Eintracht Frankfurt - MSV Duisburg |
Bundesliga 1973/1974 - 2. Spieltag
3:0 (0:0)
Termin: Sa 18.08.1973, 15:30 Uhr
Zuschauer: 22.000
Schiedsrichter: Ferdinand Biwersi (Bliesransbach)
Tore: 1:0 Jürgen Grabowski (48.), 2:0 Peter Reichel (50.), 3:0 Roland Weidle (63.)
Eintracht Frankfurt | MSV Duisburg |
|
|
Wechsel
|
Wechsel
|
Trainer | Trainer
|
Der Prophet des perfekten Fußballs Der Saisonauftakt in Köln verlief nicht nur vom Ergebnis, sondern auch vom Auftreten der Eintracht her verheißungsvoll. Wird es dem neuen Trainer Weise tatsächlich gelingen, die angesichts der Spielstärke der Hessen geradezu unglaubliche Auswärtsschwäche abzulegen und dabei die Heimstärke beizubehalten? Zur Beantwortung der zweiten Frage kommt heute der richtige Gegner zur Premiere ins bereits für die WM umgebaute, aber noch nicht fertig gestellte Waldstadion: der MSV Duisburg. Die Meidericher sind nicht nur immer ein unangenehmer Gegner für die Riederwälder gewesen, in der letzten Saison gingen sogar beide Spiele gegen den MSV verloren. Die Heimniederlage gegen den MSV am letzten Spieltag kostete die Eintracht dabei die letzten theoretischen Chancen auf einen UEFA-Cup-Platz. Am ersten Spieltag der neuen Saison kam der MSV zwar zu Hause nicht über ein Unentschieden gegen Hannover 96 hinaus, hatte jedoch in Torhüter Linders und dem Torschützen Dietz zwei so starke Kräfte, dass das Sportmagazin "Kicker" beide "Zebras" in die "Elf des Tages" stellte. Linders und Dietz, auf diese beiden bewährten Abwehrkräfte baut MSV-Trainer Faßnacht auch heute. Faßnacht lässt seine Elf gegen die technisch beschlagenen Gastgeber wieder gewohnt defensiv agieren. Die drückende Schwüle, die heute im Rund des Waldstadions herrscht, spielt seiner Taktik zusätzlich in die Karten. Die Eintracht, die im Tor mit Dr. Kunter, in der Abwehr mit Vorstopper Kliemann, Libero Trinklein sowie den beiden Außenverteidiger Andree und Reichel, im Mittelfeld mit Hölzenbein, Körbel, Kalb und im Sturm mit Rohrbach, Grabowski und Nickel im Zentrum antritt, trifft auch sogleich auf eine massierte Abwehr der Gäste. So sehr sich die Frankfurter trotz der Witterung bemühen, es scheint einfach kein Durchkommen durch den Duisburger Abwehrriegel zu geben. Obwohl Körbel, Kalb, Rohrbach und Hölzenbein unermüdlich Tempo machen, bekommt die Gummiwand, die die Gäste um ihren Strafraum errichtet haben, keine Risse oder gar Löcher. Alle Angriffe der Frankfurter scheinen an dieser Wand förmlich abzuprallen. Gelingt es den Hessen dann doch einmal, sich in die Nähe des Duisburger Tores zu spielen, wird der Ball eine Beute des sicheren Linders. Mittelstürmer Bernd Nickel, der schon letzte Woche in Köln nicht zu überzeugen wusste, spielt auch dieses Mal zu umständlich. Nickel kann sich nicht entscheidend durchsetzen oder in eine günstige Schussposition bringen, um einen seiner gefürchteten Gewaltschüsse in Richtung des MSV-Tores zu schicken. Zur Halbzeit steht es somit wenig überraschend weiterhin 0:0. "Unser Konzept ist bisher aufgegangen", freut sich Duisburgs Trainer Faßnacht, fügt aber hinzu: "Leider sind meine sonst so schnellen Stürmer heute nicht giftig genug." Weise reagiert derweil auf der anderen Seite auf die mangelnde Durchschlagskraft im Angriff: Er bringt Roland Weidle für Nickel. Faßnacht wechselt ebenfalls aus und schickt Rudi Seliger für Hosic ins Rennen, der zu Saisonbeginn aus Lautern an die Wedau gekommen ist. Während auf Frankfurter Seite der Mann mit dem härtesten Schuss das Feld verlässt, kommt er bei den Zebras mit dem Flügelstürmer Seliger nun ins Spiel. Wirkung entfaltet aber allein Weises Maßnahme, die er mit dem Schachzug