Eintracht Frankfurt - Werder
Bremen |
Bundesliga 1972/1973 - 9. Spieltag
2:2 (1:1)
Termin: Sa 28.10.1972, 15:30 Uhr
Zuschauer: 7.000
Schiedsrichter: Manfred Wichmann (Gelsenkirchen)
Tore: 1:0 Jürgen Grabowski (32.), 1:1 Herbert Laumen (35.), 1:2 Peter Dietrich (63.), 2:2 Thomas Rohrbach (86.)
Eintracht Frankfurt | Werder Bremen |
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Wildwechsel im Waldstadion Dem Höhenflug der Eintracht gegen den Spitzenreiter aus München folgte die Bruchlandung beim Tabellenletzten in Oberhausen. Die Eintracht-Spieler verdarben sich damit nicht nur das Einstreichen einer Rekordprämie – die Punktprämien bei den Frankfurter berechnen sich nach den Zuschauerzahlen des letzten Heimspiels (42.000 gegen Bayern) - sie verdarben ihrem Trainer auch gehörig die Laune. Erich Ribbeck verschob nach dem 0:1 in Oberhausen die Spielersitzung um einen Tag auf Dienstag: "Ich wäre sonst vielleicht unsachlich geworden." Im Ligapokal konnten sich die Hessen vor vier Tagen beim Spitzenreiter der Regionalliga West Fortuna Köln mit einem 3:2-Sieg halbwegs rehabilitieren. Bernd Hölzenbein bekam diese Chance zur Wiedergutmachung jedoch nicht: Er saß nach schwacher Leistung bei RWO nur auf der Bank. Ein anderer Bankdrücker ist unterdessen so unzufrieden mit seiner Reservistenrolle, dass er sich öffentlich – etwas pathetisch - beklagte. "Meine Freundschaft mit Ribbeck ist vorbei", verkündete Horst Heese: "Ich verlasse die Eintracht. Ich will nicht wie einst Jusufi in Wiesbaden bei einem Hessenligaklub enden. Mit 28 Jahren kann ich noch woanders Stammspieler werden." Ribbeck begegnet den Einlassungen seines "Ex-Freundes" geschäftsmäßig: "Der Horst hat noch einen Vertrag bis zum Ende der Saison. Wenn er wechseln will, muss die Ablöse stimmen und ich mir darüber im Klaren sein, ob ich ihn entbehren kann." Auch hinter den Kulissen sind sich nicht alle Leute im Verein einig. Unter der Woche tobte wieder einmal ein Kompetenzstreit zwischen dem für die "Lizenzspielerabteilung verantwortlichem Verwaltungsratsmitglied" Ernst Berger und dem "Turnerpräsidenten" Ernst Zellekens. Grund des neuerlichen Streits der beiden Männer, die in Mentalität und Temperament nicht unterschiedlicher sein könnten, ist die von Zellekens angestrebte Verkleinerung des Spielerkaders, hinter den Kulissen geht es wie immer nur um eines – die Verteilung der Macht. Öffentlich wird der starke Mann und das Revier markiert. "Einigen Herren ist offensichtlich zu wohl geworden, sie glauben, die Bundesliga sei ein Fass ohne Boden", sagt Zellekens in Anspielung auf die öffentlichen Unmutsäußerungen von Horst Heese. Berger hat wiederum erst in der Zeitung davon erfahren, dass Heese und Trinklein auf die Transferliste kommen, und kündigt an: "Das lasse ich mir nicht bieten. Es besteht eine klare Absprache, dass wichtige Dinge, die die Lizenzspielerabteilung betreffen, nicht ohne meine Zustimmung entschieden werden." Trainer Ribbeck hat andere Sorgen. Bei Heese will er sich im Falle eines guten Angebotes überlegen, ob er auf ihn verzichten will, bei Friedel Lutz, "Kalla" Wirth und Gert Trinklein muss er es. Die drei haben nach ihren Verletzungen Trainingsrückstand und kommen für einen Einsatz gegen Werder nicht in Frage. Freiwillig verzichtet Ribbeck erneut auf Hölzenbein, dem er die Niederlage beim Tabellenletzten persönlich ankreidet: "Er hatte einen gehörigen Anteil an der Pleite in Oberhausen", meint Ribbeck weiterhin. Dabei hat Ribbeck Hölzenbein erst in dieser Woche im "Kicker" in Schutz genommen und Hölzenbeins Anlaufzeit, um in einem Spiel auf Touren zu kommen, so begründet: "Dass rührt daher, dass er vor Saisonbeginn verletzt war und in den 14 Tagen vor dem Start kaum