Abschiedsspiel Bindewald/Schur  

 

Freitag, 27.07 2007, 18:00 Hr auf der Sportanlage Sport-Zentrum Nordwest (Bad-Homburg Kirdorf)


10.000 Zuschauer

 

Helden auf ewig

Am Nachmittag des 27. Juli 2007 sauste ein blauer Alfa über die Autobahn 661, am Steuer unser 59`ger, daneben dessen Filius Julius, während sich auf der Rückbank Pia, Beve und der eigens aus Berlin via Taubertal angereiste Kreuzbürger tummelten und aus dem Fenster in einen sonnigen Sommerhimmel blickten.

Doch wir erblickten nicht nur einen Sommerhimmel, sondern auch einen großen Kombi mit der Aufschrift „Lebbe geht weiter.“ und wir dachten bei uns, dass wir wohl das gleiche Ziel haben würden – nämlich einen Sportplatz in Bad Homburg, auf welchem um 18:00 das Abschiedsspiel unserer Eintracht-Legenden Uwe „Zico“ Bindewald und Alexander „Schui“ Schur beginnen sollte. Ein weiterer Blick in den großen Kombi neben uns ließ uns grinsen – am Steuer saß ein älterer Herr mit längeren grauen Haaren – niemand anderes als der ehemalige Eintracht-Trainer und – Spieler Dragoslav „Stepi“ Stepanovic.

Wir folgten etwas später einem roten Peugeot mit dem Kennzeichen F-FF 6000, was einen von uns zu dem Aufruf veranlasste: Und jetzt fährt vor uns Friedhelm Funkel. Oder besser noch: Friedhelm Funkels Frau.

In Bad Homburg standen wir einen Weile im Stau und parkten dann von freundlichen Ordnern geleitet auf einem Wiesenparkplatz nicht weit vom Stadion entfernt. Den Schildern folgend, landeten wir bald am Stadion und trafen sogleich auf etliche bekannte Gesichter. Kid Klappergass und robertz gesellten sich zu uns, der Commander war sofort zu Stelle, auch Tani und wenig später winkten niemiec, nda oder bigbamboo und allen war die Freude und Entspanntheit anzumerken, die im Laufe des Tages ein permanenter Begleiter sein sollte.

Die Ränge waren schon gut gefüllt, Kinder sausten über die Tartanbahn, Erwachsene standen bei einem Schoppen Äppelwoi beieinander – und hinter einem Tor wachte ein riesiger aufgeblasener Bembel über den Sportplatz.

Kid wollte für franknfurter noch ein Programmheft besorgen – und so machten wir uns auf den Weg zur gegenüberliegenden Seite, wo direkt an der Wand der Gaststätte ein großes Plakat hing: „Kein Platz für Rassismus“ – eine Aktion der Jungs vom Magazin „Zico“. Auf dem Weg dorthin trafen wir wieder etliche bekannte Gesichter aus der großen Eintracht-Familie, hier winkte Kroni, dort plauderte die kleine Pia – alle paar Meter blieben wir stehen, schwatzten und freuten uns über all die kleinen Geschichten, die erzählt wurden.

Nachdem Kid glücklich die Programmhefte erstanden hatte, stellten wir uns ein bisschen abseits an ein Gitter – und hatten unbewusst für die nächste halbe Stunde den bestmöglichsten Platz gewählt. Den just an dem Gitter an dem wir standen, sollten die Größen der Frankfurter Eintracht vorbei marschieren.

Es begann mit Jürgen Grabowski. Ich nestelte an meiner Videokamera und schaffte es, ihn aufzunehmen, während Kid vor Ehrfurcht in die Knie ging. „Jürgen Grabowski - ich habe Jürgen Grabowski gesehen“ stammelte er und war selig. Als Zeitdokument ist ein Foto von Pia erhalten, welches die Gänsehaut Kids dokumentiert.

