Bayern München - Eintracht
Frankfurt |
Bundesliga 1973/1974 - 9. Spieltag
2:2 (2:1)
Termin: Sa 29.09.1973, 15:30 Uhr
Zuschauer: 74.500
Schiedsrichter: Dr. Gerd Siepe (Köln)
Tore: 1:0 Bernd Dürnberger (31.), 2:0 Bernd Dürnberger (32.), 2:1 Bernd Nickel (34.), 2:2 Bernd Hölzenbein (49.)
Bayern München | Eintracht Frankfurt |
|
|
Wechsel | Wechsel
|
Trainer
|
Trainer |
Heimspiel in München "Die Frankfurter müssen beweisen, dass sie eine echte Spitzenmannschaft sind. Und wir müssen beweisen, dass wir noch zur Spitze gehören", sagt Udo Lattek vor dem Aufeinandertreffen mit den Hessen. Mit 14:2 Punkten - der letzte und bisher einzige Auswärtssieg der Eintracht datiert aus August 1966 - spricht die Heimbilanz für die Münchner, aber auch aus einem anderen Grund zeigt sich Eintrachttrainer Weise vorsichtig: "In ihrer Krise können die Bayern gar keinen besseren Gegner bekommen. Siegen sie gegen uns, sind sie rehabilitiert." Angesichts seiner ungeschlagenen Elf und der seit drei Partien sieglosen Bayernmannschaft sagt Weise aber auch: "Diesmal geht die Ausstrahlung mehr von uns aus als von den Münchner Weltstars. Es ist ja absolut neu, dass die Bayern eine Mannschaft empfangen, die in der Tabelle über ihnen steht." Und noch etwas hat sich verändert: "Wir müssen wieder das Kämpfen lernen", fordert Lattek, während Weise zufrieden feststellen kann: "Wir sind eine kämpfende Truppe geworden." Weise kann die gegen Gladbach siegreiche Elf aufbieten, während sein Kollege Lattek vor dem Spielbeginn noch eine Änderung vornehmen muss: Franz "Bulle" Roth, der seit Anfang dieser Woche unter einer Mittelohrentzündung leidet, die einen Abszess im linken Ohr nach sich gezogen hat, ist nicht von Beginn an einsatzfähig. "Der Arzt hat zwar versucht, den Eiterherd aufzuschneiden, aber es ist ihm nicht gelungen, weil er noch nicht reif war", schildert Roth die Situation. Deutlich besser als der Spieler fühlt sich der Schatzmeister der Bayern: 74.500 Zuschauer bedeuten ein ausverkauftes Olympiastadion und eine Einnahme in Höhe von 800.000 Mark. In den ersten Minuten der Begegnung muss die Eintracht einen geradezu furiosen Ansturm der Gastgeber überstehen, die sich für dieses Spiel in der Tat einiges vorgenommen zu haben scheinen. Den Hessen kommt aber entgegen, dass Uli Hoeneß und Gerd Müller zu guten Chancen kommen, diese jedoch nicht nutzen können. Ganz so rund wie gewohnt läuft der Angriffsmotor der Bayern zurzeit wirklich nicht.
