Jörg Berger

*13. 10. 1944 · † 23. 06. 2010

Als Spieler: bis 1970 1. FC Lokomotive Leipzig

Als Trainer: 1970 bis 1972 Jugendtrainer 1.FC Lokomotive Leipzig, 1972 bis 1974 FC Carl Zeiss Jena, 1974 bis 1976 FC Chemie Halle, 1976 bis 1978 DDR-Jugendauswahl, 1978 bis März 1979 DDR-B-Nationalelf, 1979 Hospitant bei Eintracht Frankfurt, Juli 1979 bis Januar1980 SV Darmstadt 98, März 1980 bis Juni 1981 SSV Ulm 1846, 1981 bis Oktober 1982 Fortuna Düsseldorf, Juli 1983 bis Januar 1986 KSV Hessen Kassel, Januar 1986 bis März 1986 Hannover 96, Juli 1986 bis Dezember 1988 SC Freiburg, 02.01.1989 bis 13.04.1991 Eintracht Frankfurt, September 1991 bis Februar 1993 1.FC Köln, Oktober 1993 bis Oktober 1996 Schalke 04, 1997 bis Oktober 1997 FC Basel, März 1998 bis August 1998 Karlsruher SC, 19.04.1999 bis 19.12.1999 Eintracht Frankfurt, 2000 bis Dezember 2000 Bursaspor, Oktober 2001 bis 2004 Alemannia Aachen, November 2004 bis 14.08.2005 Hansa Rostock, 19. bis 25.05.2009 Arminia Bielefeld

Saison 1988/1989 Saison 1989/1990 Saison 1989/1990 (2. Karte) Saison 1990/1991 Saison 1998/1999 Saison 1999/2000 Saison 1999/2000 - 2. Karte

 

Jörg Berger - vom Republikflüchtling zum Retter der Titanic

von Thomas Richter ('gereizt')

Vorbemerkung: "Resignation ist das Alibi der Schwachen" ... so endet das Buch von Jörg Berger "Meine zwei Halbzeiten – ein Leben in Ost und West" (Rowohlt-Verlag). Es beleuchtet viele Facetten seines Lebens für den Fußball, seinen Kampf gegen den Krebs und zeigt auch seine menschliche Seite.

In persönlicher Erinnerung habe ich neben Lautern vor allem seine erste Entlassung in Frankfurt und meine Empörung über Ohms, Holz und Gerster, die danach den Stepanovic präsentierten ... Die Geschichte wiederholte sich 10 Jahre später, wieder vollbrachte er ein Wunder, um im Dezember 1999 von Heller, Ehinger und Leben geopfert zu werden. Statt der Mannschaft ... Aber er blieb in jeder Situation eines: geradlinig. Und Mensch. Mit Fehlern. Wie er selbst zu seiner Flucht und die späten Gedanken über seinen Sohn schreibt, der bei der drei Jahre zuvor geschiedenen Mutter lebte:

"Wieso dachte ich erst jetzt ernsthaft an ihn. Die Antwort lag auf der Hand: Ich konnte gut verdrängen. Bei meiner Entscheidung zur Flucht ging es mir hauptsächlich darum, dass ich es mit meinen 34 Jahren leid war, mich vom Kollektiv delegieren zu lassen. Ich wollte mich individuell entwickeln, mich mit eigenen Entscheidungen profilieren – wie gesagt, ich war auch ein großer Egoist."

Teil I: Republikflucht und ein Frankfurter Transvestit

"Der Trainer der Juniorenauswahl der DDR, Jörg Berger, ist nach Angaben der Belgrader Zeitung Politika Ekspres spurlos verschwunden ..." Wir schreiben den 31.03.1979, Berger ist nach 34 Jahren ein Republikflüchtiger und schafft es, in die Deutsche Botschaft der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad zu kommen. Da er ohne Papiere aus dem 200 km entfernten Subotica, dem Austragungsort des U23-Länderspiels, fliehen musste, wird ein Funkbild von ihm zur Identifizierung angefertigt. "Walter Eschweiler könnte mich kennen." Der DFB-Schiedsrichter arbeitet damals im Auswärtigen Amt und bestätigt Bergers Angaben. So wird in der Botschaft quasi offiziell ein gefälschter Reiseausweis mit dem Namen Gerd Penzel angefertigt.

