TuS Schloß Neuhaus - Eintracht Frankfurt

DFB-Pokal 1977/1978 - 2. Hauptrunde

2:2 n.V. (2:2, 2:0)

Termin: 20.08.1977
Zuschauer: 10.000
Schiedsrichter: Glasneck (Bremen)
Tore: 1:0 Schulte (6.), 2:0 Fiege (35.), 2:1 Rüdiger Wenzel (62.), 2:2 Willi Neuberger (67.)

 

>> Spielbericht <<

TuS Schloß Neuhaus Eintracht Frankfurt

  • Wieke
  • Amelunxen
  • Strathaus
  • H. Senk
  • Pöhler
  • Heinemann
  • Niggenaber
  • Kliar
  • Fiege
  • Wahner
  • Schulte

 


 

Wechsel
  • Bode für Wahner (75.)
Wechsel
Trainer
  • Jan Liberda
Trainer

 

>> als PDF <<

 

Zittern in Schloß Neuhaus

21 Punktspiele blieb die Eintracht in der letzten Saison ungeschlagen, lediglich das erste unter dem neuen Trainer Gyula Lorant ging in Bremen mit 1:2 verloren. Lorant führte die Eintracht von einem Abstiegsplatz auf den 4. Rang und am Ende fehlten nur zwei Punkte auf den Deutschen Meister aus Gladbach. Nun soll also in der Spielzeit 1977/78 endlich der ersehnte Meistertitel nach Frankfurt geholt werden. Der nicht eben an einem Minderwertigkeitskomplex leidende Trainer Lorant lässt daran keinen Zweifel und auch keine Gelegenheit aus, dieses Ziel öffentlich in aller Deutlichkeit zu formulieren. Meister könne nur die Eintracht werden, meint er: „Zwei Spiele werden wir in dieser Saison nicht hintereinander verlieren.“

Diese Ansage ist allerdings bereits nach dem 3. Spieltag widerlegt, nachdem am 2. Spieltag durch ein Tor in der 86. Minute die Serie der ungeschlagenen Punktspiele mit einem 2:3 in Schalke zu Ende geht und am folgenden Spieltag der Hamburger SV beim 0:2 beide Zähler aus dem Waldstadion entführt. Dabei war die Eintracht, die schon in Gelsenkirchen nach einem 0:2-Rückstand eine imposante, aber letztlich erfolglose Aufholjagd startete, gegen den von Rudi Gutendorf abwartend eingestellten HSV das bessere Team. Das macht es aber nicht besser, findet der in der letzten Meisterschaftsrunde nach Hölzenbein mit 20 Treffern erfolgreichste Torjäger Rüdiger Wenzel – im Gegenteil: „Das ist das Schlimme: Wir haben gut gespielt und trotzdem verloren.“ „Ich glaube nicht, dass wir nach der neuen Niederlage nun einen Knacks bekommen haben“, meint Jürgen Grabowski aber und Lorants Parole heißt: „Durchbeißen“.

Das sollte beim nächsten Gegner nicht nötig sein, denn nachdem die Hessen im DFB-Pokal die 2. Runde durch ein 6:1 gegen die Amateure des FC Konstanz sicher erreicht haben, zweifelt keiner daran, dass die Eintracht die nächste Hürde in diesem Wettbewerb ähnlich locker überspringen wird. Wieder ist es ein Amateurverein, der auf die Eintracht wartet: der Landesligist TuS Schloss Neuhaus. Die Stimmung scheint trotz der beiden Neiderlagen locker zu sein. Selbst Dragoslav Stepanovic, der seinen Stammspielerstatus verloren hat, entgegnet auf Lorants Äußerung, er setzte Stepanovic hauptsächlich bei Regen ein: „Ich werde jetzt vor jedem Spiel den Rasen spritzen.“

15.000 Einwohner zählt Schloß Neuhaus, das zum 1.1.1975 in die Stadt Paderborn eingemeindet wurde. Im Inselbadstadion, wo die TuS das Spiel gegen die Eintracht austrägt, warten 10.000 Zuschauer gespannt auf den Anpfiff. Ob sie – soweit sie es mit der TuS halten - gekommen sind, um aus nächster Nähe einen Blick auf die Bundesligaprofis zu werfen oder vielleicht sogar die Hoffnung haben, einer Pokalsensation beiwohnen zu dürfen, weiß man nicht, aber die Letztgenannten dürfen sich bereits in der 6. Minute die Hände reiben. Linksaußen Wolfgang Schulte entscheidet sich, es vom Flügel aus einfach mal mit einem Schuss aus spitzem Winkel zu versuchen und überrascht Koitka, der offensichtlich mit einer Flanke gerechnet hat. „Da stand der Koitka so einladend in der falschen Ecke“, freut sich der Torschütze, der als Leiter des Einkaufs und Prokurist bei der Achsenfabrik Josef Peitz jun. KG seinen Lebensunterhalt verdient.