trainieren konnte." "Als der Bernd vor Monaten ein Junioren-Länderspiel bestritt, musste er den gegnerischen Spielmacher ausschalten. Er meisterte diese Aufgabe gut. Nur wirft ein solcher Erfolg selten den ganz großen Glanz", unterstützt Ribbeck im "Kicker" gar Hölzenbeins Traum, irgendwann doch für die Nationalmannschaft zu spielen. Und nach einer Ähnlichkeit mit den Qualitäten des Gladbacher Nationalspielers Wimmer befragt, antwortet der Eintrachttrainer: "Im gewissen Grade ja. Nur ist Wimmer noch ein stärkerer Läufer, er kann eine Abwehr kaputt rennen. Hölzenbein – auch ein Vorwärtsdränger – bringt dagegen mehr Zug zum Tor mit." Einen Zug, auf den sein Trainer heute jedoch vorerst keinen großen Wert legt und so rücken nur Rohrbach anstelle Schämers und Konca anstelle Krauths in die erste Elf. Ribbecks Kollege Josef Piontek hat nicht die Qual der Wahl. Dieter Burdenski hat Trainingsrückstand, darüber hinaus muss Piontek ohne den Nationalverteidiger Horst-Dieter Höttges sowie Werner Weist auskommen, der in den ersten acht Spielen immerhin vier Treffer erzielen konnte. Auf Kapitän Rudi Assauer kann Piontek dagegen zählen: Der Libero spielt trotz Rippenbruch mit einem Klebeverband und Spritzen auf eigenen Wunsch, obwohl ihm sogar Vereinspräsident Dr. Franz Böhmert von einem Einsatz abgeraten hat. Assauer macht seinem Ruf als beinharter Kämpe alle Ehre, zuletzt wurde er beim 2:0-Heimspielsieg über Schalke 04 von den Bremer Zuschauern zum einsatzfreudigsten Spieler gewählt und dafür mit einer Sonderprämie von 200 Mark bedacht. Erste Gefahr droht der Bremer Defensive in der 3. Minute, der stürmisch nach vorn geeilte Körbel wird kurz vor dem Strafraum gefoult. Den fälligen Freistoß hebt Parits zwar gekonnt über die Mauer, doch Torwart Bernard kann zur Ecke fausten. Als Nächstes schießt Nickel aus 20 Metern, Bernard kann den Ball nicht festhalten und faustet das Leder ins Feld zurück, wo Parits die Chance zu einer Flanke auf den Elfmeterpunkt nutzt. Konca kommt so frei zum Schuss, doch sein Versuch fliegt über Bernards Gehäuse ins Aus. In der 12. Minute kann sich Bernard dann auszeichnen, als Hofmeister, der sich bereits einige Male gut ins Angriffsspiel eingeschaltet hat, zu Nickel zurück passt und der Bremer Torhüter das Geschoss noch über die Latte lenken kann. So sehr die 4:0 Ecken auch für die Feldüberlegenheit der Eintracht sprechen, im Abschluss zeigen sich die Hausherren zu unentschlossen und unkonzentriert, was den Gästen regelmäßig die Chance auf eine Intervention eröffnet, die die Abwehr um Assauer, Höttges-Ersatz Kamp sowie der dänischen Neuverpflichtung Per Röntved auch jeweils nutzt. Die Bremer operieren geschickt aus der Defensive, lassen keinen Zweifel daran, dass sie sich mit einem Remis gut bedient fühlen würden und kommen doch zu einigen brauchbaren Chancen. So hat die Eintracht in der 20. Minute großes Glück. Schmidt, der Außenverteidiger der Bremer, ist auf der linken Seite durchgelaufen, während die Eintracht-Abwehr auf den Abseitspfiff von Schiedsrichter Wichmann wartet. Doch Wichmann denkt gar nicht daran, das Spiel zu unterbrechen, was Dr. Kunter wiederum aus seinem Tor treibt, Schmidt entgegen. Der Bremer bekommt den Ball zwar am Frankfurter Schlussmann vorbei, trifft aber nur den Pfosten. Den Abpraller müsste nun Willi Neuberger, der neben Hasebrink und Görts im Angriff aufgeboten ist, nur noch ins verlassene Tor schieben, doch der ehemalige Nationalstürmer schießt am Pfosten vorbei ins Toraus. Piontek, wie sein Gegenüber Ribbeck einst, jüngster Bundesligatrainer, ist zum Haareraufen zumute. Dennoch scheint sich der Aufwärtstrend der Bremer – von der schlechten Chancenverwertung einmal abgesehen - in Frankfurt fortzusetzen.
