Eintracht Frankfurt - TuS Schloß Neuhaus

DFB-Pokal 1977/1978 - 2. Hauptrunde, Wiederholungsspiel

4:0 (1:0)

Termin: 24.08.1977
Zuschauer: 8.000
Schiedsrichter: Föckler (Weisenheim)
Tore: 1:0 Bernd Hölzenbein (31.), 2:0 Jürgen Grabowski (50.), 3:0 Bernd Nickel (70.), 4:0 Wolfgang Kraus (83.)

 

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Eintracht Frankfurt TuS Schloß Neuhaus

 


  • Wieke
  • Amelunxen
  • Pöhler
  • Strathaus
  • H. Senk
  • Heinemann
  • Nigenaber
  • Kliar
  • Wahner
  • Fiege
  • Schulte

 

Wechsel Wechsel
  • Bode für Wahner (65.)
  • Wilczewski für Schulte (65.)
Trainer Trainer
  • Jan Liberda

 

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Ausgespukt

„Wir werden Deutscher Meister und wir sind europäische Spitze“ hat Eintracht-Trainer Lorant zur Freude des Boulevards vor der Saison getönt. Nach zwei Niederlagen in den ersten drei Bundesligaspielen und der Blamage im DFB-Pokal beim Amateurligisten TuS Schloß Neuhaus bekommt er nun eben diese Sätze genüsslich unter die Nase gerieben. „So wie in der 1. Halbzeit des Pokalspiels in Paderborn beim 0:2-Rückstand habe ich meine Mannschaft noch nie zittern gesehen“, sagt er jetzt und Manager Wolf glaubt: „Die unglücklichen Niederlagen in Schalke und gegen den HSV haben es bewiesen: Wir können noch so konditionsstark sein, die Schwäche im psychischen und geistigen Bereich ist unverkennbar.“

„Die Niederlage in der Bundesliga und dieses 2:2 haben wenig miteinander zu tun“, entgegnet Lorant: „Wir taten uns bei Schloß Neuhaus deshalb so schwer, weil wir den Fehler fast aller Großen machten, indem wir den Gegner unterschätzten. Nach dem 0:2-Rückstand machte sich zunächst die Nervenschwäche der Mannschaft bemerkbar.“ Und genau dort will der Trainer ansetzen: „Das ist unser Problem. Spielerisch sind wir, und das behaupte ich jetzt noch, die beste, nervlich die schwächste Bundesliga-Mannschaft. Wir können dieser Schwierigkeit nur mit Ruhe begegnen. Ich habe den Glauben an die Mannschaft noch nicht verloren.“

Lorant lässt Taten folgen und verblüfft alle, die sich unter den Maßnahmen und Konsequenzen, die er direkt nach dem Spiel in Paderborn angekündigt hatte, etwas anderes vorgestellt hatten, als das, was der lebensfrohe Genießer folgen lässt. Bei der Besprechung mit der Mannschaft gibt es kein lautes Wort und auch kein Straftraining, sondern eine Einladung. Lorant trifft sich mit seinen Spielern auf dem vor den Toren Neu-Isenburgs gelegenen Gut Neuhof zum Frühstück und lässt es sich dort gut schmecken. Damit nicht genug: Der freie Mittwoch, an dem das Wiederholungsspiel stattfindet, wird nach dem Willen des Trainers am Donnerstag nachgeholt.

„Ich war nicht wütend, aber ich habe gezittert wie noch nie bei einem Spiel. Ich bin jetzt lediglich drei Kilogramm leichter, habe dafür aber ein paar graue Haare mehr“, gibt ein versöhnter Lorant an, dessen Prognose nicht unerwartet günstig ausfällt. „Ich erinnere daran, dass wir im letzten Pokalwettbewerb mitten in unserer Erfolgsserie bei Bayer Uerdingen aus dem Pokal herausgeflogen sind“, bemüht er die jüngere Vergangenheit als Beleg: „Ich vermute nun eine ähnliche Wirkung und bin sicher, dass wir nach einem klaren Sieg über TuS Schloß Neuhaus in der Bundesliga schon bald da wieder anknüpfen können, wo wir vor dem Schalker Spiel aufgehört haben.“ Der Treffer zum 3:2, der die Serie von 22 Punktspielen ohne Niederlagen beendete, ist für Kapitän Grabowski der Knackpunkt: „Dieses Tor ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da wir eine Halbzeit mit soviel spielerischem Glanz hingelegt hatten, wie ich es noch nie bei der Eintracht erlebt hatte, leitete die Misere ein. Dieses Tor riss uns aus allen Wolken und raubte uns die psychische Gelöstheit, die für das Heimspiel gegen den Hamburger SV notwendig gewesen wäre. Und ohne dieses Tor wäre uns auch die Sache gegen die großartigen Amateure von Schloß Neuhaus nie passiert“, ist sich Grabowski sicher.