Danach geht es mit dem Zug nach Frankfurt. Im sogenannten "Haschisch-Express" dann die zweite Passkontrolle, nachdem er sich in seinem Abteil versteckt hatte. "Haben Sie etwas mit Sport zu tun?" "Nein!" Nach minutenlangem Warten, die ihm wohl wie zwei Ewigkeiten vorkamen, gibt ihm der jugoslawische Grenzer augenzwinkernd die gefälschten Papiere zurück: "Und nun, Herr Berger, viel Glück im Westen." Zentnerlasten nennt man die Gefühlslage wohl ...

"Wir sind ein starkes Kollektiv, bei uns wird es keine Verräter am Sozialismus geben." Mit diesen Worten impfte der Parteisekretär die Jugendauswahl der DDR mit Trainer Berger im Dezember 1976. Knapp vier Wochen vorher waren die Chemie Halle-Spieler Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl bei einem U21-Spiel der DDR gegen die Türkei in Bursa geflohen. Berger wurde vorgeworfen, er hätte die beiden in Halle "ideologisch nicht richtig erzogen".

Nachtweih und Pahl landeten übrigens im DDR-Flüchtlings-Aufnahmelager in Gießen, aus dem der FDP-Parteivorsitzende und Eintrachtpräsidiumsmitglied Wolfgang Mischnick sie zur Eintracht lotste ...

"Was fangen wir mit Ihnen an?" Der Empfang in der DFB-Zentrale in Frankfurt bei Präsident Neuberger Anfang April 1979 verläuft nicht wirklich nach Plan für Jörg Berger, er wird zunächst nach Gießen in das Auffanglager geschickt, wo er BND-Beamten Rede und Antwort stehen muss. Zudem wird ihm eine Scheinadresse besorgt, die die Stasi nach den Unterlagen in Bergers Akte bereits am nächsten Tag enttarnt ...

Diesmal ist Mischnick zwar nicht zur Stelle, dafür erhält er eine Ehrenkarte mit rotem VIP-Bändchen für das Spiel der Eintracht gegen den VFB Stuttgart (1:2-Niederlage am 4.4.1979), wo er seine Spieler Nachtweih und Pahl in den Katakomben des Waldstadions nach drei Jahren wieder sieht ...

"Komm, wir zeigen dir das Frankfurter Nachtleben." Gesagt, getan am nächsten Abend. Zu später Stunde eine Hand auf Bergers Bein, bis Nachtweih dazwischen geht. "Was ist denn los? Das ist mein Mädel", braust Berger auf. Nachtweih zieht ihn weg: "Bist du eigentlich bescheuert? Na das war doch ein Mann!" Bergers erste Frauenbekanntschaft in Frankfurt war ein Transvestit, was zu der Geschichte führt, die beide noch Jahre später im Mannschaftskreis erzählen werden: "Wir mussten unseren Trainer von einem Mann trennen, die wollten gerade heiraten." Einige Hektoliter Alkohol später kann er bei Norbert Nachtweih in einem kleinen Zimmer auf einer Matzratze schlafen. Es wird die erste Bleibe für Jörg Berger in Frankfurt ...

Danach wird der neue Pass beantragt und der nächste Gang führt zum Sozialamt. Statt Trainergehalt gibt es Sozialhilfe, eine Arbeitserlaubnis hat er ja nicht. Immerhin darf der DDR-Auswahltrainer als "Trainee" (damals hieß dies Hospitant) bei der Eintracht mitmachen, soll heißen: mit auf der Bank sitzen und zuschauen bei Trainer Friedel Rausch. So titelt die Abendpost Nachtausgabe am 11.4.:

"DDR"-Trainer sitzt schon bei Frankfurt auf der Bank ... "Ganz unverbindlich," meint Eintracht Manager Udo Klug, während der Berger darüber staunt, dass es keine Trainingspläne gibt und sehr locker zugeht. Weniger locker geht es beim DFB zu. "Sie müssen einen Befähigungsnachweis haben, falls sie einen Bundesligisten trainieren wollen." Berger trainierte von 1972-1974 die DDR-Oberligisten (1. Liga) Jena und Chemie Halle, danach die DDR-Jugendnationalmannschaft und war zum künftigen Bundestrainer der DDR auserkoren worden. Und nun soll er einen halbjährlichen Lehrgang an der Sporthochschule Köln absolvieren ...

