Bayern München - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1971/1972 - 32. Spieltag

6:3 (2:1)

Termin: Sa 03.06.1972, 15:30 Uhr
Zuschauer: 28.000
Schiedsrichter: Philipp Geng (Freiburg)
Tore: 1:0 Rainer Zobel (7.), 2:0 Franz Beckenbauer (24.), 2:1 Thomas Parits (32.), 3:1 Gerd Müller (47.), 3:2 Jürgen Grabowski (55.), 3:3 Bernd Hölzenbein (56.), 4:3 Gerd Müller (68.), 5:3 Rainer Zobel (73.), 6:3 Gerd Müller (79.)

 

>> Spielbericht <

Bayern München Eintracht Frankfurt

  • Sepp Maier
  • Johnny Hansen
  • Georg Schwarzenbeck
  • Franz Beckenbauer
  • Paul Breitner
  • Gerd Müller
  • Franz Roth
  • Wilhelm Hoffmann
  • Rainer Zobel
  • Ulrich Hoeneß
  • Franz Krauthausen

 


 

Wechsel
  • Herwart Koppenhöfer für Johnny Hansen (63.)
Wechsel
Trainer
  • Udo Lattek
Trainer

 

Ohne Handschellen

Wie die Väter, so die Söhne – in der Auswahl der Jugendnationalmannschaft des DFB stehen mit Dieter Kaster und Wolfgang Kraus zwei Spieler, deren Väter ebenfalls sehr gute Fußballer waren. Heinz Kaster spielte von 1949 bis 1954 für die Eintracht, Willi Kraus von 1946 bis 1952. Wolfgang Kraus hat von seinem Vater, der nach einem Umweg über Alemannia Aachen auch für den FSV Frankfurt am Ball war, nicht nur den Spitznamen "Scheppe" übernommen, sondern auch den Verein: "Scheppe" junior ist seit 1964 bei der Eintracht.


Kraus, Krobbach und
DFB-Trainer Widmayer

Kraus ist aber auch Kapitän der Jugendnationalmannschaft des DFB. Die 0:2-Niederlage gegen England im Finale des UEFA-Jugendfußball-Turniers in Barcelona, die er an der Seite von Dieter Kaster, Peter Krobbach und Karl-Heinz Körbel erlitten hat, wirft den jungen und selbstbewussten Mann nicht um: "Der zweite Platz ist doch eine riesige Sensation." Recht hat er, denn die DFB-Auswahl hat den Engländern, die im gesamten Turnier kein Gegentor hinnehmen mussten, am Pfingstwochenende ernsthaft Paroli geboten. Stanley Rous, der Präsident der UEFA, meint dazu: "Das Semifinale Spanien gegen Deutschland hat die bessere Mannschaft verloren. Heute im Endspiel war es ebenso. Deutschland verlor etwas unglücklich. Es war ein gutes kampfbetontes und faires Finale."

Der junge "Scheppe", der als 7-Jähriger seine Fußballerlaufbahn bei der in unmittelbarer Nähe der elterlichen Wohnung gelegenen SG Bornheim begann, spielt bei der Eintracht zwar noch bei den Amateuren in der Hessenliga, trainiert jedoch bereits gelegentlich mit den Lizenzspielern. "Das schwierigste Problem ist es für mich, Beruf und Fußball zu vereinbaren", sagt der Bankkaufmannslehrling mit mittlerer Reife, der wegen der zeitlichen Belastung seinen Ausbildungsvertrag um ein halbes Jahr verlängern musste: "Ich bin etwa drei Monate im Jahr nicht im Geschäft, Jahresurlaub ohne Fußball ist überhaupt nicht drin, Freizeit ist ebenfalls sehr rar." Seine Abschlussprüfung steht für Mai 1973 an, bei der Eintracht hat er einen Zweijahresvertrag als Olympiaamateur abgeschlossen, obwohl ihm lukrativere Angebote eines Regionalligisten und zweier Bundesligaclubs vorlagen: "Natürlich sind die Zahlen verlockend und besonders nach einem Länderspiel häufen sich die Angebote. Aber ein Wechsel beschert wieder neue Probleme und schließlich ist das Geld in einer fremden Stadt nur halb so viel wert", nennt er die Gründe für seinen Verbleib bei der Eintracht: "Ich glaube zudem, dass die Amateurnationalmannschaft ein ideales Sprungbrett ist und ich hier noch besonders viel Routine gewinnen kann."

