05.06.2006 Brutaler Schnitt oder das Ende der Illusion von der eigenen Unsterblichkeit Wenn die Haare langsam grau werden (überall), kommt man ja so manchmal ins Grübeln. Nicht nur über Fußball, sondern auch über den Sinn und Zweck seines Daseins hier unten und überhaupt. Irgendeiner hat einmal gesagt „Ein wahrer Fan muss leiden“. Nun, demzufolge haben wir in der letzten Dekade wohl eine Menge wahrer Fans gewonnen. Ich habe drüber nachgedacht, was mich eigentlich härter getroffen hat: Rostock oder der Abstieg 1996? Ich weiß, auf der nach oben offenen Skala für Seelenschmerz nehmen beide Ereignisse vordere Plätze ein. Dennoch meine ich, dass der erste Abstieg die größere Zäsur war. Man wirft ja gerade meiner Generation vor, dass sie sich weigerte, erwachsen zu werden. Da mag was dran sein. Spätestens nach dem Abstieg 1996 war ich es. Und das kam so: Nachdem wir die Horrorsaison unter dem GrötTaz Don Jupp durch die gütige Mithilfe von Charly Körbel mit einem neunten Platz beendet hatten, konnte es aus meiner Sicht nur noch aufwärts gehen. Das verbliebene „Spielermaterial“ um Binz, Köpke, Okocha, Weber und Falkenmayer war so schlecht nicht; und wir verpflichteten zudem Ekström, Schupp und Böhme, aus meiner Sicht gestandene Kicker, mit denen zumindest ein Platz im Uefa-Cup möglich sein müsste. Schließlich waren wir doch seit Ende der 80er ein Name im Deutschen Fußball, oder? Charly Körbel sollte Cheftrainer bleiben. Ich hatte damals schon ein eher ungutes Gefühl. Körbel war als Spieler klasse. Als Trainer erschien er mir irgendwie zu „menschlich“. Die Saison lief am Anfang nicht schlecht. So typische Eintracht-Ergebnisse. Ein paar Unentschieden, lockeren Heimsiegen gegen 1860 (4:2) und gegen den FCK (3:1) folgten die üblichen Auswärtsniederlagen. Mies wurde die Stimmung erst, als das Pokal-Aus nach einer 5:1 Klatsche bei den Löwen folgte und gleichzeitig bekannt wurde, dass die Eintracht hinter dem Rücken des Trainers mit Werner Lorant verhandelte. Der Intrigantenstadel war damals in Frankfurt beheimatet. Danach eine 3:4 Heimniederlage gegen Dortmund, in der ausgerechnet A. M. auch noch ein Tor für die Borussen markierte, und mehr als eine dunkle Wolke zog sich über dem Himmel des Waldstadion zusammen. Nun, alle Querelen schienen vergessen, als wir die Bayern (wie üblich) souverän mit 4:1 aus dem Stadion schossen. Das musste doch die Wende zum Besseren sein. Leider nicht. Nach einer 5:1 Demütigung in Hamburg (HSV) gingen wir als 10. in
die Winterpause. Nicht dolle, aber was sollte es. Geholt wurde Ned Zelic.
Ein Mann, dem man während des Laufens die Schuhe besohlen konnte.
Diese meine Einschätzung hat der gute Ned in den weiteren Spielen
der Rückrunde eindrucksvoll bestätigt. Die Eintracht wähnte sich im sicheren Mittelfeld und wies den Gedanken an den Abstiegskampf weit von sich. Nur wenige unter den Fans wollten es wahrhaben, was dort passierte. Eine Mannschaft aus neun Nationalspielern, schickte sich an in den Orkus der 2. Liga zu stürzen. Ich muss zugeben, ich habe es damals auch nicht kapiert; ich glaub halt immer noch ans Gute im Menschen.. Wir haben uns alle selbst belogen. Aufgewacht bin ich erst nach der 6:0 Niederlage in Dortmund die ich auf
der Rückfahrt von einer Fortbildung auf der Sauerlandlinie im Autoradio
verfolgen musste. Toooooooor in Dortmund mit Manni Breuckmann, jede Einblendung
ein kleiner Stich ins Herz. Erste Gedanken nach dem Motto „Die“(
nicht WIR) steigen ab. Sie holten Stepi . Auch er - oder vielleicht gerade er - konnte aus einem zerstrittenen Haufen desinteressierter Geschäftsleute keine Mannschaft formen. (Dies sei allen in Erinnerung gerufen, die nach „Verstärkungen“ um jeden Preis rufen.) Man merkte die Desillusionierung auch auf den Rängen. Auf der Gegentribüne hatten die meisten Leute weder die Kraft noch die Wut, um überhaupt zu pfeifen oder sich sonst wie gegen den Abstieg aufzulehnen. Das ist jedenfalls meine Erinnerung. Das endgültige Aus gegen Schalke war nur noch der Todesstoß. Kein Feuer wie wenige Jahre später. Aber wie sollte das auch entstehen? Man schaue sich nur den Schiedsrichter an. An sich glaube ich nicht an die Vorsehung, aber man glaubt es doch kaum, oder?
Nach dem letzten bedeutungslosen Spiel gegen Hamburg saß ich noch ca. 20 Minuten paralysiert in meinem Stadion und glotzte ins Leere. Was hatte ich hier nicht alles gesehen, gelitten, gefeiert, gejubelt, gesoffen und manchmal auch geschäumt vor Wut und Enttäuschung. Vorbei Ende AUS. Ich wusste, dass etwas passiert war, was faktisch nicht mehr zu ändern war. Ich wusste nur noch nicht, was. Das bezog sich weniger auf den Abstieg einer eigentlich unabsteigbaren Mannschaft, sondern auf mich selbst. Ich merkte das erst richtig nach der Sommerpause, als der Spielbetrieb ohne uns losging. Der Phantomschmerz, wenn man am Samstagnachmittag um 15.30 Uhr am Radio hing und vergeblich auf die Einblendung wartete, die einfach nicht kommen wollte. Nach weiteren 8 Wochen das zunehmende Desinteresse für eine Sendung namens „Sportschau“. Oder auch das Lesen des montäglichen Sportteils ohne das Grinsen oder die Sorgenfalten im Gesicht. Sicher auch in der zweiten Liga wurde Fußball gespielt, aber es war nicht das Gleiche. Rigobert hat das in seinem „Wie das Lied ins Stadion kam“-Thread sehr plastisch geschildert.. Mir ist nach dem Abstieg und der damit verbunden Änderung der eigenen Rituale sehr schmerzhaft bewusst geworden, dass es galt von der Illusion der eigenen Unsterblichkeit Abschied zu nehmen. Das klingt jetzt sehr pathetisch, aber ich glaube die Älteren unter euch wissen, was ich meine. Für mich war es buchstäblich eine Häutung. Autor HeinzGründel alias Uli Haase wohnt in Frankfurt
und ist „klar denkend“, also Eintracht-Fan, seit 1974.
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