War er da wirklich Trainer? 2004 besucht Jörg Berger das Abbe-Stadion von Jena und betrachtet ein Bild vom Pokalsiegerfinale 1974, bei dem er sogenannter Trainer-Praktikant neben Hans Meyer war. Er erkennt seinen Körper, auf dem jedoch der Kopf eines gewissen Dr. Dreßler fotomontiert wurde. Dieser war nach seiner Flucht der offizielle Co-Trainer ...

"Aber dieser Fall wird Konsequenzen für ihre Eltern und ihren Sohn haben" Nachts um eins wird er vor Nachtweihs Haustür von zwei dunkel gewandeten Männern angesprochen, die ihm nahe legen, ein arrangiertes Treffen mit seiner Mutter in Schweden wahrzunehmen. Er lehnt ab und kann Jahre später in seiner Stasi-Akte zum "Maßnahmenplan zum OV Leder" noch einmal nachlesen, wie sich dies im April 1979 zutrug. Vom Vergiftungsversuch wird noch zu schreiben sein ...

"Willst du damit andeuten, dass ich mich da vorstellen soll? Doch zuvor muss er in die Wanne, bekommt einen neuen Wessi-Haarschnitt verpasst, von Jo Kröschner - einem Freund von Nachtweih - die Krawatte, das Hemd sowie ein paar Schuhe und von Nachtweih einen grauen Anzug. Es geht zum Vorstellungsgespräch beim Bundesligisten SV Darmstadt 98, der eigentlich einen neuen Co-Trainer für Coach Lothar Buchmann sucht, da Klaus Schlappner seinen A-Schein machen möchte.

Kröschner behauptet in dem Gespräch mit Vorstand Schäfer keck, das Buchmann bereits beim VfB einen Vertrag unterzeichnet habe für die neue Saison. Das Gerücht stellt sich später als wahr heraus ...

Ab dem 1. Juli 1979 wird Jörg Berger Trainer bei den inzwischen abgestiegenen Lilien, die nächsten Stationen führen ihn nach Ulm, Düsseldorf, Kassel, Hannover und Freiburg, bis ein Anruf aus Frankfurt kommt, das einen Nachfolger für Pal Csernai sucht ...

Teil II: "Familie, Stasianschläge und Mauerfall - Die zweite Wahl setzt sich durch"

"Hohngelächter für den Trainer" ... schreibt die Abendpost am 5.12.88. "Auf die Optik legen wir auch nicht so viel Wert", meint Trainer Pal Csernai zum 1:0-Sieg gegen Dortmund, der die Eintracht statt auf Rang 18 auf 15 überwintern lässt. Trotz des Treueschwurs wird er entlassen, nach nur 90 Tagen im Amt als Nachfolger von Kalli Feldkamp. Aber Karussell ist "in" bei der Eintracht im Herbst 88: Manager Kraus wurde durchs Toilettenfenster beurlaubt, Präsident Gramlich gestürzt, Wolf war nur 7 Tage im Amt, so dass der Devisenmakler Ohms nach reichlich Dreckwäsche neuer Präsident wird und Friedrich Manager. "Einträchtig ins 90ste Lebensjahr" steht auf den Weihnachtskarten der Eintracht. Auch dies löst Hohngelächter aus ...

