Eintracht Frankfurt - Bayern
München |
Bundesliga 1973/1974 - 26. Spieltag
1:1 (1:0)
Termin: Sa 16.03.1974, 15:30 Uhr
Zuschauer: 62.000
Schiedsrichter: Hans-Joachim Weyland (Oberhausen)
Tore: 1:0 Jürgen Grabowski (18., Foulelfmeter), 1:1 Gerd Müller (79.)
Eintracht Frankfurt | Bayern München |
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Neues vom Hexer Die Frankfurter Eintracht hat im Heimspiel gegen den Tabellenführer aus München die Chance, den Abstand auf zwei Punkte zu verkürzen. Bei einem Sieg und einer gleichzeitigen Niederlage der Gladbacher im Rhein-Derby beim 1. FC Köln könnten die Hessen sogar wieder auf Rang zwei vorrücken. Entsprechend groß ist das Zuschauerinteresse, die Eintracht hätte wohl auch 100.000 Karten verkaufen können: Für das Spiel gegen die Bayern gibt es seit dem 11. März keine Karte mehr, die 30.422 Sitzplätze des 61.300 Zuschauer fassenden Stadions sind gar schon seit dem 20. Februar ausverkauft. Den eingesetzten Eintrachtspieler winkt deswegen am Samstag eine fette Prämie: Von den 700.000 Mark Einnahme bekommen die eingesetzten Spieler jeweils 0,6 Prozent, also 4.200 Mark, bei einem Unentschieden wird immerhin noch die Hälfte ausgezahlt. Die Belohnung der Bayern für einen Sieg besteht dagegen aus einem zusätzlichen freien Tag. "Wegen der schweren Spiele ist uns nicht bange", sagt Kapitän Franz Beckenbauer, "aber ein Tag mehr zum Entspannen ist unbedingt, nötig." In der Tat, denn nach der Begegnung in Frankfurt stehen für die Nationalspieler der Münchner weitere englische Wochen an: in der nächsten Woche am Mittwoch das Europacup-Rückspiel in Sofia und am Samstag zu Hause gegen den 1. FC Köln sowie in der folgenden Woche am Mittwoch das Länderspiel gegen Schottland und am Samstag das Bundesligaspiel in Duisburg. In der Woche vor dem Spiel gegen die Bayern hat Eintracht-Trainer Weise im Trainingsprogramm aber nichts Besonderes vorgesehen: "Wir wollen keine zusätzliche Unruhe schaffen. Das Spiel ist angeschürt genug. Dazu kommt, dass Kalb, Körbel, Müller und vielleicht noch Torwart Wienhold am Mittwoch mit der Amateur-Nationalelf in Bielefeld spielen und erst wieder am Freitag mit der Mannschaft zusammen trainieren können." "Wir werden volle Pulle spielen. Von Beginn an mit aller Macht angreifen", kündigt Weise an und hofft auf die Unterstützung durch das Publikum: "Uns muss es aber auch darum gehen, dass wir schnell die vielen Zuschauer auf unsere Seite bringen. Und das kann man nur, wenn man stark offensiv spielt." Die Meisterschaft hat der Trainer noch nicht abgehakt: "Wir wollen keinesfalls zu früh aufstecken. Die Möglichkeit ist da, denn die Bayern haben noch viele schwere Punktspiele und werden international in Länderspielen und bei den Pokalspielen stark strapaziert. Die erste Voraussetzung ist aber: Wir müssen am Samstag siegen." Noch am Donnerstag zucken Dr. Kunter, Wienhold, Kraus, Kalb, Nickel und Weidle die Schultern. Keiner weiß, wer zum Schlagerspiel der Eintracht gegen Bayern München ins Waldstadion einlaufen wird. Am Freitag beendet Weise das Rätselraten. Dr. Kunter wird erneut im Tor stehen. "Er hat seine Sache in Mönchengladbach gut gemacht. Ich sehe daher keinen Anlass, ihn