Die Frankfurter beginnen nun ihrerseits die Münchner mit schnellen Gegenangriffen empfindlich zu piesacken. Auf den Flügeln spielt die Eintracht die Musik, wo Rohrbach und auch Grabowski manches atemberaubende Soli bieten und ihren Gegenspielern so die Flötentöne beibringen. Rohrbach geht spielend leicht an bis zu drei Gegner vorbei, während Grabowski den gerade von Rückenschmerzen genesenen Breitner einen unvergesslichen Nachmittag bereitet. Es kann nicht nur an Breitners schmerzhaft angeschlagenem Wadenbein liegen, dass er sich gegen seinen Nationalmannschaftskameraden fürderhin fast ausschließlich im Freistilringen zu messen versucht. Hier wird gehalten, dort geklammert, wobei Grabowski Breitners Ausflug auf die Ringermatte teilweise auch geschickt zu nutzen versteht. In der 22. Minute muss dieses Gerangel, bei dem Breitner Grabowski mit dem Rücken zum Tor im Strafraum zu Boden zieht, dann aber mit einem Strafstoß geahndet werden. Jeder wartet auch auf den Pfiff von Schiedsrichter Dr. Siepe, doch alle warten vergebens. Der Unparteiische will wohl durch seine Tatenlosigkeit einen möglichen Fehler vermeiden, allein begeht er ihn genau dadurch. Die offensichtliche Unsicherheit Dr. Siepes trägt nicht dazu bei, dass die Fußballer auf dem Platz in ihm eine unantastbare Autorität sehen. Gut für den Schiedsrichter, dass auf der Gegenseite Müller und Kliemann sich zwar ähnliche Umklammerungsversuche liefern, aber diesen Zweikämpfen die übertriebene, weil hilflose Härte, mit der Breitner Grabowski begegnet, abgeht. Derweil die Nationalspieler der Münchner ihrer Form teilweise hinterherhinken, als hätten sie wie Breitner allesamt Schmerzen im Wadenbein, läuft ein sonst eher unbeachteter Akteur in Latteks Elf zu großer Form auf. So wie der zu Saisonbeginn vom 1. FC Köln gekommene Kapellmann heute eine große Partie liefert, bringt sich der flinke Dauerläufer Bernd Dürnberger mit zwei Paukenschlägen in nicht viel mehr als 60 Sekunden ins Rampenlicht und die Eintracht scheinbar aussichtslos ins Hintertreffen. Der Bundeswehrrekrut am linken Flügel der Bayern schließt in der 31. Minute einen Freistoß von Gersdorff mit einem Heber in die hinterste Ecke des Frankfurter Tores ab und sorgt in der folgenden Spielminute nach einem Solo von Kapellmann und einem abgewehrten Breitner-Schuss mit einem Schlenzer für das 2:0. Nicht wenige halten nun die temporeiche, aber auch hart geführte Partie für entschieden: Drei Jahre ist es schon her, dass die Bayern bei einem Heimspiel nach einer 2:0-Führung am Ende dann doch nicht siegten.
Aber die Eintracht, die in dieser Bundesligaspielzeit in den ersten 45 Minuten noch keinen Treffer erzielen konnte, schlägt zurück, unerwartet und schnell. Drei Minuten nach Dürnbergers zweitem Treffer kommt Bernd Nickel nach einer missglückten Kopfball-Abwehr von Beckenbauer an das Leder und reißt mit einem Schuss, der seinem Spitznamen "Dr. Hammer" alle Ehre macht, Keeper Maier fast die Hände weg. Maier, in dieser Runde selbst nicht frei von Formschwankungen, ist zudem die Sicht behindert, der Nationaltorwart ist chancenlos.
