VfL Bochum - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1976/1977 - 11. Spieltag

3:1 (1:0)

Termin: Sa 30.10.1976, 15:30 Uhr
Zuschauer: 13.000
Schiedsrichter: Peter Gabor (Berlin)
Tore: 1:0 Jupp Tenhagen (9.), 2:0 Michael Eggert (73.), 2:1 Bernd Nickel (78.), 3:1 Hans-Jürgen Köper (79.)

 

 

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VfL Bochum Eintracht Frankfurt

  • Werner Scholz
  • Michael Eggert
  • Hermann Gerland
  • Hartmut Fromm
  • Klaus Franke
  • Matthias Herget
  • Hans-Jürgen Köper
  • Jupp Tenhagen
  • Holger Trimhold
  • Josef Kaczor
  • Heinz-Werner Eggeling

 


 

Wechsel
  • Hans-Joachim Pochstein für Heinz-Werner Eggeling (58.)
Wechsel
Trainer
  • Heinz Höher
Trainer



Die Angst im Nacken

„Die spielerische Linie ist bei uns völlig weg. Hertha war in der ersten Halbzeit eine ganze Klasse besser als wir“, lautet das Urteil Bernd Nickels nach dem 3:3 gegen Hertha BSC und der „kicker“ kommentiert die Lage bei der Eintracht so: „Angst muss der deutsche Pokalsieger der Jahre 1974 und 1975 langsam auch vor den Reaktionen bekommen, mit denen im eigenen Lager Schläge zur Kenntnis genommen werden. Das beginnt mit der Animosität, mit der das Präsidium im Stadionblatt kritischen Artikeln in der Tagespresse begegnet; dies setzt sich fort in Amokläufen, mit denen beispielsweise in Duisburg Verteidiger Müller und nun zwei Wochen später in Frankfurt Amateur-Nationaltorwart Koitka ihrem Ärger über ungünstige Entwicklungen in der Schlussphase des Spiels Luft verschaffen und für die Trainer Roos, wie im Fall Koitka, auch noch öffentlich um Verständnis bittet. Und dies gipfelt schließlich (vorerst) in Aggressionen der tobenden Fans, die sich vor der Tribüne zusammenrotteten, drohende Haltung gegen das Schiedsrichtergespann und die Berliner Mannschaft einnahmen Nur massiver Polizeieinsatz konnte diesmal auch in Frankfurt Schlimmeres verhüten. Schlimm genug, dass Linienrichter Heinz Nickel von einer Bierdose getroffen wurde.“

Daran liegt es aber nicht, dass es den vor zwei Jahren von Dietrich Weise aus Paderborn zur Eintracht geholten Amateurnationalspieler Winfried Stradt aus Frankfurt nach Berlin zieht. Stradt kommt auch bei Trainer Roos nicht über die Rolle des Ergänzungsspielers und insgesamt bisher in seiner Zeit am Riederwald nicht über sieben Bundesligaeinsätze hinaus. Im Probetraining beim Bundesligaaufsteiger Tennis Borussia Berlin, der aktuell mit 9:11 Punkten einen Rang vor der Eintracht platziert ist, kann er jedoch überzeugen. „Der Junge steht gut im Futter“, ist Torwart Birkenmeier von der Wucht des Stürmers beeindruckt und fragt: „Warum lassen die Frankfurter den bloß laufen?“ Die Antwort liefert Trainer Roos umgehend: „In unserer nervlich angeknacksten Truppe sind Experimente undenkbar. Außerdem weiß ich nicht, ob Winfried stark genug ist für die Bundesliga.“ Berlins Manager Opitz sieht das anders und will auch die Gründe für Stradts Wechselgelüste kennen: „Ich habe einen guten Draht zu Roos. Der sagte mir, Stradt komme mit dem Klein-Klein-Spiel der Weltmeister Grabowski und Hölzenbein nicht klar. Stradt sei ein dynamischer Typ.“ Über die Ablösesumme für den 20-Jährigen vereinbaren beide Vereine Stillschweigen.

