22.02.2007 Jetzt erst recht! Der 25.2.1984 oder 174 Tage ohne Sieg Wir schreiben den 25. Februar 1984, die Eintracht ist
seit 174 Tagen ohne Sieg, eine Mannschaft ohne Stars verharrt nahezu hoffnungslos
am Tabellenende, aber im Walstadion stehen die Fans hinter ihren Adlern
wie ein Mann, mit Transparenten, auf denen geschrieben steht: Was war in diesen 174 Tagen passiert mit diesem Verein und vor allen Dingen seinen Fans, die im Waldstadion selbst bei deutlicher Führung ihrer Lieblinge oft keine 17 Minuten brauchten, um auf ihre Stars im wahrsten Sinne des Wortes zu pfeifen? Eintracht Frankfurt, das war doch über fast ein Jahrzehnt der Feinkostladen der Liga. Woanders gab es Hausmannskost, ab und an auch mal eine Tafel Schokolade, aber die feinen Pralinés, die gab es nur bei den Künstlern mit dem Adler auf der Brust. Das war der Anspruch der Frankfurter an ihren Verein, das war unser – das war mein - Selbstverständnis. Gut, Meister würden wir wahrscheinlich mit unserer Diva nicht noch einmal werden. Aber ab und an ein Pokalsieg und unvergessliche Galavorstellungen, wenn die Bühne nach dem Geschmack unserer Helden angerichtet war, darauf konnte man sich verlassen. Unsere Eintracht war sicher nicht die erfolgreichste, aber doch die beste Mannschaft, die den schönsten Fußball spielte. Spielte? Nein, sie zelebrierte ihn. Sie feierte den Fußball, in dem sie seine schönsten Seiten in Vollendung zeigte. Mittelmaß oder gar Abstiegskampf? Undenkbar. Unmöglich. Ausgeschlossen. Sicher, da gab es mal eine Saison 68/69, in der es schon mal ganz eng wurde, aber das war ewig her und ganz am Ende hatten man ja überzeugend bewiesen, dass man in die erste Liga gehörte und Platz 8 belegt. Die Saison 70/71 zählte eigentlich auch nicht: So schnell wie die anderen zahlten, konnte man die eigenen Spiele fast gar nicht gewinnen. Für mich, der seit 1974 die Spiele der Adler bewusst erlebte, gab es sowieso nur meine geliebte Diva. Mein Verein, der mir 3 DFB-Pokalsiege, den UEFA-Cup-Sieg 1980 und unzählige Festtage der besonderen Art geschenkt hatte. Spiele, die bei anderen Vereinen einen festen und ewigen Platz in der Vereinschronik auf Seite 1 erhalten hätten, wurden bei uns mit dem Vermerk „wurde auch mal wieder Zeit“ abgelegt. Alleine bei den Heimspielen wurden wir Zeuge - und erstklassige Gegner Opfer – folgender unvergesslicher Demonstrationen des Fußballs der hohen Schule:
Die Kantersiege gegen die grauen Mäuse der Liga aus dem Tabellenkeller liefen da fast nebenbei: 6:0 und 9:1 gegen Essen, 5:1 gegen Lautern, 7:1 gegen TeBe Berlin, 6:0 gegen Bochum, 5:1 gegen Hannover, 6:1 gegen Braunschweig, noch einmal 7:1 gegen TeBe Berlin, 7:1 gegen Bremen, 6:0 gegen Duisburg, 7:2 gegen Braunschweig, 5:0 gegen Schalke und 5:0 gegen Leverkusen.