wieder herauszunehmen", begründet der Trainer seine Entscheidung. Wienhold, der wegen der für ihn nervenaufreibenden, weil risikobehafteten Geburt seines ersten Kindes den Platz im Tor freiwillig geräumt hatte, scheint seinen in der Vorrunde erst errungenen Stammplatz schon wieder verloren zu haben. Das ist zurzeit aber kein Thema bei den Frankfurtern, die sich nur auf die Begegnung mit den Bayern konzentrieren. "Ich bin mit Berlin klar. Aber daran denke ich jetzt nicht - denn die Bayern kommen", sagt auch Uwe Kliemann, der die Eintracht verlassen wird. Bezwingen soll den Meisterschaftsfavoriten folgende Elf: im Tor Dr. Kunter, in der Abwehr mit Trinklein, Kliemann sowie den beiden Außenverteidigern Müller und Reichel, im Mittelfeld mit Körbel, Weidle und Nickel sowie im Sturm Rohrbach, Grabowski und Hölzenbein. Gegenüber dem Auswärtsspiel beim Tabellenzweiten in Gladbach muss also der junge Kraus – trotz starker Leistung – seinen Platz in der Startformation für den schwäbischen Dauerrenner Weidle räumen. Außerdem wechselt Weise erneut das System und stellt vom 4-4-2-System wieder auf das bewährte 4-3-3 um, was für Kapitän Grabowski den Wechsel in den Angriff bedeutet. Weise will dieses Spiel gewinnen und lässt stürmen. "Ein Sieg ist die letzte Chance auf die Meisterschaft", stellt Trainer Weise noch einmal klar. Eine bessere Stimmung könnten übrigens auch 100.000 Zuschauer nicht entfachen: Schon vor Spielbeginn heizen sich die Fans mit Sprechchören an. Uli Hoeneß ist dann von den Spielern am schnellsten auf Betriebstemperatur und hat in der 14. Minute, die erste große Chance des Spiels, als er drei Frankfurter aussteigen lässt, doch dann nicht mehr die Kraft hat, den Ball ins leere Tor zu schießen und das Leder neben dem Pfosten ins Aus kullert. Doch danach ist Weises Wunsch seinem Kapitän Befehl. Grabowski packt die Zauberutensilien aus und trickst, dass manch ein Magier neidisch werden könnte. Ausweglose Situationen gibt es für diesen Ballvirtuosen nicht, selbst wenn er von mehreren Gegnern gestellt wird, entfesselt er sich wie ein Houdini in kurzen Hosen. Auch Nationalverteidiger Paul Breitner bekommt den Ausnahmespieler der Frankfurter Eintracht einfach nicht zu fassen und fühlt sich wohl an eine bekannte Edgar-Wallace-Verfilmung erinnert: Neues vom Hexer. Wie bereits beim letzten Heimspiel gegen die Bayern im Oktober 1972 narrt Grabowski den Pseudo-Revoluzzer nach Belieben. Die Antworten Breitners sind alles anderes als revolutionär, sondern eher bieder und rustikal zu nennen: Ein ums andere Mal weiß sich der überforderte Kotelettenträger nur mit Fouls zu helfen. In der 18. Minute verbricht er eines dieser Fouls nahe des Bayerntores in einem weiß umrandeten Rechteck, das außerhalb Bayerns auch als Strafraum bekannt ist. Schiedsrichter Weyland deutet sofort auf den Elfmeterpunkt. Ein ungeschriebenes und überprüfungsbedürftiges Gesetz besagt, dass der Gefoulte nicht selbst schießen soll. Jürgen Grabowski beweist erneut, dass ein Genie sich seine Grenzen selbst bestimmt: Der Kapitän läuft an und verwandelt sicher. Nationaltorhüter Sepp Maier hat keine Abwehrchance. Es steht 1:0 für die Eintracht und das hochverdient.