Als wenig später Charly Körbel vorbei lief, wussten wir: diesen Platz behalten wir – und gerieten so in einen kleinen Rausch der Begeisterung. Norbert Nachtweih kam ebenso wie Ralf Weber und – zu unserer großen Freude - Ralf Falkenmeier. Stefan Lexa trug die Haare kurz, Hennig Bürger war charming-verschmitzt wie immer – und selbst Andy Möller wurde nicht beschimpft. Allerdings wurde er auch keineswegs so umringt, wie Ansgar Brinkmann oder Steffi Jones, die geduldig ein Autogramm nach dem anderen schrieben. Mittlerweile hatten auch die Kids den Platz entdeckt und nutzten die Gunst der Stunde. Die Ordner waren lässig und ließen die Kleinen (und Großen) gewähren – Stepi schritt die Treppe hinunter, Fußballgott Thomas Zampach, Meister-Manager Horst Heldt, Dirk Heinen, Bachirou Salou, Thorsten Kracht, Olaf Janßen, Michael Klein, Mirko Dickhaut, Lothar Sippel, Tommy Reichenberger, Michael Klein, Markus Beierle, Ronny Borchers und – was mich aufgrund unserer langjährigen prima Zusammenarbeit (mit) am meisten freute -: unser ehemaliger Amateur-Trainer Bernhard Lippert. Dann marschierte Christoph Preuß an uns vorbei – er sollte neben Albert Streit und Oka Nikolov den aktuellen Kader der Eintracht in den folgenden Fußball-Minuten vertreten. Währenddessen hatte sich auch die aktuelle Profi-Mannschaft eingefunden und blickte durch eine Glasscheibe auf das bunte Treiben – und manch einer mag sich sicherlich gefragt haben, ob es auch für ihn so einen Abschied geben würde. Wie mag wohl die Antwort auf diese Frage sein. Und welches die Gründe? Ob sich das Gerre und Buffo von Tankard auch gefragt haben? Keine Ahnung, sie lungerten grinsend an einer Ecke herum und erfreuten sich am Äppelwoi, während sich ein braungebrannter Präsident Peter Fischer autogrammschreibend seinen Weg durch die Menge bahnte.

Während wir uns vor Aufregung kaum halten konnten, marschierten die Spieler auf den Platz – nur Zico und Schui wurden instandesgemäß in Autos gefahren – Zico von Uwe „der tödliche Pass“ Bein und Schui von keinem geringerem als Jürgen Grabowski. Stadionsprecher Oliver Forster verkündete, dass auch Alfred Pfaff unter den Zuschauern weilte – ebenso, wie Holz oder Willi Neuberger und so langsam näherten wir uns dem Anpfiff des letzten „offiziellen“ Spiels unserer Helden Zico und Alex Schur.

Wir verließen unseren Platz an der Treppe und dackelten über die Laufbahn zurück. Westernhagens „und dann bin ich mir sicher, wieder zu Hause zu sein“ schmetterte durch die Lautsprecher und zwei Jungs schwenkten zwei riesige Fahnen – eine davon kannten wir ja schon, die schwarz-rote 13, die Uwe Bindewald seinerzeit bekommen hatte. Neu war jetzt die ebenso große „24“ unseres langjährigen Fighters Schur.

Von nun an werden im Stadion diese beiden Fahnen in unserer Kurve wehen, die 13 des Uwe Bindewald und die 24 des Alexander Schur.

Wisst ihr noch:

Ihr redet immer davon, dass man sich unsterblich machen kann in Frankfurt.Dann sagt mir was ist mit Binde und Schui?Von ihnen redet keiner mehr! Oder?

So schrieb seinerzeit ein Fußballspieler der Eintracht, der jetzt nicht mehr bei uns ist.

Und das ist auch gut so.

Der Nachmittag nahm seinen Lauf und wir hockten uns an den Rand der Tartanbahn, hinter uns Geiselgangster und Schwarze Geier, gereizte und Graefles sowie Frauen in schwarz und jeder mit einem Grinsen, breit wie Montero damals beim Training. Das lag nicht zuletzt an unserem Kroni. Denn irgendjemand rief plötzlich: „Ein Flitzer, ein Flitzer“ und dann: „Der Kroni, der Kroni“. Tatsächlich, Kroni flitzte über den Platz, wie Gott ihn einst geschaffen hatte und wurde zum dritten Helden des Abends.

