19.10.2005
Heimspiel in Duisburg Es gibt Zeiten im Leben, die so vollgepackt mit Erlebnissen sind, dass die Erinnerung ein einziger Film ist: Gesprächsfetzen, Bilder, Gesichter ziehen an einem vorbei – und es ist nichtsgreifbar – da alles im Fluss ist. Von so einer Zeit soll die Rede sein, von einer Zeit – in der das Leben mit beiden Händen gepackt wurde.
Sind wir ehrlich, - was ist das finale, dass im Leben zählt? Was ist es, dass uns am Rad drehen lässt, als gäbe es immer ein „Morgen“? Zwei Antworten lasse ich gelten: die Liebe – und die Freiheit. Und viel zu viele haben im Laufe der Jahre aufgehört daran zu glauben, geschweige denn danach zu suchen – oder dafür zu kämpfen. Nichts ist für die Ewigkeit. Freitag Abend, das Fanprojekt eröffnet das Fanhaus – jede Menge eifriger Helferlein – Eintrachtfans jeglicher Couleur – haben dafür gesorgt, dass aus einem verfallenem Bahnhofshäuslein ein neues Schmuckstück der Frankfurter Fanszene geworden ist. Graffitis ehemaliger Eintracht-Koryphäen schmücken die Wände, ebenso wie ein Steinmosaik des Adlers den Fußboden. Die wahre Kunst findest du nicht in den Supermärkten der elitären Galerien, die wahre Kunst findest du mit Herzblut in die Nischen der Kapitalen gemeißelt. Dort, wo die Underdogs zuhause sind, dort, wo die offiziellen Sponsoren noch nicht die Gelegenheit zu Tode nutzen, alles nach ihrem Gutdünken zu organisieren – und dabei die Bedürfnisse der Menschen zugunsten ihres Geldbeutels unter den Tisch kehren; dort wo nicht jede Aktion von Presse und TV begleitet wird, - weil die Beteiligten auch gar keinen sonderlichen Wert darauf legen. Ich fahre gegen zehn mit dem Taxi durch den Stadtwald und lande vor dem Eingang des Fanhauses. Da ich während der Nacht arbeiten muss, bleibt mir vielleicht eine Stunde, mich umzuschauen, mit Leuten zu sprechen – und ich sehe u.a:
Ina macht mit mir eine kleine Führung und zeigt mir den jetzt schon legendären Kunstrasen samt Fußball hinter dem Haus. Während ich staune, saust ein ICE an der Louisa vorbei, und die aufgebauten Zelte wackeln, dass einem Angst und Bange wird. Na gut, einen Ebbelwoi gönne ich mir, treffe Anno und niemiec, babbel mit Rigo, mit Erwin Stein und schusch – Busi und Gaby haben derweil alle Hände voll zu tun, Freunde und Bekannte zu begrüßen, irgendwo fallen neeko und RedZone rum – Ultras mit schnittigen Klamotten dazwischen und Heinz Schenk dröhnt aus den Boxen und sogar die Toilettentür ist schwarz rot. Leider kann ich nicht den Abend befeiern, wie es sich gehört – die Kutsche wartet – und eine merkwürdige Nacht, von der ich nur noch weiß, dass ich irgendwann um halbdrei schusch abgeholt habe, um ihn souverän nach Hause zu fahren. Ina meinte nur „du bist ja immer noch hier“. Leider nein – schon wieder. „Commerzbank-Arena“ ist woanders! Irgendwann am nächsten morgen klingelt der Wecker – und mir wird klar: Die Amas spielen. Schnell noch eine CD gebrannt – in die Klamotten geworfen und ab zum Riederwald. Es ist ein wunderschöner Herbsttag, die Sonne wirft ihre spätgüldenen Strahlen in den Mittag und unsere U23 tritt an, um endlich drei Punkte zu holen. Gegner ist die Germania aus Ober-Roden. Steffen hat schon früh die Stadionzeitung fertig und shinji von sge4ever (der nicht nur zu jedem Spiel Fotos macht, sondern sich ganz nebenbei auch darum kümmert, dass euer Beverungen an die Infos kommt, die er braucht) verteilt die Zeitung, während Snoopy und Nala – zwei treue Eintracht-Hunde - an ihren Leinen in der Herbstsonne dösen. Neben der handvoll Fans, die unsere Amas stets bei Wind und Wetter begleiten, gesellen sich u.a. schusch und