Das Geschehen aber bestimmt weiterhin die Eintracht. Grabowski sprintet los, flankt, doch Nickel nimmt Hofmeister just per Fallrückzieher den Ball weg, als dieser einköpfen will. Kurz darauf legt wiederum Grabowski, der immer mehr aus dem Mittelfeld in die Spitze rückt, das Leder zur Mitte. Nickel hat freie Schussbahn, haut den Ball aber über den Kasten. Die Eintracht geht mit ihren Chancen um, als stünden ihr diese in unbegrenzter Zahl jederzeit wieder zur Verfügung. Auch wenn sich die Partie zusehends zum Spiel auf ein Tor entwickelt, kann dieses fahrlässige Handeln noch ein böses Ende haben. Kliemann stößt nun zwar immer öfter mit nach vorn, aber der Abschluss bleibt auch hier aus. Die ersten Pfiffe hallen durchs Stadion. Da endlich nimmt Weidle sich ein Herz, doch Bernard dreht den Ball noch mit den Fingerspitzen um den Pfosten. In der 32. Minute erkämpft sich Thomas Rohrbach den Ball und überlässt ihn Bernd Nickel. Nickel spielt einen seiner zentimetergenauen Pässe in die Gasse auf Grabowski und der Kapitän der Eintracht feuert die Kugel zur Frankfurter Führung ins untere rechte Toreck. Wie Grabowski vor kurzem in einem Interview zu seiner gestiegenen Trefferzahl gesagt hat: "Ich halte jetzt einfach mal drauf." Das war der erneute Beweis. Der Nationalspieler ist wieder einmal Bester seiner Mannschaft, Kliemann steht ihm allerdings heute kaum nach. Auf der Gegenseite verlief für den ehemaligen Gladbacher Torjäger Laumen, der nun in der zweiten Saison für Werder kickt, die erste Spielzeit in der Hansestadt mit nur 10 Treffern eher enttäuschend. In dieser Saison hat er bisher noch gar nicht getroffen, kam jedoch bisher auch erst auf vier Einsätze. Drei Minuten nach dem Frankfurter Führungstreffer kommen Laumen und Körbel an der Torraumecke zu Fall, doch Laumen ist schneller wieder auf den Beinen als Körbel, weil der sich in dieser Szene einen Muskelfaserriss zuzieht. Laumen knallt den Ball zum Ausgleich unter die Latte. Neuberger verpasst erneut die Bremer Führung, als er nach einem schnellen Vorstoß einen Flankenball von Zembski glatt vorbeiköpft. Es ist dieses schnelle Spiel, das der Eintracht fehlt. Den Zuschauern reißt so langsam der Geduldsfaden. In der Kurve werden die Sprechchöre nach Hölzenbein langsam fordernder und die Frankfurter Mannschaft wird nach 45 Minuten mit Pfiffen in die Pause verabschiedet. In der Halbzeit bringt Trainer Ribbeck Lothar Schämer für Karl-Heinz Körbel sowie tatsächlich Bernd Hölzenbein für Ender Konca. "Fußball spielt sich am besten im reinen Fußballstadion", plädierte "Holz" in der Montagsausgabe des "Kicker" ungehört für ein Waldstadion ohne Aschenbahn, doch auch auf der Baustelle der ehemaligen Hauptkampfbahn bringt er Gefahr für Werders Abwehr. Allein, das Spiel beginnt so, wie es vor der Pause geendet hat: Bremen in der Verteidigung — Frankfurt im Angriff. In der 53. Minute zaubert Bernd Nickel einen gewaltigen Schuss aufs Bremer Tor, ein Markenartikel aus dem hause "Dr. Hammer", auf den man seit einiger Zeit vergeblich gewartet hat, aber wieder ist Bernard zur Stelle und wehrt das Geschoss zu einem weiteren Eckball für die Eintracht ab. Die Eintracht muss sich vorkommen, als spiele sie gegen eine Wand. Eine Wand, deren Fundament der immer besser werdende Torwart Bernard ist. In der nächsten Szene ist wieder Hölzenbein der Hauptdarsteller, der von seinem Gegenpart Zembski im Strafraum wie ein Kegel umgestoßen wird. Ein eindeutiger Elfmeter, wie er eindeutiger kaum möglich ist, doch Schiedsrichter Wichmanns Pfeife bleibt stumm. Kämpferisch legen beide Mannschaften im zweiten Abschnitt zu. Die Bremer werden nun auch kecker: Neuberger lässt Kalb stehen weg, doch Dr. Kunter ist auf dem Posten und lenkt den Schuss zur Ecke. Auf der anderen Seite legt Grabowski Nickel den Ball auf den Fuß, doch der Scharfschütze der Eintracht verzieht aus spitzem Winkel und schießt am Tor vorbei. Die Frankfurter gehen mit ihren Chancen - wie so oft in dieser Spielzeit - zu leichtfertig um. So etwas wird im Fußball meist bestraft und