24.03.2007 Das verflixte siebte Jahr Meine fußballerische Kindheit beschränkte sich darauf, mit Freunden auf dem Schulhof oder hinter dem Haus ein wenig gekickt zu haben. Mit Fußballvereinen verband mich nichts. Allenfalls Nationalspiele nahm ich wahr, darüber hinaus aber nichts Erwähnenswertes. Die Fußballvereine, um die sich bei anderen alles drehte, waren klar die Bayern und die Eintracht, Mitte der Neunziger auch der BVB. Die Lilien drangen in dieser Zeit nicht so zu mir durch, wenngleich ich heute viele Freunde habe, die zu ihnen halten. Es gab also irgendwie drei Vereine, die mir mehr oder weniger bewusst waren, die mich aber nicht wirklich interessierten. Den ersten Abstieg der Eintracht nahm ich aus der Ferne zur Kenntnis,
mehr aber auch nicht. Nach dem Wiederaufstieg begann ich mich mehr für
die Eintracht zu interessieren, verfolgte mehr oder weniger regelmäßig
die Ergebnisse der Saison, die im 5:1 gipfelte - was ich allerdings erst
abends irgendwann unter der Dusche erfuhr. Dieser Umstand sagt dann doch
einiges darüber aus, welche Bedeutung die Eintracht in dieser Zeit
für mich hatte. Während andere seit einigen Stunden am Rad drehten,
wurde ich eher zufällig Zeuge der unglaublichen Dinge, die sich in
den letzen Minuten dieser Saison ereignet hatten. Immerhin bewegte ich
mich vor den Fernseher, um im Sportstudio die Bilder zum Geschehenen zu
verfolgen. Das DSF überbrückte die fußballfreie Zeit mit "Bundesliga Classics", darunter auch mit Spielzeiten der frühen Neunziger, in denen die Eintracht den Machern der Sendung mehr wert war als nur erwähnt zu werden, wenn die Bayern sie schlugen. Irgendwie wurde die Eintracht mehr als nur die aktuelle Mannschaft und das, was man mal so vom Hörensagen darüber mitbekommen hatte. Noch ein wenig recherchiert und schon kannte man die größten Vereinserfolge, die größten Spieler und wichtigsten Trainer. Irgendwie eine interessante Geschichte, voller großer Momente aber auch ausgelassener Chancen. Eben mehr als man auf den ersten Blick sieht... Es folgte eine grandiose Rückrunde. Dritter Platz in der Rückrundentabelle, was mehr kann man sich wünschen? Eigentlich unmöglich, ihr zu widerstehen. Und ich war Feuer und Flamme. Eintracht-Fan. Vom Werdegang eigentlich gar nicht anders als wäre man Fan einer Siegermannschaft wie Bayern oder Dortmund - obwohl die schon zu verblassen begannen - geworden. Es war 2000 und ich war siebzehn. Meine erste "richtige" Saison. Ich kannte so ziemlich alle Spieler, verfolgte die Vorberichterstattung und war heiß auf den ersten Spieltag. Eine etwas spät gestartete Fankarriere, aber sei es drum. Und dann das "erste Mal" am 5. Spieltag gegen 1860 München. Schön war’s. Du saugst jeden noch so nebensächlichen Augenblick auf, damit du ihn nie vergisst. Der Weg zum Stadion, der erste Blick ins Stadion nach Erklimmen des "Dammes", die Anzeigetafel, das Flutlicht an dem trüben Spätsommernachmittag, die leicht maroden Ränge, die sich warmmachenden Spieler, der Blick auf den G-Block, das erste Mal "Im Herzen von Europa", Reichenbergers Siegtreffer und und und... Bis zum 13. Spieltag war es schön. Eigentlich durchwachsen. Aber dafür, dass es die erste Saison war und alles neu und aufregend, war es schön. Dann wurde die Stimmung etwas gedrückt. Und die Rückrunde war emotional gesehen einfach nur scheiße. Objektiv gesehen war sie eigentlich auch scheiße. Man kann fast gar nicht oft genug betonen, wie scheiße sie war! Diejenigen, die in der Rückrunde der Vorsaison Helden waren, rissen ohne sich zu wehren alles ein, was sie und andere aufgebaut hatten. Es kommt der Zeitpunkt, wo du eigentlich nur weg willst. Was hält dich bei ihr? Eine geile Rückrunde? Eine Handvoll Spiele im Stadion? Ein 5:1, das du abends erst im Sportstudio gesehen hast? Hau bloß ab und wir vergessen die