Dezember 1988: "Eine Chance für die zweite Wahl" ... titelt die FAZ am 19.12.88. Favorit für Csernais Nachfolge war Hannes Bongartz, der jedoch keine Freigabe vom FC Zürich bekam, so dass der 44-jährige Jörg Berger aus seinem laufenden Vertrag beim SC Freiburg losgeeist wird. Begeisterungsstürme löst die Verpflichtung des vierten! Trainers in der Saison nicht aus, doch Jürgen Friedrich meint: "Er ist ein Mann mit einer sehr guten Fachkompetenz und sehr guten Arbeitsauffassung, der die Sprache der Spieler sprechen kann."

Nur wenn Mannschaft, Management und Vorstand an einem Strang ziehen, ist die Aufgabe lösbar, meint Jörg Berger: "Wir müssen ein Gemeinschaftswerk vollbringen!"

Rückblende I: nackte Frauen in der Kabine ... März 1980: Berger, dessen Erfahrung in der Oberliga und als DDR-Jugendauswahltrainer im Westen nichts zählt, macht seinen Trainerschein in Köln zusammen mit Christoph Daum, Klaus Schlappner und Horst Köppel. Gelehrt wird an der Sporthochschule mit DDR-Lehrbüchern... Kurz darauf wird er Trainer beim SSV Ulm. "Was ist das?" fragt er beim ersten Blick in die Kabine. "Alle Bilder runter, wir sind hier beim Sport und nicht im Puff!"

Rückblende II: Mensch Lutz, lass den Quatsch ... warnt Berger Lutz Eigendorf, der eine Woche vor Berger in die BRD flüchtete. Der Fußballer vom Mielke-Club BFC Dynamo Berlin hatte sich zur Verwunderung von Nachtweih, Pahl und Berger in der Presse stets lautstark über die Verhältnisse in der DDR geäußert. März 1983: Lutz Eigendorf stirbt bei einem rätselhaften Autounfall. "Eigendorf verblitzt" steht in dessen Stasiakte ...

"Sensible Polyneuropathie mit unklarer Genese". Berger leidet darunter bei seinen Tätigkeiten in Hannover und später in Freiburg, die Berufsunfähigkeit droht. "Ein aggressives Verhalten gegenüber dem OV "Leder" wird angeraten, steht in seiner Stasiakte. "Toxdat" ist ein Nervengift, das zu dauerhaften Lähmungserscheinungen und bei Überdosierung zum Tod führt. Auch hiervon erfährt Berger bei Durchsicht seiner Stasiakten ...

Besuch beim Sohn eines Verräters. 12.5.1989: "Zwei Punkte und zwei Zwillinge," meint Berger in der Pressekonferenz. Die Eintracht gewinnt gegen Kaiserslautern 3:2, ein paar Stunden vorher kommen seine Kinder Romy und Julia zur Welt ...

"Ich hatte nicht einen Vater, sondern einen Hauptgewinn gewonnen: drei Tage mit einem Bundesligatrainer in Prag." Sagt Ron, sein Sohn aus der ersten Ehe, das Treffen hatten Wolfgang Mischnick und Hans-Dietrich Genscher vermittelt. "Es ist nicht einfach, in der DDR zu leben und Sohn eines Verräters zu sein." Fremdheit zwischen Sohn und dem Vater, der in den Westen floh. Nur kurz bedauert er seine Flucht. Dass ihm die Freiheit wichtiger war als die Familie, zu dem Egoismus steht er ...

"Solange ich spiele, steigt die Eintracht nicht ab." Wenigstens Charly hält Wort am 17. Juni 89. Der 34. Spieltag, und die Eintracht braucht mindestens einen Punkt beim Tabellenletzten Hannover, um in die Relegation zu kommen. Es steht 0:1 und bis 17:01 Uhr ist die Eintracht als 17ter abgestiegen. Die 8000 mitgereisten Frankfurter sind fassungslos, doch Körbel erlöst sie mit seinem Treffer zum 1:1. Während einige Spieler auf der Rückfahrt wieder scherzen können, sitzt "Jörg Berger vorne im Bus in sich zusammen gesunken, allein und sehr blass. Als ich ihn dann am Abend im Fernsehen sah, wirkte er nicht anders", schreibt Rüdiger "Kid Klappergass".