Dann ging’s vor geschätzten 10.000 Zuschauern los:

Zampe kam über Rechtsaußen, Heinen im Tor, gegenüber Oka – im Sturm tankte sich Salou durch, getackelt von Schur. Stefan Lexa wuselte sich durch, Henning Bürger flankte – und Charly Körbel spielte, als hätte es nie ein Karriereende gegeben. Weber half aus, wo er konnte – und die Tore fielen, wie einst im Mai. Sogar Schur und Zico trafen. Wobei Alex sogar einen Foulelfmeter verschoss. Vereinzelte Stimmen wollten ihn daraufhin sofort verkaufen, während Dirk Heinen während des Spiels mit einem Fan ein Bier trank und über Mikrofon erklärte, dass er nun in Irland leben würde und Schafe züchte. Weshalb dachte ich grinsend an Stefan K?

Der Himmel leuchtete strahlend blau über uns, sogar der liebe Gott hatte ein Einsehen und schenkte uns einen sonnigen Tag, der unseren Helden einfach gebührte. In der Halbzeit hielt der hessische Innenminister eine Vortrag, drängelte sich ins Bild und platzierte sich, als der komplette Vorstand der Eintracht Frankfurt Fußball AG Zico und Schui ehrte, genau an die Stelle, wo eigentlich Zico stehen sollte. Heribert Bruchhagen hielt eine schöne Rede und überreichte unseren Idolen zwei Uhren mit der Aufschrift: „Helden auf ewig“ – es war ein weiterer Moment der Gänsehaut und der Rührung, zumal Bruchhagen von der „Anerkennung der Lebensleistung der beiden durch diese bewegende Veranstaltung“ sprach.

Als Alex und Uwe schon wieder aufs Spielfeld zurück wollten, wurde ihnen mitgeteilt, dass ihr nächster Weg jetzt in die Kurve führen wird. Die beiden großen Fahnen vorneweg, marschierte der ganze Trupp in Richtung der Ultras, die nicht nur die Fahnen gemacht hatten, sondern sich auch bei unseren ewigen Helden bedankten und einige Präsente überreichten, so etwa den Ball, der im Mai 2003 zum sechsten Mal ins Reutlinger Tor klatschte für Alex und eine Collage für Binde. Eine Choreo wurde unter leichtem Feuerwerk produziert – und die Ultras hielten ein Transparent mit der Aufschrift: „Zwei Herzen – eine Seele“ in die Luft, flankiert von zwei Pappkameraden: Schur und Bindewald. Einzig die Tatsache, dass auf den Papptrikots der Adler fehlte, irritierte mich. Dieser war nämlich säuberlich entfernt worden.

Hunderte von Kids, Fotografen und Fans rannten über den Platz, belagerten unsere Helden, ließen sich alles unterschreiben, was zu unterschreiben war – und hatten teilweise rot-glühende Bäckchen – genau wie euer Beve, der versuchte, mit der Videokamera, das eine oder andere Bild dieses denkwürdigen Tages fest zu halten. Irgendwann entdeckte ich sogar Heinz Gründel. Nein, nicht den Fußballer, sondern unseren geschätzten „schönen Uli“ und winkte ihm lachend zu.

In der zweiten Halbzeit hütete Oka das eine Tor, Sven Schmitt (der noch in der Regionalliga-Saison im Tor unserer Amas stand) das andere, während Nico Frommer erneut Nikolov listig überwand. Jener Frommer, der im entscheidenden Spiel gegen Reutlingen mit seinem Tor unsere Aufstiegsträume fast vernichtet hätte – und seine noch dazu, schließlich stand sein Wechsel zur Eintracht damals schon fest.

Nun wirbelte Cesary Tobollik auf außen, während ich den ganzen Tag überlegte, wer denn die weiße Nummer 18 war, - der einzige Spieler, den ich erst mal nicht erkannte. Erst ein Nachschlagen im Programm brachte die Erkenntnis: Uwe Müller war’s, der seinerzeit mit der A-Jugend unter Klaus Mank deutscher Meister wurde. Albert Streit kam über die rechte Seite (ganz leise erklang hinter mir die Melodie „du hast die Haare schön.“), Ronny Borchers trug die zehn und Jens Keller spielte souverän von hinten, wie man es von früher gewohnt war. Ansgar Brinkmann, der weiße Brasilianer“ zauberte und Alexander Huber, Torschütze in Vigo, traf erneut in den Kasten von Oka.