Immer lauter werden dagegen die Klagen am Main, denn die Eintracht steht nach 10 Spieltagen mit nur 7 Pluspunkten auf Platz 12, während sich der nächste Gegner, der VfL Bochum, mit 11:9 Punkten auf Rang 8 verbessert hat. Der VfL ist zudem im heimischen Stadion so etwas wie ein Angstgegner für die Frankfurter, die seit dem Aufstieg der Bochumer in die 1. Liga im Jahr 1971 in fünf Partien vier Niederlagen kassierten und nur am 31.8.1973 durch das erste Bundesligator Karl-Heinz Körbels zu einem 1:1 und dem einzigen Punktgewinn gekommen sind.

Im Westen nichts Neues lautet der Kommentar in der Anfangsphase, denn die Begegnung heute Nachmittag beginnt ebenfalls alles anderes als gut für die Gäste aus Hessen: Die müssen das Spiel in den ersten drei Minuten mit lediglich neun Feldspielern bestreiten. Der Berliner Schiedsrichter Gabor hat Dragoslav Stepanovic unverrichteter Dinge zurück in die Kabine geschickt, weil aus den Lederstollen des jugoslawischen Nationalspielers kleine Nägel hervorstanden. Und auch als der von Roos erst kürzlich verpflichtete Stepanovic mit anderem Schuhwerk zu seinem zweiten Bundesligaspiel auf den Rasen zurückkehren darf, bleibt es vorerst bei neun Feldspielern aufseiten der Frankfurter: Grabowski, der an der Seitenauslinie von Franke gefoult wurde, liegt dort immer noch am Boden und wird behandelt.

Als nach neun Minuten der erste Treffer fällt, sind die Gäste aber wieder komplett. Der bei Flanken überaus unsichere Koitka faustet eine Hereingabe von Eggert auf den Rücken von Tenhagen, Körbel versucht auf der Torlinie zu retten, zieht durch, trifft aber den Rücken von Peter Reichel, von dem der Ball ins Tor prallt. Eine Szene, die das ZDF in Schwarz-Weiß ausgestrahlt, auch am nächsten Freitag ab 18.25 Uhr in seiner Sendereihe „Väter der Klamotte“ unterbringen könnte. „Torschütze Franz-Josef Tenhagen unter freundlicher Mithilfe der Frankfurter Abwehr“ lautet die Umschreibung des Stadionsprechers.

Wer von der Eintracht nun eine Reaktion in Form von eigenen Angriffen erwartet, wird bitter enttäuscht: Die Elf von Trainer Roos ist kaum in der Lage, die Mittellinie zu überqueren und in Ballbesitz zu bleiben. Der erste Schuss auf das Tor des Bochumer Keepers Scholz kann erst nach 17 Minuten notiert werden und im weiteren Verlauf ist vor des Gegners Tor gar nichts mehr von der Eintracht zu sehen. Wäre es nach 20 Minuten Spielzeit Ende Oktober gegen 16 Uhr nicht noch hell genug, würde man aber beide Mannschaften nicht mehr ausmachen können, denn das Flutlicht im umgebauten Bochumer Ruhr-Stadion fällt vorübergehend aus. Eine Spielunterbrechung ist wegen des ausreichenden Tageslichts jedoch nicht notwendig.

Fünf Minuten später reagiert Trainer Roos auf die erbärmlich schwache Vorstellung seiner Elf mit einer Auswechslung. Doch er nimmt nicht etwa den gegen Mittelstürmer Kaczor hoffnungslos überforderten Körbel vom Feld, der nicht ein einziges Sprintduell gegen den Bochumer Angreifer für sich entscheiden kann, sondern Mittelfeldspieler Wolfgang Kraus und bringt Roland Weidle. Seiner Abwehr hilft Roos damit nicht aus ihren Schwulitäten, denn auch Peter Reichel hat mit Eggeling eine Aufgabe zu bewältigen, der er heute – aus welchen Gründen auch immer – nicht gewachsen ist.

Der Druck auf das Tor der Eintracht wird immer größer und der Mann, der zu seiner Bewachung abgestellt ist, hat mehr mit sich und seinen Nerven zu tun als damit, seiner Hintermannschaft ein Rückhalt zu sein. Koitka greift an den Flanken vorbei, die in seinen Strafraum segeln, und wenn er sie einmal trifft gerät ihm seine Faustabwehr zu kurz. Bochum beherrscht Spiel und Gegner, bestimmt das Tempo und ist so überlegen, dass man kaum glauben mag, dass hier eine „graue Maus“ der Bundesliga gegen ein Team antritt, dass sich noch vor einem halben Jahr anschickte, einen europäischen Thron zu besteigen.