Während Maier heute jedoch eine starke Partie zeigt, liefert Beckenbauer in der 49. Minute auch die Vorlage zum zweiten Frankfurter Treffer. Was immer in den Libero gefahren ist oder wer ihn auch immer gebissen haben mag - er spielt in einer völlig harmlosen Situation den Ball zu Torwart Maier zurück, und kreiert einen Rohrkrepierer, denn die Kugel erreicht den Mitspieler nicht. Der lauernde Hölzenbein schnappt sich den zu viel zu kurz geratenen Ball, umkurvt den herauslaufenden Torhüter und schiebt die Kugel zum 2:2 ins leere Tor. Bayern-Präsident Neudecker, der in der Halbzeit noch die Siegprämie für die Münchner von 1.000 auf 2.000 Mark erhöht hat, weil er vom "Spiel so begeistert war", dürfte über die Aussicht auf gespartes Geld nicht sonderlich erfreut sein. Die tausendfach mitgereisten Anhänger der Eintracht hingegen haben allen Grund zur Freude, die sie auch lautstark kundtun. Radiohörer werden bei der Übertragung kaum den Eindruck haben, dass es sich um ein Gastspiel der Eintracht handelt. Das endgültig vergrätzte heimische Publikum setzt den euphorisierten Gästefans nichts mehr entgegen – die Eintracht hat akustisch ein Heimspiel in München. Der Ausgleich hat unterschiedliche Wirkungen auf die beiden Mannschaften. Den Frankfurtern verleiht der Treffer neue Luft und frische Beine, den Bayern beschert er eine ungewohnte Unsicherheit, der Rhythmus von Latteks Elf ist dahin. Den Gastgebern droht die erste Heimniederlage seit März 1970, das Selbstbewusstsein der Anfangsphase ist wie weggeblasen. Die Hessen sind den Hausherren in mehr als einer Hinsicht deutlich überlegen - im Spiel ohne Ball, der mannschaftlichen Geschlossenheit, in der Spritzigkeit sowie der Cleverness bei Zweikämpfen bleiben die Bayern nur zweiter Sieger. Sieht man von Andree ab, der nach der Pause durch Parits ersetzt wurde, gibt es in der Elf von Dietrich Weise keinen schwachen Punkt. Den Titel des "primus inter pares", des Ersten unter Gleichen, teilen sich bei der Eintracht zwei Spieler: Jürgen Grabowski und Uwe Kliemann. Vor den Augen von DFB-Auswahltrainer Helmut Schön geben Kliemann und Grabowski für die Nationalmannschaft eine Bewerbung ab, wie sie überzeugender nicht sein könnte. Kliemann überragt ihn der Abwehr nicht nur mit seiner Körpergröße, sondern auch mit seiner Leistung buchstäblich, während dank Grabowski trotz der mit Stars gespickten Münchner Truppe der beste Fußballer in den Reihen der Eintracht steht, was dem Kapitän der Frankfurter vor allem Breitner mit einer nicht regelkonformen Härte heimzahlt, die den "Kicker" nach der Partie in einer Überschrift fragen lässt: "Hat Breitner so etwas nötig?" Bei den Gastgebern sind neben Dürnberger und Kapellmann auch Gersdorff und Zobel positiv zu erwähnen, die beide stärker als in den letzten Spielen sind. "Sepp" Maier, dem das Publikum gegenüber immer noch nachtragend reagiert und der mit Pfiffen empfangen wurde, verdient sich mit einigen reaktionsschnellen Paraden wieder den Respekt der Zuschauer: Gegen Hölzenbein verhindert Maier den möglichen Rückstand. Trotz der fehlenden Unterstützung durch das eigene Publikum und der unverkennbaren Tatsache, dass sich einige Spieler aus Latteks Truppe noch nicht wieder in bester körperlicher Verfassung befinden, muss man den Bayern bescheinigen, dass sie nichts unversucht lassen und mit restlosem Einsatz überzeugen. Dieser Einsatz ist allerdings auch notwendig, um die spielerischen Vorteile der Frankfurter halbwegs auszugleichen.
In der letzten Viertelstunde zahlt die Eintracht für ihren schwungvollen Offensivfußball jedoch die Zeche, die der Münchner Wirt sogleich einzutreiben versucht, in dem er selbst die letzten Kraftreserven mobilisiert. Die Einwechslung von Kraus für Rohrbach in der 80. Minute kann den Druck der Bayern nicht mindern. Die zuvor so ungemein stabile Eintracht-Abwehr gerät nun ins Wanken und es ist Kliemanns kühlem Kopf und seiner Übersicht zu verdanken, dass die Frankfurter im Endspurt nicht noch ins Straucheln geraten. Endgültig fest hält das Remis dann Torwart