VfB Stuttgart - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1973/1974 - 21. Spieltag

3:1 (2:0)

Termin: Sa 26.01.1974, 15:30 Uhr
Zuschauer: 50.000
Schiedsrichter: Klaus Overberg (Düsseldorf)
Tore: 1:0 Hans Ettmayer (38.), 2:0 Egon Coordes (40.), 3:0 Hermann Ohlicher (75.), 3:1 Uwe Kliemann (90.)

 

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VfB Stuttgart Eintracht Frankfurt

  • Gerhard Heinze
  • Manfred Weidmann
  • Reinhold Zech
  • Willi Entenmann
  • Egon Coordes
  • Heinz Stickel
  • Roland Mall
  • Dieter Brenninger
  • Karl-Heinz Handschuh
  • Hans Ettmayer
  • Hermann Ohlicher

 


 

Wechsel
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Trainer
  • Hermann Eppenhoff
Trainer

 

 

Faschingsorden statt Punkte

Der Tabellenführer - die Frankfurter Eintracht - kommt nach Stuttgart. Dieses Spiel zieht die Massen an, nicht zuletzt, weil den Schwaben das Hinspiel in Frankfurt noch in böser Erinnerung ist. Dort verspielten sie in ein paar Minuten eine 3:0-Führung gegen die damals wie entfesselt spielenden Adlerträger. 4:3 hieß es am Ende für die Frankfurter Buben – welch ein Spiel!

Tempi passati. Heute werden die Karten neu gemischt und die Stuttgarter brennen auf die Revanche. 50.000 Zuschauer im Neckarstadion, das für die WM herausgeputzt worden ist, hat es lange nicht gegeben. Aus Frankfurt ist eine große und lautstarke Fraktion angereist, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Überall auf der Autobahn sah man die Karawane der mit Schals und Fahnen geschmückten Kadetts und Käfer aus Frankfurt am Main. Die Erwartungen sind hoch, andererseits hat die Eintracht seit dem 28. November 1964 nicht mehr beim VfB gewinnen können.

"Die Jungs sind ganz heiß auf dieses Spiel", versichert Stuttgarts Trainer Eppenhoff, während sein Spieler Ettmayer bei der "Bild" angeblich eine Schlagzeile angeregt haben soll: "Die VfB-Spieler kommen direkt aus Solingen: Sie sind scharf wie Messer." Roland Weidle fühlt sich von solchen Sprüchen nicht angegriffen: "Seit ich in Frankfurt spiele, hat die Eintracht nicht mehr in Stuttgart verlieren. So wollen wir es weiterhalten, gerade weil die Stuttgarter so scharf auf unseren Skalp sind." Verunsichert ist dagegen der zu Saisonbeginn lange verletzte Thomas Parits: "Als Mittelstürmer des Spitzenreiters habe ich erst ein einziges Tor geschossen. Das ist zu wenig." Mit einer Formkrise kämpft auch Bernd Hölzenbein, der dafür aber auch die Gründe kennt: "Seit meinem Hexenschuss war ich eine wandelnde Apotheke. Noch vor einigen Tagen habe ich starke Beruhigungsmittel geschluckt, um schlafen zu können."

Erkältet und gerädert kommen die Eintracht-Amateure Kalb, Körbel und Wienhold vom Amateur-Länderspiel in Frankreich zurück. "Körbel klagte sogar über Leistenschmerzen", berichtet Trainer Weise und führt aus: "Das ist schon ein Handikap für uns, genau wie für Bayern München ein A-Länderspiel. Denn was für die Münchner der Beckenbauer, das ist für uns der Körbel. Und was für die der Maier-Sepp, das ist für uns der Wienhold." "Es ist viel leichter, gegen den Abstieg zu kämpfen als um die Meisterschaft. Im Abstiegsstrudel konzentriert man sich auf die Mitkonkurrenten und darf auch mal gegen einen Spitzenklub verlieren. Als Titelanwärter wird man immer gefordert", sagt Weise, den die Auswärtssiege der Münchner Bayern und der Gladbacher nicht überrascht haben: "Ich habe damit gerechnet. Jetzt kommt es auf die Nerven an."

