Eintracht Frankfurt - 1. FC
Nürnberg |
Bundesliga 1983/1984 - 31. Spieltag
3:1 (1:0)
Termin: Sa 05.05.1984, 15:30 Uhr
Zuschauer: 16.500
Schiedsrichter: Karl-Josef Assenmacher (Hürth)
Tore: 1:0 Karl-Heinz Körbel (5.), 1:1 Rüdiger Abramczik (69.), 2:1 Karl-Heinz Körbel (81.), 3:1 Thomas Berthold (90.)
Eintracht Frankfurt | 1. FC Nürnberg |
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Auf der Trage, statt auf den Schultern Mit gemischten Gefühlen registrieren Fans und Spieler der Eintracht am Freitagabend die Ergebnisse der drei vorgezogenen Bundesligaspiele. Positive Signale kommen aus Stuttgart, wo der heimische VfB mit 5:1 gegen die Mannschaft aus Bieber siegt und damit der Eintracht den Rücken nach unten freihält. Weniger erfreut ist man im Umfeld der Adler allerdings über den unerwarteten 2:1-Sieg des VfL Bochum in Uerdingen, der die Bilanz der auf 15 platzierten Ruhrstädter auf 24:38 Punkte verbessert und ihnen zumindest vorübergehend einen Vier-Punkte-Vorsprung vor den Frankfurtern sichert. Um diesen Punkteabstand wieder auf Schlagweite zu reduzieren, muss die Eintracht ihr Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg gewinnen. Und mit Verlaub: Alles andere als ein Sieg wäre für den Frankfurter Anhang eine Enttäuschung. Denn mit dem Club aus Nürnberg kommt an diesem Samstag eine Mannschaft mit einer beeindruckenden Auswärtsbilanz ins Stadion - freilich keine positive: Die Franken haben ihre letzten 27 Bundesligaspiele in der Fremde meist sang- und klanglos verloren. Den letzten Punktgewinn auf fremdem Platz konnten die Clubspieler am 9. Oktober 1982 mit einem 2:2 in Braunschweig verbuchen, danach folgten 0:54 Auswärtspunkte. Vollends in die Bredouille geraten sind die Nürnberger in dieser Spielzeit aufgrund der Tatsache, dass in den letzten drei Spielen auch im eigenen Stadion keine Punkte mehr zu gewinnen waren, so dass man mit 14 Pluspunkten und 6 Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz 16 allenfalls noch theoretische Chancen auf den Klassenerhalt besitzt. Um diese zu wahren, darf der Club in Frankfurt nicht verlieren. Ansonsten steht der Abstieg auch rechnerisch fest. Überraschendes präsentiert Eintrachttrainer Weise in der Startaufstellung für dieses wichtige Spiel. Dass Berthold nach seiner Gelbsperre wieder in die Mannschaft rückt und Sievers dafür mit dem Platz auf der Bank zusammen mit Tobollik, Krämer und Jüriens vorlieb nehmen muss, war zu erwarten. Erstaunlicher ist da schon, dass Rekonvaleszent Mohr zur ersten Elf zählt. Und regelrecht verblüffend scheint es, dass für Mohr nicht der zuletzt kraftlos wirkende Thomas Kroth aus der ersten Elf fällt, sondern mit Ronald Borchers einer der erfahrenen Kräfte zum Bankdrücker wird. "Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen", gibt Weise zu Protokoll. "Aber nach Abwägung vieler Komponenten glaube ich, dass dies die beste Lösung ist. Ronny strahlt von unseren Mittelfeldspielern die geringste Torgefährlichkeit aus." Kurz fällt dagegen der Kommentar von Ronald Borchers zu Weises Entscheidung aus: "Kein Kommentar." Ein pikantes Detail am Rande dieser Personalie auf dem Spielfeld ist die Ankündigung von Präsident Gramlich, sich mit Borchers am Montag nach dem Nürnbergspiel über eine eventuelle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unterhalten zu wollen, die die Eintracht zu gekürzten Bezügen für den Spieler anstrebt. Für Gästetrainer Höher bestimmen keine taktischen Überlegungen die Aufstellung seiner Mannschaft. Der nach Udo Klug und Rudi Kröner mittlerweile dritte Clubcoach in dieser Spielzeit muss für den Auftritt in Frankfurt mit einem marginalen Kader auskommen: Kapitän Norbert Eder wurde an der Leiste operiert, einer der besten Spieler der letzten Wochen, Jürgen Täuber, fehlt wegen der siebten