Charly samt seinem Kumpel (St.Pauli Fan mit Leicester-Trikot) in die erlesene Schar der Zuschauer, die von Bernd Hölzenbein angeführt wird. Und sie sehen nach fünf Minuten das erste Tor der Eintracht. Selten war ein Torjubel befreiender, als nach diesem Tor – vor allem, wenn man sich die vorangegangene Partie gegen Schwalmstadt in Erinnerung ruft – die trotz zahlreicher Chancen mit 0:1 verloren ging. Auch wenn die Oberröder Zuschauer noch so sehr schimpfen – am Ende steht ein 3:0 für unsere Jungs zu Buche – zweimal Stroh-Engel und Jens Paetzold mit einem direkt verwandeltem Freistoß sorgen dafür, dass Andy Möller am Riederwald nicht mehr ganz so heiß gehandelt wurde. Hinter der Tribüne ertönt nur wenig später „Wenn die Rosen erblühen in Malaga“ am Getränkestand. Die Bedienung hält sich die Ohren zu, was uns aber nur zu einem müden Grinsen verleitet. Charly, Sascha (St. Pauli Fan mit Leicester-Trikot) und Beverungen sind hemmungslos und singen lauthals deutsche Schlager, während Spieler und Betreuer sowohl von Ober-Roden als auch von uns in unmittelbarer Nähe mit den Köpfen schütteln. Scheiß der Hund drauf. Ein Grinsen haben sie dennoch alle. Der Abend geht irgendwie rum, in der Bundesliga haben sie alle gegen uns gespielt, Bielefeld gewinnt gegen Hertha und sogar Mainz fährt gegen Leverkusen drei Punkte ein. Holla – gleich steht das Auswärtsspiel in Duisburg auf dem Programm – und die Eintracht steht mit dem Rücken an der Wand. Ein Auswärtssieg ist schon fast Pflicht, sollte der Abstand zu den Nichtabstiegsrängen nicht zu groß werden. Und was denk ich mir? Hauptsache, die Fahrt wird lustig – Punkte holen wir zum Schluss - Ich lasse mir doch ein Wochenende nicht durch eine Niederlage in Duisburg verderben. Andererseits haben wir in Duisburg immer gut ausgesehen – mal sehen, was passiert. Und so tucker ich Sonntagmittag bei erneut wunderbarem Herbstwetter mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof/Südseite. Der Bus des EFC PerSempre wird dort hoffentlich Station machen, nachdem er am Gleisdreieck die ersten Pappnasen eingesammelt hat. Kaum bin ich am Bahnhof, treffe ich jede Menge Mitfahrer – allerdings von den Geiselgangstern. Wir stehen in der Sonne und unterhalten uns über Gott und die Welt – der Geiselgangster-Bus kommt, die Leute steigen ein – und ich frage mich plötzlich: Äh – wo sind eigentlich meine Leute? Es ist kurz vor eins – und eigentlich sollte es gegen viertel vor eins spätestens losgehen. Ham die mich vergessen? Ne – oder? Ein kurzer Anruf bringt Klarheit – und schon kommt mir Tani telefonierend entgegen – und ich bin mir sicher: Ich bin dabei. Puuuh. Liebenswerte Menschen hatten mir dankenswerter einen Platz im Bus freigehalten, während unser Ossiadler Jens durch ein T-Shirt mit dem netten Text: Anal-Sex-Tours auffällt. Ich war mir sicher, wir fahren nicht nach Hannover – aber was weiß ich schon? Egal, ruckzuck umarmen wir uns und öffnen die ersten Ebbelwoi-Flaschen. Pia, deren Rock im weitern Verlauf eine tragend Rolle spielen wird, hatte Geburtstag – und so tranken wir auf sie, auf uns – und auf den kommenden Auswärtssieg. Die Fahrt verlief lässig und Charly bekam jede Menge CDs in die Hand gedrückt. Ride on! – leider war die Busbesatzung durch ein Ober- respektive Untergeschoss getrennt – von daher ist sicherlich einiges wesentliches an mir vorbei gerauscht. Deprimierend war vor allem, dass es im Bus keinen CD-Player gab - und damit die schön geplante Verbal-Choreo „Frankfurt ist die geilste Stadt der Welt“ ins Wasser fiel. Immerhin drückte mir Kid die Wickie-CD in die Hand. Naja, die junge Generation