"Ich bin kein Senkrechtstarter, sondern habe mich konstant gesteigert. Ich glaube nicht, dass ich darum fürchten muss, einmal einen großen Rückschlag zu erleben", meint der besonnene junge Mann, dem Profitrainer Ribbeck den Sprung in die Bundesliga zutraut: "Wenn er sorgfältig aufgebaut wird, kann ich mir durchaus vorstellen, dass er einmal zu unserer ersten Garnitur zählt." Das ist, so verrät Kraus Harald Stenger vom "Kicker", auch sein Ziel: "Wenn es geht, möchte ich natürlich einmal zusammen mit Grabowski im Mittelfeld spielen. Er ist mein großes Vorbild, ich verstehe mich mit ihm blendend, man kann von ihm viel lernen."


Hat seine Koffer in Oberhausen gepackt:
Uwe Kliemann

Keine Ziele bei und mit der Eintracht verfolgen dagegen fürderhin unter anderem Dieter Ungewitter und Siegbert Feghelm. Während der aus Oberhausen kommende Neuzugang Uwe Kliemann in Gravenbruch schon eine Bleibe für die nächste Spielzeit gefunden hat, verlässt Ungewitter nach nur einem Jahr die Frankfurter Eintracht wieder und wird in der kommenden Saison für den SV Darmstadt 98 spielen. Auch Ersatztorwart Feghelm hat die Koffer schon gepackt. "Ich gehe, weil ich bei Eintracht keine sportliche Zukunft habe", sagt Feghelm. "Aber ich gehe nicht nach Bad Homburg, wenigstens ein Regionalliga-Klub muss es sein."

Sein muss es in Frankfurt ein WM-Stadion, ob allerdings das an den Tag gelegte Verhalten der Stadt Frankfurt gegenüber Eintracht Frankfurt in dieser Sache sein muss, ist fraglich. Am "Wäldchestag", dem traditionellen Frankfurter Volksfest am Pfingstdienstag, hat der Sportdezernent Prof. Rhein dem Präsidium der Frankfurter Eintracht ein "letztes Angebot" gemacht. Die Frankfurter Eintracht kann zwar während des Stadionumbaus für die Fußballweltmeisterschaft ihre Bundesligaspiele in gewohnter Umgebung austragen, doch die Modalitäten, unter denen die Eintracht das Waldstadion in dieser Zeit weiter nutzen kann, werden dem Verein diktiert, und die bis zuletzt erhoffte Sanierung des Riederwalds wird es nicht geben. Ab 16. September, dem Beginn der neuen Punktspielrunde, wird die Zuschauerkapazität des Waldstadions - statt wie bisher 60.000 - mindestens 34.000, aber höchstens 40.000 Plätze betragen. 10.000 Sitzplätze werden der Eintracht während der Umbauphase zur Verfügung gestellt, 6.800 auf der Gegengeraden, 3.200 auf einer noch zu errichtenden Stahlrohrtribüne. Überdacht wird keiner dieser Plätze sein. Die Eintracht, die sich auf den Weg aus ihren Schulden befunden hat, muss also wie befürchtet mit erheblichen finanziellen Einbußen rechnen. Für die Spiele um den Ligapokal im August muss sich der Verein außerdem einen anderen Spielort suchen. Entweder den eigenen am Riederwald, der von der Stadt ab 24. Mai einen neuen Rasen erhalten soll, oder beim benachbarten FSV am Bornheimer Hang.

Mannschaften und Schiedsrichter müssen sich im Waldstadion ab der nächsten Saison erst einmal in der nahegelegenen Wintersporthalle umkleiden. Über das Marathontor wird eine Brücke gezogen, damit die Akteure aufs Spielfeld gelangen können. Aufgrund einer Auflage des DFB werden sie auf diesem Weg durch ein Schutzgitter abgeschirmt. Außerdem sollen mit Beginn der neuen Saison zwei Flutlichtmasten in Betrieb genommen werden können. Am Ende bleibt Präsidium und Verwaltungsrat der Eintracht natürlich nichts anderes übrig, als das "letzte Angebot" der Stadt anzunehmen.