Dr. Kunter, der sechs Minuten vor dem Schlusspfiff gegen Müller pariert, der nach einer Flanke einen Kopfball Richtung Eintrachttor geschickt hat. Der Traum vom späten Sieg zerbricht an den Fäusten des Frankfurter Schlussmanns. Auch der - wie eingangs erwähnt - gesundheitlich angeschlagene "Bulle" Roth, der neun Minuten vor dem Ende anstelle von Breitner doch noch in die Partie gekommen ist, kann daran nichts mehr ändern. "Dafür, dass wir wieder auswärts gespielt haben, ist es ein wertvoller Punktgewinn", zitiert Trainer Lattek nach dem Spiel einen seiner Spieler, dessen Namen er jedoch wohlweislich nicht nennen will. "So verständlich es ist, dass viele Münchner Zuschauer in den letzten Wochen den Bayern ihr Missfallen für mäßige Darbietungen bekundeten — diesmal mussten sich die Münchner wirklich im Stich gelassen fühlen! Denn sie rangen bis zur völligen Erschöpfung um den Sieg", schreibt der Journalist Paul Ludwig und schließt: "Hätte auch nur die Hälfte des Münchner Publikums die Bayern so stürmisch angefeuert, wie das rund 5.000 Frankfurter Schlachtenbummler mit stimulierender Wirkung auf ihre Eintracht-Elf taten, dann wäre den Bayern wahrscheinlich ein Heimsieg gelungen - und nicht nur ‚auswärts ein Punktgewinn’." "Auswärts kann man nicht besser spielen als Frankfurt", schwärmt Uli Hoeneß und sieht die Eintracht auf einen guten Weg: "Zur tollen Form muss dieser Truppe nur noch das nötige Glück treu bleiben." "Erst habe ich dem Braten nicht recht getraut aber jetzt bin ich überzeugt davon, dass wir das kräftemäßig durchhalten", freut sich auch Jürgen Grabowski nach seiner großartigen Vorstellung im Olympiastadion über die gelungene Mannschaftsleistung. Vizepräsident und Lizenzspielerobmann Ernst Berger ist die Laune dennoch etwas verhagelt. "Um den Schiedsrichter nicht zu vergessen: er muss auch einmal für uns Elfmeter pfeifen", beklagt er sich. "Der Schiedsrichter hat es von seiner Warte aus wahrscheinlich besser gesehen", bleibt Dietrich Weise gelassen, doch hier irrt sich der Trainer. "Ich habe den Vorgang nicht gesehen", hat der auf das Foul von Breitner an Grabowski angesprochene Unparteiische bereits zur Pause eingeräumt. Eine Erklärung, die Ernst Berger, der in zwei weiteren Situationen einen Strafstoß für die Hessen gesehen haben will, erst recht auf die Palme bringt: "Das ist doch unmöglich!" Wesentlich entspannter ist die Begrüßung, die Torwart Dr. Kunter Helmut Schön im Umkleideraum zuteil werden lässt: "Na, hat die Ermahnung der Presse doch genutzt?" Sechs Jahre liegt der letzte Besuch des Auswahltrainers zurück, was wegen der Äußerung eines Spielers kürzlich auch Thema in der Öffentlichkeit war. Zu den möglichen Kandidaten für die beiden nächsten Länderspiele lässt sich Schön allerdings nichts entlocken, was Uwe Kliemann zu einer Äußerung verleitet, die seine Chancen nicht verbessern dürfte: "Herr Schön hat leider nicht über die Nationalelf mit uns gesprochen. Dabei hätte ich gerne seine Meinung über mein Duell gegen Gerd Müller gehört. Ich glaube, das habe ich gewonnen, und so gut wie Schwarzenbeck bin ich auch. Aber ich komme wohl eher nach Bonn in die Politik als in die Nationalelf." Ungeduldig, aber nicht unklug äußert sich dagegen Bernd Hölzenbein: "Bis das Aufgebot gegen Österreich und Frankreich heraus ist, kann ich nicht mehr ruhig schlafen." Über die von ihm beobachtete Partie spricht der Bundestrainer immerhin: "Das war ein großartiges Spiel mit Kampf und Pfeffer. Die Eintracht hat den Punkt mehr als verdient. Das Bayern-Spiel ist langsam, und mit den hohen Flanken kamen