Nur drei Minuten später hat Rohrbach die Chance zum zweiten Frankfurter Treffer. Doch der flinke Angreifer der Gastgeber ist einfach zu umständlich, wo ein satter Torschuss angesagt wäre, um den Maiersepp erneut zu bezwingen. Die Chance ist vertan und kehrt nicht wieder. Um noch größeres Unheil zu verhindern, stellt Bayern-Trainer Lattek anstelle von Breitner "Katsche" Schwarzenbeck gegen Grabowski, doch auch ihm ergeht es nicht viel besser. Er verursacht zwar keinen Strafstoß, muss sich aber von Schiedsrichter Weyland die Gelbe Karte ansehen, als er in Nähe des Strafraums seinen Gegenspieler per Armausheber von den Beinen reißt. Glücklicherweise ist die Gala von Grabowski mit Fouls nicht zu stoppen, überall ist der Frankfurter Spielmacher und Kapitän zu finden. Teilweise ist dieser Aktionsradius jedoch auch ein Zeichen fehlender Qualität in der Frankfurter Elf: Grabowski muss sich die Bälle bereits im Mittelfeld erlaufen und hat dann den weiten Weg zum gegnerischen Tor vor sich, wo er dann allzu oft keine brauchbare Anspielstation vorfindet. Das ist keine Kritik an Bernd Hölzenbein, der auch heute wieder abergläubisch die "6" auf dem Rücken trägt. "Holz" hat die nötige spielerische Klasse, aber er ist kein klassischer Mittelstürmer, der in vorderster Front auf seine Chance wartet. Wie es seinem Naturell entspricht, kommt Hölzenbein gerne aus dem Hintergrund und ist eher ein spielender Stürmer, mit dem sich erstklassig kombinieren lässt und der ein begnadeter Dribbler und Trickser ist - ein Knipser ist er aber nicht. Genau dieser Knipser, dieser Torjäger, fehlt der Eintracht. Würde sie über einen solchen Stürmertyp verfügen, stünde es zur Halbzeit nicht 1 sondern 3:0. Nicht von ungefähr resultieren die letzten drei Frankfurter Tore aus zwei Elfmetern und dem Treffer eines Abwehrspielers (Kliemann). Bayern-Trainer Udo Lattek ärgert sich aber vor allem über den Schiedsrichter: "Der scheint mir zu sehr für die Frankfurter zu pfeifen. Der Elfmeter war unnötig und erwischte uns, als wir gerade dabei waren, unsere Linie zu finden."
Ihre Linie verliert im zweiten Durchgang dagegen die Eintracht. Bernd Nickel fehlt nach der langen Pause einfach noch die Kraft, was man auch seinen Schüssen anmerkt, denen heute Energie und Richtung fehlen. Rohrbach ist wendig und schnell, doch viel zu umständlich – so ist Bayerns Defensive nicht entscheidend zu knacken. Ein Grabowski ist auf Dauer zu wenig. Nach gut einer Stunde geht den Frankfurtern zudem die Puste aus. Körbel, der Hoeneß heute zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, und Roland Weidle, der "Bulle" Roth den Weg nach vorne erfolgreich versperrt hat, gehen langsam aber sicher auf dem Zahnfleisch. Kein Wunder bei dem Laufpensum der beiden und Körbels kraftraubenden Amateurländerspiel gegen England am Mittwoch. An vergangene Länderspielzeiten darf man sich heute übrigens wieder erinnert fühlen, wenn bei Ecken oder Freistößen vor dem Bayern-Tor lautstarke "Uwe, Uwe"-Rufe durch das Waldstadion hallen. Gemeint ist damit natürlich nicht Uwe Seeler, sondern der kopfballstarke und torgefährliche Vorstopper der Eintracht, Uwe Kliemann. Im gleichen Maß aber, wie die Kraft bei den bis dahin famos ausspielenden Hessen schwindet, wird die Furcht aufseiten der Gastgeber größer, dieses Spiel am Ende doch noch aus der Hand geben zu müssen. Jetzt zeigt sich, dass die Bayern mit ihren Kräften besser Haus gehalten haben als die wie im Rausch stürmenden Eintrachtspieler. Beckenbauer hat nun den Raum und die Zeit, die er für sein Spiel braucht, und kurbelt das Bayernspiel an, um den unverdienten Ausgleich doch noch zu erzwingen. Trotz nachlassender Kraft, trotz eines nun noch offensiveren Beckenbauer – als Gerd Müller in der 73. Minute den Ball einige Meter über das Tor der Frankfurter setzt, sieht es so aus, als könnten die Gastgeber die knappe Führung über die Zeit retten. Auch in dieser Phase bewähren sich die jungen Frankfurter Abwehrrecken wie beispielsweise Helmut Müller, der vor drei Monaten nur Kennern des Amateurteams der Eintracht ein Begriff war. Auf der anderen Abwehrseite ist es der offensivstarke Peter Reichel, der nur bei einer großen Torchance Pech hat, das ihm der Ball vom Fuß rutscht. Überragend ist die Partie von Karl-Heinz Körbel zu nennen, der mit den Kräften längst am Ende ist, doch Uli Hoeneß den letzten Nerv zu rauben scheint.