Währenddessen fließt in Schloß Neuhaus der Schweiß in Strömen. In der Sauna ihres Mäzens Josef Peitz sitzen die Spieler, die am Samstag bundesweit Aufsehen erregt haben, bei 93 Grad und schwören sich auf die zweite Begegnung mit den Profis ein: „Wir haben im Wiederholungsspiel am Mittwoch gegen Frankfurt noch nicht verloren.“ Wolfgang Schulte, der das 1:0 erzielte, begründet den Optimismus: „Kondition haben wir auch nach diesem Spiel noch genügend drauf.“

Die 9.000 Mark Prämie, die der Verein der Mannschaft für das Wiederholungsspiel zahlt, soll nicht das Ende sein. So fiel denn auch die Feier nach dem unerwarteten Remis im ersten Vergleich im Vereinslokal „Südkrug“ zwar zünftig, aber zeitlich begrenzt aus. Nach dem gemeinsamen Abendessen mit Suppe, Schweine- und Rinderbraten, Rotkohl, Salat und Apfelkompott genehmigten sich die Kicker maximal drei Glas Bier zum Nachspülen, dann ging es nach Hause ins Bett. Bis Donnerstag haben fast alle Spieler dienstfrei, weil der größte Teil im Achsenwerk von Josef Peitz beschäftigt ist. Spieler und Vorstand fahren im Pkw nach Frankfurt, begleitet von einer Karawane von über 2.000 Schlachtenbummlern. In 17 Bussen reisen 1.050 Fans an, weitere 1.000 Anhänger machen sich wie die Mannschaft im privaten Pkw auf den Weg. Mittags um 14 Uhr wird dafür in Schloß Neuhaus die Arbeit niedergelegt. Die Begeisterung rund um den Amateurverein ist riesengroß: „Ich habe innerhalb von zwei Stunden 600 Sitzplatzkarten verkauft“, strahlt Spielausschussvorsitzender Temming.

Sorgenfalten bekommt dagegen Eintracht-Trainer Lorant, wenn die Sprache auf Bernd Hölzenbein kommt. 26 Bundesligatreffer, so viel wie noch nie, hat der Weltmeister in der letzten Saison erzielt und damit einen großen Teil zur sensationellen Serie der Eintracht beigetragen, die die Elf von einem Abstiegsplatz wohl zum Titelgewinn geführt hätte, wenn Lorant früher zur Eintracht gekommen wäre. In dieser Spielzeit hat Hölzenbein allerdings in drei Bundesligaspielen und zwei Pokalspielen gegen Amateurklubs keinen einzigen Treffer erzielt und scheiterte in Schloß Neuhaus sogar mit einem Strafstoß. „Ich weiß nicht, was mit ihm los ist“, rätselt auch sein Trainer.

Immerhin gelingt es Lorant, Torwart Koitka wieder aufzubauen, der sich in Paderborn beim ersten Gegentor überraschen ließ und vor dem zweiten über den Ball trat. „Rauslaufen ist besser als auf der Linie zu kleben“, muntert ihn der Coach auf: „Wenn du den Ball auch noch triffst, bist du Klasse.“ Die Blamage gegen die Amateure soll nach dem Willen Lorants ein heilsamer Schock sein: „Da haben meine Spieler dann hoffentlich eingesehen, dass wir uns gegen jeden Gegner hundertprozentig konzentrieren müssen. Gerade wir. Denn von der Überheblichkeit zur Hektik ist bei uns nur ein kleiner Schritt.“ In Sachen Überheblichkeit will er nun offensichtlich mit gutem Beispiel voran gehen, als er nach erfolgter Pokalauslosung nach dem nächsten Gegner befragt wird: „Schalke haben wir schon im Vorjahr ausgeschaltet. Doch erst müssen wir jetzt Neuhaus schlagen.“ Dabei muss er auf Libero Trinklein verzichten, der mit Fieber im Bett liegt. Skala, den Lorant wie Kraus in Paderborn schon in der Halbzeit aus der Mannschaft genommen hat, erhält deswegen eine weitere Bewährungschance.

