Maximilian Aigner:

Vereinsführer

Vier Funktionäre von Eintracht Frankfurt im Nationalsozialismus

Eintracht Frankfurt setzt sich seit vielen Jahren intensiv mit der eigenen Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus auseinander. So ist vom renommierten Fritz Bauer Institut die Studie „Vereinsführer – Vier Funktionäre von Eintracht Frankfurt im Nationalsozialismus“ veröffentlicht worden. Mittels dieser unabhängigen Forschung möchte die Eintracht einen weiteren Schritt in der Aufarbeitung der eigenen Historie gehen und das Wirken von Vereinsverantwortlichen während der NS-Zeit beleuchten. Max Aigner vom Fritz Bauer Institut recherchierte dafür die Lebensläufe der Eintracht-Vereinsführer Egon Graf von Beroldingen, Hans Söhngen, Rudolf Gramlich, Adolf Metzner und Anton Gentil.

Viele Jahre war die Frage nach der Verantwortung für das eigene Verhalten während des Nationalsozialismus für die großen deutschen Sportvereine kein Thema. Erst Ende der 1990er Jahre begann die Aufarbeitung. Gerhard Fischer und Ulrich Lindner veröffentlichten das Buch „Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus“. Anfang der 2000er Jahre folgten erste Vereinsmonographien, so zum Beispiel „Der BVB in der NS-Zeit“, „Zwischen Blau und Weiß liegt Grau“ (FC Schalke 04), „Der Betze unterm Hakenkreuz“, „Hertha unterm Hakenkreuz“ und „Der FC Bayern und seine Juden“. Auch der Deutsche Fußball-Bund beauftragte mit Nils Havemann einen Historiker, der das Verbandsleben im Nationalsozialismus beleuchtete.

Die Eintracht gehört zu den Vereinen, die sich verhältnismäßig früh mit dem Vereinsleben im Nationalsozialismus beschäftigt haben. 1998 widmete Ulrich Matheja dem Thema in seinem Buch „Schlappekicker und Himmelstürmer“ einen größeren Rahmen. 1999 wurde das Vereinsleben zwischen 1933 und 1945 in der Ausstellung „Frankfurt am Ball – 100 Jahre Eintracht & FSV“ ausführlich behandelt. 2007 erschien das Buch „Wir waren die Juddebube – Eintracht Frankfurt in der NS-Zeit“, das die erste detaillierte Darstellung der Vereinsentwicklung unter nationalsozialistischer Herrschaft darstellte. Die Eintracht zog aus dem neuen Wissen Konsequenzen und entwickelte in den folgenden Jahren ein breitangelegtes, erinnerungspolitisches Engagement. 2008 wurden vom Verein erstmals Stolpersteine für verfolgte und ermordete Mitglieder verlegt; seitdem gibt es jährlich Stolpersteinverlegungen. Mit dem Projekt „50 Eintrachtler“ dokumentiert das Museum die Lebensläufe jüdischer Vereinsmitglieder, es bietet Lehrerfortbildungen und Workshops für Schulklassen und Jugendgruppen. 2011 errichteten Fans auf dem Gelände des Stadions ein Mahnmal, dass an die Verfolgten erinnert, seit dem verleiht das Fanprojekt Frankfurt jedes Jahr den Preis „Im Gedächtnis bleiben“, der Initiativen auszeichnet, die sich gegen Rassismus engagieren. 2019 organisierte die Fanbetreuung der Eintracht gemeinsam mit dem Museum eine Veranstaltungsreihe „Spurensuche“, die mit einer Bildungsreise nach Theresienstadt abgeschlossen wurde. Gemeinsam mit Vizepräsident Stefan Minden und dem Mitglied Helmut „Sonny“ Sonneberg, der als Kind deportiert wurde und die Shoa überlebte, reisten 30 Anhänger für vier Tage nach Theresienstadt, nahmen an Führungen und Diskussionsrunden teil und enthüllten am letzten Reisetag im Kolumbarium, in dem einst mehr als 20.000 papierene Aschebeutel mit den Namen der Toten aufbewahrt wurden, eine Gedenkplatte der Eintracht.

Ein weiterer – notwendiger – Schritt in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte war es nun, den Blick auf die Akteure im Verein zu wenden, die zur damaligen Zeit in Verantwortung waren und zum Funktionieren des Systems beigetragen haben. Aus diesem Grund wandte sich Eintracht Frankfurt 2018 an das renommierte Fritz Bauer Institut zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust und regte eine externe und unabhängige Untersuchung des Wirkens der Vereinsführung während der NS-Zeit an. Mit Hilfe dieser unabhängigen Forschung möchte die Eintracht einen weiteren Schritt in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte gehen. Neben dem wichtigen Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus möchte der Verein ganz bewusst auch die eigene Verantwortung am Funktionieren des Nationalsozialismus in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Ein solcher Schritt ist schmerzhaft, denn beim Blick auf die eigene Verantwortung werden Menschen, die oftmals gesellschaftlich hochgeachtet waren, nach Ihrem Tode mit ihrem Wirken im Nationalsozialismus konfrontiert. Fakt ist aber, dass die notwendige Aufarbeitung weder in der unmittelbaren Nachkriegszeit, noch in den 1960er, 1970er oder 1980er Jahren stattfand und deswegen überfällig ist.

Die Idee, dass eine anerkannte Forschungseinrichtung zu Funktionären des Vereins recherchiert, basiert auch auf der Erkenntnis, dass es neben einem „Familiengedächtnis“ auch etwas wie ein „Vereinsgedächtnis“ geben muss. Im vielbeachteten Buch „Opa war kein Nazi“ (Welzer, Moller, Tschuggnall) wurde 2002 dargelegt, dass Familien generationsübergreifend geschönte Bilder der Zeit des Nationalsozialismus vermitteln als die objektive Geschichtsschreibung. Im Familiengedächtnis finden sich vorwiegend Erinnerungen an Bomben, Entbehrungen, Leiden und Widerstand. Die Mitverantwortung der eigenen Familie für die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus findet im Familiengedächtnis oft keine Erinnerung. Diese Erinnerungsmuster tauchen auch bei Vereinen auf, die sich gerne als „Vereinsfamilie“ bezeichnen, weswegen eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung am Unrechtssystem oft schwerfällt und nur bedingt stattfindet. In einem Aufsatz zur Erinnerungskultur im deutschen Sport nach 1945 kommt der Sporthistoriker Hans Joachim Teichler zu folgendem Schluss: „Die spezifischen zwischenmenschlichen Bindungskräfte im Sport, die ihn für uns so liebenswert und attraktiv machen, sind für eine kritisch-historische Aufarbeitung seiner Geschichte nicht immer günstig. Eine falsch verstandene Solidarität mit früheren Funktionsträgern oder Sportlern, die sich zum Aushängeschild einer Diktatur haben machen lassen, verstärkt die Tendenz des Ausblendens, Wegsehens, des Unter-den-Teppich-Kehrens.“ (Matthias Thoma)

Maximilian Aigner. Vereinsführer. Vier Funktionäre von Eintracht Frankfurt im Nationalsozialismus
304 Seiten. Wallstein Verlag. Göttingen. 2020. 38,00 Euro


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