14.10.2006

Meine erste Saison im Waldstadion

Das 6:3 ist sicher das Highlight in meiner Fanlaufbahn, aber darüber sind schon genug Geschichten erzählt. Bleibt noch meine erste Saison im Waldstadion. Das war 2000/2001. Eine Saison, an die wohl keiner gerne zurückdenkt. Dennoch ist sie für mich irgendwie prägend geworden.

Die Vorgeschichte: In der Rückrunde der Vorsaison gelingt es der Mannschaft, nach einer katastrophalen Hinrunde und späterem Punktabzug noch sensationell am letzten Spieltag die Klasse zu halten. Die Eintracht ist in dieser Rückrunde die drittbeste Mannschaft in der Bundesliga. Seit dem Aufstieg 1998 verfolge ich die Eintracht mehr oder weniger regelmäßig, ohne dass ich mich als Fan bezeichnen würde. Aber diese Rückrunde verändert alles. Seit dem Rückrundenbeginn in Unterhaching zittere ich an jedem Spieltag mit und nach und nach wird das Unglaubliche Gewissheit: Die Eintracht kann doch noch die Klasse halten. Mein Vater bietet mir an, mit mir am letzten Spieltag gegen Ulm ins Stadion zu gehen, leider bin ich da aber auf Klassenfahrt. Aber das soll in der kommenden Saison nachgeholt werden. Ich hab´ jetzt einen Schal und ein Trikot, alles, was man als Fan braucht.... denke ich.

Sportlich ist das Ziel der Saison, mit dem Abstieg nichts zu tun haben zu wollen. Der neue strategische Partner Octagon soll die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft stellen. Die erfolgreiche Mannschaft der Rückrunde wird durch ablösefreie Spieler wie Sasa Ciric, Markus Lösch und den Österreicher Gerd Wimmer ergänzt. Die Vorbereitung ist nicht frei von unglücklichen Testspielergebnissen, aber auch von Prestige-Erfolgen wie einem Sieg gegen den italieneischen Meister Lazio Rom. Auch wenn das Ziel nur die Abstinenz vom Abstiegskampf ist, habe ich doch das Gefühl, dass Höheres möglich ist. Der UEFA Cup ist ein Traum. Vielleicht in einem oder zwei Jahren. Vielleicht schon in diesem. Wer in der vergangenen Rückrunde Dritter war, kann das schaffen. Zumindest ins obere Mittelfeld!

Der Kader ist doch recht aufgebläht. Nicht mehr benötigte Spieler sind dank gut dotierter Verträge nur schwer loszuwerden. Aufgrund schlechter Trainingsleistung werden einige Spieler, darunter der teuerste Eintrachtspieler aller Zeiten, Bachirou Salou, von Felix Magath aussortiert. Die leichten Unstimmigkeiten vermiesen mir jedoch nicht die Vorfreude auf die Saison.

Die Saison beginnt mit einem standesgemäßen Heimsieg gegen Unterhaching. Es folgen jedoch herbe Niederlagen bei den Aufsteigern Köln und Cottbus. Getoppt wird das Ganze vom blamablen Erstrundenaus im Pokal. 1:6 unterliegt die Eintracht den Amateuren des VfB Stuttgart. Der Ernüchterung nach den schwachen Auswärtsauftritten folgen jedoch immer Heimsiege. Rostock wird 4:0 nach Hause geschickt. Die Mannschaft ist nicht so gut wie in der vergangenen Rückrunde, aber zu Hause eine Macht. Das ist immerhin beruhigend.

Am fünften Spieltag ist es soweit. Mein erstes Eintrachtspiel. Der Gegner ist das damals starke 1860 München. Es ist ein Samstag nachmittag im Spätsommer, der Himmel bedeckt und teilweise regnet es. Überhaupt hab´ ich in meiner Erinnerung an die zwei Jahre, die ich ins alte Waldstadion ging, das Gefühl, dass es immer nass und matschig war. Das war sicher nicht so, aber verdreckte Schuhe und Schlammspritzer bis an die Hose gehören für mich irgendwie einfach zum alten Waldstadion dazu. Ich sitze auf der Gegentribüne, Unterrang. Beeindruckend, wenn man das erste mal die Treppe über den Wall erklommen hat und in die Schüssel Waldstadion blickt. Ich erinnere mich an viele Dinge, die irgendwie sang- und klanglos verschwunden sind, und die man auch nicht wirklich vermisst, wie die Cheerleader, die komischen Windfiguren hinter den Toren und der Volvo (?), der in Richtung Ostkurve stand. Zudem noch richtige Flutlichtmasten und überhaupt das ganze Flair eines 70er-Jahre Stadions. Nicht wirklich heimelig, aber doch war die Geschichte in den Betonmauern irgendwie fühlbar. Das Spiel selbst endet 1:0 durch ein Tor von Thomas Reichenberger nach Ecke von Horst Heldt.