Die Frankfurter haben Glück, dass es bei der knappen Führung der Gastgeber bleibt, doch die Bochumer können sich über die Göttin Fortuna auch nicht beschweren: Just vor der Pause fällt das Flutlicht zum zweiten Mal aus, doch Schiedsrichter Gabor pfeift ab und bittet umgehend zum Gang in die Kabinen. Als Gabor zum Anstoß für die zweite Halbzeit ruft, gehen die gleißenden Lichter im Ruhr-Stadion wieder an.

Und auch der VfL wirft den Angriffsmotor wieder an, wobei Koitka in der 47. Minute erneute keine gute Figur abgibt. Köper zieht eine weite Flanke vor das Tor, der Ball segelt über Koitka hinweg gegen die Latte und Peter Reichel muss für seinen indisponierten Keeper im letzten Moment zur Ecke klären.

Nach vorne gibt es für die unsichere Abwehr keine Entlastung. Nickel spielt seine Pässe in Serie zum Gegner, Grabowski und Hölzenbein fehlt die Unterstützung der Mitspieler und ihre individuelle Klasse reicht heute nicht aus, um dem Gegner einen empfindlichen Stich zu versetzen. Und im Sturm enttäuscht der zuletzt wiedererstarkt geglaubte Rüdiger Wenzel auf ganzer Linie. Als Höhepunkt verstolpert er, von Hölzenbein frei gespielt, in der 58. Minute die einzige echte Tormöglichkeit, die sich die Eintracht bis hierhin erarbeiten konnte.

In derselben Minute hat Mittelstürmer Kaczor auf der Gegenseite das 2:0 auf den Füßen. Doch nachdem er vier Gegner genarrt hat, spielen ihm seine Nerven im Strafraum einen Streich – er schiebt den Ball am leeren Tor vorbei. Fast zeitgleich betritt Pochstein für Eggeling das Feld und die Eintracht erinnert sich vielleicht daran, dass dieser beim letzten Gastspiel kurz nach seiner Einwechslung das 4:3 für den VfL einleitete. Diesmal dauert es drei Minuten und … das Flutlicht fällt zum dritten Mal aus. Schiedsrichter Gabor unterbricht die Partie und die Frankfurter können für eine kurze Zeit hoffen, dass aus der Unterbrechung ein Abbruch wird, um so der drohenden Niederlage zu entgehen. Doch nach einigen Minuten ist der Kurzschluss behoben und Gabor pfeift wieder an. Als nach 60 Sekunden einer der Flutlichtmasten erneut ausfällt, lässt der Unparteiische weiterspielen.

Roos wechselt in der 66. Minute zum zweiten Mal aus und behält seine Linie bei, denn auch dieser Wechsel ist von außen nicht nachvollziehbar: Er holt nicht den angeschlagenen Müller, sondern Stepanovic für Trinklein vom Feld. Einen Gefallen hat er damit dem nicht mehr rund laufenden Müller, der nun anstelle von Körbel Kaczor bewachen soll, auf keinem Fall getan. Die Eintracht kommt dennoch etwas auf und zu zwei Distanzschüssen von Nickel, der bislang vor des Gegners Tor nur mit zwei Freistößen aufgefallen ist, die er in die Mauer geknallt hat.

In der 73. Minute fällt dann das zweite Tor für die Bochumer: Eggert nimmt einen Pass von Trimhold auf und trifft an Reichel und Koitka vorbei ins kurze Eck. Fünf Minuten später wird die Entscheidung im Ruhr-Stadion überraschend doch noch einmal infrage gestellt, als VfL-Schlussmann Scholz vom Strafraumrand den Ball abwirft, aber dabei direkt Bernd Nickel bedient. „Dr. Hammer“ nimmt die unerwartete Einladung sofort an und schießt aus 40 Metern in den verlassenen Kasten der Bochumer ein.