im Untergeschoss des Busses schwankte zwischen Bierkonsum und Teilnahmslosigkeit, während die +- fourties sich doch ziemlich gehen ließen – und sogar einen Frosch mit Bier und Rauschgift adäquat auf das Spiel einstimmten. Oder war’s auf der Rückfahrt? Egal, der Kronberger Adler und der Herr Beverungen konnten froh sein, dass die Eltern nicht dabei waren, während sich Frau Pröll ein nettes Taschengeld qua WC-Kontrolle verdiente: O-Ton: 50 Cent - und saubermachen! Und im Stehen pissen! Klappte tadellos. Weniger tadellos klappte der Gang vom Oberdeck ins besagte Klo. Da der Bus recht niedrig war, schallerte alle paar Minuten ein wackliger Eintracht-Fan an die Oberkante. „Ist hier besetzt?“ Ja! Nach einigen peinigenden Sekunden kam die Erlösung: Quatsch ist frei. Aber hinsetzen! Wie gesagt. Klappte tadellos! Sodann vermisste Biber ihr Portemonnaie. Wir machten uns keine größeren Sorgen, irgendwo zwischen Bier- und Ebbelwoiflaschen wird es schon rumkullern, dachten wir und brüllten zur Abwechslung: „Frankfurt ist die geilste Stadt der Welt.“ Auch das Herz von Europa musste dran glauben. Jedoch sollte der/die andere da noch etwas textsicherer werden. Bald rollten wir in Duisburg ein und fielen aus dem Bus ins schmucke Stadion des Meidericher SV ein. Händeschütteln, umarmen, krakeelen – überall bekannte Gesichter – und dazu ein eher unbekanntes. Name: Francisco Copado. Mit der Nummer 20 stand er nach allerlei hin und her zum aller ersten Mal in der Anfangsformation der Frankfurter Eintracht- und so wie es aussieht, sicherlich nicht zum letzten Mal. Ich weiß nicht, bei Auswärtsspielen rauscht die Zeit viel schneller vorbei, hier ein bisschen gebabbelt, dort ein bisschen angefeuert, da ne Wurst geholt, die nebenbei ordentlich schmeckte, (und bar bezahlt wurde – das kennen die jüngeren hier ja gar nicht mehr), zwischendrin kurz mit den Verkäuferinnen geflirtet, den Damen der Polizei hinterher geguggt und schon führte die Eintracht mit 1:0 durch Meier. Amanatidis legte auf Copado, der schob den Ball zu Meier und endlich fegte der Torjubel durchs Stadion, den wir uns alle so gewünscht hatten. Auswärtssieg! Auswärtssieg! Zwei Vollspaten konnten es jedoch nicht lassen. „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ tönte es hinter mir. Aber nur ganz kurz. Man kann über didaktische Maßnahmen streiten – aber manchmal reicht ein saloppes. „Halt die Fresse, du Arschloch“, um für Ruhe zu sorgen. Schön, dass etliche Eintrachtler sofort den Mund aufmachten. Putzig war nebenbei das Duisburger Spruchband, dass deren Fans aufgehängt hatten: „Unsere Kurve erhellt – die Duisburger Fußball-Welt“. ich mein, hätten se Deutschlands Fußballwelt geschrieben, oder die des Ruhr-Gebietes, Ok. Aber scheinbar sinds in Meiderich schon mit kleinen Dingen zufrieden. Irgendwie sympathisch. Weniger sympathisch war allerdings der Stadionsprecher. Erzählt der glatt, dass Duisburg die geilsten Fans der Welt habe. Und dies in einer Art und Weise, - sagen wir so: ich glaube sogar Valium hätte die Schnarchtasse auf Zack gebracht. Mit Äppler im Blut – Heute wird alles gut hing dagegen von unserem Oberrang herunter – dem war nichts mehr hinzuzufügen. Nikolov hielt seinen Kasten sauber, Copado durfte sich ein bisschen feiern lassen und gleichzeitig hatte Hannover dem 1.FC Köln mit 4:1 den Arsch versohlt. Wir konnten beruhigt heimfahren. Am Ausgang fiel mir ein sichtlich gut gelaunter Psycho Adler um den Hals, während Nicole mir eine CD mit dem schönen Andy-Möller-Song “Am Tag als Andy Möller starb“ in die Hand drückte. Auswärtssiege sind schön. Erstaunlicherweise fand ich den