MSV Duisburg - Eintracht Frankfurt |
Bundesliga 1972/1973 - 17. Spieltag
3:1 (2:0)
Termin: Sa 16.12.1972, 15:30 Uhr
Zuschauer: 10.000
Schiedsrichter: Norbert Fuchs (Herdorf)
Tore: 1:0 Werner Schneider (37.), 1:1 Jürgen Grabowski (56.), 2:1 Werner Schneider (83.)
Hamburger SV | Eintracht Frankfurt |
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Wechsel | Wechsel
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Trainer
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Kleine Mädchen Vor drei Tagen wurde mit Annemarie Renger die erste Frau in das Amt des Bundestagspräsidenten gewählt. "Ich habe mich in der Fraktion selber für das Amt des Bundestagspräsidenten vorgeschlagen", wird die ebenso engagierte wie resolute Sozialdemokratin später enthüllen: "Glauben Sie, man hätte mich sonst genommen?" James Brown hat recht: Es ist eine Welt der Männer – aber sie wäre nichts ohne Frauen und Mädchen. Doch egal welchen Geschlechts, dürfte die Mehrzahl der Fans des MSV Duisburg und der Frankfurter Eintracht in diesen Tagen etwas anderes beschäftigen. Mit diesen beiden Vereinen treffen heute nämlich zwei Mannschaften aufeinander, die in dieser Woche je einen Spieler abgegeben haben. In Duisburg wird der ehemalige Torjäger Rainer Budde nicht mehr benötigt, bei der Eintracht hat Horst Heese den Verein verlassen, weil dieser um seinen Stammplatz und damit seine Zukunft als Lizenzspieler fürchtete. Während Budde zu den abstiegsgefährdeten Schalkern wechselte, zog es Heese zu einem anderen Kellerkind der Liga, zum Hamburger SV. Auch ohne den kampfstarken Heese will die Eintracht in Duisburg punkten. Das ist der Mannschaft, die vor der Saison als Geheimfavorit gehandelt wurde, aber nun im Mittelfeld der Tabelle stecken geblieben ist, auch dringend anzuraten: In dieser Hinrunde konnte sie auswärts noch kein Spiel gewinnen. So stark und unbezwingbar die Eintracht zu Hause erscheint, so anfällig sind die Hessen auf fremden Plätzen. Die Macht vom Main ist in dieser Spielzeit eben nur am Main eine Macht, auswärts spielt die Mannschaft die undankbare Rolle des permanenten Punktelieferanten. Der MSV Duisburg will die Punkte unbedingt an der Wedau behalten. MSV-Trainer Faßnacht begründet diesen Anspruch auch ohne Umschweife: "Ein Mitbewerber um die ersten fünf Plätze darf hier einfach keinen Punkt holen." Nicht nur Faßnacht, der mit den Meiderichern bereits vor zwei Jahren einen nicht für möglich gehaltenen 7. Platz erzielen konnte, erscheint der 5. Platz längst kein unrealistisches Ziel mehr zu sein. Der MSV ist in dieser Saison überraschend stark, steht in der Tabelle auf Platz 6 und hat in der Hinrunde lediglich das Heimspiel gegen die Stuttgarter am 2. Spieltag abgeben müssen. Im letzten Heimspiel kamen die Meidericher jedoch nicht über ein torloses Unentschieden gegen den Wuppertaler SV hinaus. Wenig überraschend also, dass sich Frankfurts Trainer Ribbeck vom Wuppertaler System, die mit nur einer Spitze operieren, hat inspirieren lassen. Auf jeden Fall versucht er, die Auswärtsschwäche seiner Elf mal wieder mit einer Mauertaktik in den Griff zu bekommen. Diesmal treffen die taktischen Überlegungen des Trainers Roland Weidle: Stark zurückgezogen soll der Schwabe, der als Dauerläufer und Außenstürmer zu überzeugen und zu gefallen wusste, die Kreise von Büssers einengen. Dafür wird Jürgen Kalb nicht im Mittelfeld, sondern als Außenverteidiger aufgeboten, weil der zuletzt so starke Schämer verletzt ist. Seinen Pendant auf der anderen Abwehrseite gibt wieder der junge Reichel. Trinklein und Kliemann sollen wie gewohnt als Libero und Stopper die Mitte dicht machen. Der MSV muss den Ausfall von Jugendnationalspieler Worm verkraften, der wegen einer Mandeloperation nicht dabei sein kann. Doch offensichtlich haben die Duisburger, die mit Seliger, Worm und Wunder über einen gefährlichen