Auch in den folgenden Spielen zeigt die Mannschaft zuhause und auswärts völlig unterschiedliche Gesichter. Vor allem die Abwehr offenbart auswärts eklatante Schwächen und nach Rückständen ist kein Aufbäumen zu erkennen. Auch Felix Magaths "verstärktes Mittelfeld" aus 6 Spielern vermag keine Stabilität zu bringen. Zuhause hingegen geht die Eintracht meist in Führung, spielt dann befreit auf und fegt die Gegner davon. Die Eintracht ist im Kalenderjahr 2000 zuhause ungeschlagen. Wenn es gelingt, die Auswärtsschwäche abzulegen, scheint vieles möglich. Am 13. Spieltag endet ausgerechnet in München die schwarze Auswärtsserie. Nach Rückstand werden die Bayern durch Tore von Schur und Fjörtoft 2:1 geschlagen. Die Eintracht klettert auf Platz fünf, der UEFA-Cup scheint nicht mal mehr ein utopisches Ziel zu sein.

Doch alles kommt anders. Mit dem Ende der Auswärtsserie endet auch die goldene Heimserie. Es ist November, mein drittes Live-Spiel. Gast ist die ersatzgeschwächte Hertha. Ein echtes Spitzenspiel im Waldstadion, Fünfter gegen den Dritten. Bereits zur Halbzeit liegt die Eintracht im kalten Waldstadion 0:2 zurück. Am Ende wird es eine 0:4-Niederlage. Eine interessante Randnotiz ist, dass Benni Köhler für personell gebeutelten Berliner seinen ersten und einzigen Bundesligaeinsatz absolviert.

Die Niederlage ist an sich kein Beinbruch. Doch es folgen die obligatorischen Auswärtsniederlagen gegen die Kellerkinder aus Bochum, Stuttgart und Unterhaching. Verbunden mit der Heimniederlage gegen Wolfsburg bedeutet dies zur Winterpause fünf Niederlagen in Folge und Platz 15 mit nur einem Tor Vorsprung auf die Abstiegsplätze.

20 Punkte zur Winterpause sind nicht katastrophal, doch nach den letzten Spielen überwiegt die Enttäuschung. Es zeigt sich, dass die Abwehr nicht bundesligatauglich ist und in der Mannschaft Leader fehlen. Ich verabschiede mich vom Traum UEFA-Cup. Für mich ist klar, dass sich die Mannschaft in der Rückrunde konsolidieren und irgendwo im unteren Mittelfeld landen wird. Zur Stärkung der Abwehr werden Karel Rada, seines Zeichens Libero der tschechischen Nationalmannschaft, und der norwegische Nationalspieler Tommy Berntsen verpflichtet, wahrscheinlich die größten Fehleinkäufe in meiner Zeit als Eintrachtfan. Der schon in der Hinrunde verpflichtete Serge Branco kann ebenfalls nur zeitweise überzeugen. Einzig Pawel Kryszalowicz kann in der Rückrunde mit 7 Toren Akzente setzen.

Die Rückrunde beginnt mit dem Heimspiel gegen Köln, einem Offenbarungseid. Berntsen hat sich bereits in der Vorbereitung verletzt und sollte nie mehr Fuß bei der Eintracht fassen. Karel Rada begann seine Eintracht-Zeit mit einem katastrophalen Spiel, von dem er sich nie wieder erholen sollte. Bereits zur Pause liegt der Aufsteiger mit 4:0 in Front. Das 1:5 bedeutet den Rutsch auf die Abstiegsplätze und das Ende von Felix Magath als Eintrachttrainer. Erstmals rückt damit neben der sportlichen eine weitere Komponente in den Vordergrund, die maßgeblich zum Verlauf der Saison beitragen sollte: Der Vorstand. Die Entscheidung, den Trainer nach dem ersten Rückrundenspiel zu feuern, ist immer unglücklich. Doch die folgenden Ereignisse sollten das noch weit in den Schatten stellen.

Sportdirektor Rolf Dohmen übernimmt die Mannschaft und kann zwei Siege feiern. Dies vertreibt erst mal den Schock und die Abstiegsangst, die sich bei mir nach dem Köln-Spiel breit gemacht hatten. Die Trainersuche wird hingegen zu einer nie dagewesenen Posse. Toppmöller, Schäfer, Matthäus, Briegel, Henke, Koch (und sicher habe ich noch einige vergessen) sind die Kandidaten, von denen sich die in der Bundesliga völlig unerfahrenen Eintracht-Verantwortlichen Körbe einhandeln. Die "Trainerfindungskommission" verkommt zur Lachnummer. Selbst durch die dickste Eintrachtbrille muss man feststellen, dass die Entscheidung an Dohmen festzuhalten, nur ein Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit ist. Zudem ist sie sportlich fatal. Der unerfahrene Dohmen ist völlig überfordert und die Mannschaft taumelt erfolglos dem Abgrund entgegen. Das 1:6 in Dortmund oder das 2:5 in Freiburg sind nur einige herausragende Ergebnisse.