Bei der Eintracht fehlt in der Startformation weiterhin Bernd Nickel und Gert Trinklein. Nickel, der lange von unerklärlichen Schmerzen im rechten Knöchel geplagte Stammspieler der Eintracht, hat nach seiner Operation bei Professor Hans Schoberth immerhin wieder mit leichtem Lauftraining beginnen können. "Ich habe gehört, dass Bernd erstaunliche Fortschritte macht, an einen Einsatz ist aber in den nächsten Wochen noch nicht zu denken", berichtet Eintracht-Trainer Weise. Trinklein hat zwar die Woche über trainiert, laboriert aber noch an der Verletzung am rechten Knöchel, die er sich beim Hallenfußballturnier in Berlin zugezogen hat. Trainer Weise will an dieser Stelle auf Nummer sicher gehen und schickt diese Formation ins Rennen: Im Tor Wienhold, in der Abwehr mit Vorstopper Körbel, Libero Kliemann, die beiden Außenverteidiger Müller und Reichel, im Mittelfeld Hölzenbein, Weidle, Kalb und im Sturm Rohrbach, Grabowski und Parits im Zentrum.

Vor dem Anpfiff gibt es neben einem Küsschen der Stuttgarter Faschingsprinzessin Marga I. für die beiden Mannschaftskapitäne Grabowski und Zech und noch Faschingsorden für die beiden Spielführer. Danach aber geht es sofort hart zur Sache, auf dem Rasen entbrennt ein Kampf um jeden Zentimeter. Der VfB stürmte mit allem, was er hat, selbst die beiden Außenverteidiger Weidmann und Coordes sowie Libero Entenmann tauchen immer wieder im Frankfurter Strafraum auf. Schon in der ersten Minute kann Verteidiger Reichel nur knapp vor dem heranstürmenden Brenninger zur Ecke klären. Zehn Minuten später lenkt "Ersatz"-Torhüter Wienhold einen knallharten Schuss von Mall im Rückwärtshechten über die Querlatte - wahrlich eine Glanzparade. Überhaupt Günter Wienhold: Der Mann schickt sich an, die Legende im Eintracht Tor - Dr. Peter Kunter - zu verdrängen. Ein ums andere Mal zeigt er eine Klasse-Leistung.

Die Basis für die deutliche Überlegenheit des Tabellenfünften wird im Mittelfeld gelegt. Hier führt Ettmayer, unterstützt von Handschuh und Mall, die Regie. Kalb, Weidle und Hölzenbein sehen meistens nur die Hacken ihrer Gegenspieler. Die Diva Ettmayer kurbelt die Angriffe der Schwaben immer wieder an, ist Dreh- und Angelpunkt beim VfB. Ganz auszuschalten ist dieser Typ nie. Der Ball, besser der gehobene Umgang mit dem Ball, das Flair eines vollen Stadions und die Sprüche vor- und nach dem Spiel - das ist seine Welt. Den weitaus größeren und für ihn und seine Anschauung bedrohlichen Rest der Fußballwelt siedelt der dreißigmalige österreichische Nationalspieler im Bereich der Kraftmeier, Leichtathleten und Zehnkämpfer an. Sein ganzes Leben lang hat er sich mit diesen Typen angelegt. Oft gewinnt er, genauso oft wird er fertig gemacht. Im Grunde könnte dieser Schlawiner auch bei der Mannschaft aus Frankfurt spielen.

Doch dort spielt ein Mann, der ihm mehr als ebenbürtig ist: Jürgen Grabowski, gleichfalls ein Zauberer am Ball. Heute zeigt "Grabi, der Große", dass er neben der Kunst auch sein Handwerk beherrscht. Wie er versucht, mit Kampf und Geschick dagegenzuhalten, ist schon sehenswert. Sein Kunstschuss aus spitzem Winkel auf das Stuttgarter Gehäuse streicht um Haaresbreite am Tor vorbei. Es gibt nicht viele Fußballer in Deutschland, die so etwas zustande bringen. Helmut Schön wird den Mann aus Wiesbaden-Biebrich mit Sicherheit in seinem Notizbuch haben. Bedauerlicherweise passen sich seine Mitspieler seinem Niveau heute nicht an, insbesondere Hölzenbein und Parits spielen schwach. Zuhause hui, auswärts schweigt des Sängers Höflichkeit. Besser ist da schon Jürgen Kalb. Immer wieder schaltet er sich in die variablen Konter der Gäste ein und sein Effetschuss aus der zweiten Reihe kann Heinze nur mit den Fingerspitzen abwehren.