Aber irgendwann ist auch einmal die schönste Party zu Ende und wenn es dann ans Aufräumen geht, stellt man bestürzt fest, dass Kühlschrank und Keller leer sind und das schöne Porzellan zu Bruch gegangen ist. Wenn gerade dann auch noch das Bankkonto so leer ist wie die Gästekurve, wenn die Wolfsburger zu Besuch sind, wird es Zeit mit dem Träumen von vergangenen Zeiten Schluss zu machen... Mit dem Ende der Saison 82/83 war der Traum endgültig aus: Williiiiii hatte seine Karriere beendet, Dr. Hammer ließ die seine bei Young Boys Bern ausklingen, Cha wurde nach Leverkusen transferiert (und erhielt zum Abschied nicht einmal Blumen..) und Bruno Pezzey wurde – obwohl er auf ein Drittel seiner Bezüge verzichten wollte – unter unwürdigen und stillosen Umständen der Verbleib in Frankfurt verwehrt. Bruno blutete der Kopf, als er diese Nachricht erhielt und mir das Herz... Von der Mannschaft, die zwei Jahre vorher unter Lothar Buchmann zum dritten Mal Pokalsieger geworden war, war fast nichts mehr übrig. Mit Bernd Nickel ging der letzte der „großen 3“, die in Frankfurt über ein Jahrzehnt das Spiel und das Gesicht der Mannschaft geprägt hatten: Grabi musste seine Karriere nach dem unnötigen und überflüssigen Foul eines Unwürdigen bereits am 15. März 1980 vorzeitig beenden und Holz hatte sich 48 Stunden nach dem Pokalsieg am 2. Mai 1981 in die USA verabschiedet. Zu allem Überfluss kündigte nach der beispiellosen „Verabschiedung“ von Bruno Pezzey auch noch Charly Körbel seinen gerade eben erst unterschriebenen Vertrag und flog mit den Ehepaaren Nickel und Pezzey in Urlaub. Die ernsthaft gefährdete Lizenz konnte durch die Spielertransfers zwar gesichert werden, aber um mehr als den Klassenerhalt konnte es in der neuen Saison mit diesem Torso, den man beim besten Willen nicht mehr Mannschaft nennen konnte, nicht gehen. Das war mir schmerzlich bewusst, auch wenn Körbel nach den Verpflichtungen von Jürgen Mohr und Jan Svensson dazu überredet werden konnte, seinen Vertrag in Frankfurt doch zu erfüllen. Trainer Zebec, der die Adler in der Vorsaison nach dem missglückten Intermezzo mit dem Zauderer Senekowitsch über ihre neu entdeckte Heimstärke zum Klassenerhalt geführt hatte, standen zum Trainingsauftakt gerade einmal 13 Spieler zur Verfügung. Glücklicherweise verfügte die Eintracht zu dieser Zeit über die beste A-Jugend im deutschen Fußball, aber Spieler wie Fruck, Eymold und Mattern gingen bei den wenigsten Fans als „Verstärkung“ durch. Der Saisonauftakt verlief dennoch zufriedenstellend. Der unterschätzte Jürgen Mohr machte in diesem - seinem ersten - Ligaspiel für uns wie Jan Svensson gleich ein Tor, leider sein einziges in der Saison 83/84, weil ihn Verletzungen über weite Strecken der Saison außer Gefecht setzten. Ein Sieg gegen den BVB wäre möglich gewesen, wenn auf der Gegenseite nicht Siggi Reich gespielt hätte. Kein toller Stürmer - aber wie Bodo Mattern gegen die Offenbacher - traf Reich gegen die Eintracht besonders gern, wenn ich anwesend war. (Am 34. Spieltag der Saison 88/89 muss er mich in Hannover leider auch bemerkt haben...) Er schoss beide Dortmunder Tore zum 2:2 und traf dann die gesamte Saison nicht mehr. Das 2:5 in Uerdingen am 2. Spieltag und das folgende Erstrunden-Aus im DFB-Pokal bei den Amateuren des SC Göttingen verhießen dann jedoch schon nichts Gutes. Immerhin: Nach einem 3:0-Heimsieg gegen Düsseldorf standen wir am 5. Spieltag mit 4:6 Punkten auf Platz 11. Das war es dann aber auch für lange, lange Zeit. Ab jetzt gab es für die einstmals so stolzen Adler nur noch eine Richtung: abwärts und zwar im Sturzflug. In diese Zeit fiel mein erstes Auswärtsspiel. In Offenbach. Meine Mutter hatte die Prügel nicht vergessen, die ich 1979 im Waldstadion gegen Feyenoord Rotterdam bezogen hatte. Auch damals hatte sie mich gewarnt und gebeten, nicht zum Spiel zu gehen. „Bube, geht net zu de Offebäscher,“ sagte meine Mutter wieder sorgenvoll zu mir und meinem älteren Bruder, „des sin Idiode, wie die Holländer. Mid Fußball habbe die nix am Hud, die sin nur auf Streit aus...“ Meinem Bruder gelang es, unsere Mutter halbwegs zu beruhigen, indem er ihr versicherte, dass uns ein halbes Dutzend starker Männer aus seinem Bodybuilding-Studio begleiten und meine körperliche Unversehrtheit sicherstellen würden: „Kinner, dann macht´s halt, wenner maant..., aber außer Ärscher gibt´s für uns da nix zu hole...