Angriff verfügen, einen schier unerschöpflichen Stürmervorrat. Werner Schneider, erst 18 Jahre jung, läuft für Worm auf. Erst auf acht Bundesligaspiele, in denen er zudem meist eingewechselt wurde, kann Schneider zurückblicken, und doch ist er für die Gäste kein Unbekannter: Am letzten Spieltag der vergangenen Saison war Schneider gegen die Eintracht ebenfalls mit von der Partie. Die Erinnerung an dieses Spiel macht den Frankfurtern auch Hoffnung, dass sie im Wedau-Stadion ihre grausame Auswärts-Serie endlich beenden werden: An jenem 34. Spieltag sicherte sich die Eintracht hier mit einem 1:0-Sieg den fünften Platz. Tatsächlich spielt die Eintracht groß auf. Vor allen Dingen Heese-"Ersatz" Rohrbach kurbelt immer wieder den Sturm der Frankfurter an. Das Mittelfeld ist fest im Besitz der Gäste, und aus diesem gut funktionierenden Mittelfeld heraus, werden Angriffe auf das Duisburger Tor inszeniert, die so gefährlich sind, dass es nach 15 Minuten bereits 2:0 für die Frankfurter stehen müsste. Schon in der 4. Minute muss Torwart Linders dem durchgebrochenen Parits den Ball vom Fuß angeln, und dann schießt Rohrbach, von Grabowski in Position gebracht, allein vor Linders dem MSV-Schlussmann auf den Leib, als wolle er ihn in der Mitte durchbrechen. Damit nicht genug, noch einmal setzt sich der stark spielende Parits durch, verzieht aber den Schuss.
Es ist imponierend, wie die Frankfurter Truppe zu Werke geht. Die hoch gelobten Spitzen des MSV werden quasi zur Bedeutungslosigkeit verurteilt: Kliemann gegen Wunder, Kalb gegen Seliger und Rohrbach gegen Linßen sorgen für einen ruhigen Nachmittag ihres Schlussmanns Dr. Kunter. Der bekommt erst in der 22. Minute das erste Geschoss auf seinen Kasten. Es ist ein Freistoß von Seliger, den Kunter aber sicher wegfaustet. Die Eintracht-Abwehr mit dem überragenden Kliemann steht weiterhin sicher. Der "Funkturm" wird zwar von Beginn an von einer unerfreulichen Zuschauergruppe per Sprechchor mit Schimpfworten bedacht, behält aber zumeist Übersicht und Nerven. Modern, mit wenigen Zügen, wird nach vorn gespielt. Nickel ist stärker als zuletzt in Hannover, Hölzenbein taut immer mehr auf, ist jedoch vor dem Tor unkonzentriert. Schön durchgelaufen schiebt er das Leder aus aussichtsreicher Position an Linders und dem Tor vorbei. Der Schachzug Ribbecks, Weidle als Sonderbewacher von Herbert Büssers aufzubieten, ist ein Fehlgriff, der Weidle seiner offensiven Qualitäten beraubt, aber den Duisburger nicht stoppt. Büssers setzt sich im Zweikampf immer wieder gegen Weidle durch und schwingt sich - ungeachtet seiner routinierteren Kollegen Bernd Lehmann und Hannes Linßen – zusehends zum spielbestimmenden Mann des MSV auf. Als logische Konsequenz ist es Büssers, der in der 37. Minute per Volleyvorlage die Führung für die Gastgeber einleitet. Sein herrlicher Diagonalpass, der selbst einem Günter Netzer gut zu Gesicht gestanden hätte, findet den 18-jährigen Werner Schneider, der sein erstes Bundesligator erzielt. Peter Reichel bekommt den jungen Duisburger Außenstürmer an diesem Tag einfach nicht in den Griff, aber besondere Hilfestellung beim Duisburger Führungstreffer leistete auch Weidle, der zuvor den Ball vertändelte. Klaus Wunder, an dem die Eintracht in der Sommerpause großes Interesse gezeigt hatte, ist dagegen in vergleichsweise guten Händen. Der mit 12 Bundesligatreffern gefährlichste Duisburger findet darüber hinaus im hervorragenden Dr. Kunter immer wieder seinen Meister. Dem Frankfurter Keeper steht sein Gegenüber im Kasten des MSV übrigens in nichts nach; Linders zeigt wie Dr. Kunter eine fehlerlose Partie, in der sich beide Schlussmänner die Bestnote verdienen. Trotz der eigentlich defensiven Ausrichtung beweist die Elf vom Main, dass die meisten taktischen Überlegungen letztlich Sandkastenübungen sind und bleiben. Eine Elf kann mit fünf