VfL Bochum - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1992/1993 - 30. Spieltag

1:0 (0:0)

Termin: Sa 08.05.1993 15:30
Zuschauer: 26.000
Schiedsrichter: Hans-Peter Dellwing (Trier)
Tore: 1:0 Uwe Wegmann (56.)

 

>> Spielbericht <<

VfL Bochum Eintracht Frankfurt

  • Andreas Wessels
  • Rob Reekers
  • Christian Herrmann
  • Frank Heinemann
  • Thomas Kempe
  • Michael Klauß
  • Jörg Schwanke
  • Uwe Wegmann
  • Holger Aden
  • Heiko Bonan
  • Dariusz Wosz

 


 

Wechsel

  • Sven Christians für Michael Klauß (46.)
  • Yoo-Sung Kim für Holger Aden (90.)

Wechsel

Trainer

  • Jürgen Gelsdorf

Trainer

 



 

Rostock II

Seit dem 20. Spieltag steht Bayer Leverkusen auf Platz 5, doch nach der 0:2-Niederlage in Dresden am 29. Spieltag Anfang Mai wird Trainer Reinhard Saftig entlassen, obwohl er mit seiner Elf weiterhin Rang 5 bekleidet und außerdem das DFB-Pokalfinale gegen die Amateure von Hertha BSC erreicht hat. Sein Nachfolger wird mit Dragoslav Stepanovic der Coach, dessen Engagement bei Eintracht Frankfurt durch die Halbfinalniederlage gegen Saftigs Mannschaft, die er ohnehin zur nächsten Saison übernehmen sollte, Ende März vorzeitig beendet wurde. Die Entlassung Saftigs bringt selbst die Mutter des Bayer-Managers Reiner Calmund gegen ihren Sohn auf, dem sie vorwirft, den „braven und schönen jungen Mann“ den Stuhl vor die Tür gesetzt zu haben. Stepanovics Angebot, Saftig könne sich beim Pokalendspiel auf die Trainerbank setzen, kommt bei seinem Vorgänger nicht gut an: „Verarschen kann ich mich selbst!“

Während Stepanovic also am 30. Spieltag in Leverkusen seinen Einstand gibt, der vom Publikum vor dem Spiel auch mit Pfiffen empfangen wird, wittert seine ehemalige Mannschaft noch einmal Morgenluft. Hatte sie unter Stepanovic in der Rückrunde 6:6 Punkte erzielt, so sind es nun bislang unter Horst Heese immerhin 8:4 Punkte und nach dem 4:1-Heimsieg gegen den KSC am letzten Spieltag scheint zumindest theoretisch wieder mehr drin zu sein, als die Qualifikation für den UEFA-Cup, den sich Heese bei seinem Amtsantritt als Ziel gesetzt hat. Dazu fehlen der Eintracht fünf Spieltage vor dem Ende wohl nur noch zwei Zähler, doch der Rückstand auf den Tabellenführer Bayern München beträgt auch nur drei Punkte.

„Wir wären keine guten Profis, wenn wir nicht noch ein bisschen Hoffnung hätten“, meint Uwe Bein, der beim Sieg gegen die Karlsruher nach seiner Verletzungspause in die Elf zurückgekehrt ist, zu den Meisterschaftsaussichten: „Wir müssen uns nicht mehr unter Druck setzen, das könnte ein unschätzbarer Vorteil sein. Wir haben unser Saisonziel praktisch erreicht, wir sind in der nächsten Saison international dabei. Jetzt können wir eigentlich locker aufspielen. Und uns hat doch sowieso niemand mehr auf der Rechnung.“ Und ein vergleichsweise einfaches Restprogramm hat die Eintracht auch, wie die Experten finden, denn auswärts warten die beiden Abstiegskandidaten Bochum (17.) und Uerdingen (18.) sowie der HSV (11.), der wie Schalke (10.) nur noch um die goldene Ananas spielt. Und die Schalker sind neben den Lauterern (7.) einer der beiden noch im Waldstadion ausstehenden Aufgaben für Heeses Truppe.