Gelben Karte, Horst Weyerich, Dieter Trunk und Reinhold Schöll sind verletzt, Reinhold Hintermaier und Werner Heck wurden suspendiert. Zudem lässt Höher seinen etatmäßigen Torhüter Kargus auf der Bank Platz nehmen, um den Nachwuchsmann Herbert Heider zu testen. Neben Kargus findet sich letztlich nur ein weiterer Spieler auf der Ersatzbank der Franken, nämlich der Abwehrspieler Werner Habiger. Ob es dem regnerischen Wetter geschuldet ist, den zuletzt erlittenen drei Niederlagen in Folge oder dem unattraktiven Gegner - auf jeden Fall wollen gerade einmal knapp 17.000 Zuschauer den Erstligaexistenzkampf der Eintracht an diesem Samstag live verfolgen. Bereuen brauchen diese Besucher ihren Weg in den Stadtwald anfangs allerdings nicht, denn in den ersten Minuten des Spiels hat es den Anschein, die Eintracht wolle das Nürnberger Rumpfensemble mit Stumpf und Stiel vom Rasen fegen. Bereits in der 5. Minute fällt das 1:0 für die Platzherren, als der Ball nach einer von Mohr herausgespielten Ecke zu Thomas Berthold auf den linken Flügel gelangt, der ihn nach innen in den Strafraum der Gäste spielt. Dort kann der etatmäßige Stürmer Svensson zwar nicht eingreifen, dafür aber Vorstopper und Kapitän Körbel, der einen langen Schritt macht und das Leder aus kurzer Distanz mit dem rechten Fuß ins Tor lenkt.
Schon kurz darauf hat die Eintracht nach einer erneuten Ecke die Gelegenheit zum 2:0. Aber sowohl Svensson als auch Uwe Müller verpassen die Hereingabe von Körbel. In der 14. Minute probiert sich Thomas Kroth mit seiner Spezialität: einem fulminanten Distanzschuss. Doch der nach einem Freistoß von Falkenmayer aufgelegte Ball kracht nur gegen den Innenpfosten. Nach einer gespielten Viertelstunde ist es aber vorbei mit der Frankfurter Herrlichkeit. Die junge Frankfurter Truppe wirkt nervös, Unkonzentriertheiten verhindern einen zielstrebigen Spielaufbau. Das Sturmduo Müller/Svensson tappt ein ums andere Mal in die Nürnberger Abseitsfalle, im Mittelfeld zeigt sich Mohr zwar bemüht und spielt den ein oder anderen guten Pass nach vorne, ihm mangelt es allerdings nach der langen Spielpause verständlicherweise an Dynamik, so dass es zu unnötigen Ballverlusten kommt. In gleichem Maße, in dem die Eintracht abbaut, gewinnen die Gäste aus dem Frankenland an Spielanteilen. So sorgt Brunner beim Frankfurter Anhang in der 21. Minute für eine Atempause, als er sich auf der rechten Seite gegen Körbel durchsetzt und den Ball in den Fünfmeterraum spielt. Eingeatmet wird auf den Rängen erst wieder, nachdem zunächst Burgsmüller über das Leder tritt und der freistehende Heidenreich nicht ins, sondern über das Tor zielt. Gefährlich wird es auch in der 30. Minute, als Pahl einen Schuss des athletischen Amateurs Reiner Geyer aus dem Hinterhalt parieren muss. Geyer bestreitet heute übrigens erst seine zweite Bundesligapartie und seine erste von Anfang an. Seine Premiere feierte er als Einwechselspieler beim 0:0 der Eintracht in Nürnberg am 14. Spieltag. Hatte das Frankfurter Publikum in den vorangegangenen Spielen noch genügend Fingerspitzengefühl bewiesen, um die verständliche Nervosität der Weise-Bubis nicht durch Missfallenskundegebungen zu steigern, scheint die Geduld des Anhangs nun erschöpft: Pfiffe begleiten die beiden Mannschaften in die Kabine, als Schiedsrichter Karl-Josef Assenmacher aus Hürth zum Pausentee bittet. Trainer Weise bringt es in der Pause auf den Punkt: "Wir werden mit der Nervenbelastung nicht fertig." Kaum Besserung ist auch zu Beginn der zweiten Hälfte in Sicht. Einzig Falkenmayer erspielt sich eine Chance, als er Nürnbergs Abseitsfalle überlistet, aber an Heider scheitert. Danach übernehmen wieder die Clubspieler das Kommando auf dem Platz und erarbeiten sich Ausgleichschancen. So nimmt Burgsmüller in der 65. Minute