23.03.2007

Mein Vater, die Eintracht und der Sitzkopfball

Mein Vater ist ein glühender Eintrachtfan, würde dies aber nie zugeben. Wenn er vom Europapokal-Halbfinale gegen Glasgow 1960 erzählt, das er auf einem Baum sitzend im überfüllten Waldstadion erleben durfte, leuchten seine Augen. Er nahm mich schon sehr früh mit ins Stadion; mein erstes Spiel war 1970 gegen den HSV.

Dennoch baut(e) er sich immer irgendwie einen Schutzmantel auf, vermutlich um sich im Falle einer Niederlage selber zu schützen: „Die Eintracht verliert sowieso“, „die Eintracht fliegt im Pokal raus“ usw. usw. HeinzGründel würde sagen: "Der klassische Lederhut."

Er schafft es einfach nicht, seine Emotionen raus zu lassen.Dennoch bin ich ihm natürlich sehr dankbar, denn ohne ihn wäre ich vermutlich nicht so früh zur Eintracht gekommen.

Am 23. Oktober 1979, wir wohnten inzwischen nicht mehr in Frankfurt sondern in Weyer bei Limburg, habe ich zum 16. Geburtstag eine Karte (Haupttribüne!) für das Europapokalrückspiel gegen Dinamo Bukarest geschenkt bekommen.

Zu den Bundesligaspielen bin ich, wenn mein Vater nicht ins Stadion gefahren ist, oft mit dem Zug nach Frankfurt gefahren. Unter der Woche war das natürlich schwierig, deshalb habe ich mich schon über die Karte (und die damit verbundene Fahrgelegenheit mit meinem Vater) gefreut. Was dieses Geschenk für mich bedeuten sollte, konnte ich an diesem Tag natürlich noch nicht erahnen.

Im Gegenteil, am 24.10. fand das Hinspiel in Bukarest statt. Die Eintracht verlor locker 0:2. Ich kann mich noch an Fernsehbilder aus Bukarest in sehr schlechter Qualität erinnern; ich glaube, das Spiel wurde sogar live gezeigt. Es war fürchterlich. Die Reaktion meines Vaters war klar: "Da brauchen wir erst gar nicht zum Rückspiel zu fahren" usw. Siehe oben halt.

Dann kam der 7.11.1979. Im Stadion waren vielleicht 20.000 Zuschauer, für die damalige Zeit ganz normal.
Aber das Spiel... Es wollte einfach kein Tor fallen und mein Vater neben mir begann mit seinen üblichen Sprüchen: "Das wird eh nichts mehr...".

In der 73. Minute fiel endlich das 1:0 durch Cha. Neue Hoffnung kam auf und mein Vater war für einige Minuten wieder ruhig. Ca. in der 80. Minute ging es wieder los und ca. 5. Minuten vor Schluss fing er doch tatsächlich damit an, er wolle jetzt fahren, wir würden viel besser vom Parkplatz runterkommen, morgen sei Schule und so weiter. Viele Leute um uns herum haben übrigens genau dies getan... und tschüss.

Ich habe mich geweigert und habe trotzig - wie heute mein 7-jähriger Sohn - gesagt: „Du hast mir das zum Geburtstag geschenkt, da musst du jetzt durch.“ Wir haben uns dann kurz und heftig gefetzt, aber zum Glück waren wir beim legendären Sitzkopfball in der Nachspielzeit wieder bei der Sache.

Viele Jahre später, beim 6:3 gegen Reutlingen hatte ich keinen Zweifel, der Ball geht ins Tor, aber beim Sitzkopfball von Holz war ich irgendwie völlig perplex, als der Ball plötzlich drin war. Um so größer war der Jubel und ich meine sogar, bei meinem Vater ein paar Regungen gesehen zu haben.

Das um uns herum gegangene Volk strömte wieder herein. Nach dem 3:0 durch Nickel in der 3. Minute der Verlängerung und einer Roten Karte für einen Bukarestspieler war die Sache klar und die SGE hat die Sache heimgeschaukelt.

Irgendwie hat dieser Sitzkopfball dazu geführt, dass ich die Eintracht in einem Spiel nie aufgebe, egal, ob beim 5:1 gegen Lautern oder beim 6:3 gegen Reutlingen. Beim 6:3 war mein Vater übrigens auch im Stadion: Er wollte nicht vorzeitig nach Hause gehen!

Heute fahre ich regelmäßig mit meiner 11-jährigen Tochter und ab und an mit meinem 7-jährigen Sohn ins Stadion. Vor einem müssen die beiden keine Angst haben: das Stadion zu früh zu verlassen oder neben einem Papa ohne Emotionen zu sitzen.

bernie ist Bernhard Beier aus Bad Hersfeld und kann sich an ein Leben ohne Eintracht nicht erinnern.

 

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