18.02.2007 Meine erste Dauerkarte Geboren wurde ich Mitte der 60er. In Frankfurt. Meine Eltern sind "Zugereiste." Sie kamen in diese Stadt trotz aller Warnungen und Vorurteile. Und sie mochten Frankfurt. Aus beruflichen Gründen verschlug es uns aber bald in den Landkreis „OF“. Mein Vater ging wohl schon seit Jahren mit Freunden immer mal dahin, wo gerade etwas los war. Als ich dann auf meinen beiden Beinen halbwegs sicher gehen konnte, wurde ich mitgenommen. Wir waren auf dem Bieberer Berg, am Böllenfalltor und im Waldstadion. Ich erinnere mich an Eiseskälte, heiße Florida-Boy und Ritter-Sport-Trauben-Nuss vom Verkäufer im weißen Kittel, der unentwegt mit seinem Ruf "Brezel, Schokolade, Haddekuche" die Tribüne beschallte. Und irgendwann habe ich auch mal ein Feldhandballspiel gesehen - das fiel mir erst vor ein paar Jahren in einem Traum wieder ein und ich war mir zuerst gar nicht sicher, ob es das wirklich mal gab. Mein Vater hat mir dann aber bestätigt, dass wir da waren. In Darmstadt ging ich anscheinend mal bei einem Spiel gegen die Kickers verloren. Mein Vater und seine Kumpels durchsuchten das ganze Stadion, aber ich blieb unauffindbar. Sie gingen zur Polizei und danach fuhr mein Vater bang nach Hause, um sich von meiner Mutter verprügeln zu lassen. Dort wartete ich schon auf ihn - Canellas, der damalige OFC-Präsident (ja, der mit dem Bundesliga-Skandal, der auch übrigens in der entführten Landshut saß) hatte mich persönlich heimgefahren, da er im gleichen Ort wohnte. Irgendwie ging es meinem Vater aber mehr um den Fußball als um Ausflüge mit den Kumpels. Die Kickers pflügten ihren Berg um, die Eintracht ließ den Ball über den Rasen gleiten. Den Mentalitäten der Spielanlage entsprechend waren auch die Fans: Dort der Jubel darüber, den gegnerischen Spieler vom Platz getreten zu haben, hier ein entzückter Aufschrei über einen doppelten Doppelpass. Für die Entscheidung für die SGE wurden die Kumpels geopfert; wir waren nur noch zu zweit. Ich habe keine Ahnung mehr, wie lange ich noch irgendwo auf der Tribüne rumspielte (Platz war ja meist genug), und wann ich anfing, die 90 Minuten atemlos gebannt zu verfolgen. Ich könnte heulen, über die verlorenen Erinnerungen. Bestimmt habe ich auch ein Debakel von Uwe Seeler bejubelt. Und geheult über verlorene Derbys. Einige. Alles weg. Das erste Spiel, welches ich einordnen kann und an das ich ganz konkrete Erinnerungen habe, war das Spiel gegen Bayern München am 14.10.1972: Es war ein herrlicher, sonniger Tag. Wie sonst nur gegen die Kickers waren Gästefans (dieser Ausdruck will mir ausgerechnet bei diesen Vereinen kaum auf die Tasten) in bemerkbarer Zahl anwesend - den Aschaffenburger Autos mit Eintracht-Aufklebern am Heck entstiegen Menschen in Rot-Weiß; ein Phänomen, das man jahrelang beobachten konnte. Das Waldstadion - proppenvoll - wurde gerade umgebaut; wir hatten Karten für eine provisorische Holztribüne bekommen, die nur wenige Reihen besaß. Die Bayern hatten schon zu ihrem Durchmarsch angesetzt und wir hatten Angst vor Gerd Müller. Trainer Ribbeck wusste sich wohl auch keinen Rat, was gegen den zu tun sei und stellte einen Jugendspieler als Vorstopper auf: Karl-Heinz Körbel (ja, damals hieß er noch Karl-Heinz). Als Müller doch noch den "Ehrentreffer" zum 2:1 schoss, hatten wir das Stadion schon verlassen (da mein Vater um 18 Uhr arbeiten musste und er das übliche Chaos auf dem Waldparkplatz fürchtete) und die Holztribünenbesucher längst beschlossen, dass sich "der Junge heute einen Stammplatz" erarbeitet habe - wie recht sie hatten! Und so gingen mein Vater und ich viele Jahre zu jedem Spiel ins "neue Waldstadion". Ich guckte rüber in den G-Block und hätte gerne auch bei uns auf der Gegengeraden etwas mehr Stimmung gehabt. Ich freute mich immer auf Rot-Weiß Essen, weil die die Tore immer im halben Dutzend mit nach Hause nahmen. Ich fürchtete die Spiele gegen die Bayern, weil ich dachte, die Heimserie gegen die könne nicht ewig halten. Und falls wir mal wieder gegen die Kickers spielen MUSSTEN, war mir schlecht, weil da konnte so oder so nix gutes rauskommen. Ja, die Kickers... bei uns am Ort waren alle Kickersfans. Beim Kicken auf der Wiese "war" aber jeder "Gerd Müller". Von meinen Klassenkameraden war noch nie einer im Stadion gewesen, aber sie waren Kickersfans. Zumindest, wenn das Wochenende gut für sie und schlecht für mich gelaufen war. Über Fußball konnte ich - außer mit meinem Vater - also nur reden, wenn wir verloren hatten. Ein Phänomen, über das ich viele Jahre rätselte: Wo sind die vielen, vielen Kickers- und Bayern-Fans, wenn sie verlieren? Wenn ich den Spott aushalte, warum sie nicht? Nein, diese beiden Vereine bzw. ihre Fans werden niemals etwas anderes als Verachtung von mir erhalten. ICH habe gewonnen! Den DFB-Pokal, den UEFA-Cup. Mit dem Jürgen. Meister werde ICH wohl nie mehr werden, aber das ist auch gut so, wenn ICH dafür nicht so spiele wie die Bayern. Dafür spiele ICH schon IMMER in der Bundesliga! Wieder mal ein paar Tränen zu Jürgens Abschiedsspiel - so ist das also, wenn man weiß, dass etwas nie mehr wiederkommt. Irgendwann hatte mein Vater keine Lust mehr auf die Eintracht. Er wollte sich nicht weiter das lustlose Gekicke irgendwelcher Osteuropäer antun, die jährlich verpflichtet wurden. So war ich allein - in all den Jahren hatte ich keine Eintrachtfans kennen gelernt. Die jeweiligen Freundinnen waren auch eher hinderlich. Einmal war z. B. der Urlaub schon gebucht, als Charlys Abschiedsspiel stattfand. Der Zufall wollte es, dass die Maschine bei der Landung während des Spiels übers Stadion flog und ich Charly auf der Videotafel sehen konnte. Und wieder flossen ein paar Tränen. Meine Besuche im Stadion wurden unregelmäßig. Ich habe (damals auf dem Römerberg) kein Rostock-Trauma erlitten. Aber das Abstiegstrauma verfolgt mich. Natürlich wusste ich immer, wenn die Eintracht spielte, wie es stand. Und immer, wenn es darauf ankam, war ich da - außer beim 5:1. Das letzte Heimspiel gegen Aue zähle ich zu meinen wichtigsten Eintrachterlebnissen: An diesem Tag wurde die Weiche gestellt, dass der Eintracht nach der finanziellen Rettung auch der sportliche Wiederbeginn gelang. Was am Freitag, dem 16.02.2007 geschehen würde, war klar. Also, mir war es klar. Deshalb habe ich am 16.02. um 12:30 Uhr einem Forumsuser hier seine Dauerkarte abgekauft. Nach über 35 Jahren Eintracht meine erste.
schlusskonferenz hört im richtigen Leben auf den
Vornamen Steffen.
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