Maß, verfehlt aber mit seinem Schuss, der den Pfosten noch leicht touchiert, das Frankfurter Tor denkbar knapp. Vier Minuten später ist es dann soweit, die Nürnberger erzielen das 1:1. Allerdings benötigen sie hierfür die tätige Mithilfe von Schiedsrichter Assenmacher, der zunächst das Handspiel eines Nürnbergers im Strafraum als 'unbeabsichtigt' einstuft und dessen Pfeife auch nach dem drauffolgenden Zweikampf von Fruck und Heidenreich, bei dem beide zu Fall kommen, stumm bleibt. Die Eintrachtabwehr hofft auf einen Freistoß aufgrund eines Stürmerfouls, befürchtet einen Elfmeterpfiff für die Gäste - und stellt den Spielbetrieb vorübergehend ein. Diese Gelegenheit nutzt Rüdiger Abramczik und drischt den Ball aus zwei Metern ins leere Tor. Kurz drauf hat Heidenreich sogar die Chance zum 2:1, so dass Trainer Weise versucht, ein Kippen des Spiels durch zwei Wechsel zu verhindern. Zunächst kommt Sievers in der 74. Minute für den begreiflicherweise ausgelaugten Mohr, zwei Minuten später muss Trieb, der zwar ein großes Laufpensum, aber wenig Effizienz gezeigt hatte, seinen Platz für einen weiteren Stürmer, nämlich Tobollik, räumen.
Alles oder nichts, heißt nun die Devise. Mit einem Unentschieden darf die Eintracht in Anbetracht des schweren Restprogramms nicht zufrieden sein. So hält auch Kapitän und Vorstopper Karl-Heinz Körbel nichts hinten, als sich die Eintracht in der 81. Minute einen Eckball erkämpft. Und als Berthold nach dieser Ecke zum Kopfball kommt, das Leder aber abgeblockt wird und nicht den Weg über die Linie findet, ist es just Körbel, der den Ball aus dem Gewühl heraus zum 2:1 einschießt. Mit seinem zweiten Treffer in diesem Spiel bringt der dienstälteste Frankfurter Spieler, der sich den Respekt von Mitspielern und Gegnern nicht nur aufgrund seiner Kapitänsbinde, sondern auch wegen seines unermüdlichen Einsatzes verdient, die Eintracht wieder auf die Siegesstraße.
Diesem Moment des kollektiven Triumphs folgt nur eine Minute später eine persönliche Tragödie. Direkt nach dem Anstoß der Nürnberger führt Abramczik den Ball, als Körbel in der ihm eigenen kämpferischen Art versucht, dem Gegner den Ball abzujagen. Beide kommen im Zweikampf zu Fall, Abramczik landet auf dem ausgestreckten rechten Bein seines Konterparts, der sich anschließend auf dem nassen Gras krümmt. Mit Verzögerung nehmen die Spieler die tragische Situation wahr, der Schiedsrichter eilt ebenso zum verletzten Körbel wie Frankfurter und Nürnberger Aktive, der Masseur der Eintracht und auch Mannschaftsarzt Dr. Degenhardt. "Das Schienbein ist gebrochen, ich hab's knacken gehört", nimmt Körbel noch am Ort des Geschehens die ärztliches Diagnose vorweg, bevor er in die Kabine getragen wird. Zweimal hat die Eintracht bereits ausgewechselt - nun heißt es, nicht nur den Schock der schweren Verletzung Körbels wegzustecken, sondern die letzten Minuten auch mit zehn Mann zu absolvieren. Und in diesem Minuten überschlagen sich die Ereignisse. Zunächst ist es der eingewechselte Tobollik, der für Wirbel sorgt, als er auf dem Weg zum Tor von Grahammer im Strafraum gefoult wird. Zum fälligen Elfmeter in der 86. Minute tritt Falkenmayer an, den Weise nach dem verschossenen Strafstoß von Körbel in München zum ersten Elfmeterschützen bestimmt hatte. Doch Nürnbergs Torhüter Heider kann den Ball mit den Fingerspitzen an den Pfosten lenken. "Ich habe die enorme Nervenbelastung gespürt und einfach zu lasch geschossen", wird Falkenmayer später zu Protokoll geben. Die Nerven spielen auch Svensson einen Streich, der kurz darauf einzig in Begleitung des Balls, ansonsten aber mutterseelenalleine, vor Nürnbergs Torhüter Heider auftaucht. Doch der Schwede schafft es nicht, den Gästekeeper zu überwinden. Besser macht es eine Minute vor Schluss dann Berthold, der