9.000 Zuschauer füllen das weite Rund des Waldstadions am Mittwochabend leider nur völlig unzureichend. Das große Stadion erweist sich bei solchen Besucherzahlen regelmäßig als Stimmungskiller und gereicht der Heimmannschaft fast schon zum Nachteil. Der Traum von einem reinen Fußballstadion hat sich auch durch die WM vor drei Jahren nicht erfüllt und dürfte sich nach dem dabei erfolgten Umbau der ehemaligen Hauptkampfbahn für die kommenden Jahrzehnte erledigt haben. Immerhin – die Anhänger des Gastes geben wirklich alles, um so etwas wie Pokalstimmung aufkommen zu lassen.

Dabei sehen sie ihre Elf vom Anpfiff weg in der Verteidigung. Die gelingt den Amateuren aber in Anbetracht der Umstände ganz gut, wobei sich wie bei der ersten Begegnung Torhüter Wieke besonders hervortut. Der leicht untersetzte Keeper steht unter Dauerbeschuss, dort fängt er, hier faustet er und vollbringt hechtend und springend Glanztaten, die beim Frankfurter Publikum unangenehme Erinnerungen an Rudi Kargus und die im letzten Heimspiel erlittene Niederlage gegen den Hamburger SV wachrufen. Nickels Flachschuss fischt er aus der unteren, Wenzels Knaller aus der oberen Torecke und Hölzenbeins meisterlichen Schuss lenkt er an den Pfosten. Selbst als Grabowski ihn mit einem Schlenzer, in den der Weltmeister seine sämtliche Raffinesse hinein legt, überlisten will, bleibt er kühl und fängt den Ball ab, als gäbe es keine leichtere Aufgabe.

Die Reflexe und Paraden Wiekes machen dem ohnehin schon angegriffenen Nervenkostüm der Eintrachtspieler zusätzlich zu schaffen. Nur so ist es zu erklären, dass Torjäger Wenzel nach einem Solo von Neuberger, das Wieke endlich geschlagen sieht, den Ball aus vier Metern am leeren Tor vorbei kickt. Nach knapp 20 Minuten kommen dann auch die Gäste einmal gefährlich vor das von Koitka gehütete Tor der Frankfurter. Niggenaber nimmt einen Abpraller volley, setzt ihn aus 20 Metern jedoch über das Tordreieck. Ein Rückstand wäre weiteres Gift für das immer nervöser werdende Spiel der Eintracht gewesen.

Hölzenbein, mit seinem Pfostentreffer auch heute nicht vom Schussglück begünstigt, sorgt nach einer halben Stunde für Beruhigung und Aufatmen auf dem Platz und den Rängen, soweit es die Anhänger des zweifachen Pokalsiegers betrifft. Wenzel, dem heute anscheinend gar nichts gelingen will, säbelt nach einer Flanke von Grabowski über den Ball, doch Hölzenbein ist zur Stelle. Sein mächtiger Hieb aus sieben Metern rauscht mit einiger Gewalt in die Maschen, doch so knapp unter der Latte, dass nicht viel zu einem weiteren, anderen „Holztreffer“ fehlt.

Der Torjubel fällt so sachlich aus, dass man Mühe hat, ihn als solchen überhaupt zu identifizieren. Hoch gerissene Arme bleiben aus, die Anspannung ist und bleibt groß. Und sie wird nicht geringer, nachdem Hölzenbein nur eine Minute später seinen zweiten Holztreffer nachholt, als er nur den Innenpfosten trifft. Der Ball springt leider nicht ins Tor, sondern dem verdutzten Wieke in die Arme, der danach dem unglücklichen Schützen die Hand tröstend auf die Schulter legt.

Die Nervosität bei den Profis ist sichtbar: Hier ist es ein falscher Einwurf von Jürgen Grabowski, dort plumpe Rempler von Dragoslav Stepanovic oder auch ungewohnte Konzentrationsschwächen beim sonst so zuverlässigen Willi Neuberger. Gyula Lorant rutscht auf der Bank so unruhig hin und her, dass man sich Sorgen machen muss, ob der Stoff seiner Hose der Dauerbelastung stand halten wird.

Das 1:0 hat Bestand, doch es ist ein knapper Vorsprung. „Es ist wie verhext“, stöhnt Bernd Nickel zur Pause, nachdem er mit einem halben Dutzend Schüssen härtester Güte an den Fäusten Wiekes gescheitert ist: „Diesen einen Flachschuss hätte mancher Bundesligatorwart nicht gehalten.“ Fünf Minuten nach Wiederanpfiff ist aber auch Teufelskerl Wieke zum zweiten Mal geschlagen. Die zunehmende Härte der Gäste sorgt für Freistöße und einen solchen hämmert Grabowski aus 22 Metern unter die Latte: 2:0.