Im Frühjahr 2001 bietet die Eintracht ein erbärmliches Bild. Sportlicher Misserfolg und eine offensichtlich überforderte und handlungsunfähige sportliche Führung ergeben ein desaströses Gesamtbild. Ich weiß nicht, warum ich trotzdem weiter ins Stadion gehe. Irgendwie will ich nicht aufgeben. Ich erinnere mich, wie ein Verwandter sagt: "Wenn die Eintracht absteigt, musst du dir wohl einen anderen Club suchen" und wie ich daraufhin an die Decke gehe. Spätestens jetzt ist für mich klar, dass ich Eintrachtfan bin. Wenn ich heute erklären soll, warum ich Fan bin, kann ich so viele Erlebnisse und Spiele aufzählen, allein das 6:3 würde reichen. Warum ich mir damals das alles angetan habe, weiß ich nicht.

Gegen Ende der Saison schwinden die Chancen auf den Klassenerhalt und die Trainerfindungskommission findet mit dem eigentlich im Ruhestand befindlichen Friedel Rausch doch noch einen erfahrenen Mann, der aber trotzdem in der Öffentlichkeit als Verlegenheitslösung angesehen werden muss. Immerhin verdanke ich ihm mit seinem Sattelpinkler-Spruch eine der wenigen schönen Erinnerungen der Rückrunde. Herumreißen kann er das Ruder auch nicht mehr, was ich ihm aber nicht übel nehme. Der Karren raste schon zu schnell auf die Wand zu. Wenigstens bekommen die Nachwuchsspieler Jones, Gemiti und Streit noch ihre ersten Einsätze. Preuß und Mutzel waren zuvor in der Rückrunde ohnehin schon die einzigen positiven Überraschungen. Am 32. Spieltag feiert die Mannschaft den ersten Sieg seit dem 21. Spieltag gegen den Tabellenletzten aus Bochum. Ein Wochenende später ist der Abstieg jedoch perfekt. Das Spiel in Wolfsburg ist ein Abziehbild der gesamten Auswärtsrückrunde. Nach einem frühen Rückstand bricht das "Team" völlig auseinander und bereits zur Pause ist mit dem 0:3 das Ende besiegelt. Symptomatisch ist die Szene, als Guie-Mien sein Trikot nach dem Spiel in den Fan-Block wirft und es kurz darauf zurückgeflogen kommt.

Für das letzte Spiel gegen Stuttgart habe ich eine Karte, gehe aber nicht hin, da meine Mutter Geburtstag hat und die Partie nun sportlich wertlos ist. Das Spiel ist eine besondere Demütigung, da Felix Magath mit dem von ihm geretteten VfB Stuttgart gastiert. Der wertlose 2:1 Sieg beendet eine katastrophale Saison, in der so ziemlich jeder zum Versagen beitrug. Von der sportlichen Führung, für die stellvertretend Dohmen den Hut nehmen musste, bis hin zur Mannschaft, die nie eine war. Spieler, die Führungsaufgaben übernehmen hätten können, wollten dies nicht oder waren mit sich selbst zu sehr beschäftigt.

Letztlich bleibt an der Saison wenig Erinnerungswürdiges. Da sie aber gerade mit meinen Anfängen als Eintrachtfan zusammenfällt, hat sie für mich aber bis heute eine gewisse Relevanz. Durch das beinahe kollektive Versagen der Mannschaft ist mir die Verehrung einzelner Spieler bis heute ein wenig suspekt und ich weiß seit den Erfahrungen in dieser Saison den Wert einer funktionierenden Mannschaft besonders zu schätzen.

Und schließlich ist die Saison ein wenig der Anfang vom Lizenzkrimi ein Jahr später. Wenn man vom 6:3 erzählt, funktioniert es am Besten, wenn man im Sommer zuvor anfängt, um die gesamten Umstände verständlich zu machen. Und wenn der Zuhörer sehr geduldig und interessiert ist, beginnt man aber am Besten mit dieser Saison. Dieser lange Vorlauf mit all den Nackenschlägen macht für mich den Aufstieg gegen Reutlingen, der eigentlich der erste Erfolg in meiner Fanzeit ist, erst richtig wertvoll. All die Demütigungen und Entbehrungen der Jahre zuvor wurden beim 6:3 belohnt. Daher hat die Saison 2000/2001 im Nachhinein auch ein wenig Gutes, auch wenn man es damals sicher anders gesehen hat.

Autor „Feigling“ ist Dennis Weber aus Griesheim bei Darmstadt und Eintrachtfan seit 2000.


 

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