Weg zurück in den Bus mehr oder weniger aus eigener Kraft – und auf dem Heimweg feierten wir den Sieg, als gäbe es kein Morgen – allein die junge Generation hing sichtlich mitgenommen in ihren Sitzen, was uns nicht daran hinderte, die Verbal-Sau rauszulassen. So wurde u.a. Natale (ein mitreisender Italiener) mit Sprechchören gefeiert und wir versicherten uns ein ums andere Mal, dass Frankfurt die geilste Stadt der Welt sei und dass unser Geburtstagskind Pia wiederum den geilsten Rock der Welt habe. Auswärtsrock! Derweil war Bibers Geldbeutel noch immer nicht aufgetaucht und zudem Kines Kamera verschwunden. Kein Wunder, dass die beiden ne zeitlang arg bedröppelt drein guckten. Dennoch war der Auswärtssieg stärker. Tani schlich immer wieder durch den Bus, in der Hand sicherlich keine Limonade und versuchte das Chaos in Grenzen zu halten. Und ich denke, dass hat sie gut gemacht. Dazke. Und so fiel eine nicht wirklich nüchterne Truppe später grölend durch den Frankfurter Hauptbahnhof – und traf auf unseren Mod Zeus, der sein Mädel abholen wollte. Eigentlich ein sympathischer Zug – hätte er keine Handschuhe angehabt. Wir fallen völlig schmerzfrei durch die City – und unser Mod trägt Handschuhe. Wahrscheinlich auch lange Unterhosen – wir haben nicht gefragt. Einige wie Anno, Charly, Kid und schusch mussten montags arbeiten, sie machten sich dann bald auf den Nachhauseweg. Und der Rest? Ja, eine muntere Schar machte sich auf den Weg in die Klapper. Da wir ja Eintrittskarten vom Spiel hatten, war die S-Bahn-Fahrt kostenlos. Nicht jeder wollte dieser Erkenntnis sofort folgen – aber es hat geklappt – und so fielen wir irgendwann in Sachsenhausen ein und gaben uns den Rest. Musik, Ebbelwoi, Sprachfetzen, die Zeit sauste vorbei und spät machten sich schwankende Gesellen in kleinen Grüppchen auf in die Nacht, in den Untergrund der kleinsten Metropole der Welt. Naja, ein paar auch in den Taunus. Ich bin mir sicher, dass Anika mir noch eine CD zum nächsten Mal mitbringen wollte. Doch von wem? Mit „S“ fängt’s an, gell? Ich hockte noch ne zeitlang mit Obi und Steffi, die ausschlafen konnten, am Tisch und als es an der Zeit war ein Taxi zu nehmen, war es definitiv an der Zeit, ein Taxi zu nehmen. Gott, was hammer gefeiert.
Kid wollte noch im Auto nachsehen – und ich hörte halt nicht Anker los! Sondern die Pogues: I’m going, I’m going, where streams of whiskey are flowing … Ein Blick ins offizielle Forum der Eintracht verriet mir, dass ich nicht alleine mit vermissten Dingen da stand. Bibers Geldbeutel wurde in Duisburg gefunden – ohne Geld! Kines Kamera war weg, und die Taunus-Truppe hatte es fertig gebracht, dass Andi Anikas Tasche mitgenommen hatte, obwohl sie sagte, dass es ihre sei – und Andi die Tasche gar nicht mitnehmen wollte! Respekt. Immerhin fand sich nur wenig später die Wickie-CD von Kid, deren Hülle ich habe, bei Kine. Auswärtssieg! Aber noch war das Wochenende nicht vorbei. Abends stand das Ramones-Musical in der Batschkapp an, welches ich in netter Begleitung erleben durfte. Sheena is a punk-rocker, Sheena is … Aber: Danach sind wir noch in den Elfer einmarschiert – und wer
bedient? Lady-Luna! Prima, zuhause ist überall. Eins, zwei Bierchen
später erfuhren wir vom Squash-Monopol einiges über das Sozialverhalten
des Ralf Weber in Ruppertshain. Und – wie es so ist – mindestens
einmal hallte Frankfurt ist die geilste Stadt der Welt“
durch den Elfer. Das war auch sehr lustig. Lustig war auch, dass eben
jener Satz auch nur einen Tag später
'Beverungen' ist Axel Hoffmann aus Frankfurt. |
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