Die Eintracht hat jetzt eine ganz starke Phase. Angetrieben von Kalb, der einen schönen Doppelpass mit Rohrbach spielt, landet der Ball in der 33. Minute schließlich bei dem aufgerückten Reichel. Der Außenverteidiger zieht ab, aber Außenverteidiger Coordes wirft sich mit letzter Kraft dazwischen und die Chance ist vertan. Stuttgart hält dagegen, die Frankfurter Abwehr um Kliemann muss Schwerstarbeit leisten.


Das 1:0 durch Ettmayer

In der 38. Minute passiert es trotzdem: Über Handschuh kommt der Ball zu Weidmann, dessen Schuss Wienhold noch abwehren kann. Doch Coordes erläuft sich den Ball und passt zu Ettmayer, der das Leder aus 18 Metern wuchtig unter die Latte ins Frankfurter Netz knallt. "Ich glaube, der Wienhold hat den Ball erst gesehen, als er schon im Netz war", grinst der Schütze. "Mann, war das ein Hammer", bestätigt Wienhold: "Da gab’s nichts zu halten." Das 1:0 für den VfB ist übrigens das 10.0000 Tor in der Geschichte der Bundesliga. Die Stuttgarter Zuschauer sind ob dieser Darbietung völlig aus dem Häusle.

Nur drei Minuten später brennt es abermals lichterloh im Strafraum der Frankfurter. Reichel kann den durchgebrochenen Brenninger nur mit unfairen Mitteln stoppen und es gibt einen Freistoß kurz vor der Strafraumgrenze, zentrale Position. Das ist ein Fall für Ettmayer. Der Österreicher nimmt Maß, Wienhold kann seinen Gewaltschuss gerade noch abwehren, doch der Abpraller landet bei Coordes, der den Ball aus kurzer Distanz über den sich noch am Boden abstützenden Keeper ins Tor befördern kann. 2:0 - Doppelschlag kurz vor der Pause. Das sieht nicht gut aus für die Riederwälder.

"Immer diese Doppelschläge, wenn Stuttgart gegen uns spielt", moniert Trainer Weise in der Halbzeit, was Ettmayer zu einem Flachs herausfordert: "Das hatten wir vorher abgesprochen — in einer geheimen Sitzung." Nach dem Pausentee hat Weise umgestellt. Für Parits kommt Krauth und in der 58. Minute muss der junge Karl-Heinz Körbel vom Feld. Die laufintensiven Zweikämpfe mit VfB-Torjäger Ohlicher und vor allen Dingen die strapaziöse Länderspielreise fordern ihren Tribut. Schon in der Halbzeit hatte sich Körbel erschöpft auf die Bank in der Kabine gelegt und geklagt: "Ich kann nicht mehr!" Für Körbel kommt Trinklein, der die ihm zugedachte Rolle des Liberos sofort offensiv interpretiert. Dies tut bei diesem Spielstand auch bitter Not. Die Eintracht ist jetzt zwar optisch überlegen, aber etwas Zählbares kommt dabei vorerst nicht heraus.

Jürgen Grabowski reibt sich gegen den teilweise überharten Coordes auf, Hölzenbein wird durch Mall komplett aus dem Spiel genommen und das Fehlen von Bernd Nickel macht sich doch arg bemerkbar. Ein Torerfolg will einfach nicht gelingen. Im Gegenteil, in der 75. Minute kann Ohlicher auf Flanke von Brenninger den Vorsprung noch ausbauen. Eine Bogenlampe mit dem Hinterkopf segelt unerreichbar für Wienhold ins Tor. 3:0. Das war’s.

Für heute ist die Messe gelesen. Anders als in der Hinrunde kann der VFB den Vorsprung verwalten. Man hat nicht den Eindruck, dass der VFB der Eintracht noch einmal ins Messer laufen wird. Das Ehrentor in der 90. Minute durch einen mächtigen Schuss des unermüdlichen Kliemann nach einem Rückpass von Rohrbach ist sehenswert, aber nicht mehr als Ergebniskosmetik, die Eintracht muss sich dieses Mal dem starken VFB beugen.