Stürmern auftreten, ohne eine Torchance zu erspielen. Sie kann jedoch auch ein defensiv angelegtes Spielsystem offensiv interpretieren. Das tun die Riederwälder: Aus jeder Position versuchen sie das Angriffsspiel zu forcieren. Hier ist es der giftige Rohrbach, dort der elanvolle Hölzenbein oder der locker aufspielende Kalb - die Eintracht marschiert. "Ist doch ein Witz", beschwert sich Frankfurts Kliemann zur Pause, "wir machen das Spiel - und die führen." Trainer Ribbeck ist stinksauer und stellt nicht zum ersten Mal seine Führungsqualitäten und sein psychologisches Geschick unter Beweis: "Chancen über Chancen - aber meine Stürmer benehmen sich im Strafraum wie kleine Mädchen." Der MSV beginnt die zweite Halbzeit mit einem Lattenkracher von Bella. Dann stoßen Weidle und Pirsig mit den Köpfen zusammen, doch während der Frankfurter weitermachen kann, muss Detlef Pirsig mit einer blutenden Wunde ausgewechselt werden. Faßnacht bringt den 20-jährigen Abwehrspieler Klaus Bruckmann für Pirsig. Der junge Mann, der nicht zum ersten Mal Libero spielt, ist heute jedoch überfordert und bringt eine Menge Unruhe in den Abwehrverbund der Gastgeber. Schon ist wieder Parits durch, schießt aber den Ball statt ins Tor auf den Körper von Torhüters Linder. Die nachfolgende Ecke nutzt Parits zum Abspiel auf Grabowski, der Bella stehenlässt und flach einschießt. Das ist in der 56. Minute die Krönung der packenden Duelle, die sich der Kapitän der Frankfurter heute am laufenden Band mit Michael Bella liefert. Und nun ist es MSV-Trainer Faßnacht, der mürrisch dreinschaut: "Wir hätten doch schon alles klarmachen müssen ..." Die Partie ist nicht hochklassig, aber allemal spannend, wobei Ersatz-Libero Bruckmann mit einigen Fehlern seinen Teil zur – für die MSV-Anhänger – nervenaufreibenden Unterhaltung beiträgt. In seiner Unsicherheit begegnet Bruckmann nach 76 Minuten seinem Gegenspieler Parits im Zweikampf mit einer solchen Härte, dass dieser verletzt vom Platz muss. Für Parits, der bis dahin meist die einzige Spitze gegeben hatte, kommt der in Frankfurt nicht glückliche und ausgesprochen abwanderungswillige Ender Konca. Es wird Koncas letztes Punktspiel für die Hessen sein. Faßnacht springt derweil über seinen Schatten und entscheidet sich, seine Auswechslung zu revidieren. Diese Entscheidung geht allerdings auf Kosten des erst seit 26 Minuten spielenden Bruckmann, der in der 79. Minute dem Spielfeld schon wieder den Rücken kehren muss. Eine ganz bittere Erfahrung für den jungen Mann in seinem ersten Profijahr, der an den ersten sechs Spieltagen durchspielen durfte, bis heute aber in keiner weiteren Bundesligapartie Erfahrung sammeln konnte. Die Höchststrafe für Bruckmann erweist sich jedoch als Glücksgriff für den MSV. Der für Bruckmann eingewechselte Außenstürmer Savkovic ist gerade vier Minuten im Spiel, als der kesse 19-Jährige einen tollen Flügellauf startet, bei dem er von Konca nicht verfolgt wird. Savkovics Flanke findet im fast gleichaltrigen Werner Schneider einen dankbaren und überglücklichen Abnehmer. Reichel, der zweimal in höchster Bedrängnis auf der Linie rettete und mit einigen Sturmläufen für Gefahr sorgte, hat den Stürmer zum zweiten Mal aus den Augen verloren. Des jungen Schneiderleins zweiter Streich ist der Knockout für Ribbecks "kleine Mädchen", die heute einen Punkt verdient gehabt hätten. Schneiders Treffer zum 2:1 ist der Siegtreffer in einem nie hochklassigen, aber mitreißenden und am Ende dramatischen Spiel. "Das hätte ins Auge gehen können", sagt Duisburgs Vorstopper Detlef Pirsig und zeigt auf die frisch genähte Platzwunde an seiner Schläfe. Während der knappen halben Stunde, in der Ersatzmann Klaus Bruckmann spielte, schwamm die Abwehr wie lange nicht mehr. "Ein Glück, dass dafür die Jungs im Sturm die Nerven behalten haben", ist MSV-Trainer Faßnacht erleichtert. Das 