verbindet, Grabowski vom Flügel in die Mitte rücken zu lassen und Weidle auf die Außenbahn zu stellen. Wie so oft in der Vergangenheit, wenn Grabowski von der räumlichen Limitierung eines Flügelspielers befreit wurde, zeigt der Frankfurter Kapitän auch diesmal, dass in ihm viel mehr steckt als der flinke Dribbler und begnadete Techniker. Nun hat Grabowski das Spiel in seiner ganzen Breite vor sich und nutzt als Denker und Lenker seine neu gewonnenen Freiheiten zur Freude der Zuschauer weidlich aus. Die Duisburger Betondeckung gerät augenblicklich ins Wanken, auch weil Weidle über Außen für Druck sorgt. Es ist jedoch – natürlich – Jürgen Grabowski, dem es vorbehalten bleibt, den Riegel der Gäste zu knacken. Ein mächtiger Donnerschlag aus dunklen Gewitterwolken kündigt im Frankfurter Waldstadion seinen Auftritt an und wie Grabowski beim Führungstreffer in der 48. Minute den Ball überlegt und elegant am heraus stürzenden Linders vorbei im Tor des MSV unterbringt, ist nichts weniger als sehenswert. Ein Tor erzielt mit der Grandezza eines spanischen Granden - Grande Grabowski. Die Männer von der Wedau haben sich kaum neu formiert, da klingelt es bereits zum zweiten Mal im Kasten von Linders. Der offensive Außenverteidiger Peter Reichel, der in Köln in der Schlussphase noch am Innenpfosten scheiterte, trifft nur zwei Minuten nach dem Führungstreffer aus nahezu unmöglichem Winkel fast von der rechten Eckfahne zum 2:0. In der 53. Minute entscheidet Schiedsrichter Biwersi dann auf Elfmeter für die Eintracht und scheint damit das Unglück für die Gäste perfekt zu machen, doch Grabowski hat Pech und kann den Strafstoß nicht verwandeln. Der vergebene Elfmeter könnte nun das Signal für eine Duisburger Aufholjagd werden, doch der MSV gerät zusehends aus dem Konzept. Kein Wunder, die Mauertaktik hat sich bei diesem Spielstand erledigt. Den jetzt offensiv geforderten Zebras gelingt es nicht, den Schalter umzulegen. Das Mittelfeld des MSV kann dem Angriffsspiel keine Impulse geben und im Sturm ist der antrittsschnelle Wunder nach der Auswechslung von Hosic auf sich allein gestellt und gegen den umsichtigen Kliemann chancenlos. Klaus Wunder, in der letzten Saison mit 17 Treffern torgefährlichster Duisburger, erlebt gegen den "Funkturm" nicht sein blaues aber dafür sein "Berliner Wunder". Wunders Sprinterqualitäten - die 100 Meter läuft er in 10,8 Sekunden – nützen ihm gegen den Mann von der Spree wenig. Kliemann verdient sich die Note 1 und ist damit neben Grabowski bester Frankfurter. Grabowski könnte mit ein wenig Glück nicht nur auf den Platz, sondern auch auf dem Papier der Mann des Spiels werden, doch nach seinem Tor klebt ihm das Pech an den Stiefeln. Vier große Chancen kann der Biebricher Bub samt seinem verschossenen Elfmeter nicht nutzen. Doch das Frankfurter Publikum trägt seinem Liebling die ausgelassenen Torchancen nicht nach. Im Gegenteil: Als Jürgen Grabowski in der 61. Minute zu einem seiner atemberaubenden Sololäufe ansetzt und erst am Ende am großartig reagierenden Linders scheitert, erhält der Kapitän für seine unerhört dynamische und doch an leichtfüßiger Eleganz nicht zu überbietende Darbietung auch ohne den krönenden Abschluss den verdienten Sonderapplaus des sachkundigen Publikums. Selbst Fußballlaien bekommen bei solchen Aktionen des fragil erscheinenden Ausnahmetechnikers eine Vorstellung davon, wie Fußball in Vollendung aussieht. Wer einmal Zeuge von Grabowskis außergewöhnlichen Fähigkeiten geworden ist, beneidet entweder als Gegner die Eintracht um solch einen unvergleichlichen Spieler oder ist als Eintrachtfan unsagbar stolz, dass dieser Mann das Trikot mit dem Adler