die Münchner Kliemann entgegen", relativiert Schön die Leistung des Frankfurters. Der "Kicker" sieht Kliemann weniger kritisch als Schön und setzt den "Funkturm" neben Grabowski in "die Elf des Tages", in der mit Kapellmann auch ein Bayernspieler steht. "Die Eintracht ist eine Spitzenmannschaft, und wir gehören weiter zur Spitze", sieht Lattek die von ihm vor dem Spiel geforderten Beweise als erbracht an. "Wir stehen noch nicht auf der Stufe von Bayern und Gladbach", bleibt sein Kollege Weise gewohnt bescheiden. "Das ist schon eine Spitzenmannschaft", bekräftigt Lattek, schränkt allerdings ein: "Ob sie diesen Kraft zehrenden Stil durchhalten kann, muss sich erst noch zeigen. Warten wir auch ab, wie sie die erste Niederlage übersteht, die ja einmal kommen muss." "Diese Eintracht kann Meister werden", lautet Latteks Behauptung, die Weise umgehend einschränkt: "Nur wenn wir noch überlegter, reifer spielen und es lernen, in kritischen Situationen die Übersicht zu behalten." Bayern und Gladbach bleiben Weises Meisterschaftsfavoriten: "Aber dass diese routinierten Mannschaften sich jetzt auf unseren Stil einstellen müssen und nicht umgekehrt, das ist schon sehr erfreulich." Udo Lattek, der das 2:2 als "gerecht" bezeichnet, "auch wenn wir kleine Vorteile hatten", glaubt durch dieses Spiel "das Gerede über eine Formkrise" widerlegt: "Dass wir die Bestform noch nicht haben, wissen wir. Aber wenn wir 14 Tage in Ruhe trainieren könnten, wäre das bestimmt der Fall." Weise überrascht unterdessen mit einer ungewöhnlichen Aussage: "Ich bin froh, dass es am Ende 2:2 ausging. Ich glaube nicht, dass dieses Spiel einen Sieger verdient gehabt hätte." "Es ist uns aber das gelungen, was wir uns vorgenommen hatten", ist Weise sehr zufrieden: "Nämlich das, dass unser guter Tabellenplatz nicht durch Zufall oder Glück zustande kam, sondern durch Können, Willenskraft und Moral." Was er denn mit der gegenüber dem Vorjahr fast unveränderten Mannschaft gemacht habe, will ein Journalist noch wissen. "Da müsste ich Ihnen einen stundenlangen Vortrag halten - und dafür habe ich keine Zeit", bescheidet Weise freundlich und schiebt die Begründung für seine Terminnot nach: "Wir wollen nachher mit den Bayern noch auf das Volksfest." Dort wird das Tor zum 2:2 sicher auch ein Gesprächsthema sein. Die drei unmittelbar Beteiligten äußern sich vor der Presse so: "Ich wollte den Ball mit dem rechten Fuß zurückspielen, als sich plötzlich meine Zerrung wieder bemerkbar machte", erzählt Beckenbauer: "Ich versuchte es mit links, traf aber den Ball nicht richtig. So ein Fehler, ohne den wir das Spiel sicher gewonnen hätten, ist mir in den zehn Jahren, in denen ich bei Bayern spiele, noch nie passiert. Ich bin sicher, wenn ich ganz fit gewesen wäre, wäre mir dieses Missgeschick sicher nicht passiert." "Ich sah den Franz mit dem Ball aufs Tor zulaufen und dachte, nun wird er ihn gleich zurückspielen. Deshalb bin ich auch etwas aus meinem Kasten herausgelaufen", berichtet "Sepp" Maier: "Zu meiner Überraschung kam der Ball aber nicht auf mich zu, sondern lief nach rechts. Franz hatte ihn nicht richtig getroffen. Hölzenbein lief zum Ball. Ich dachte, er schießt sofort, und warf mich, der Frankfurter aber machte noch einen Haken nach rechts und schoss den Ball unbehindert ins Netz." "Normalerweise kann man ja nicht erwarten, dass Beckenbauer so einen Mist baut", sagt Hölzenbein: "Ich bin nur so mitgelaufen. Als ich plötzlich den Ball hatte und nur noch Maier vor mir war, probierte ich es mit Körpertäuschung. Maier fiel prompt darauf herein. Er hat