“ Meine Mama sollte – wie immer – recht behalten. Die Ankunft an dem Stadion, auf das die Offenbacher so stolz waren, war bereits ernüchternd. Selbst das Ruhrgebiet im Umbruch wirkte wie ein Naherholungsgebiet gegen diese marode, baufällige Baracke, die auf diesen heruntergekommenen Hügel steht, den die Verblendeten dort „Berg“ nennen. Ein reines Fußballstadion? Wohl eher ein Zoo, wobei ich mir nicht sicher war, wer sich auf welcher Seite des Zauns und damit im Käfig befand. Das Spiel selbst hatte zu keiner Zeit die Klasse früherer Derbys, da waren sich alle meine Begleiter einig. Die Eintracht war spielerisch klar überlegen. Doch gegen den Schiedsrichter konnten unsere Adler an diesem Tage nichts ausrichten. Der hochgelobte Uwe Bein blieb auf Offenbacher Seite zwar fast alles schuldig, aber zweimal trat er doch – für uns schmerzhaft - in Erscheinung. Das erste Mal bei einem Handelfmeter, den niemand außer dem Schiedsrichter Hontheim aus Trier gesehen hatte. Selbst auf den Fernsehbildern war später kein Handspiel von Sziedat zu erkennen. Uwe Bein war das sichtlich egal und er verwandelte den unberechtigten Strafstoss sicher. In der 71. Minute bestätigte Hontheim erneut, dass ihm der fatale Ruf eines Heimschiedsrichters nicht umsonst vorausgeeilt war: Er sorgte für Sziedats vorzeitigen Abgang, indem er den bereits verwarnten Icke nach einem Allerweltsfoul die rote Karte zeigte. „Unverhältnismäßig“ nannte später selbst der „kicker“ die erneute Fehlleistung von Hontheim und erkannte: „Wenn er tatsächlich unbestechlich ist, dann war er an diesem Tag zumindest unfähig, ein Bundesligaspiel zu leiten.“ Als dann der Schiri auch einem wunderbaren Freistoßtor von Falkenmayer, dem ansonsten nicht viel glückte, die Anerkennung verweigerte, weil er den Ball noch nicht freigegeben haben wollte, hielt es mich wie viele andere Frankfurter Fans kaum noch auf meinem Platz. Aber unsere Jungs gaben nicht auf. Und sie wurden belohnt: Als ich es fast nicht mehr für möglich gehalten hatte, traf „Colt“ Sievers in der 88. Minute zum hochverdienten Ausgleich – aus dem „Hinterhalt“, wie es sich für einen Scharfschützen gehört. Unsere Adler rannten überglücklich zur Trainerbank und feierten sich. Leider feierten sie einen Moment zu lange. Während der Offenbacher Torhüter Valentin Herr nach dem Spiel gestand, dass er nur noch darauf hoffte, nun „wenigstens das Unentschieden zu halten“, legte sich Uwe Bein das Leder zum Eckstoss zurecht... Ich sehe noch heute den von Bein geschlagenen Eckball in unseren Fünfer fliegen, ich sehe das Unheil in Person von Kutzop kommen, ich höre mich rufen, brüllen, schreien... vergebens. 1:2. Waren mein Körper und meine Sinne eben noch im Alarmzustand, fühlte ich mich jetzt kraftlos und leer. Das Einzige, was ich jetzt noch spürte, war diese Übelkeit im Magen, die mich befürchten ließ, mich im nächsten Moment auf meinen Vordermann übergeben zu müssen. Aber der Mageninhalt blieb - im Gegensatz zu den Punkten – dort, wo er hingehörte. Unnötig zu erwähnen, dass ich lieber meinen Mageninhalt bei den Offenbachern zurück gelassen hätte. Natürlich sollte meine Mutter auch mit ihrer zweiten Prophezeiung recht behalten: Als wir den Hügel hinunter gingen, warten einige Insassen dieses Irrenhauses, dem man erfahrene Wärter und keine überforderten Schiedsrichter schicken sollte, bereits mit Knüppeln auf uns... Auch an anderer Stelle war noch längst keine Ruhe eingekehrt: „Hontheim hat uns betrogen,“ erregte sich Körbel noch nach dem Schlusspfiff. „Das war die größte Frechheit, die seit langem im Fußball gelaufen ist,“ fand der verletzte Frankfurter Spielmacher Jürgen Mohr. Bernd Hölzenbein bewunderte die Ruhe der Adler bei den Fehlentscheidungen des Schiedsrichters: „Ich hätte ihm eine geschossen!“ Selbst der „kicker“ bemerkte: „Von
Vorteilsauslegung schien Hontheim keine Ahnung zu haben, zumindest dann
nicht, wenn Frankfurt daraus hätte Profit schlagen können.“
„Wegen des Schiedsrichters wollte ich eigentlich
nicht zur Pressekonferenz kommen,“ erklärte dann auch
Trainer Zebec, um dann allerdings zur Überraschung aller, seinen
Torwart Joachim Jüriens für das zweite Tor verantwortlich machte:
„Er macht mich und die Mannschaft kaputt.“
