30.04.2007 "Die, die immer da sind!" Es ist Halbfinale und die Eintracht spielt in Nürnberg. Ein Sieg noch und wir fahren wieder nach Berlin. Doch bereits zu Beginn beschert uns eine Unaufmerksamkeit von Fink – unaufmerksam in diesem Spiel! – den Rückstand, der unser taktisches Konzept über den Haufen wirft. Die Eintracht erspielt sich – warum auch nicht – eine wunderbare Chance zum Ausgleich. Der Ball segelt von der linken Torauslinie auf den kurzen Pfosten in Höhe des Nürnberger Fünfmeterraumes. Der Keeper des Clubs geht dem Ball nicht entgegen und auch Benni Köhler verzichtet darauf, entschlossen mit dem Kopf in den Ball zu gehen und das Tor zu erzielen. Warum verzichtet er darauf? Hat er Angst, wie im Pokalfinale gegen Sagnol, körperlichen Schaden zu nehmen? Was ist ein Schneidezahn oder eine gebrochene Nase gegen das Erreichen des Pokalfinales? Harald Karger, der in Frankfurt nicht ohne Grund von Stefan Lottermann den Spitznamen „Schädel-Harry“ verpasst bekam, hätte sich diese Chance nicht nehmen lassen. Niemals. Nicht einmal im Abschiedsspiel von Jürgen Grabowski, das zwar nicht bedeutungslos war, aber bei dem es nicht um ein Ergebnis ging, tat er das. Harry kannte weder Freund noch Feind, wenn es darum ging, ein Tor für seine Elf zu erzielen. Er schonte weder sich noch seinen Gegner. Wo andere ihr zartes Füßchen zurückzogen, da war Harry mit seinem Kopf zur Stelle. Harry hätte den Ball in Nürnberg ins Tor gerammt, ohne Angst vor einer fliegenden Faust von Raphael Schäfer zu haben. Im Gegenteil: Raphael Schäfer hätte Angst um seine körperliche Unversehrtheit haben müssen. Und das mit Recht. Harry hatte den unbedingten Willen, das Tor zu erzielen. Um jeden Preis. Harry zahlte diesen Preis viel zu früh mit seinem Karriereende, doch wer ihn erlebt hat, wird ihn nie vergessen. Benni und ihr anderen: Wer wird sich an euch erinnern? Und wie? Karl-Heinz Körbel war nicht nur der treue, er war auch der harte Charly. Vor allen Dingen gegen sich selbst. Charly trug in der Saison 83/84 nicht nur den Adler auf der Brust, sondern auch die Kapitänsbinde am Arm. Dabei hätte er weder die noch die harte und überzogene Kritik im Vorfeld an seiner Person gebraucht, um seine „Weise-Bubis“ am 31. Spieltag in das Abstiegsduell gegen den Club aus Nürnberg zu führen. Einen Punkt Vorsprung hatte die Eintracht vor diesem Spiel auf den Tabellenplatz, der den sicheren Abstieg bedeutete. Körbel erzielt gegen die auswärts punktlosen Nürnberger nach fünf Minuten die Führung. Nach Abramcziks Ausgleich ist es wieder Charly, der neun Minuten vor dem Ende mit letztem Einsatz das 2:1 macht. Körbel will sich mit seinen beiden Toren nicht zufrieden geben. Er will nicht Torschütze sein. Er will Sieger sein. Siegen kann nur der, der den Ball hat. Also ist unser Kapitän direkt nach seinem Treffer schon wieder im Kampf um den Ball, wo er mit Abramczik zusammenprallt, der auf Körbels Unterschenkel fällt. Körbels Triumph, sein bestes Spiel der Saison enden nicht mit jauchzendem Jubel auf dem Platz, sondern mit schmerzvollem Stöhnen im Krankenhaus. Falkenmayer verschießt unter diesem Schock einen
Elfer, aber auch mit 10 Mann - wir hatten schon zweimal gewechselt - erzielen
die Adler noch das 3:1 durch Thomas Berthold, über das sich Körbel
trotz Schmerzen in der Kabine freut, bevor er ins Krankenhaus gebracht
wird. Und sie blieben in der Bundesliga. Sind Harry und Charly Helden? Nein, sie sind viel mehr als das. Sie sind Legenden. Und die sterben nie. Eine ernst gemeinte Frage: Wie viele Tore hat Jan-Aage Fjørtoft für die Eintracht in der Bundesliga geschossen, wie viele Spiele gemacht? Es waren 52 Spiele und 14 Tore. Ehrlich, wer hat es gewusst? Aber wer hat Jan-Aages Übersteiger vergessen? Wer würde Benni Köhler seine einmalige Zurückhaltung in Nürnberg vorwerfen, wer Michael Thurk seine unterdurchschnittliche Saison, wenn ihnen das entscheidende Tor zum Klassenerhalt gelingen sollte? Trainer Funkel muss sich keine Psycho-Tricks einfallen lassen oder den Motivator spielen. Wem die Aussicht, zur Legende zu werden, nicht Ansporn genug ist, sollte nicht nur dem Profi-Fußball Adieu