Nach dem 2:0-Hinspielsieg gegen Klaus Schlappners Saarbrücker liegt die Eintracht im Rückspiel bereits nach 10 Minuten mit 1:0 hinten. Torschütze ist der kaum zu bremsende Anthony Yeboah. Nach der Pausenansprache von Berger reißen sich die Adler jedoch zusammen. Schulz sorgt für den erlösenden Ausgleich, doch Yeboah schlägt in der 76. erneut zu. Doch 15 Minuten später erlösender Jubel, der 'Kicker' meint "Glück gehabt, Eintracht!" und Jörg Berger wirklich mit den Nerven fertig: "Dieses letzte halbe Jahr möchte ich nicht noch einmal erleben. Ich muss das alles erst mal verdauen."

1989/90: Mauerfall und mit Hessen zurück an die Spitze. Das neue Konzept mit Uwe Bein (HSV) und Ralf Falkenmayer (zurück von Leverkusen) hat Erfolg. Die Eintracht stürmt auf Rang 3 und Jörn Andersen wird als erster ausländischer Profi Torschützenkönig.

Was ist das? "Ein Kulturbeutel." Und was ist da drin? "Kultur." Weihnachten 1989, Berger passiert die Grenzkontrolle in Eisenach 6 Wochen nach der Ankündigung von SED-Politbüromitglied Schabrowski am 9. November, dass die Grenzen geöffnet werden. Zuerst besucht er das Stadion in Leipzig, dann erst Ron und seine Ex-Frau ... "Ich habe die DDR noch nicht verarbeitet, aber ich weiß heute, dass ich mit meiner Flucht alles richtig gemacht habe", erzählt er zuhause seiner Frau Chris. Öffentlich bekundet er, dass er sich nicht vorstellen könne, künftig im Osten zu arbeiten. Und gesteht sich ein, dass er mit seiner Überheblichkeit einige Leute brüskiert, die dies nicht verdient haben ...

1990/91: ein menschlicher Tiefschlag und der schwarze Abt ... Andersen geht, Yeboah kommt. Aber auch Andy Möller, der den schwarzen Abt Gerster als Manager im Schlepptau hat und im überteuerten Team für mächtig Unruhe und Querelen sorgt. "Soll ich den Möller auf die Tribüne setzen oder machen Sie das? Aber sie machen hier ja überhaupt nichts mehr, was spielen Sie eigentlich für eine Rolle?" tobt Uli Stein nach dem 1:4 gegen die Bayern mit Jörg Berger. Der 'Kicker' (1.11.90) vermutet, dass Gerster Stein, Bein und Gründel aus der Mannschaft mobben will, um freie Bahn für seine Spieler Binz und Möller zu haben. Zudem plappert der Abt nach Ansicht von Berger im Mannschaftskreis aus, dass die Position des Trainers in Frankfurt nicht sicher sei. Dies weisen alle Beteiligten, auch die Spieler, vehement von sich und Gerster schmeißt mit Dreck, während Ohms sich hinter den Abt stellt.

Zu viel Intrigen, Neid und Missgunst im Team, denen Jörg Berger unabhängig von der Rolle des Abtes tatsächlich nicht gewachsen ist, während Hölzenbein, der vor Beginn der Saison sportlicher Leiter war, dem Treiben nur wort- und ratlos zuschaut. Nach der 0:6-Heimniederlage gegen den HSV am 13. April 1991, dann der Rauswurf. "Für mich ist heute eine Welt zusammengebrochen. Das war ein menschlicher Tiefschlag", sagt Berger in der FR. Und weiter: "Ich habe mir nichts vorzuwerfen, ich stehe zu jedem Wort, dass ich über Gerster gesagt habe. Ich habe nur die Wahrheit gesagt, da war ich immer geradlinig und ehrlich." In seinem Buch schreibt er hierzu nichts, zu traurig ist dieses Kapitel für ihn persönlich.