Zebec, der am 19. September 1982 Helmut Senekowitsch bei den Adlern abgelöst hatte und sie zum Klassenerhalt geführt hatte, war schon in Dortmund und beim HSV an seinen Alkoholproblemen gescheitert. Den Eklat gegen Bremen und andere unerfreuliche Episoden, wie das Spiel gegen Stuttgart als Zebec dem völlig verdutzten VfB-Trainer Sundermann in der Halbzeit zum Sieg gratulierte (die Eintracht gewann am Ende 3:2) und seine Spieler zum Duschen schicken wollte, blieben ohne Konsequenzen für den unglücklichen Meistertrainer, der unter dem Erfolgsdruck und Stress der Punktspiele wieder seiner Sucht verfallen war. Als Körbel am 17. Oktober 1983 die Notbremse zog, zeigte Branko Zebec jedoch noch einmal auf beeindruckende Weise, welches Format er besaß, wenn ihn seine Krankheit nicht beherrschte: Zebec beendete zuerst die Zusammenarbeit mit der Eintracht in einem Gespräch mit dem Präsidium und trat danach im dunkelblauen Anzug, mit weißem Hemd und dunkler Krawatte vor die Mannschaft, um sich zu verabschieden, in dem er ihr alles Gute wünschte, in der Hoffnung, dass sein Nachfolger einen ähnlichen Effekt würde erzielen können, wie er bei seinem Amtantritt ein Jahr zuvor. Wie sich später heraus stellte, hatte Zebec freiwillig auf alle Bezüge verzichtet, die ihm bis Vertragsende Juni 1984 zugestanden hätten. Für Arbeit, die er nicht mehr leisten konnte, wollte er auch nicht mehr bezahlt werden... Branko Zebec war nicht nur ein großartiger Fußballer und ein hervorragender Trainer sondern auch ein außergewöhnlicher Mensch. Ich hatte zuerst den Gerüchten und dann den negativen Zeitungsberichten über ihn nicht viel Glauben geschenkt und wenig Bedeutung beigemessen. Man konnte schon damals nicht alles glauben, nur weil es gedruckt wurde. Um so überraschter und bestürzter war ich über Zebecs Abschied. Nicht mehr überrascht, aber ähnlich bestürzt, war ich, als Branko Zebec wenige Jahre später, am 26. September 1988, in seiner Heimatstadt Zagreb starb... Jürgen Grabowski sprang indessen wie schon in der Saison 77/78 als Interimstrainer ein, diesmal zusammen mit dem erfolgreichen Jugendtrainer Klaus Mank. Einem passablen 1:1 gegen Gladbach folgte am 29. Oktober 1983 die höchste Auswärtsniederlage der Bundesligageschichte unserer Adler: 0:7 in Köln. Ich war entsetzt. Wenn selbst Grabi es nicht mehr richten konnte... Das war der Tiefpunkt. Aber nicht das Ende. Denn was hatte ich vor Jahren auf die harte Tour gelernt? Es ist niemals Schluss, schon gar nicht aus und erst recht nicht vorbei! Sang- und klanglos würden sich die Fans der Frankfurter Eintracht nicht aus der ersten Liga verabschieden: Jetzt erst recht! Nachdem Kassels Trainer Jörg Berger abgesagt hatte und auch der Ex-Bochumer Coach Heinz Höher lieber weiter in Saloniki blieb und dankend abgewunken hatte, erschien Dietrich Weise einen Tag nach dem Debakel in Köln als Retter in höchster Not. Am 30. Oktober 1983 begann er in Frankfurt seine zweite Amtszeit. Interimstrainer Klaus Mank hatte vor Weise, der wenige Tage vorher in Lautern von sich aus das Handtuch geworfen hatte, quasi verbal auf den Knien gelegen: „Ich mähe Ihren Rasen, pumpe Ihnen die Bälle und stelle beim Training die Stangen auf; ich mache alles für Sie - nur kommen Sie zu uns!“ Dietrich Weise war schon in seiner ersten Amtszeit in Frankfurt mit zwei Pokalsiegen besonders erfolgreich gewesen und für mich so eine Art Vaterfigur. Stets ruhig und besonnen, wirkte er zwar streng aber auch gutmütig. Im ersten Pokalfinale unter Weise gegen den HSV hatte er Libero Trinklein das Überqueren der Mittellinie untersagt, „Schoppe-Gert“ hielt sich kurz vor der Halbzeit nicht daran, stürmte mit einem sehenswerten Sololauf über das Spielfeld und schoss quasi als Entschuldigung das 1:0 - und entging so der Schelte des autoritären Trainers aus Sachsen-Anhalt. Ein Jahr später, im Pokalfinale gegen den MSV, forderte er seinen Musterschüler Körbel auf: „Da Sie ja nun nicht gegen Worm (Ronald Worm war von seinem Trainer Kremer überraschend als Sonderbewacher für Grabi abgestellt worden) spielen, Karl-Heinz, müssten Sie eigentlich vorgehen und ein Tor machen.“ „Ja, ist gut,“ wagte Charly keinen Widerspruch und eine Viertelstunde später – mitten im Hannoveraner Gewitterregen – erzielte er folgsam den 1:0-Siegtreffer... Was den treuen Charly aber nicht vor Weises Schelte am selben Abend schützen sollte. Als der 20-jährige sich in Siegerlaune im Übermut eine dicke Zigarre zu Gemüte führen wollte, herrschte ihn sein Trainer an: „Sie enttäuschen mich, Karl-Heinz, das hätte ich von Ihnen nicht erwartet. Stecken Sie sofort das Ding weg.“ Körbel gehorchte wie Stunden vorher bei seinem Tor zum 1:0 aufs Wort. Dieser Mann – zwischen Autorität und Fürsorge
– war genau der Richtige für diese fast noch jugendliche Rasselbande,
die das jüngste Team der Liga stellte, da war ich mir ganz sicher.