mir’s sehr leicht gemacht. In diesem Moment dachte ich gar nichts. Nur als ich dann vor dem leeren Tor stand, befiel mich eine Lähmung. Das war wohl die Verblüffung, wie einfach alles ging." Nach der Leistung und dem Unentschieden beim Titelverteidiger wird außerdem natürlich öffentlich darüber diskutiert, ob die Eintracht in dieser Saison Deutscher Meister werden kann. "Frankfurt muss nur seine Form halten, dann ist die Meisterschaft drin", meint Franz Beckenbauer und Bundestrainer Schön analysiert: "Sie sind eine echte Mannschaft, sehr geschlossen, und ihre Spieler rennen bis zur völligen Erschöpfung. Die Meisterschaft ist für sie durchaus möglich. Nur muss die Eintracht diese Leistung auch künftig bringen." "Ja, sie kann", stimmt Udo Lattek ebenfalls mit einer Einschränkung zu: "Ich hätte sie nicht so selbstbewusst erwartet. Eintracht ist spielfreudig, kampfkräftig und hat enorm schnelle Leute. Es fragt sich nur, ob sie auch kräftemäßig durchhält." Daran zweifelt auch "Sepp" Maier: "So kann man nicht eine ganze Saison lang kämpfen." "Drei Dinge brauchen wir dazu", sagt Torwart Dr. Kunter: "Glück, keine Verletzungen und dass Bayern und Gladbach noch ein Weilchen unter Topform bleiben." "Ich glaube noch nicht daran", lässt sich Trainer Weise von der Momentaufnahme nicht beeinflussen: "Ich meine, uns fehlt dazu noch etwas, aber was uns fehlt, weiß ich selbst nicht. Fest steht nur: Wir haben auch Bayern wieder unser Spiel aufzwingen können." Zur Freude Weises bleiben seine Spieler dem Boden der Tatsachen verpflichtet und wie Bernd Hölzenbein bescheiden: "Trotz Oktoberfestbummel - seit unserem Ding von München haben wir uns zum ersten Mal ganz ernsthaft mit diesem Gedanken befasst. Vom Können her könnten wir es sicher. Aber die Bayern werden wiederkommen und die Spitzengruppe von hinten aufrollen." "Eine bodenlose Frechheit!" Es ist Bayern-Manager Robert Schwan, der sich wenige Tage nach der Partie so empört. Den Grund für die Aufregung hat Bundestrainer Schön geliefert, der für die Länderspiele gegen Österreich und Frankreich auf Maier, Schwarzenbeck und Kapellmann verzichtet hat. Bayern-Trainer Udo Lattek findet die Nichtberücksichtigung "unverständlich", "Sepp" Maier, der zum ersten Mal seit Jahren nicht im Aufgebot steht, hat sich dagegen ein Kommentarverbot auferlegt: "Ich werde mich hüten, den DFB zu kritisieren. Ich halte den Mund ..." Dafür ist die in dieser Saison so erfolgreiche Frankfurter Eintracht in Schöns Aufgebot seit ewigen Zeiten wieder einmal mit zwei Spielern Leuten vertreten. Neben Jürgen Grabowski wurde auch der 27-jährige Bernd Hölzenbein nominiert. (rs)
Wie fühlt man sich als der einzige Neue in der National-Elf?
Glauben Sie, "Stammkunde" bei Helmut Schön werden zu können?
Mit wem würden Sie am liebsten zusammenspielen?
Liegen Ihnen offensivere Aufgaben nicht besser?
Was haben Sie sich vorgenommen?
Herr Schön, was sagen Sie zu Bayern München gegen Eintracht Frankfurt?
Sie haben Frankfurt am letzten Wochenende gegen Mönchengladbach gesehen und nun heute wieder. Hat sich die Eintracht erneut gesteigert?
Geben Sie Eintracht Frankfurt Chancen auf die Deutsche Meisterschaft?
Wie erklären Sie sich die enorme Leistungssteigerung einer früheren Durchschnittself?
Wie sind Sie im Hinblick auf die bevorstehenden Oktober-Länderspiele mit der Form ihrer Nationalelf-Kandidaten zufrieden?
Gilt das auch für Grabowski?
Sehr stark war wohl auch Frankfurts Linksaußen Rohrbach.
Hat sich Rohrbach oder irgendein anderer Frankfurter außer Grabowski für ihren erweiterten Spielerkreis angeboten?