VfB-Trainer Hermann Eppenhoffs Stimme ist heiser: "Ich habe im Training zu viele Anweisungen gegeben." "Wir waren 90 Minuten besser als die Eintracht.", findet er: "Die kleine Schwächeperiode zu Beginn der 2. Halbzeit haben wir glücklicherweise schnell überwinden können. Da saß uns die Angst im Nacken. Sie dachten an das Hinspiel, das sie nach einem 3:0-Vorsprung noch 3:4 verloren hatten." Eppenhoffs Kollege Weise widerspricht dem verdienten Sieger nicht und baut seine Hoffnung auf die zukünftige Unterstützung durch die Schwaben im Kampf um die Deutsche Meisterschaft: "Ich bin sicher, der VfB schlägt auch Bayern München im Neckarstadion. In dieser Form wird er uns diesen Gefallen tun."

Wo aber liegen die Gründe für die Frankfurter Niederlage? Sicher war es auch ein Problem der körperlichen und geistigen Frische, zumal die Eintracht in dieser kritischen Phase der Bundesligasaison mit Wienhold, Körbel und Kalb drei Spieler für das Amateur-Länderspiel abstellen musste. Alle drei Akteure hatten am Montag einen Flug nach Paris und eine beschwerliche Busreise nach Quimper an die französische Atlantikküste zu absolvieren. Am Donnerstag ging es dann auf derselben Route zurück. Die Unterbringung, klagten die Spieler zudem, sei "das Allerletzte" gewesen. Eine optimale Vorbereitung sieht sicher anders aus. "Wenn Länderspielreisen der DFB-Amateure künftig nicht besser organisiert werden, stellen wir keine Spieler mehr ab", droht Vizepräsident und Ligaobmann Ernst Berger und erhält Unterstützung durch den Trainer der Frankfurter. "Was man unseren Amateuren Körbel, Wienhold und Kalb in Frankreich zugemutet hat, würde sich Bayern München nicht bieten lassen." Die Frankfurter weisen dem DFB viele Pannen beim Länderspiel in Frankreich nach: ungeheiztes Hotel, ungeheizte Kabinen, strapaziöse Anreise, schlechtes Essen. Berger: "Alle drei Spieler kamen erkältet zurück. Kalb soll sieben Pfund Gewicht verloren haben, und Körbel erlitt beim 1:3 in Stuttgart einen Kreislaufkollaps."

Allgemein bleibt jedoch festzustellen, dass die Frankfurter bei den Schwaben zu zaghaft agierten. Man hat derzeit nicht den Eindruck, dass hier eine Mannschaft spielt, die unbedingt Meister werden will. Das Abrutschen auf Platz 3 ist die Quittung. Man darf gespannt sein, wo die Reise der Adlerträger hinführt. Trainer Weise ist nun besonders als Psychologe gefragt.

Im Fall von Wolfgang Kraus, der vom DFB-Trainer Derwall wegen des verspäteten Erscheinens bei der Amateur-Nationalmannschaft für das Länderspiel gegen Frankreich aus dem Kader gestrichen wurde, zeigt sich Weise als strenger väterlicher Vorgesetzter und ist mit der Maßnahme Derwalls völlig einverstanden: "Das ist eine Frage der Erziehung, die ich voll und ganz begrüße. Die jungen Leute machen es sich einfach zu leicht. So kess, wie der Wolfgang im Spiel ist, so kess ist er auch sonst. Das eine freut mich, das andere kann man ihm nicht durchgehen lassen." Dass gerade der in Frankfurt wohnende Kraus, der aktuell seinen Wehrdienst ableistet und von seinem sportfreundlichen Hauptmann in Mainz für das Länder- und das Stuttgartspiel eine Woche Urlaub bekam, zum Treffen in Frankfurt zu spät kam, ist dem Fußballlehrer offensichtlich sauer aufgestoßen: Nach dem Training am Dienstag musste Kraus in die Kaserne zurück.

Ettmayer – der Mann des Spiels – erhält vom 'Kicker' den verdienten Lohn in Form seiner vierten Berufung in die "Elf des Tages". Während der 'Kicker' Ettmayer das 10.000ste Tor der Bundesligageschichte zuschreibt, meint die "Bild", dass Bochums Galeski eine Minute später mit seinem Eigentor den Jubiläumstreffer erzielte. Ettmayer darauf angesprochen entgegnet nur trocken: "Was soll’s? Ich schieße meine Tore doch nicht für die Bild-Zeitung..." (uh) (rs)


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