Armin Kraaz, Ralf Falkenmayer, Martin Trieb, Ralf Sievers, Harald Krämer,
Uwe Müller und Thomas Berthold konnten
sich keinen besseren Trainer wünschen als den erfahrenen und umsichtigen
Weise. Die Frankfurter, die bekanntlich zu allen Zeiten entweder
zu hemmungsloser Selbstzerfleischung oder übertriebenen Optimismus
neigen, warnte Weise allerdings gleich zu Beginn vorausschauend: „Ich
bin kein Hexenmeister.“ Weise wusste, dass sich Erfolge –
wenn überhaupt – nur langsam und in kleinen Schritten einstellen
würden. Ich bin mir jedoch bis heute nicht sicher, ob Weise ahnte,
wie lange er, seine Mannschaft und wir Fans auf den ersten Sieg würden
warten müssen. Nach einer weiteren Niederlage in Lautern standen meine Adler am Ende der Vorrunde zwar nicht mehr auf dem letzten aber immer noch auf dem 17. Tabellenplatz, mit 9:25 Punkten. Nur Nürnberg war schlechter als wir. Immerhin hatte das Eintracht-Präsidium im Dezember beim polnischen Verband die Freigabe für Cezary Tobollik erreichen können, der sich im Sommer beim Intertoto-Spiel von Wisla Krakau in Graz abgesetzt hatte. Tobollik –pfeilschnell und trickreich – wurde schnell zum Publikumsliebling. Er erinnerte nicht nur mich an „alte“ Zeiten, als es „ehrenvoller“ war, den Gegenspieler anstelle eines Torschusses noch einmal zu narren. Dennoch: Es war frustrierend. Trotz aller Anstrengungen, aller Beharrlichkeit und trotz verbissenen Einsatzes – es wollte und wollte einfach kein Sieg gelingen. Am 28. Januar 1984 schien es dann endlich so weit zu sein. 2:1 führte die Eintracht gegen Uerdingen, nur noch Sekunden waren zu spielen. Der erfahrenste Spieler der Adler, Charly Körbel, musste den Ball außerhalb des Strafraums nur noch wegschlagen und das Spiel war gewonnen. Doch Charly, dem der Uerdinger Pfostenschuss kurz vorher noch in den Knochen zu stecken schien, entschied sich dafür, „das Spiel zu beruhigen“, wie er später sagte. In diesem Moment stürzten sich zwei Uerdinger auf ihn, ein Schubser von hinten, den der Schiedsrichter nicht bemerkte, Körbel verlor Balance und Ball, der Augenblicke später im Frankfurter Netz zappelte: Friedhelm Funkel hatte zugeschlagen. Während Kraaz und Tobollik in der Kabine weinten, saß ich nach diesem Spiel völlig niedergeschlagen in der Straßenbahn nach Sachsenhausen. Meine Kopf war leer und ich fühlte mich hilflos wie noch nie zuvor. Was um mich herum passierte, bekam ich gar nicht mehr mit. An der Haltestelle Textorstr. hätte ich beinahe sogar das Aussteigen verpasst. Ich schlich am Kino „Zur Harmonie“ vorbei - ohne wie üblich ein Blick auf die Filmplakate zu werfen - zurück in die Klappergasse und verkroch mich wie ein geprügelter Hund in meinem Zimmer. Keine Sportschau, kein aktuelles Sportstudio, nur kein Salz auf meine Wunden... Doch auch einer stolzen Göttin wie Fortuna kannst du – wenn du sie schon nicht bezwingen kannst – das Herz stehlen. Du darfst dich nur nicht von ihr beeindrucken lassen, dann kommt sie und das Glück zu dir zurück. In Leverkusen trug Fortuna auf jeden Fall den Adler wieder am rechten Fleck erzielten und wir erzielten zur Abwechslung mal in der letzten Minute ein Tor. Durch den Treffer unseres Jokers Uwe Müller (welch ein Name!) zum 2:2 eroberten die Adler einen Punkt. Der 25. Februar 1984. Der Tag des "Rückspiels", des Derbys gegen die Offenbacher war da und wir warten immer noch auf den ersehnten Sieg, seit fast einem halben Jahr. Aber heute sollte es passieren, da waren wir uns einig. Mein Bruder feiert am 25. Februar seinen Geburtstag. „Da hat die Eintracht noch nie verloren,“ behauptet er stolz und meine Mutter, die sich ja mehr als einmal als wahres Orakel erwies, verspricht: „Heud krigge die Offebäscher de Arsch voll!