Nur 14 Stunden später macht Hölzenbein "den Mann aus der Kneipe" (Bild) einfach mal zum Trainer ... Udo Lattek hingegen holt Berger im Herbst 1991 nach Köln. Berger bewahrt die Geißböcke vor dem Abstieg, um in der nächsten Saison auf Rang 4 zu landen, während "Trainer" Steppi nur "Lebbe geht weiter" in die Mikrofone nuschelt ...

Teil III: ein Übersteiger, Größenwahn und die Tour des Lebens

April 1999: "Zu spät! Spart euch die Mühe, spart euch das Geld." "Mit System und Hinterlist entmachtet", schrieb das Darmstädter Echo zum Rauswurf von Horst Ehrmantraut, den grauen Männern im Hintergrund war er bereits im Sommer 1998 nach dem grandiosen Aufstieg ein Dorn im Auge. So durfte Manager Rohr dem Hotte die Nachricht am 16. Spieltag übermitteln, die Eintracht war 14. "Man kann nicht überleben, wenn man solche taktischen Fehler macht", erzählt Fjørtoft über die weise Entscheidung, im Abstiegskampf einen Jugendtrainer zum Chefcoach zu machen. Nach der 3:1-Niederlage ist Schluss für den ungeliebten Dilettanten Fanz, die Eintracht steht auf Rang 17 mit 4 Punkten Rückstand auf Rang 15.

Peter Neururer bietet sich selbst als Nachfolger an, wird aber ignoriert. Da fällt intern der Name Berger und Präsident Heller kontaktiert Ex-Manager Hölzenbein: "Zu spät! Die Eintracht ist leider nicht mehr zu retten. Da hilft auch ein Jörg Berger, der wirklich ein sehr guter Mann ist, nicht mehr. Spart euch die Mühe, spart euch das Geld" ...

Rückblick: 1952-1963 – "Nichts hat man vom Leben, ich ziehe aus!" ... trotzt der 7-jährige Jörg, der sich ein 9 Quadratmeter großes Zimmer mit seiner Oma in der Siedlung Reudnitz im Osten Leipzigs teilen muss. "So dann packen wir mal", spricht seine resolute Mutter und wirft ihm einen Koffer vor die Füße...

"Nur weil ich Jeans anhabe, muss ich doch nicht gleich gegen den Staat sein", antwortet der 17-jährige Jugendauswahlspieler, der inzwischen auf dem Sprung in die Oberligamannschaft des SC Leipzig ist, einen Parteisekretär, als er Maloche auf dem Bau und Training bei einer FdJ-Feier seine gescheite Hose vergisst. Gut für ihn, er kickt gut. Und das weiß er. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nie. "So sieht kein sozialistischer Sportler aus! Diese Stemmeisen (Koteletten) hier", wirft ihm erneut ein Parteisekretär vor. "Meine Haare gehen Sie gar nichts an", trotzt Jörg zurück und hat erneut Glück ...

30. April 1999: "Der ist bekloppt ..." "Sie haben mir gesagt, ich komme als Retter, weil ich das vorher bewiesen habe. Das ist ganz wichtig für die Psyche." Die eigene. Er bleibt seiner Linie treu, auch nach einem Remis gegen Rostock und der 0:2-Niederlage in Freiburg: "Ich habe aus dieser Niederlage eigentlich einen Sieg gemacht. Die haben alle gesagt, der ist bekloppt, das war der Abstieg. Aber ich habe immer gesagt, man muss an sich glauben. Und ich glaube an die Mannschaft, daran das erst am Ende abgerechnet wird ..."

8.11.2002: "Krank? Ich? Nein, das ist nicht möglich." Berger ist inzwischen Trainer bei Aachen und hat Darmprobleme. "Sie haben Darmkrebs", eröffnet ihm der Arzt. Kein Entsetzen, es ist Unglaube. Er kann doch nicht krank sein. Er nicht. Nein. "Früher musste ich Mannschaften retten, jetzt musste ich mich selbst retten und wurde mein eigener Coach." Er liest und verinnerlicht Lance Amstrongs Buch "Tour des Lebens". Die Operation verläuft erfolgreich. Drei Jahre lang...