Der Trainer ist am Samstag bei der Mannschaftssitzung auch siegesgewiss. Mit Kreide schreibt er die 22 Namen seiner und der Bochumer Spieler an eine Tafel, um seinen Kickern ganz ruhig mitzuteilen, dass diese Begegnung nur einen Gewinner kennen kann: „Wir sind auf allen Positionen besser besetzt, Mann für Mann, Pärchen für Pärchen. Ich kann für Bochum keine Garantie geben.“ Doch auch Frank Papke, der Stadionsprecher im Ruhrstadion, versprüht Selbstbewusstsein: „Für Euch haben wir heute viel Sonne, aber keine Punkte“, begrüßt er die Gäste und deren Anhang. Trotzt ihrer prekären Lage vertrauen die Fans des VfL auf die „Unabsteigbarkeit“ ihres Teams, das seit 1971 durchgehend in der 1. Bundesliga spielt und sich in über 20 Jahren überwiegend, aber am Ende immer erfolgreich mit dem Klassenerhalt beschäftigt hat. Zudem hat die Eintracht in Bochum bislang lediglich zwei Mal gewinnen können: 1:0 im September 1977 und 2:1 im Februar 1983.

Auch heute ist der VfL nicht bereit, sich kampflos zu ergeben und in ein Schicksal zu fügen, das ihm seit zwei Jahrzehnten zugedacht wird. Läuferisch und kämpferisch kann man den Bochumern besonders zu Beginn der Partie überhaupt keinen Vorwurf machen, doch das Spielerische kommt – was keine Überraschung ist – so kurz, dass sich bei diesem wuchtigen Sturmlauf kaum Torchancen ergeben.

So bekommt Heeses Elf Spiel und Gegner relativ rasch in den Griff, doch ein Treffer gelingt auch den Frankfurtern nicht. Eine besondere Rolle weisen sie dabei aber nicht selbst, sondern Schiedsrichter Hans-Peter Dellwing zu, der dem Gast angeblich einen Strafstoß verweigert. Yeboah ist in der 7. Minute kraftvoll in den Strafraum der Bochumer marschiert, an Reekers vorbeigezogen und wird erst durch eine Grätsche von Libero Herrmann gestoppt, der ihn zu Fall bringt. Doch anstelle des erwarteten Elfmeterpfiffes erhält Yeboah von Dellwing die Gelbe Karte, weil dieser meint, der Stürmer habe sich fallen lassen und einen Strafstoß schinden wollen. „Ich bin kein Schauspieler“, beschwert sich Yeboah empört: „Diese Gelbe Karte verstehe ich nicht.“ Zur Ehrenrettung des Schiedsrichters eilen später die Herren Reporter vom Fernsehen, die auch nach Studium der Zeitlupe nicht zu einem einheitlichen Ergebnis kommen. „Klares Foul an Yeboah von Herrmann, die Eintracht hätte Elfmeter bekommen müssen“, findet der Kollege von Sat1, während der Berichterstatter für die „Sportschau“ der ARD vielleicht nicht nur räumlich und in dieser Einschätzung dem VfL näher steht als der Eintracht: „Jetzt sieht man, wie Yeboah abhebt, ohne getroffen worden zu sein. Gelbe Karte berechtigt.“ Das ZDF schließt am Abend mit einer dritten Einschätzung in der Mitte, die keine Seite zu größerem Widerspruch reizt: „Ganz zu klären ist die Situation wohl nicht, aber die Gelbe Karte hatte Yeboah nicht verdient.“


Rudi Bommer

Nicht verdient hat auch Kruse, dass er schon früh die Partie beenden muss. Humpelnd macht er sich in der 12. Minute auf den Weg in die Kabine, nachdem Wegmann ihn bei einem Zweikampf heftig am Knie getroffen hat. Anicic kommt, doch an der wilden Entschlossenheit des VfL, dem Gegner mit allen erlaubten und auch einigen unerlaubten Mitteln die zum Klassenerhalt notwendigen Punkte abzuknöpfen, bleibt. Vielleicht ist es die fast sichere Teilnahme am UEFA-Cup, die die Spieler der Eintracht zaghaft oder satt erscheinen lässt. Um die letzte Chance, doch noch Deutscher Meister zu werden, kämpft hier kaum einer. Einem alten Haudegen wie Trainer Heese müssen da die Haare zu Berge stehen. Spielerisches Vermögen hat die Eintracht bekanntlich im Überfluss, die technischen Fähigkeiten der Frankfurter Einzelspieler reichen in der Summe sicher für zwei Mannschaften aus, doch es hapert an der Umsetzung des Potenzials. Wie so oft lassen sich die Hessen ihre Überlegenheit durch eine harte Gangart des Gegners rauben. Diese Mannschaft hat die spielerische Klasse, um Meister zu werden, aber nicht das Herz.