Sache! Warum ich geblieben bin, weiß ich nicht. Trotz, falsche Noblesse? Keine Ahnung. Ich konnte es mir damals nicht erklären und ich kann es heute nicht. Trotzdem danke ich Gott jeden Tag, dass ich damals nicht meinen Verstand benutzt habe. Stattdessen ist die Eintracht abgestiegen und ich hinterher. So gab’s immerhin auch mal Mannschaften wie Reutlingen, Fürth oder Babelsberg zu bestaunen. Mein zweites Jahr war sportlich mittelmäßig, was nichts Gutes bedeutet, wenn das Ziel eigentlich der Wiederaufstieg ist. Insbesondere, wenn sich vorher keiner Gedanken gemacht hat, wie das zweite Jahr Zweitklassigkeit finanziert werden soll. Am Saisonende war die Lizenz futsch. Meine Bilanz nach zwei Jahren Eintracht waren ein Abstieg und ein Lizenzentzug - eine stramme Leistung. Was geworden wäre, wenn die Lizenz wirklich verweigert worden wäre, weiß ich nicht. Ich konnte mir schwer vorstellen, auf Oberliga- oder Regionalligapartien zu gehen. In erster Linie, weil ich eigentlich gar keine Ahnung von Oberliga- oder Regionalligafußball hatte. Heute würde ich (Gott bewahre, dass es für die Erste nötig wird) ohne zu zögern mitgehen. Aber es ging ja nicht nur darum. Es ging darum, wie schlimm es war, mit anzusehen, wie da ein Stück Geschichte den Bach runterzugehen drohte. Mir blieb letztendlich nur abzuwarten und die Gedanken an den "Worst Case" so gut wie möglich zu verdrängen. Während der heißen Phase der Lizenzschlacht war ich in Griechenland. Um Kontakt zur Außenwelt zu haben, musste man ins nächste Örtchen an den Kiosk, die BILD vom Vortag kaufen. Etwa eine Stunde Fußmarsch, immer am einsamen Strand entlang. Der schönste Weg, sich die Zeitung zu kaufen. Aber in der Situation war es quälend lang. Und der Rückweg mit dem Artikel, in dem die Lizenz für die Eintracht vermeldet wurde, war unglaublich schön. Insgesamt hatte ich mich leider zu früh gefreut und musste noch Kupkas Prozessmarathon überstehen. Aber irgendwie war danach das Schlimmste ausgestanden, was ich mir überhaupt im Fußball vorstellen kann: Dass man einem einfach den Verein wegnimmt. Jahr Nummer Drei war sicher eines der schönsten. Wie Phönix aus der Asche erstand die Eintracht auf, um ein Wörtchen in der Aufstiegsfrage mitzusprechen. Das erste Mal konnte ich regelmäßig mit breiter Brust aus dem Stadion gehen. Und trotzdem stand am Ende alles auf Messers Schneide. Dann der 25. Mai, das Spiel meines Lebens. Egal wie man es betrachtet... nur die letzten Sekunden, die letzten Minuten, die letzte Halbzeit, die letzten Spiele, die ganze Saison oder auch noch die vergangenen Spielzeiten.. Das 6:3 ist ein Meisterwerk, wie es niemand schöner hätte planen können. Der erste Erfolg in meiner Fankarriere. Gleichzeitig wahrscheinlich der ewige Höhepunkt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das toppen kann. Ein Spiel, ein Tag wie in Trance. Ich erinnere mich an alles und nichts. Ich weiß, dass ich in einem Umkreis von zehn Metern so ziemlich jeden im Block in den Armen hatte. Andererseits ist mir erst vor kurzem beim Video anschauen aufgefallen, dass es zumindest zeitweise geregnet hat. Ich glaube noch zu wissen, dass ich fest überzeugt war, dass wir es noch schaffen, weil die ganze Saison, derjenige, der sich sicher auf dem dritten Platz wähnte, immer noch abgefangen wurde. Dass wir allerdings schon in der Nachspielzeit waren, war mir, glaube ich, völlig entgangen. Obwohl ich wusste, dass Mainz abgepfiffen war. Unter dem Strich das Verrückteste und Unfassbarste, was ich erleben durfte. Und ein Gefühl, das einen ganzen Sommer bestimmt hat. Noch mehr: Eine Antwort auf die Frage, warum ich vor zwei Jahren nicht gegangen war. Na ja, nicht wirklich, aber immerhin etwas, was man antworten kann, auf die Frage, warum man Eintrachtfan ist. Und auch ein Grund, weshalb man sie nie mehr