicht.“ Was seine Mannschaft auszeichnet, kann man mit Geld ohnehin nicht kaufen und auch nicht bezahlen: „Wieder hat uns die Moral vor einem Rückschlag bewahrt.“ (rs)


>> Spieldaten <<

 

© text, artwork & code by fg