bei einem Konter aus vollem Lauf einfach flach draufhält. "Ich habe an nichts gedacht und einfach auf den Ball getreten", kommentiert der junge Außenverteidiger sein Tor zum 3:1, das letzte Zweifel am Sieg der Eintracht zu den Akten legt. Als Schiedsrichter Assenmacher die Partie abpfeift, kommt keine Freude unter den Frankfurter Spieler auf. "Wir mussten alle an Charly denken", erklärt Falkenmayer die gedrückte Stimmung. In diesem Moment ist Körbel, der das 3:1 von Berthold noch in der Kabine miterlebt hatte, bereits auf dem Weg ins Krankenhaus. Das 3:1 gegen den durch dieses Ergebnis zum dritten Mal nach 1969 und 1979 als Absteiger feststehenden Club aus Nürnberg ist für die Eintracht ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum Klassenerhalt. Zwar kann der Abstand zum 15. aus Bochum nicht verkürzt werden, aber mit nun 22:40 Punkten haben die Riederwälder nun wieder drei Punkte Vorsprung auf den Vorletzten, der zudem das deutlich schlechtere Torverhältnis aufweist. Beruhigt können die Frankfurter allerdings keinesfalls in die letzten drei Spiele gehen. Denn am nächsten Samstag geht es zum Tabellenführer aus Stuttgart, der mit 45:17 Zählern nicht nur die beste Punktausbeute aller Bundesligisten aufweist, sondern bislang auch die wenigsten Gegentore (29) zugelassen und, zusammen mit dem HSV, die meisten Treffer (75) erzielt hat. Just diese Hamburger, derzeit einen Punkt hinter den Schwaben auf dem zweiten Tabellenplatz in Lauerstellung und an diesem Wochenende mit 2:1 über die Bayern erfolgreich, sind dann im Volksparkstadion der Gegner der Eintracht am vorletzten Spieltag, ehe zum Abschluss der Ligaspiele die Partie gegen den 1. FC Kaiserslautern auf dem Programm steht.
Heinz Höher: "Wir mussten mit Weyerich, Eder, Täuber und Trunk vier Stammspieler ersetzen. Dennoch hat sich meine Mannschaft recht ordentlich geschlagen. Der Test mit dem zweiten Torwart ist zumindest nicht negativ verlaufen. Bis auf die Endphase hatten wir die besseren Torchancen, aber nach dem 1:1 haben wir den Fehler begangen, uns hinten zu versammeln, und damit war es nur eine Frage der Zeit, bis die Frankfurter das zweite Tor schießen würden. Wir wollten es der Eintracht nicht leichtmachen, sondern hier ordentlich spielen, um ein positives Ergebnis für unser Spiel gegen den HSV zu erzielen." Dietrich Weise: "Unsere Mannschaft ist mit ihrer Nervenkraft am Ende. Die Spieler sitzen alle unten und können sich nicht freuen. Wenn wir heute das Spiel nicht gewonnen hatten, wäre dies das Aus für die Bundesliga geworden. Mit dieser enormen Belastung ist die Mannschaft nicht fertig geworden. Das soll keine Entschuldigung dafür sein, dass sie nicht gut gespielt hat, aber es ist eine Tatsache. Mit diesem Sieg haben wir zwar denn 16. Platz noch nicht sicher, aber uns wenigstens die Chance darauf erhalten. Karl-Heinz Körbel hat einen Bruch des rechten Schienbeins erlitten und ist sofort ins Krankenhaus gebracht worden. Dr. Degenhardt wird ihn heute noch operieren."
Direkt nach dem Spiel wird Körbel aus der Kabine getragen und ins Städtische Krankenhaus Höchst gefahren. Noch am Samstagabend landet der Frankfurter Kapitän auf dem Operationstisch, Mannschaftsarzt Dr. Degenhardt nimmt den Eingriff vor. Um den Schien- und Wadenbeinbruch zu fixieren, setzen ihm die Ärzte einen 36 Zentimeter langen Edelstahlnagel ein, der erst zwei Jahre später entfernt werden wird. Körbel selbst hatte auf diesen raschen OP-Termin gedrängt, um, so vermutet Trainer Weise, der seinen Vorstopper am Sonntag im Krankenhaus besucht, "es schnell hinter sich zu bringen". Mehr als vier Monate wird Körbel aussetzen müssen und am 7. September 1984 beim Auswärtsspiel der Eintracht in Karlsruhe sein Comeback feiern. (fgo)
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