“ 174 Tage und 17 Spiele ohne Sieg! Unter Weise in 9 Spielen bei drei Niederlagen lediglich 6 Unentschieden. Und das Motto lautet: Jetzt erst recht! Woher nehmen wir bloß alle diese Zuversicht? Nun, es gibt Parallelen in der Vergangenheit, die Mut machen: In der Saison 70/71 gewannen die Adler durch zwei artistische Zaubertore von Holz und Dr. Hammer ausgerechnet in den Schlachträumen der Metzger vom Bieberer Hügel. Dr. Hammer traf mit einem Seitfallzieher und Holz mit einem Flugkopfball. Für die Offenbacher das Anfang vom Ende und für uns die Rettung, (auch wenn diese erst eine Woche später feststand. Dem Offenbacher Südfrüchte-Großhändler und Präsidenten Canellas blieb nichts anderes als die Flucht nach vorn und der Bundesligaskandal begann.) 68/69 war die Situation noch ähnlicher. Die Adler hatten in der Hinrunde verloren und Trainer des Gegners war wie heute mit Lothar Buchmann ein ehemaliger Eintracht-Trainer: Paul Oswald. Oswald bescherte uns die einzige Meisterschaft, Buchmann den dritten Pokalsieg. Beim 3:2-Sieg im Waldstadion ließen die Adler 1969 keine Minute einen Zweifel daran, wer die wahre Macht vom Main war. Vor allen Dingen ist da aber Dietrich Weise, der die
deprimierendste Niederlage mit einer unvergleichlichen Gelassenheit nimmt,
aus der das Vertrauen in die eigene Mannschaft spricht. Ich weiß nicht, wie es all den anderen geht, die mit mir von Woche zu Woche sehnsüchtiger auf einen Sieg unserer Adler hofften und jedes Mal verzagter und verzweifelter nach Hause zu gehen, um dann beim nächsten Heimspiel um so fester zu den Adlern zu stehen und nur noch lauter zu brüllen: „EINTRACHT! EINTRACHT!“ aber Weises Ausstrahlung und seine Überzeugungskraft nehmen auch mich gefangen. Die Spieler waren nun nicht mehr die umjubelten Götter, die ich anhimmelte und verehrte, nein, das sind junge Burschen aus Fleisch und Blut, die meine Unterstützung brauchten, nicht meine Bewunderung. Die Buben da unten auf dem Platz, die sind ungefähr so alt wie ich. Also, mit anderen Worten, das könnte ich sein, der sich da unten die junge Seele aus dem Leib rennt. Wenn ich etwas mehr Glück gehabt hätte, etwas schneller hätte laufen können und, nicht zuletzt, wenigstens ansatzweise als Fußballer durchgegangen wäre – dann wäre ich dabei, jetzt, mit dem Adler auf der Brust. Zumindest in meiner Phantasie... Diese Buben soll ich auspfeifen, wenn sie Fehler über Fehler machen, von ihren erfahrenen Gegenspielern nach allen Regeln der Kunst vernascht werden, wieder beste Chancen auslassen und mal wieder ein Heimspiel unnötig verlieren? Kein Gedanke. Nicht nur, dass auf den schmalen Schultern dort unten die ganze Last liegt und gleichzeitig all unsere Hoffnungen, nein, die Buben auszupfeifen bedeutet doch, mich selbst auszupfeifen. Das da unten bin ich. Wir sind Eintracht Frankfurt. Und wir müssen zusammen halten, um den Unausweichlichen doch noch zu entwischen. Jetzt erst recht! Im Waldstadion ist es bitter kalt. Mit uns haben sich 35.000 Unerschütterliche weder vom miesen Wetter noch vom sogenannten „Topzuschlag“ abhalten lassen, Zeuge der Wiederauferstehung unserer Adler zu werden. Und was haben diese Unentwegten auf ihre Banner geschrieben? Jetzt erst recht! Hier bin ich zu Hause! Das ist meine Heimat! Von hier komme ich her und hier wird mein Herz für immer bleiben: „EINTRACHT! EINTRACHT!