Souveräner wird das Spiel der Eintracht dadurch aber nicht. Weiter versucht man hauptsächlich mit Gewalt durch die Mitte zum Erfolg zu kommen, was nicht gelingt, weil die Amateure fort besonders dicht stehen. Hölzenbein will Abhilfe schaffen und weicht auf die Flügel aus, von wo er erst aufmunternd, dann fast flehend und am Ende resignierend (ab-)winkt.

In der 65. Minute wechselt Gäste-Trainer Liberda gleich zwei Mal aus, Lorant nimmt gleichzeitig Stepanovic aus der Partie und bringt Kraus, der im ersten Spiel wegen seiner schwachen Leistung zur Pause weichen musste. Am 3:0 in der 70. Minute ist der „Scheppe“ aber nicht beteiligt. Hölzenbein wird endlich für seine Ausflüge auf die Flügel belohnt und schlägt von links eine maßgenaue Flanke in den Strafraum, wo Nickel den Ball mit dem Kopf ins Tor befördert. Der schönste Spielzug der Begegnung, das 3:0 und die endgültige Entscheidung, zumal Libero Pöhler, nach Torwart Wieke der stärkste Spieler der Gäste, im Anschluss mit einer Schulterverletzung ausscheiden muss und die TuS das Spiel mit zehn Mann zu Ende bringen müssen - ihr Auswechselkontingent haben sie ja fünf Minuten zuvor ausgeschöpft.

Körperlich unverletzt übersteht den Abend der bedauernswerte Rüdiger Wenzel, der entweder sich selbst oder den anderen im Weg steht. Am Elfmeterpunkt rennt er Grabowski mit solcher Wucht um, dass der Eintracht-Kapitän vom Feld humpelt und am Spielfeldrand behandelt werden muss. Aber auch der schwache Unparteiische meint es nicht gut mit ihm. Zwei der vielen Fouls an Wenzel sind Elfmeterreif, doch Föcklers Pfeife bleibt stumm. Und als dann Wenzel den Ball doch endlich im Tor unterbringt, erkennt es der Schiedsrichter wegen Abseits nicht an.

Wolfgang Kraus gelingt es dagegen sich in seinem 25-minütigen Einsatz in die Torschützenliste einzutragen. In der 83. Minute setzt er den Ball per Kopf zum vierten Mal in die Maschen des Gästetores. Denen würde man den Ehrentreffer als Lohn für ihr Engagement wünschen, doch wie zuvor bei Wenzel erkennt Föckler auch Fieges Treffer kurz vor Schluss nicht an.

4:0 – das hört sich nach einem klaren Sieg an, doch es war ein hartes Stück Arbeit. „Wir waren bei aller Überlegenheit in den letzten Spielen doch zu sehr Handwerker“, moniert Kapitän Grabowski und Bernd Nickel ergänzt: „Wir schmeißen eben zuviel Kraft ins Spiel.“ Der gegnerische Torwart hat allerdings in beiden Spielen auch seinen Teil dazu beigetragen, dass die Eintracht so ein schweres Leben hatte. „Der Wieke könnte für 400.000 Mark Ablöse und 150.000 Mark Handgeld Profi werden“, meint Stepanovic dennoch eine Spur zu euphorisch, denn der Keeper, der im Hauptberuf Kraftfahrer ist, zählt bereits 33 Jahre. Doch auch Grabowski hat für den Gegner nur anerkennende Worte: „Die könnten sofort den Aufstieg ins Profilager schaffen.“ Das deckt sich fast mit den Zielen des Vereins: „In zwei Jahren wollen wir in der 2. Liga spielen“, bekräftigt Geschäftsführer Temming.

Epilog

Für TuS Schloß Neuhaus erfüllt sich der Traum vom Profi-Fußball 1982. Der TuS steigt in die zweite Bundesliga auf – und nach nur einer Spielzeit als Tabellenletzter wieder ab. Im Kader stehen dabei der ehemalige Eintrachtprofi Peter Krobbach und Peter Hobday. Während es Krobbachs letzte Profistation ist, ist es für Hobday die erste. 1988 wechselt Hobday zur Frankfurter Eintracht, wo seine Lizenzspielerlaufbahn 1989 wegen der Folgen eines Autounfalls beendet scheint. Doch man erlebt nicht nur im Pokal Überraschungen …

Für die TuS bleibt die Saison in der 2. Liga ein einmaliger Auftritt. 1985 erfolgt die Fusion mit dem 1. FC Paderborn zum SC Paderborn 07. Die erhoffte Rückkehr in den bezahlten Fußball gelingt 20 Jahre später. (rs)

 

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