Bei dieser Firma sind übrigens auch der Trainer sowie 12 andere der 20 Aktiven der ersten Mannschaft angestellt. Der 42-jährige Firmeninhaber, der früher bei den Amateuren des 1. FC Kaiserslautern selbst dem Ball hinterher jagte, ist nicht nur ein großer Fußballfreund, sondern auch Gönner und Mäzen der TuS. „Wer sich in eine Mannschaft einfügt, der ist auch im Betreib diszipliniert“, begründet er seine Vorliebe für die kickenden Angestellten, die in seiner Firma als Hilfsarbeiter, Schweißer, Schlosser, Prokuristen oder Kundendienstleiter beschäftig sind: „Wer sportlich fit ist, ist auch bei der Arbeit fit.“ Und so wundert es nicht, dass sein Geschäftsführer Bernhard Temming auch gleichzeitig Vorsitzender der Fußballabteilung der TuS ist. „Jeder zerreißt sich“, bekräftigt Temming, „den immerhin stehen die ja in der Öffentlichkeit.“ Und Trainer Liberda, ehemals polnischer Nationalspieler und seit Saisonbeginn bei der TuS, wohnt bei Firmenchef Peitz. Das familiäre Betriebklima pfeift der Eintracht auf dem Rasen jedoch gehörig um die Ohren. In der 9. Minute fällt beinahe das 2:0, doch diesmal kann Keeper Koitka den Schuss abwehren und im Nachfassen unter Kontrolle kriegen.


Wieke hält den Elfmeter
Hölzenbeins

Als der ansonsten blass bleibende Wolfgang Kraus nach einer Viertelstunde im Strafraum der Gastgeber zu Fall gebracht wird und Schiedsrichter Glasneck ohne zu zögern auf Strafstoß entscheidet, sieht es nach einem Comeback des Favoriten aus. Hölzenbein tritt zur Ausführung an, doch Torhüter Wieke, Kraftfahrer bei der bereits erwähnten Firma Peitz, ahnt die Ecke, die sich der Weltmeister ausgesucht hat, und hält den Ball sicher.

Der Bundesligist antwortet auf die vergebene Chance mit weiteren Angriffen, die jedoch ohne Tempo und unkonzentriert vorgetragen werden und sich auf Weitschüsse und hohe Flanken beschränken, die allesamt die Beute des sicheren Wieke werden. Und zehn Minuten vor der Pause nimmt die drohende Blamage für die Profis noch konkretere Formen an, denn die Paderborner gehen mit 2:0 in Führung. Rechtsaußen Helmut Fiege setzt bei einem Befreiungsschlag der Gastgeber nach, der aus dem Tor stürzende Koitka ist schneller beim Ball, trifft statt diesem aber nur die ihn umgebende Luft und so hat Fiege keine Mühe die Kugel im verlassen Kasten unterzubringen.

Die Nervosität des zweifachen Pokalsiegers ist nun deutlich spürbar. Grabowski, der bereits die Gelbe Karte erhalten hat, versucht seine Mitspieler aufzurütteln, doch er sieht sich in Ballbesitz auch weiterhin oft genug einer Übermacht von Gegner gegenüber. So ist denn der TuS dem dritten Treffer auch näher als die Eintracht dem Anschlusstreffer: Wahner kommt kurz vor dem Halbzeitpfiff frei zum Schuss, jagt den Ball aber über die Latte.


Schwarzer Tag für Koitka

Bei der Eintracht, die in Bestbesetzung angetreten ist, überzeugt neben Neuberger nur Kapitän Grabowski, der mit einer Schulterprellung in die Partie gegangen ist und noch am ehesten eine Ausrede für eine schwache Leistung hätte, wie sie von neun Spielern seiner Elf präsentiert wird. „Jeder hat mal einen schwarzen Tag“, versucht Koitka zu beschwichtigen, doch Lorant haben Einstellung, Leistung und besonders die taktischen Disziplinlosigkeiten auf die Palme gebracht: „Da spielten wir mit zehn Stürmern und Torwart Koitka als Libero!“ Seine deutlichen Pausenansprache folgt sogleich eine Tat: Die rechte Seite mit den enttäuschenden Skala und Kraus bleiben in der Kabine, Reichel und Weidle übernehmen ihre Plätze.

Tatsächlich agiert Lorants Team jetzt weniger hektisch. Impulse geben der Partie aber nicht die beiden Neuen auf der rechten Seite, sondern Willi Neuberger auf dem anderen Flügel. Immer wieder stürmt der Außenverteidiger in die Hälfte der Gastgeber, die nur noch selten die Mittellinie überqueren. Ein Torerfolg will sich trotz des Dauerdrucks der Eintracht aber noch nicht einstellen.