sagen, sondern gleich seine Fußballschuhe an den Nagel hängen. Selbst in der Kreisklasse hätte so jemand auf dem Platz nichts zu suchen. Auf wen können wir Fans uns am Ende nun wirklich verlassen, auf wen zählen, wenn es eng wird? Auf den Vorstand, auf den Trainer, auf die Spieler - wer immer sie auch sein mögen? Nein, wir können uns nur auf uns selbst verlassen, nur auf unsere Gemeinschaft, unsere "Eintracht" zählen. „Wir geben alles und bekommen nichts“, schrieb hier ein junger Fan enttäuscht. Er hat Recht. Genau so ist es. Wir – die Fans – bekommen nichts. Unser einziger dauerhafter „Lohn“ ist es, diesen Verein leidenschaftlich zu lieben. Und ist sich Liebe nicht selbst genug? Liebe erwartet keine Belohnung, sie hofft auf Erfüllung. Doch auf welche Erfüllung warten wir? Ob Diva oder nicht, die Primadonnen auf dem grünen Rasen spielen nur im seltensten Fall für ihren Verein oder gar für uns. Sie spielen in erster Linie für sich selbst. So eifersüchtig wir über unsere Liebe auch wachen, es bleibt uns nur die Bewunderung für die Unerreichbaren, die allein darüber entscheiden, ob sie uns etwas für unsere Liebe geben oder nicht. Manchmal allerdings erreichen die Fans die Unerreichbaren oder tragen sogar dazu bei, dass Unmögliche möglich zu machen. In diesen raren Momenten bekommen die Fans für ihre leidenschaftliche, eifersüchtige Liebe doch etwas zurück. Es sind die einzigartigen Momente, in denen unsere Liebe von den Adlern auf dem Rasen im wahrsten Sinne des Wortes erhört und endlich, endlich erwidert wird: Wer - von denen, die dabei waren - möchte den Moment missen, als wir den tor- und erfolglosen Arie, den die Presse bereits zum Fehleinkauf abstempeln wollte, im Waldstadion gegen Oberhausen buchstäblich zu seinem ersten Tor sangen? Wer will - von denen, die dabei waren - den Moment missen, als der als Cha“ncentod“ verschriene Du-Ri in Oberhausen aus der allerbesten Möglichkeit wieder einmal kein Tor machte und die Fans Du-Ri so lange anfeuerten, bis er doch noch ins Tor traf? Wer will den Moment missen, als wir in der 85. Minute am ersten Spieltag der Saison 2005/06 beim Stande von 1:4 gegen Leverkusen alle, aber wirklich alle aufstanden – soweit wir nicht schon die ganze Zeit standen – aber nicht um zu gehen, sondern um unseren enttäuschten Aufsteigern mit „Steht auf, wenn ihr Adler seid“ den Rücken zu stärken? Wer will die Momente als Fjørtoft das 5:1 und Schur das 6:3 erzielte eintauschen? Wer? Gegen was? Es gibt keinen Ersatz für diese Momente, so wie es für unseren Einsatz und unsere Liebe keinen Anspruch auf Entschädigung gibt. Wir geben alles! Das ist unser Schicksal, unsere Berufung, unsere Aufgabe und unser Ziel. Wir bekommen nichts! Das stimmt. Es stimmt aber eben nicht immer. Manchmal, wenn wir laut genug singen, obwohl unsere Kehlen ausgetrocknet und rau sind, und manchmal, wenn wir wieder einmal bis zum Schluss bleiben, obwohl es realistisch betrachtet, kaum noch Hoffnung gibt, bekommen wir eben doch etwas. Manchmal. Doch hat sich für diese kurzen Momente des Glücks nicht alles gelohnt? Alles Warten, Hoffen, Bangen, alle Mühen und Entbehrungen? Natürlich hat es das. Nur: Eine Garantie für solche unersetzlichen Momente gibt es nicht, selbst wenn wir alles geben. Na und? Wie gesagt: Unsere Liebe zur Eintracht ist selbstlos und wird nie vergehen. Oder glauben wir etwa nicht mehr an das, was wir in der Kurve singen? Sind wir nicht mehr „treu bis in den Tod“? Dabei geht es an diesem Samstag nicht um Leben und Tod und sterben muss erst recht keiner für unsere Eintracht, auch wenn er singt, er wäre bereit dafür. Es reicht, wieder einmal alles zu geben. So wie immer! Vielleicht reicht es am Ende nur dazu, wieder einmal unsagbar traurig, aber mit erhobenem Haupt das Waldstadion zu verlassen. Doch im Gegensatz zu den meisten Spielern werden wir die sein, bei denen sich unser Schui nach seinen beiden Toren zum 6:3 bedankt hat: „Es gibt drei Kategorien von Fans: Die ersten sind immer kritisch, die zweiten kommen nur, wenn Erfolg da ist, und dann gibt es Euch – die, die immer da sind!“
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