“ Unsere Adler spielen in der folgenden Aufstellung: Die erste Halbzeit gehört uns und nur uns. Die Chancen häufen sich und als Thomas Berthold kurz vor der Pause nur den Pfosten trifft, bin ich kurz davor Fortuna ein wankelmütiges und unzuverlässiges Weibsstück zu schimpfen. Doch da betritt sie im Schneetreiben den Rasen und offenbart ihre Art von Gerechtigkeit: Die Eintracht geht kurz vor der Pause in Führung. Durch ein Eigentor. Von Kutzop! Ausgerechnet Kutzop. Fortuna, nie mehr ein böses Wort über Dich! Der G-Block singt durch die Halbzeitpause hindurch: „Kutzop, wir danken dir“. Ich für meinen Teil danke der göttlichen Gerechtigkeit. Auch in der zweiten Halbzeit haben die Offenbacher nicht eine Torchance. Aber das 1:0 ist denkbar knapp. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel - und das mitten im Schneegestöber, wie unpassend – läuft Michelberger unbewacht auf das Frankfurter Tor zu. Sziedat, der alte Recke, steht seitlich und nimmt beherzt Fahrt auf. Alle im Stadion sehen, dass er Michelberger nicht mehr erreichen kann, aber geht nicht gibt es nicht für einen wie „Icke“ Sziedat. Nicht heute, nicht hier und nicht jetzt. Dieses Mal nicht! Dieses Spiel gewinnen wir. Koste es, was es wolle! Und während andere immer gerne davon reden, dass
es gilt, Opfer zu bringen, tut „Icke“ das, was am meisten
Mut erfordert: er „opfert“ sich. Der Einzelne ist nichts,
die Mannschaft ist alles. Gegen Ende seiner Karriere, in seiner letzten
Saison für die Eintracht, nimmt er die rote Karte willig hin –
auch wenn es für ihn als Wiederholungstäter eine wochenlange
Sperre bedeutet. „Icke“, auch wenn Du hinterher behauptest
hast, dass Du dachtest, Du würdest den Ball noch bekommen können:
Ich weiß es besser. Und ich werde Dir immer dafür dankbar sein. Doch nun geschieht das Unerklärliche: Die Adler sind nicht beeindruckt, nicht im geringsten. Im Gegenteil: Als sei dies das Signal gewesen, auf das sie noch gewartet hätten, spielen sie den völlig überforderten Gegner nun an die Wand. Jetzt erst recht! Svensson erzielt in der 75. Minute ein herrliches Tor zum 2:0. Das Ding ist gelaufen, das ist der Sieg. Kein Zweifel mehr! Aber irgendetwas fehlt noch... Aber sicher doch! Bodo
Ballermann hat gegen seinen Lieblingsgegner noch nicht getroffen. Denn
was Siggi Reich für die Eintracht ist, ist Bodo Mattern für
die Offenbacher: Ein Alptraum! In der 90. Minuten haben die Adler ein Einsehen und gestatten dem harmlosen Gegner seine erste und einzige Torchance. Die Fußballer des Vizemeisters von 1959, bei dem ein gewisser Uwe Bein erneut blass blieb, können diese Chance nicht nutzen und besiegeln so ihren fußballerischen Offenbarungseid. Unter dem donnernden Applaus ihrer Fans marschieren die Adler erhobenen Hauptes in die Kabinen, wo ein erleichterter Toni Hübler seit der Pause auf sie wartet. Toni blieb nach der Pause in der Kabine und stellte drei Duschen an, nur damit er nichts mehr vom Spiel mitbekam. Als Sziedat vorzeitig zum Duschen erschien, stand der Toni wohl kurz vor dem Herzinfarkt... Dietrich Weise, der gestrenge Trainer, dem ein Faible für Buttermilch nachgesagt wird, lässt sich im Kabinengang breitschlagen, auf den Sieg ein Bier zu trinken – aus einem Apfelweinglas... In der Folge gibt es noch einige Rückschläge wie die Heimniederlage gegen Braunschweig, aber auch Überraschungen wie das 3:2 bei Werder Bremen, die vor dem Spiel nur die Höhe des Sieges diskutierten. Der arme Falke muss zur „Strafe“ für seine beiden Tore nach dem Spiel ein Interview mit Klaus Töpperwien über sich ergehen lassen. Es gibt auch einen Sieg mit Tränen: Beim hart umkämpften 3:1 gegen die auswärts punktlosen Nürnberger am 31. Spieltag, als Körbel zwei Tore erzielt und nach seinem Tor zum 2:1 in der 81. Minute mit Abramczik zusammenrasselt und mit Schien- und Wadenbeinbruch für den Rest der Saison ausfällt. (Der Kapitän wird vom Platz getragen, von Bord geht er aber nicht: Beim Relegationsspiel in Duisburg sitzt der treue Charly als Zuschauer auf