verlassen will, für immer an ihrer Seite bleiben möchte. Die kommende Saison begann, nicht ganz unerwartet, holprig. Und nach allem, was am letzten Spieltag war, fühlte ich mich zunächst emotionsloser. Ich glaube, es hat bis zum Stuttgartspiel gedauert, bis ich das Reutlingenspiel endgültig verarbeitet hatte und wieder auf die aktuelle Situation und nach vorne schauen konnte, statt nur in diesen letzen Minuten am 25. Mai zu leben. Am Ende der Saison stand mein zweiter Abstieg mit der Eintracht, der aber nicht so sehr weh tat wie der erste. Nicht, weil es der zweite war, sondern weil er anders zustande gekommen war und wir in meinen Augen erhobenen Hauptes abgetreten waren. Zurück in der zweiten Liga begann die nach dem 6:3 schönste Zeit in meiner Eintrachtlaufbahn. Eigentlich begann sie alles andere als vielversprechend. Die weitgehend unerfahrene Mannschaft rutschte nach vier Niederlagen bedrohlich nahe an die Abstiegszone. Nach der Lizenzgeschichte das einzige Mal, dass ich wirklich Angst vor dem Absturz hatte. Nachdem man sich aber stabilisieren konnte, war die Saison eine recht berechenbare emotionale Berg- und Talfahrt aus Heimsiegen und Auswärtsklatschen, von der ich mich gerne tragen lies, um im nicht mehr erwarteten Endspurt in hohem Bogen in die erste Liga zurückgespült zu werden. Es folgte wiederum ein alles andere als gelungener Start. Und an einem Samstag im Oktober die rote Laterne. Das Regenspiel gegen Schalke erlebte ich in Genf. Eigentlich erlebte ich es dort nicht, sondern erst am Abend danach kurz per Telefon und am kommenden Sonntag durch eine BILD am Genfer Bahnhof im dortigen McDonalds. Es hatte etwas eigenartiges, räumlich so völlig distanziert zu sein, während in Frankfurt vermutlich der Baum brannte. Und irgendwie war es perfekt, so weit weg zu sein. Man konnte einfach überlegen, was sie einem bedeutet. Das kann ich sowieso am Besten, wenn alles beschissen ist. Erfolg ist schön. Und Erfolg nimmt man mit, wo man kann. Aber man hält nicht inne und denkt über fundamentalere Dinge nach. Dazu müsste man das Gefühl des Erfolges beiseite wischen und wer will das schon? Aber wenn man ohnehin am Boden ist, dann lässt man sich nicht mehr von Tabellensituationen, Formkurven und ähnlichem ablenken, die einem den Blick aufs Wesentliche versperren. Das sind wohl die Gedanken, die an diesem Sonntag durch meinen Kopf geisterten, während ich am - der Tabellensituation angemessen - verregneten Genfer See entlangspazierte. Was folgte, war aber nicht der entgültige Knockout in Duisburg, sondern die furiose Wende, inklusive der "Zweimal-Sechs-Tore-Woche" und unfassbaren 21 Punkten in der Winterpause. Die Rückrunde glich einem Schneckenrennen zum Klassenerhalt, was aber nicht so wichtig war, denn Geschichte wurde in zwei anderen Partien geschrieben. Ein Sieg gegen Bielefeld bescherte uns die Endspielteilnahme. Und im Gegensatz zur Bayernkundschaft, die sich neunzig Minuten eher gelangweilt in ihren Sitzen rumlümmelte, war es für uns etwas ganz Besonderes. Wie eine verspätete Anerkennung dessen, was wir schon immer gewusst hatten. Dass wir doch zu höherem auserkoren sind, als irgendwo in der zweiten Liga rumzudümpeln. Dass sich all die Jahre des Leidens gelohnt hatten. Auch wenn man all das nie an eine Gegenleistung gebunden hatte, war es doch um so schöner, diesen Tag von der Eintracht geschenkt zu bekommen. Und sie zu feiern. Und uns zu feiern. Fußball gespielt wurde auch noch, leider nicht mit dem gewünschten Ergebnis. Irgendwann in den frühen Morgenstunden entschieden wir uns, mit dem Taxi heimzufahren. Da ich auf dem letzen Stück des Heimweges die Bahn verpasste, ging ich zu Fuß. Beim Weg durch den Wald, mit ein wenig Abstand zum vergangenen Tag, erinnere ich mich, dass ich feuchte Augen bekam, ob der Dinge, die am Vortag