Rückblick: 1970: "Ron geht nicht, schöne kurze Namen wie Juri, Igor... gehen." Im September 1968 heiratet Jörg Berger die DDR-Olympiaschwimmerin Harriet Blank. Nicht aus Liebe, sondern weil beide ein besseres Leben mit größerer Wohnung führen wollen. Im September 1970 kommt der Sohn auf die Welt und der ausgesuchte Name wird als nicht sozialistisch abgelehnt. "Geht Ronald?" Klar "Auch die Kurzform?" Auch. Ronald heißt dann doch Ron und Berger beendet sein Studium zum Diplomsportlehrer 1972 ...

22.5.1999: "Einer hofft, vier zittern" ... schreibt der 'Kicker' nach dem 33. Spieltag. Siege in Bremen und gegen Dortmund, während die Konkurrenz weiter punktet und Schur ratlos schimpft: "Alles Mafia!" (Nürnberg gewinnt gegen Bayern, Bremen gegen die Löwen). Nach einem 0:2-Rückstand gewinnt die Eintracht durch Tore von Fjørtoft, Sobotzik und Janßen mit 3:2 auf Schalke. "Die Eintracht erkämpft das Endspiel" (FAZ). "Ich glaube, dass die Situation vor dem letzten Spieltag ein kleiner Vorteil für uns ist", meint Jörg Berger. 12. Nürnberg 37 Punkte 13. Stuttgart 36, 14. Freiburg 36, 15. Rostock 35, 16. Frankfurt 34 ...

Rückblick 1974-1977: "Es war mir unmöglich, mich ständig unterzuordnen" ... dachte der Jungspund im Trainerteam von Hans Meyer in Jena, um 1974, entgegen dem Plan, die zweite Mannschaft von Halle zu übernehmen, in der die Talente Jürgen Pahl und Norbert Nachtweih kickten... "Genosse, fahr nach Hause und klär das mit deiner Ehe", sagt der Generalsekretär und macht Berger 1976 zum Trainer der U18-Auswahl der DDR. "Wir lassen es einfach so laufen wie bisher", meint Gattin Herriet, während sich Berger über den Einfluss der Partei maßlos ärgert. Danach wird ihm eine Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit angeboten. "Nein!" ist die kurze Antwort ...

"Leider kann ich euch nicht begleiten ..." Berger muss seine Jugendspieler anlügen, weil er nicht zu Spielen in den Westen darf. Die Stasi fand heraus, dass er sich von seiner Frau scheiden lassen will. Nur die beiden haben darüber gesprochen ...

29.05.1999: Übersteiger. 0:0 zur Pause. Yang (47.), Schjönberg (68., Elfmeter), Sobotzik (70.), Gebhardt (80.), Schneider (82.) ... Westerthaler kommt für Janßen (86.) ... zittern, rechnen, verzweifeln, schreien ... und dann ...

2005: "Nein, sonst hätte ich vorher etwas falsch gemacht", ... antwortet Berger jedem, der ihn fragt, ob der Krebs sein Leben verändert hätte. Er ist gerade als Trainer in Rostock entlassen worden, als sich im September bei einer Nachuntersuchung herausstellt, dass er Metastasen in der Leber hat. Wieder wird er operiert und macht weiter, als Kommentator bei Premiere und im Morgenmagazin. Im Herbst 2006 steht die nächste schwere Operation an, der Krebs hatte gestreut. Der Professor fragte mich: "Was haben Sie heute gemacht?" – "Ich war mit Falko Götz beim Italiener." Ich durfte ja nichts essen, aber das war mir egal, dann kriege ich eben einen Einlauf mehr. "Und dann?" – "War ich bei Udo Walz, dem Friseur."

"Auch wenn es mal Schwankungen gibt: Ich gehe mit einer positiven Einstellung durchs Leben. Ich tue das, was ich immer am besten konnte. Ich kämpfe, ich blicke nach vorn."