Eine knappe halbe Stunde vor Spielende ist es dann endlich soweit. Grabowski schlägt eine Flanke in den Strafraum der Gastgeber, Mittelstürmer Wenzel ist mit dem Kopf zur Stelle und es steht nur noch 2:1. Der nächste Angriff könnte dann schon den Ausgleich bringen, doch Hölzenbein hebt den Ball knapp über Wiekes Kasten. Der ist aber in der 67. Minute zum zweiten Mal geschlagen, als mit Neuberger der im zweiten Durchgang beste Frankfurter den Ball von der Strafraumgrenze nach einer Kopfballablage Nickels ins Netz jagt.

Nun scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis die konditionell nachlassenden Amateure weitere Treffer hinnehmen müssen. Doch diese Rechnung geht nicht auf, weil Torwart Wieke über sich hinaus wächst und die Eintracht mit ihrem schematischen Spiel zu wenige Chancen kreiert. Fünf Minute vor dem Ende bietet sich dann aber gleich mehrfach die Gelegenheit, die Partie in der regulären Spielzeit zu entscheiden, doch aus kürzester Entfernung scheitern hintereinander Neuberger, Hölzenbein und wieder Neuberger an Wieke, der alle drei Schüsse abwehrt.

In der Verlängerung operieren die Frankfurter mit verstärkter Abwehr und auch die Amateure ziehen sich nunmehr ganz in die Defensive zurück. Der zuvor schon einfallslose Erstligist findet nun erst recht kein Mittel mehr. Wenzel hat die beste Chance zum Siegtreffer und Wieke sogar bereits umspielt, lässt sich im letzten Moment aber doch noch den Ball vom Fuß nehmen. Das Spiel endet 2:2 – am Mittwoch werden sich beide Mannschaften zum Wiederholungsspiel im Frankfurter Waldstadion wiedersehen.


Au Backe ...

Trainer Lorant nimmt wie immer kein Blatt vor den Mund und bezeichnet es als „ein unwahrscheinliches großes Glück, dass wir noch im Wettbewerb sind.“ An seiner Mannschaft lässt er kein gutes Haar: „Heute haben die Amateure den Profis gezeigt, was Kampfkraft und Tempo heißt. Sie haben dominiert und nicht die hoch bezahlten Profis, die lasch und pomadig gespielt haben. Ich bin glücklich, dass wir das 2:2 gehalten haben und so um eine Blamage herum gekommen sind. Wir hatten mehr Glück, als wir nach unseren Leistungen eigentlich verdient hatten.“ „Ich bin enttäuscht“, sagt Lorant für die, die es noch nicht begriffen haben, und kündigt Konsequenzen an: „Das war eine Katastrophe.“

„Mehr war nicht drin. Wir können froh sein, dass wir nicht verloren haben. Gemessen am Spielverlauf sind wir mit dem Resultat sogar zufrieden“, meint auch Eintracht-Manager Wolf, während sich TuS-Trainer Jan Liberda, der zusammen mit Torhüter Wieke eine Einladung ins Aktuelle Sportstudio erhalten hat, fast ein bisschen ärgert: „Bei unseren Chancen hätten wir das Spiel vor der Pause entschieden haben müssen - selbst wenn man meiner Elf natürlich ein gewisses Maß an Ehrfurcht vor den großen Namen zugestehen muss.“ „Nach dem 0:2 zur Pause dachten wir schon an Eppingen“, bestätigt Josef Wolf in Erinnerung an das Pokal-Debakel des HSV vor drei Jahren: „Der Kelch ist noch einmal an uns vorübergegangen, denn wir hätten ebenso verlieren können. Wir haben einfach keine Erklärung. Denn wir haben uns wie auf ein Bundesligaspiel vorbereitet und wie ein Bundesligaspiel sollte nach der Idee von Gyula Lorant auch dieses Pokalspiel angegangen werden. Aber im Unterbewusstsein hat die Mannschaft anfangs den Gegner wohl doch etwas auf die leichte Schulter genommen.“

„Irgendwie hat die Mannschaft nach der Niederlage gegen den HSV doch einen Knacks abbekommen“, vermutet der Manager, doch Kapitän Jürgen Grabowski widerspricht: „Wir haben den Gegner ganz einfach unterschätzt und sind nicht mit der erforderlichen innerlichen Bereitschaft in das Spiel gegangen. Das wir keinen Knacks bekommen haben, wollen wir am Mittwoch und dann vor allem am kommenden Samstag in Dortmund beweisen.“

Auf Wolf wartet indes zusätzliche Arbeit: Er beginnt am Sonntag mit der Organisation des Wiederholungsspiels am Mittwoch im Waldstadion. Der Druckauftrag für die Eintrittskarten ist beispielsweise noch zu erteilen, denn wie Wolf einräumt: „Mit einem Wiederholungsspiel hatten wir nun wirklich nicht gerechnet.“ (rs)

 

 

>> Spieldaten <<

 

© text, artwork & code by fg