Leider haben die Bayern aber das, was den Frankfurter bei aller vorhandenen Qualität zur Meistermannschaft fehlt: einen Torjäger. Und was für einen: Gerd Müller, dem man nachsagt, dass er bisweilen auch aus keiner Chance ein Tor zu machen versteht, benötigt heute ganze zwei Gelegenheiten, um "sein" Tor zu erzielen. Es ist ein typisches Müller-Tor. Der Angreifer mit den kurzen, stämmigen Beinen kommt nach einem Pass von Beckenbauer etwa 13 Meter vor dem Kasten in Mittelstürmerposition an den Ball, Drehung und Schuss sind wie immer bei Müller eins, Kliemann kommt einen Schritt zu spät und das Leder fliegt an ihm und auch an Dr. Kunter vorbei ins Netz. 1:1, elf Minuten vor dem Ende des Spiels. Unnötig zu erwähnen, dass man bis dahin von dem Mann, der die Torjägerliste der Bundesliga anführt, fast nichts gesehen hat. Grabowski ist "der Hexer", doch Müller ist "das Phantom". Danach wollen die Bayern nicht mehr und die Frankfurter können nicht mehr. Den Bayern reicht der Punktgewinn, um ihre Tabellenführung zu verteidigen, und die Eintracht will nicht auch noch den zweiten Punkt abgeben. Schade, mit einer besseren Chancenverwertung hätte man den Deutschen Meister heute klar bezwingen können.
Dietrich Weise ist sicher kein Mann großer Worte, doch beim Anblick des Tores von Gerd Müller in der Sportschau entfährt es ihm spontan: "Dieser Müller ist ein Phänomen." Seinen Stopper Kliemann nimmt Weise in Schutz: "Soll ich da dem Kliemann etwa einen Vorwurf machen? Es haben schon andere Müller scheinbar noch konsequenter gedeckt und doch seine Tore nicht verhindern können." Auf der anderen Seite ist Bayern-Trainer Udo Lattek von einem Frankfurter Spieler ganz besonders angetan: Jürgen Grabowski, so Lattek, sei "ein brillanter Spieler." Das sieht auch der "Kicker" so: In der Elf des Tages stehen Karl-Heinz Körbel mit seiner ersten Nominierung in dieser Saison, Franz Beckenbauer mit der elften und - natürlich - "der Hexer" Jürgen Grabowski mit seiner siebten Berufung. "Ein Unentschieden war unser Ziel", sagt Udo Lattek, "allerdings haben wir nicht geglaubt, dass wir es so schwer haben würden." "Bayern bewies, dass es die stärkste Mannschaft der Bundesliga ist", erkennt sein Kollege Weise neidlos an und trauert ein wenig den vergebenen Chancen nach: "Uns fehlte das 2:0, das wir vor der Pause versäumt haben." Bayern bleibt Tabellenführer vor Gladbach, die Eintracht hat weiterhin vier Punkte Rückstand auf die Münchner, rutscht aber von Rang drei auf vier ab, weil die punktgleichen Düsseldorfer die günstigere Tordifferenz aufweisen. Das Trostpflaster für die Eintracht erleben Weise, Grabowski und Hölzenbein eine gute Stunde nach dem Spielende im Presseraum bei der Auslosung der Halbfinalspiele um den DFB-Pokal: Der Gegner dort wird der Gegner von heute sein – Bayern München. Neben der erneuten Chance, den Meister zu schlagen, erhalten die Frankfurter Spieler über 4.000 DM, wenn das Stadion wieder ausverkauft sein sollte. Aber daran zweifelt wohl niemand. "Im Pokal können wir nicht auf ein Unentschieden spielen", meint Lattek und Beckenbauer fügt hinzu: "Dann heißt es von Anfang an Dampf machen. Die erste Halbzeit von Frankfurt darf’s für uns nicht mehr geben." Das ruft Dietrich Weise auf den Plan: "Offenbach wäre mir als Pokalgegner lieber gewesen, aber was hilft’s? Für mich darf sich die zweite Halbzeit, das 1:1 nicht wiederholen." "Wir geben im Pokal und auch in der Meisterschaft immer noch nicht auf", verspricht Grabowski, dem abseits des Platzes von der Sportgerichtsbarkeit des DFB eine weitere Hauptrolle zugewiesen wird. Vor dem erneuten Aufeinandertreffen im Pokal hat die Bundesligapartie nämlich ein Nachspiel für Linienrichter Hans Wahmann. Wahmann und Grabowski werden vom DFB aufgefordert, Stellungnahmen abzugeben. "Als ich ihn (Wahmann) bat, auf die Fouls zu achten, nannte er mich einen Dreckspatz", gibt Grabowski an. Der Linienrichter bestreitet das. Später wird Wahmann allerdings vom DFB für vier Spiele gesperrt. Das Sportgericht sieht es als erwiesen an, dass Wahmann zu Grabowski gesagt hat: "Nehmen Sie die Hände weg, Sie alter Dreckspatz." (rs)
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