Bochums Trainer hätte jetzt gerne das Personal in der zweiten Reihe, das auch in der Offensive Kapital aus dem ängstlichen Spiel der Gäste schlagen kann, doch es bleibt ihm nur, einen torungefährlichen Angreifer durch einen anderen zu ersetzen und so kommt Christians zur zweiten Halbzeit für Klauß. Holger Aden, der im Dezember von Eintracht Braunschweig aus der 2. Liga gekommene Mittelstürmer, hat in 13 Spielen zwar schon 8 Tore erzielt, doch heute fehlt ihm die Durchschlagskraft.

Schafstall hat aber auch Uwe Wegmann im Team, der als Mittelfeldspieler Tore zu schießen versteht. Und als sich nach 56 Minuten endlich der Ball im Netz befindet, ist es der Kasten von Uli Stein, der getroffen wurde und Wegmann zeichnet mit einem mächtigen Schuss und seinem 12. Saisontreffer für die Führung verantwortlich. Auch dieser Schlag ist aber nicht geeignet, die Eintracht aufzurütteln, die weiter ihren Stiefel herunterspielt und selbst das für eine Spitzenmannschaft erschreckend schlecht tut. Wenige Minuten nach dem 0:1 muss Heeses Elf sogar froh sein, nicht schon mit zwei Treffern in Rückstand zu liegen: Bei Heiko Bonan und Holger Aden verweigern im entscheidenden Moment die Nerven ihren Dienst. Der prächtigen Stimmung auf den Rängen tut die vergebene Großchance aber keinen Abbruch. Die Anhänger des VfL feiern ihren Außenseiter und sie feiern ihn mit Recht.

Fast alibimäßig, ohne Mumm und Biss, folgt ein kurzes Aufbäumen der Eintracht. Zweifellos ist diese Elf in der Lage, Außergewöhnliches zu leisten, aber wenn es darauf ankommt, gelingt ihr zu häufig nicht einmal das Notwendige. Heese versucht eine Änderung herbeizuführen, in dem er in der 74. Minute den ehemaligen Torschützenkönig Uwe Rahn anstelle von Ralf Falkenmayer bringt. Rahn, der am 11. Spieltag sein Punktspieldebüt für die Eintracht gegeben und in seinen ersten sechs Bundesligapartien drei Treffer für die Riederwälder erzielt hat, spielt allerdings in der Rückrunde verletzungs- und formbedingt keine große Rolle. Getroffen hat er sein Dezember nicht mehr.

Und auf den Treffer, den Yeboah eine Minute nach Rahns Einwechslung landet, können alle im Stadion verzichten. Nach einem ebenso derben wie unnötigen Tritt in die Beine von Schwanke erhält er gerechterweise die Gelbe Karte, was mit Gelb-Rot seinen Ausschluss vom Spiel zur Folge hat. „Es ist ungerecht, dass Reekers 25 Fouls gegen Yeboah macht und dann muss Tony nach einem einzigen eigenen Foul vom Platz, weil der Schiedsrichter lange vorher einen Fehler gemacht hat“, findet Eintracht-Vizepräsident Hölzenbein: „Yeboah ist elfmeterreif gefoult worden, der Schiedsrichter aber glaubte, es sei eine Schwalbe gewesen. Das ist eine Unverschämtheit. Ich überlege, ob wir nicht beim DFB was unternehmen sollten.“

Auf der Haupttribüne kann Hölzenbein aber nichts unternehmen, nicht während des Spiels und auch nicht nach dem Abpfiff. „Das kann nicht sein, das kann doch einfach nicht wahr sein“, stöhnt Hölzenbein und greift sich an den Kopf: „Unsere Spieler haben sich von der Härte der Bochumer den Schneid abkaufen lassen.“ „Der Zug ist ohne uns abgefahren“, fasst Heese in seinem ersten Satz zusammen, als er nach dem 0:1, immer noch kopfschüttelnd, in die Pressekonferenz kommt. Dabei, meint er, hätte „alles so einfach sein können“. Doch die Frankfurter, so kommentiert Walther Lücker in der Frankfurter Rundschau, „patzten in ihrer unsäglichen und offenbar unausrottbaren Versagermentalität wieder einmal, als es galt spielerischer Eleganz den Kampf voranzustellen.“