auf der Brust trägt. Kein Zweifel möglich, das Evangelium - die frohe Botschaft - des perfekten Fußballs existiert und Jürgen Grabowski ist ihr Prophet. Neben der Kunst vergisst die Eintracht an diesem Tag jedoch nicht, dass in der Tabelle nicht der Wert, sondern das Ergebnis des Spiels gezählt wird, und beendet ihre überaus effektive stürmische Viertelstunde nach der Pause mit einem weiteren Treffer. Kliemann nimmt bei einem Freistoß von der Strafraumgrenze einen mächtigen Anlauf, tritt dann aber über den Ball, was dem hinter ihm lauernden Weidle die Möglichkeit eröffnet, den Ball platziert durch die Lücke in der Duisburger Mauer zu schießen, die Trinklein aufgerissen hat. 3:0 nach 63 Minuten, das Spiel ist entschieden. Die Höhe der Bestrafung für das defensive Spiel der Gäste erscheint der Eintracht damit wohl als ausreichend, denn in der Folge verzichten die Hessen ihre Überlegenheit in weiteren Torerfolgen zu dokumentieren. Es kann natürlich auch an der brütenden Hitze liegen, die vielen Spielern so zu schaffen macht, dass ihnen die Luft ausgeht. Eine Ausnahme allerdings gibt es und die trägt den Namen Thomas Rohrbach. Er feiert die Fortsetzung seiner Wiedergeburt als Linksaußen, in dem er bei seinen Slalomläufen manches Mal fünf, sechs Gegenspieler stehen lässt, um dann vorzügliche Flanken in den gegnerischen Strafraum zu schlagen. Rohrbach, wie Trinklein am letzten Spieltag der vergangenen Saison noch aus disziplinarischen – oder eher "moralischen" Gründen - von damaligen Trainer Ribbeck aus dem Kader verbannt, begeistert neben den Fans auch die Journalisten, von denen einer etwas übers Ziel hinaus schießt, als er schreibt: "Vielleicht etwas gewagt, aber: Ich würde ihn Bundestrainer Schön empfehlen. So viele gute Linksaußen haben wir schließlich nicht in Deutschland." Zu berichten gibt es von der Partie in der Schlussphase nicht mehr viel. Wolfgang Kraus darf ab der 72. Minute für Körbel ins Spiel eingreifen und Bernard Dietz reagiert auf den einsetzenden Frankfurter Leichtsinn kurz vor dem Ende mit einem Lattenschuss. Am Ergebnis aber ändert sich nichts mehr. Auf den MSV wartet in dieser Verfassung ein harter Abstiegskampf, die gewohnt heimstarke Eintracht darf sich bei konstanten Leistungen nach oben orientieren. In der nach dem zweiten Spieltag wenig aussagekräftigen Tabelle spiegeln sich diese Tendenzen bereits wieder: Duisburg steht auf dem 14., die Eintracht auf dem 4. Platz. Uwe Kliemanns Leistung ist übrigens auch dem "Kicker" nicht entgangen: Der Funkturm steht dort in der "Elf des Tages". Als strahlender Sieger verlässt Frankfurts Trainer Dietrich Weise den Platz: "Wir hatten uns vorgenommen, ein schnelles und gutes Spiel zu zeigen. Schließlich geht es beim ersten Mal doch darum, dass die Zuschauer wiederkommen.""Anfangs gab es keinen freien Raum", erklärt Weise, "weil Duisburg mit so vielen Leuten verteidigte." Doch nach den beiden schnellen Gegentoren spielte Frankfurt zeitweise wirklich erstklassig. "Bei uns dagegen haben einige junge Leute noch nicht das richtige Profi-Verständnis", klagt MSV-Trainer Faßnacht.
Rudi Faßnacht, der am 19. Oktober 1973 als Trainer des MSV Duisburg zurücktrat, starb mit seiner Frau Sigrid und 113 weiteren Menschen am 25. Juli 2000 bei Gonesse nahe dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle beim Absturz eines Flugzeuges des Typs Concorde. Das Ehepaar Faßnacht befand sich auf dem Weg zu einer Kreuzfahrt mit der MS Deutschland. Das Flugzeugunglück, dem die Faßnachts zum Opfer fielen, bedeutete den Anfang vom Ende der Concorde, die am 26. November 2003 ihren letzten Flug antrat, der sie ins Museum führte. (rs)
|