1:2 beim MSV Duisburg zählt zu den vielen unnötigen Auswärtsniederlagen, die sich die Frankfurter Eintracht in den letzten Wochen und Monaten geleistet hat. Den Chancen nach hätte mindestens ein Unentschieden an der Wedau herausspringen müssen, aber am Ende steht der doppelte Punktverlust. Er reiht die Mannschaft in der Tabelle dort ein, wo sie nach ihrem Selbstverständnis nicht hingehört: in das Mittelfeld der Liga. Erich Ribbeck knurrt auch deswegen enttäuscht: "Wer solche Möglichkeiten auslässt, hat es gar nicht verdient, einen oder gar beide Punkte zu holen!" Rudi Faßnacht bestätigt seinen Kollegen: "In der zweiten Halbzeit kamen wir völlig aus dem Rhythmus. Da hatte der Gegner die klareren Chancen, die er aber unkonzentriert vergab!" Was bleibt zum Abschluss der Vorrunde? Jürgen Grabowski ist spitze: Zum vierten Mal beruft in der "Kicker" in der laufenden Saison in die "Elf des Tages". Grabowskis Eintracht ist dagegen aufgrund ihrer fortgesetzten Auswärtsschwäche in dieser Spielzeit nur Mittelmaß und belegt zum Abschluss der Vorrunde den 10. Platz. Die Niederlage in Duisburg kostet die Hessen in der Tabelle zwei Plätze, während der MSV auf Rang 6 verbleibt und dort überwintert. Überwintern will die Eintracht im DFB-Pokal. Dazu muss gegen Hannover am Mittwoch ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk in Form eines Heimsieges mit mindestens zwei Toren Unterschied her. Und wie ist es Horst Heese heute ergangen? Ende der vergangenen Woche hatten sich die Verantwortlichen am Riederwald nach anfänglichem Zögern – wohl auch angesichts der finanziellen Probleme - dazu durchgerungen, den härtesten Kampftyp im Eintracht-Trikot gegen eine Ablöse von etwa 170.000 Mark in Richtung Hamburg ziehen zu lassen. Am Montag hatte der allseits beliebte Präsident der Keglertruppe in der Lizenzspielerrunde sein letztes Training absolviert, und wenig später schon war er unterwegs vom Main an die Alster. Nicht zuletzt Trainer Ribbeck bedauert Heeses Weggang, den er selbst vor dreieinhalb Jähren aus dem Westen geholt hat: "Ein so vielseitig verwendbarer Typ hinterlässt eine Lücke." Das sieht nicht jeder so: "Andererseits ist damit der Weg frei, aus der Eintracht wieder eine spielende Mannschaft zu machen, meint "Kicker"-Journalist Herbert Hoffmann, "denn wo Heese stand, war es Zufall, ob der Spielfluss erhalten blieb, oder nicht. Meistens riss der Faden. Jetzt könnte er wieder geknüpft werden." In seinem ersten Spiel für den HSV konnte Heese
nicht an seine besten Leistungen für die Eintracht erinnern, sein
Debüt in Hamburg stand unter keinem günstigen Stern. Der HSV
erlitt im Duell der beiden Kellerkinder der Liga gegen die bisher auswärts
sieg- und punktlosen Schalker die einzige Heimniederlage des 17. Spieltages.
Damit nicht genug, der als Vorstopper eingesetzte Heese verursachte einen
Foulelfmeter, aus dem das Tor des Tages resultierte. "Ich bin so
unglücklich, weil Schiedsrichter Gabor aus Berlin diesen Strafstoß
gab. Der hatte mich von Beginn an auf dem Kieker. Ich hätte ihn am
liebsten verhauen", schimpft Heese, der – irrigerweise –
glaubt, er habe sein Foul noch vor der Strafraumgrenze begangen. "Ich
dachte, dass wenigstens der Linienrichter einschreitet. Aber das sind
ja die größten Pappfiguren", poltert der Hamburger Neuzugang
ungebremst weiter: "Solche Situationen deprimieren. Da wird man unsicher.
Am meisten ärgert mich, dass man sich von den Schiedsrichtern wie
ein Schulbub behandeln lassen muss. Man darf nichts sagen", regt
sich Heese über die Gelbe Karte auf, die er wegen Meckerns erhielt.
Seinen Entschluss, zum HSV zu wechseln, hat er natürlich noch nicht
bereut, "nur muss meine Familie schnellstens hochkommen. Ich brauche
meine Frau und die Kinder. Sonst bin ich ungenießbar." Ohne
die kleinen Mädchen geht es eben doch nicht. Wie man hört und
sieht … (rs) |