Heese sitzt später mit Hölzenbein an einen Tisch des Bochumer Presseraumes, die Enttäuschung im Gesicht, zwei leere Biergläser und die Stummel dreier hastig gerauchter Zigaretten vor sich: „Fußball wird nicht auf dem Papier und nicht auf einer Tafel entschieden, das hängt von der Einstellung ab. Da muss was kommen von den Herren Weltklassespielern“, sagt Heese, macht eine kurze Pause und klagt laut: „Oh, diese Hilflosigkeit!“ Für das nächste traurige Kapitel im Buch über die verpassten und verspielten Titelchancen der Eintracht hat der Interimstrainer bereits einen Titel: „Rostock II.“

Auch Uli Stein, der sich Zeit gelassen hat, um seine Gedanken zu ordnen und seine Emotionen in den Griff zu kriegen, und als letzter Frankfurter Spieler aus der Kabine kommt, hat das entscheidende letzte Spiel der vorigen Saison vor Augen. Er nimmt zwei Koffer, wendet sich den Journalisten zu und sagt: „Das war’s dann wohl wieder mal. Wenn man so leichtfertig ein Spiel gegen einen Abstiegskandidaten verliert, hat man es nicht besser verdient. Bochum ist in diesem Jahr unser Rostock. Aber wir haben schon vorher viele Punkte sinnlos verschenkt.“

Und obwohl der finale Spieltag der letzten Saison, als es die Eintracht selbst in der Hand hatte, mit einem Sieg Deutscher Meister zu werden, nicht mit der Ausgangssituation vor diesem 30. Spieltag vergleichbar ist, sieht auch Hölzenbein Ähnlichkeiten: „Im Hinterkopf hofft und träumt man bis zum Schluss. Jetzt fühle ich mich sehr an Rostock erinnert. Auch da haben wir einen Elfmeter nicht bekommen und haben schlecht gespielt. Dabei wäre damals wie heute alles so leicht gewesen. Aber es genügt eben nicht, wenn in solchen Spielen nur zwei, drei Spieler kämpfen und sich bedingungslos einsetzen.“ Namen will Hölzenbein aber keine nennen: „Im Gegensatz zu den Spielern, die öffentlich ständig den Vorstand kritisieren, werde ich das nicht öffentlich tun. Aber eines ist mir wieder klar geworden: Ein paar zeigen ihre ganze Stärke vor allem bei Vertragsverhandlungen. Spiele wie in Bochum kann es geben, nur bei uns passiert so etwas immer in der entscheidenden Phase. Wer in so einer Situation gegen so einen schwachen Gegner nicht gewinnt, dem ist nicht zu helfen.“

„Wir haben ganz erfolgreich gespielt, obwohl wir unsere Chance für ganz oben frühzeitig vertan haben“, zieht Stein ein vorläufiges Fazit der Saison. „Die wichtigen Spiele verlieren wir bemerkenswerterweise immer zu Null“, sendet er zudem einen eindeutigen Gruß an die Offensivabteilung. Uwe Bein, der Chef dieser Gruppe, verabschiedet sich nach einem mehr als mäßigen Auftritt mit einem saloppen „Und tschüss“, bevor er sich in den Mannschaftsbus zurückzieht. Von dort aus lässt er noch wissen: „Jetzt haben wir gesehen, wie leicht unser Restprogramm ist.“ Da liegt er mit Horst Heese auf einer Linie: „Nicht Bayern, nicht Dortmund, nicht Bremen — Bochum, Uerdingen, Schalke, dass sind die wirklich schweren Spiele. Und da zeigen wir der Liga, wie man nicht Deutscher Meister wird.“

„Wir sollten zusehen, dass wir nächsten Samstag zwei Punkte holen, damit der UEFA-Cup-Platz sicher ist. Dann ist die Saison gelaufen“, sagt der bleichgesichtige Hölzenbein am Sonntag. Ihm, dem Manager und Vizepräsidenten, geht der erneut geplatzte Traum deutlich näher als vielen seiner kickenden Angestellten. „Mir geht es schlecht“, gibt er zu, „ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen. Unsere Mannschaft kam mir vor wie ein Zweitligist, der nicht aufsteigen will. Immer, wenn die Ärmel hochgekrempelt werden müssen, passiert gar nichts. Ich finde das alles zum Kotzen.“ (rs)


>> Spieldaten <<

 

© text, artwork & code by fg