so ist es auch heute: Als Kalb Neuberger in der 63. Minute zum zweiten Mal nicht halten kann, besorgt Dietrich bei der anschließenden Ecke mit einem Heber das 1:2. Die erste Eintracht-Niederlage droht, weil dem Torschützen die Heimatluft gut zu bekommen scheint. Dietrich spielte vor 10 Jahren ganz in der Nähe des Waldstadions für den Club seiner Heimatstadt, die SpVgg Neu-Isenburg, in der Regionalliga Süd. Über Ingolstadt und Essen kam er nach Gladbach, von wo er letzte Saison zusammen mit Laumen zu Bremens "Millionentruppe" wechselte. Der talentierte Dietrich hat immer wieder unter seiner Verletzungsanfälligkeit zu leiden. So kam er bislang nur auf ein einziges Länderspiel, bei dem er – kleine Anekdote am Rande - am 9. Mai 1970 in Berlin gegen Irland in der 46. Minute eingewechselt wurde – für Jürgen Grabowski. Dem Südhessen Dietrich ist sein zweites Saisontor zu gönnen, aber musste er es denn gerade gegen die Eintracht schießen? 1:2 und nur noch etwas mehr als 20 Minuten zu spielen. Sollte Werder Bremen, also die Mannschaft, die seit Oktober 1971 ohne Auswärtssieg ist, heute bei der Eintracht, die seit Juni 1971 keine Heimniederlage mehr erlitten hat, gewinnen? Es sieht danach aus. Frankfurt hat eine Vielzahl von Chancen vergeben und Bernard im Bremer Tor verdient sich die Bestnote. Doch die Hessen stemmen sich nun mit Macht gegen die drohende Niederlage und liefern den nur 7.000 Zuschauern zumindest ein furioses Finale. Parits, den Röntved gut im Griff hat, kommt endlich einmal zum Schuss, doch der in der letzten Saison so treffsichere Österreicher zieht das Leder am langen Toreck vorbei. Auf 16:2 Ecken schraubt die Eintracht das Eckenverhältnis, doch was nutzen die vielen Eckbälle, wenn diese so unterdurchschnittlich getreten werden, dass der beispielsweise der größte Eintrachtspieler Kliemann im Zentrum kaum einmal zum Köpfen kommt. Das Torschießen fällt den Frankfurtern und insbesondere ihren Stürmern heute schwer. Hofmeister, der im Ligapokal gegen Fortuna Köln in dieser Woche zweimal getroffen hat, bleibt wie seine Stürmerkollegen Thomas Parits über 90 Minuten, Ender Konca in der ersten sowie Hölzenbein in der zweiten Halbzeit ohne Torerfolg. Die drohende Heimniederlage verhindert niemand anders als Thomas Rohrbach, der vier Minuten vor dem Abpfiff auf Vorlage von Grabowski aus dem Gewühl zum erlösenden 2:2 einnetzt. Ein Verteidiger macht den Stürmern vor, wie das Torschießen geht. Zur Ehrenrettung der Angreifer sei aber erwähnt, dass Rohrbach von Haus aus ein Stürmer ist, den Trainer Ribbeck lediglich als Außenverteidiger einsetzt. Die Eintracht bleibt am Drücker. Sie will mit Macht in den letzten Minuten nachholen, was sie vorher versäumt hat. Doch am Ende bleibt den Zuschauern von dieser Partie wahrscheinlich eine Szene in Erinnerung, die mit Fußball nicht einmal am Rande etwas zu tun hat: Minutenlang gab es im Frankfurter die beste Stimmung und ein großes Hallo, als ein Wildkaninchen umherjagte und zunächst keinen Ausweg aus der Stadion-Baustelle fand … Neben dem Wildkaninchen hat Jürgen Grabowski die größte Aussicht, einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Grabowski ist nach seiner erneut überragenden Leistung natürlich in der "Elf des Tages" im "Kicker", zum 3. Mal in dieser Saison. Das Unentschieden lässt die Serien beider Mannschaft unangetastet und verändert auch am Tabellenbild nichts: Die Eintracht bleibt auf Platz 4, Bremen auf 13 und beide Trainer sind "froh". "Froh", ist Bremens Piontek, weil "wir trotz optischer Überlegenheit des Gegners stets gefährlich blieben und uns das Unentschieden bestimmt verdient haben. Wir wissen, wie stark die Frankfurter sind, und deshalb hatten wir höchstens mit einem Punktgewinn kalkuliert." "Wir hatten zahlreiche Chancen, die zu leichtfertig vergeben wurden", ärgert sich Frankfurts Ribbeck, ist aber auch "froh", weil "unsere Mannschaft trotz des 1:2-Rückstandes noch durch großen kämpferischen Einsatz den Ausgleich schaffte". (rs)
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