Länge währt die neu entstandene Spannung jedoch nicht, denn schon in der nächsten Minute stellen die Gastgeber den alten Abstand wieder her. Gleich nach dem Anstoß geht Gerland am rechten Flügel auf und davon und beendet seinen Sturmlauf mit einer unbedrängt geschlagenen Flanke, die der im Zentrum stehende Köper dank einer Frankfurter Hintermannschaft, die in Gänze ausfällt wie drei Mal zuvor die Flutlichtanlage, ebenso unbehelligt zum 3:1 ins kurze Eck einköpft. Das sechste Auswärtsspiel der Eintracht in dieser Meisterschaftsrunde endet mit der sechsten Niederlage.

Die Eintracht fällt punktgleich mit dem Tabellen-16. Fortuna Düsseldorf wieder auf Rang 14 zurück. Auf die Frage, ob einige Spieler den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen haben, antwortet Kapitän Grabowski: “Doch! Alle wissen, wie tief wir im Schlamassel stecken. Aber das ist ja gerade das Problem: Uns sitzt die Angst im Nacken, und deswegen gehen die einfachsten Dinge schief.“ Das gilt auch und gerade für Torwart Koitka, der bei Flanken einen höchst unsicheren Eindruck hinterlassen hat. „Ich kam an die Dinger einfach nicht ran, weil mich der Kaczor jedes Mal wie ein Verrückter angesprungen hat“, versucht sich der Keeper zu verteidigen. Grabowski hat Verständnis für die flatternden Nerven des Schlussmanns: „Wenn ich bei uns Torwart wäre, würde ich laut schreiend aus dem Tor rennen.“

28 Gegentore in nur 11 Spielen sprechen eine deutliche Sprache – nur Bayern München (29), der Tabellenletzte Rot-Weiß Essen (34) und Aufsteiger Tennis Borussia Berlin (36) haben mehr Treffer hinnehmen müssen. Der völlig außer Form geratene Körbel steigt mit kalkweißem Gesicht in den Mannschaftsbus und rätselt: „An was liegt es bloß?“ Doch um Antworten ist auch der Trainer verlegen. Was ihn dazu veranlasst habe, schon nach 20 Minuten statt des völlig überforderten Körbel Kraus vom Platz zu nehmen, wird er gefragt und gibt „Gründe“ an, „über die ich nicht sprechen will“. Auch Kraus selbst kann nicht zur Aufklärung beitragen und muss es bei einer Mutmaßung belassen: „Ich sollte den Eggert decken. Der stand aber bei Jürgen Grabowski und kam immer nur sporadisch aus der eigenen Hälfte nach vorn. Da konnte ich ihn nicht mehr packen. Vielleicht war das der Grund für den Austausch.“ Wer hat da noch Lust den Trainer zu fragen, warum er Stepanovic anstelle des humpelnden Müllers ausgewechselt hat?

Bei der Eintracht herrscht Alarmstimmung. Das Präsidium tagt und fragt Trainer Roos – wohl in der Hoffnung ergiebigere Antworten zu erhalten als die Presse. „Der Bayern-Effekt fehlt bei uns völlig“, klagt Schatzmeister Jakobi, der damit den seit Monaten andauernden Niedergang der Eintracht in Relation zum dreifachen Europapokalsieger der Landesmeister setzt. Während die Bayern ihre Krisen Knall auf Fall zu beenden scheinen, ist man bei der Eintracht immer noch auf der Suche nach den Ursachen und findet doch nur neue Ausreden. „Damit muss jetzt endgültig Schluss sein“, fordert Grabowski, „sonst gehen wir baden. Wer das nicht begreift, tickt falsch.“

Bernd Nickel warnt davor, die Schuld jetzt bei einzelnen oder beim Trainer zu suchen: „Das wäre das Primitivste. Der Trainer ist nicht der Schuldige. Jeder von uns hat so miserabel gespielt, dass es dafür keine Worte mehr gibt.“ Doch welche Taten bleiben jetzt noch, nach dem man vor dem Spiel ins Trainingslager gegangen ist und der Trainer dort Einzelgespräche mit den Spielern geführt hat, um Unstimmigkeiten auszuräumen? „Und dann dies“, bilanziert Grabowski: „Zum ersten Mal haben wir wirklich wie ein Absteiger gespielt.“ (rs)

 

 

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