passiert waren. (Es hat aber auch geregnet, vielleicht kam es auch daher, weil Jungs ja eigentlich nicht weinen.) In nicht einmal zwei Jahren vom Abstiegskampf der zweiten Liga in den UEFA Cup. Steiler kann man wahrscheinlich nicht emporsteigen. Womit auch das sechste Jahr endet und ich nach einer Handvoll Worten zur Vorgeschichte, (die dann doch mehr als eine Handvoll geworden sind), zum siebten Jahr komme. Das Jahr beginnt mit der Weltmeisterschaft, die ich natürlich verfolge. Als Höhepunkt sehe ich das Argentinienspiel. Ansonsten kann ich aber mit dem WM-Volk nicht so viel anfangen, da ich mein Fan-Sein anders definiere, als vier Wochen zu feiern und zwischendrin Fußball zu gucken. Das soll keine Besserfan-Kritik sein, ich fühle mich in solch einer Masse nur dauerhaft nicht so wohl. Spätestens von dort an ist Fußball salonfähig. Und verliert auch ein wenig das Exklusive, das er für mich immer hatte. Den Saisonbeginn verpasse ich leider, da ich im Ausland bin. Und irgendwie finde ich die ganze Hinrunde nicht so wirklich den Anschluss. Die Eintracht spielt im Mittelmaß. Zum ersten Mal, seit ich dabei bin. Häufig Remis. Mal glücklich, mal unglücklich. Siege sind eher rar und teilweise auch nur wegen den drei Punkten oder dem Weiterkommen im Pokal schön. Genauso sind Niederlagen teils nebensächlich (wie gegen Bielefeld) oder aufgrund der Tabellensituation nicht so wild (Bremen, Berlin). So richtig Struktur ist in der Mannschaft auch nicht zu sehen, aber es läuft so vor sich hin. Mit Glanzpunkten im UEFA Cup. Es ist nicht so, dass es mir nichts mehr bedeutet, aber selten bin ich mal drei, vier Tage vorher heiß auf ein Spiel. Es ist alles zur Gewohnheit geworden. Business as Usual. Einfach nicht mehr so emotional. Was man sich vielleicht nicht vorstellen kann, ist, dass ich in Dingen, die mir viel bedeuten, zur Perfektion und zum Ehrgeiz neige. (Auch wenn ich manchmal ein wenig zerstreut durch die Gegend laufe. Das brauche ich aber wahrscheinlich für meinen späteren Beruf.) Perfektionismus ist eigentlich nicht schlimm, bei einem Verein wie der Eintracht aber ziemlich fatal. Deshalb hat sich bei mir vermutlich ein Gleichgewicht zwischen Verstand und der Liebe zur Perfektion auf der einen und dem Herz und meiner Liebe zu diesem verrückten Club auf der anderen Seite aufgebaut. Und genau dieses Gleichgewicht beginnt in Richtung Verstand zu kippen. Man versucht dagegen zu halten, aber Gefühle lassen sich eben nicht steuern. Und da stehe ich also in der Winterpause. Hinter mir sechs Jahre voller Höhen und Tiefen. Und ein halbes Jahr nebeneinander her leben. Verlassen kommt nicht in Frage. Aber ist die bewegte Zeit vorbei? Ab und zu mal ins Theater (UEFA Cup) und jeden Samstag Abend planmäßig vö... sich lieb haben? Sieht so die Zukunft aus? Werden wir einfach gemütlich zusammen alt? Nö, so läuft´s nicht. Spätestens im Stuttgartspiel werden alle Befürchtungen, die man während der Saison so mit sich rumtrug, in nicht für möglich gehaltener Art und Weise Realität. Natürlich kein Grund zur Freude. Aber etwas, was die Leidenschaft wieder entfesselt, während ich die letzten zehn Minuten des Spiels im immer leerer werdenden Block mit leerem "vor mich hin starren" verbringe. Irgendwie hat von diesem Moment an wieder alles in bezug auf die Eintracht einen Sinn. Emotional gesehen. Rational sicher überhaupt nicht. Auch wenn wir jetzt noch mitten drin sind, gehe ich mal davon aus, dass wir bis zum Ende zittern müssen und die Situation wahrscheinlich noch mal unkomfortabler wird als gerade im Moment. Aber so ist sie halt, meine Eintracht. Auf die nächsten bewegten sieben Jahre. Und dann schauen wir mal, ob wir es danach nicht etwas ruhiger angehen lassen. Ich werde ja schließlich auch nicht jünger.
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