Mittlerweile glänzte das Flutlicht in der untergehenden Sonne und der Schiri unterbrach das Spiel, damit Alexander Schur mit seinem Vater ein Trikot tauschen konnte. So besitzt Papa Schur jetzt das letzte offizielle Trikot seines Sohnes – Eine rührige Geste, wie ich finde. Wenig später rannte Zico auf den Schiedsrichter zu, gestikulierend, schimpfend – und erhielt die rote Karte, ebenso wie kurz darauf Schur, der die rote Karte gleich einsteckte. Das war der sportliche Schlusspunkt eines Nachmittags, der noch lange nicht zu Ende sein sollte. Zico und Schur liefen umringt von Fans und Freunden mit den großen Fahnen in der Hand ihre Ehrenrunde und Zico sprach in das Mikrofon: Ihr seid die Eintracht. Danke. Und ich dachte: Ihr auch.

Autogrammschreibend sah man immer noch die Steffi Jones, den Stepi, und den Ansgar auf dem Platz – und wohin man blickte, schaute man in glückliche Gesichter. Ab und an kam ein Polizist vorbei, ein Ordner – aber alles war völlig stressfrei – und ein großer Tag für die Fans der Frankfurter Eintracht – und sicherlich auch für die (ehemaligen) Aktiven. Schuis kleiner Sohn hockte auf dessen Schultern, während ein jeder unsere Helden anfassen wollte – oder zumindest ein nettes Wort von sich gab.

Ein Wermutstropfen mag für den ein oder anderen die Tatsache gewesen sein, dass dieses Spiel nicht im Waldstadion statt fand – ich aber bin der Überzeugung, dass genau die Entscheidung in ein kleines Stadion zu gehen, entscheidend für die schöne Atmosphäre gesorgt hat, die uns diesen Tag unvergesslich werden ließ. Und ich befürchte, dass dieses Fußballerlebnis durch kein einziges Saisonspiel getoppt wird. Weil dann wieder alles verboten sein wird. Aber wie sagte jemand: „Eijo, hier schbielt ja die Eintracht gesche die Eintracht. Schdell dir voä, dahinne wärn die Fäns aus Laudern.

Als wir noch einen letzten Äppelwoi am Stand holten, prasselte plötzlich ein Regen in die Dunkelheit hernieder, als würde der liebe Gott sagen: „Lasst mal, ich wasch’ heute selbst ab.“ Der Regen war von kurzer Dauer und ein voller Mond leuchtete freundlich über uns, als wir trockenen Fußes zum Auto marschierten. Nur wenig später sauste ein blauer Alfa über die Autobahn 661 Richtung Frankfurt. Innen saßen fünf glückliche Eintrachtler, und ein jeder von ihnen mit einem Säcklein prall gefüllter Erlebnisse.

Wir ließen den Abend im Backstage ausklingen, einer Kneipe im Frankfurter Nordend, die nach achtzehn Jahren unter der Leitung von Norbert am heutigen Samstag zum letzten mal von ihm geöffnet wird – dann folgt ein neuer Besitzer, so wie es aussieht eine neue Besitzerin – und auch dort wird es nicht mehr so sein, wie es vorher war. Der Tag des Abschiedes von Zico und Schur war auch der Tag des Abschieds von Norbert und Sybille, zumindest im Backstage. Wir tranken ein letztes Glas, futterten eine letzte Bratwurst und schliefen wenig später ein, mit den Worten: Was war das für ein schöner Tag.

Danke Alexander Schur, danke Uwe Bindewald – und danke an alle anderen dieser herrlich verrückten Eintracht-Familie.

Ihr seid die Eintracht.

Text Axel "Beverungen" Hoffmann, Bilder Pia "frankfurt-mein" Geiger

 

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