Juli bis Dezember 1999: "Die größten Fehler werden in der Stunde des größten Erfolgs gemacht." Immer und immer wieder mahnt Jörg Berger vor zu großen Erwartungen, die nach zwei Siegen und einem Unentschieden zu Saisonbeginn immer höher in den Himmel wachsen. Doch dann kommen die Spiele mit den individuellen Fehlern, Nikolov, der Garant für den Klassenerhalt, patzt mehrfach, Heldt und Guié-Mien schwächeln. Das Ergebnis: eine Serie von sechs Niederlagen und das Pokalaus in Köln. Bereits nach der Niederlage gegen Stuttgart antwortet Präsident Heller auf die Frage, ob Berger Trainer bleibt: "Ja, äh …", während Fjørtoft laut wird: "Ich warne davor, auch die Leute im Umfeld, jetzt auf den Trainer loszugehen. Das würde uns Spielern doch nur ein Alibi geben."

Doch nach einem kurzen Zwischenhoch verliert die Eintracht erneut fünfmal und ist nach dem 16. Spieltag 17ter mit nur elf Punkten. Rückhalt hat Berger längst nicht mehr und im Umfeld tobt ein dreckiger Machtkampf zwischen Präsidium und Vorstand …

18.05.2009: Trainer für einen Spieltag. "Der abstiegsbedrohte Bundesligist Arminia Bielefeld hat Jörg Berger als neuen Trainer und Nachfolger des entlassenen Michael Frontzeck präsentiert. Der 64-jährige Berger wird die auf dem 16. Platz liegenden Ostwestfalen am 34. und letzten Spieltag gegen Hannover 96 und auch in den möglichen zwei Relegationsspielen gegen den Dritten der 2. Liga betreuen …" (dpa)

18.12.1999: "Es hat nicht in Ulm geendet, es hat im Größenwahn begonnen …" Pressekonferenz vor dem letzten Hinrundenspiel, der Raum ist überfüllt. "Ich weiß, warum Sie alle hier sind", sagt Jörg Berger tapfer. "Scheiß Millionäre" schreien die mitgereisten Fans nach dem 0:3 und blockieren 90 Minuten lang den Mannschaftsbus ...

Die offizielle Pressemitteilung: "Fußball-Bundesligist Eintracht Frankfurt hat sich am Sonntagmittag von Trainer Jörg Berger getrennt. Präsident Rolf Heller erklärte auf einer Pressekonferenz, dass der Club sich aufgrund der aktuellen Tabellensituation dazu entschlossen habe, Berger mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zu entbinden."

Nicht nur Fjørtoft ist bedient: "Mir tut die Entlassung von Jörg Berger fürchterlich leid. Mit ihm ist zu 110 Prozent das fantastische Saisonende verbunden. Die Mannschaft sollte nicht glauben, dass es besser geht, nur weil jetzt ein neuer Trainer kommt."

2007 bis 2010: "Herr Professor, ich bin nicht der Durchschnitt." Erneut hat der Krebs gestreut, diesmal sind Lunge, Leber und die Lymphdrüsen betroffen. Der leitende Arzt geht von einer Lebenserwartung von zwei bis drei Jahren aus …

Er beginnt, an seinem Buch zu schreiben und erkennt: "Rückblickend auf meine zwei Halbzeiten habe ich – egoistisch und auch ein bisschen oberflächlich begriffen, was wichtiger ist als Ruhm und Erfolg: Das ist meine Familie und das sind natürlich Freunde, echte Freunde." Er bekommt Chemotherapie. "Einmal Pleete für 8,50." Berger entscheidet sich gegen ein Toupet und für die Glatze vor dem nächsten Auftritt bei Premiere:

"Etwas verstecken, übertünchen oder gar vortäuschen, das ist nicht meine Sache. Und Absagen? Kommt nicht in Frage!" "… Dann mit offenem Visier in die Sendung. Wenn es auch nicht leicht fällt. Denn: Resignation ist das Alibi der Schwachen."

Am 23. Juni 2010 stirbt Jörg Berger im Kreise seiner Familie.



 

 

 

 


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