Oktoberfest mit Äppelwoi Die Eintracht kommt! Dieses geflügelte Wort hat derzeit eine doppelte Bedeutung. Zum Einen ist erstaunlich wie sich die Frankfurter innerhalb kurzer Zeit als dritte Kraft im deutschen Fußball neben Bayern und Gladbach zu etablieren scheinen, zum Andern ist damit einhergehend die Eintracht zum Publikumsmagneten geworden. Ein Gastspiel der Adler sorgt für volle Stadien. So auch heute, wo die Frankfurter im Olympiastadion vor ausverkauftem Haus bei den Bayern antreten. Die sieggewohnten Münchner sind dafür bekannt, dass sie dem Gegner zur Wiesnzeit gemeinhin kein Pardon gewähren. Und zunächst läuft für die Bayern auch alles nach Plan: Durch einen Doppelschlag von Dürnberger in der 31. und 32. Minute führen die Bayern quasi standesgemäß 2:0. Für den neutralen Beobachter ist zu diesem Zeitpunkt der Radi geschält. Aber heute spielt hier die Frankfurter Eintracht. Ein Team, das manchmal barfuß und manchmal mit Lackschuhen antritt. Heute haben die Jungs vom Main die zweite Variante gewählt. Von Respekt gegenüber den scheinbaren Platzherren ist nichts zu merken. Die Bayern sind im Gefühl des sicheren Sieges überheblich, in der Abwehr sogar nachlässig. Freistoß vor dem Münchner Kasten. Nickel läuft an und... hämmert den Ball ins Tor. Ein Schuss wie ein Strich an der Mauer vorbei. Nationaltorwart Sepp Maier kann nur noch hinterher schauen wie der Ball neben ihm einschlägt. Nur noch 2:1. Die Eintracht ist jetzt eindeutig besser. Vor allem Grabi spielt heute groß auf und ist von Breitner fast nur durch Fouls zu bremsen. Trainer Weise merkt dies sofort. Der alte Taktikfuchs bringt für den Verteidiger Andree den quirligen Parits. Die Maßnahme von Weise zahlt sich alsbald aus. Die Eintracht setzt die Bayern im eigenen Stadion nun noch mehr unter Druck und nach einer schwachen Rückgabe Beckenbauers spritzt Hölzenbein dazwischen, umkurvt Maier und schiebt mit geradezu aufreizender Lässigkeit zum 2:2-Ausgleich ein. Der zahlreich vorhandene Frankfurter Anhang kann sein Glück gar nicht fassen: Nach 0:2-Rückstand das Spiel fast gedreht. Das ist das Faszinierende an der Eintracht dieser Tage: In acht Spielen lag die Mannschaft fünfmal zurück und hat doch nicht einmal verloren. In der Folgzeit entwickelt sich ein Klassespiel. Wütende Bayern berennen das Frankfurter Tor. Aber das ist einfach zu behäbig, was die Mannen um Franz Beckenbauer heute zeigen. Außer hohen Flankenbällen fällt ihnen nichts ein. Hohe Bälle gegen Uwe Kliemann - dies ist so sinnlos wie ein Loch im Kopf. Unverständlich, warum das keiner merkt, die 1,95 Meter des „Funkturms“ sind ja wohl nicht zu übersehen. Wie der sprichwörtliche Turm in der Schlacht fängt er die Flankenbälle des jungen Stürmers Uli Hoeneß und auch die Versuche des Außenverteidigers Breitner ab. Zwar ist da noch der Bomber der Nation, der geniale Gerd Müller, aber auch ihm gelingt es heute nicht den Riesen im Frankfurter Abwehrzentrum zu düpieren. Auf der anderen Seite steht die Eintracht gut gestaffelt.
Mit klugem Passspiel wirbeln die Frankfurter die Münchner immer wieder
durcheinander. Auf dem linken Flügel ist Rohrbach kaum zu stoppen.
Unnachahmlich wie er gleich drei Bayern aussteigen lässt. Die Eintracht
ist jetzt kurz vor dem Sieg. Grabi dringt in den Strafraum ein, schaut,
nimmt Maß, und wird von hinten von Breitner umgerissen. Alle haben
es gesehen: Elfmeter, klare Sache! Alle - bis auf Schiri Siepe aus Köln.
Der „Unparteiische“ lässt weiterspielen. Noch sechs Minuten, Bayern nochmals über links, Flanke auf Müller, der kann sich diesmal durchsetzen, Müller köpft und Dr. Kunter fliegt heran, Faustabwehr, vorbei. Das wäre auch des Guten zu viel gewesen. Das Spiel endet 2:2 „für“ Eintracht Frankfurt. Glück gehabt, Bayern! Die Hessen hätten den Sieg verdient gehabt, sind aber dennoch in der ihnen eigenen bescheidenen Art nicht unzufrieden mit der Punkteteilung. Anschließend ist das Armbrustschützenzelt auf dem Oktoberfest fest in hessischer Hand. Äppelwoi gibt’s hier zwar nicht, aber man sieht nach dieser Galavorstellung nur lachende Gesichter. Immer wieder singen die Eintrachtfans von der Meisterschaft. Mal sehen, was daraus wird. Zu gönnen wäre es diesen Fans allemal. (uh)
|