der Bank.) Falkenmayer verschießt unter diesem Schock einen Elfer, aber auch mit 10 Mann (wir hatten schon zweimal gewechselt) erzielen die Adler doch noch das 3:1 durch Thomas Berthold. Am 32. Spieltag gelingt dann sogar beim Meisterschaftsfavoriten Stuttgart ein nicht mehr für möglich gehaltenes Unentschieden. Berthold und unser Top-Joker Uwe Müller machen aus einem frühen 0:2-Rückstand in den letzten 5 Minuten ein 2:2. Die enttäuschten VFBler, die ihre Meisterschaftsfelle schon in Richtung Hamburg davon schwimmen sehen, werden von unseren Spieler mit dem Hinweis getröstet, das wir eine Woche später in Hamburg antreten werden. Und wirklich: durch zwei Tore des überragenden Falkenmayer schlagen wir den HSV (mit Uli Stein) 2:0 und entscheiden als Abstiegskandidat die Meisterschaft, so dass sich der VFB am letzten Spieltag zu Hause gegen den HSV sogar eine 0:1-Niederlage leisten kann! Nach einem 3:0 am letzten Spieltag gegen Lautern erreichen die Adler das Minimalziel: die Relegation. Dort treffen wir auf den MSV, bei dem Roland Wohlfahrt seine beiden letzten Spiele vor seinem Wechsel zu den Bayern absolviert. Das 5:0 (Pahl hält außerdem einen Elfer von Steininger) unserer Adler im Wedau-Stadion ist Legende. Der selbst in der Kabine schüchterne Ralf Falkenmayer, dem Toni Hübler immer einen Platz in der Ecke reservieren muss, zeigt wie schon gegen Bremen und in Hamburg, was dem Gegner blüht, wenn er auf dem Platz seine Zurückhaltung ablegt wie eine schlechte Angewohnheit. Kaugummikauend – die ohne Zucker, versteht sich – dirigiert der Jungspund die Adler zu einem wahren Kantersieg, bereitet das 2:0 von Uwe Müller vor und erzielt das dritte Tor selbst. Der Flankenlauf mit dem Ronnie Borchers, der auch die Flanke zum 1:0 durch Svensson gibt, dieses Falke-Tor vorbereit, werde ich nie vergessen: Borchers hat den Ball am eigenen Strafraum erobert, spielt einen Doppelpass, drückt sich mit einem verbissenen Gesichtsausdruck, den er den gesamten Spurt über den Platz hindurch nicht ablegt, an seinem Gegenspieler vorbei und ist von keinem Zebra mehr zu stoppen, als er entschlossen die Außenlinie hinunterrast. In Höhe des Strafraums schlägt er eine präzise Flanke, die Falke wie ein Routinier abtropfen lässt, um dann das Leder unhaltbar für Macherey halbhoch einzunetzen. Das ist nicht mehr „Disco-Ronny“, das ist kein „Ersatz“-Kapitän: das ist ein echter Adler und ein ganzer Kerl! Danach bringt Weise den „Ersatzsturm“ Harald Krämer und Cezary Tobollik für die Torschützen Jan Svensson und Uwe Müller und beide treffen ebenfalls! 5:0! Das Rückspiel vor 45.000 Zuschauern im Waldstadion ist dann eigentlich nur noch eine Vorbeugung der Fans vor Mannschaft und Trainer. Das 1:1 ist nebensächlich. Diese Saison mit dem vielleicht sympathischsten Trainer,
der seit den 70ern auf der Eintracht-Bank gesessen hat, wird mir immer
in Erinnerung bleiben. Weise und seine Buben sicherten den nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt und entschieden nebenbei den Kampf um die Deutsche Meisterschaft. Ach ja, und sie schickten die Offenbacher wie schon 68/69 und 70/71 tatsächlich zum dritten Mal mit einer Derby-Niederlage in die Hölle des Unterhauses. Der Unterschied: Diesmal kehrten sie nicht wieder! Einträchtliche Grüße, PS: Ein dickes „DANKE“ an Petermann und seinem
unerschöpflichen „kicker“-Archiv. Mein lieber Peter,
ohne Dich wäre diese Fanhistorie so nicht möglich gewesen. Und
ohne Dich und Deinem Beispiel, das Du hier immer wieder gibst, wenn das
Forumsschiff mal wieder zu kentern droht, hätte ich sie nicht geschrieben. Quellen: KidKlappergass ist Eintrachtfan seit 1974.
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