Derweil vermisst DFB-Trainer Derwall beim 2:2 gegen die mit zehn A-Nationalspielern angetretene polnische Olympia-Auswahl im Regensburger Jahn-Stadion zwei verletzte Frankfurter Olympia-Amateure: "Dass dieses Spiel ohne unsere wichtigsten Korsettstangen Nickel, Egon Schmitt, Kalb und Hoeneß nicht in die Binsen ging, verdanken wir der Steigerung nach der Pause." Und Olympia ist auch das Stichwort für ein großes Ereignis in diesen Tagen, denn am Abend des 26. Mai wird das Münchner Olympiastadion mit einem Länderspiel zwischen Deutschland und der UdSSR eröffnet. Bevor die Partie im Fußballopernhaus, wie der Trainer der UdSSR das Olympiastadion nennt, beginnt, wird von Helmut Grashoff erst einmal ein Misston in die Harmonie der feierlichen Stimmung gesetzt. Der geschäftstüchtige Vizepräsident und Manager von Borussia Mönchengladbach inszeniert des "Schuhkriegs" zweiten Teil. Nach dem ersten gescheiterten Vorstoß vor dem Englandspiel nimmt er nun in München einen neuen Anlauf und fordert, dass die Borussen-Spieler Netzer, Wimmer und Heynckes in den Schuhen spielen müssen, die sie auch im Verein tragen. Doch der Ausrüster der Gladbacher ist Puma, der der DFB-Auswahl aber Adidas. Drei Stunden tagt der DFB-Vorstand, dann erklärt der Vizepräsident und WM-Chef von 1974, Hermann Neuberger: "Wir bleiben dabei: Die Nationalmannschaft wird weiter einheitlich ausgerüstet, und zwar mit dem Material (Adidas), das wir auch bisher getragen haben. Wir sind der Meinung, das Beste gewählt zu haben - und das ist für diese Mannschaft gerade gut genug."

Fußball wird dann auch noch gespielt und das nicht einmal schlecht, auch wenn es zur Pause noch 0:0 steht. "Keine Sorge, mein Tor kommt schon noch", verspricht allerdings Gerd Müller in der Halbzeit und hält Wort – viermal. Zwischen der 49. und 65. Minute schraubt Müller sein Torkonto in der deutschen Nationalmannschaft auf bislang unerreichte 50 Treffer. Kolotovs Treffer zum 4:1 in der 73. Minute kann die Begeisterung der deutschen Fans nicht trüben.

Müllers Galavorstellung lässt die Chancen der Frankfurter Eintracht bei ihrem nächsten Bundesligaspiel nicht gerade steigen, denn die Hessen gastieren bei Müllers Verein, den Münchner Bayern. Der Tabellenführer benötigt zudem einen Sieg, um nicht Gefahr zu laufen, gegen Schalke 04 im Kampf um die Meisterschaft Boden zu verlieren. Doch auch die Eintracht braucht im Rennen um den 5. Platz jeden Punkt, obwohl man die Hoffnung hegt, dass sich die Konkurrenten Kaiserslautern und Berlin heute im direkten Duell die Punkte gegenseitig abnehmen. Was aber soll die auswärts seit über einem halben Jahr sieglose Eintracht beim Meisterschaftsfavoriten Bayern München ausrichten, fragen sich nicht nur die Frankfurter Fans vor Spielbeginn. Die Bayern sind zu Hause seit ewigen Zeiten ungeschlagen, die Hessen konnten bisher nur ein einziges Mal - 1966 - eine Partie in München für sich entscheiden.

Immerhin lichtet sich das Lazarett der Frankfurter vor dem Spiel etwas, aber auf die beste Mannschaft kann Trainer Ribbeck schon seit Monaten nicht mehr zurückgreifen. Roland Weidle, der Jürgen Grabowski über Wochen gut vertreten hat, ist nun selbst außer Gefecht gesetzt: Sein Fuß liegt in Gips. Dafür haben Nickel, Grabowski und Rohrbach am Dienstag das Training wieder aufnehmen können. "Jeder Arzt hat zwar eine andere Meinung zu seiner Verletzung, aber wahrscheinlich handelt es sich doch um einen Muskelfaserriss", glaubt Ribbeck bei Nickel auf die richtige Diagnose zu tippen. Doch was immer Nickel auch hat, beim Spiel in München ist er erwartungsgemäß noch nicht wieder dabei. Dafür kann aber Hölzenbein auflaufen, der gegen Stuttgart vor 14 Tagen eine Leistenzerrung erlitten hatte. Kalb sitzt nach monatelanger Verletzung zumindest auf der Bank, Grabowski nimmt Weidles Platz ein, während Ungewitter Rohrbach weichen muss.


Das 2:0 durch Beckenbauer

Das Spiel nimmt zunächst den erwarteten Verlauf. Zobel schießt auf Vorlage von Gerd Müller, den Zobel selbst zuvor im Strafraum angespielt hatte, das erste Tor schon nach sieben Minuten. Der Münchner taucht völlig frei vor Dr. Kunter auf und lässt diesem mit seinem wuchtigen Schuss aus kurzer Distanz keine Abwehrchance. Die Überlegenheit der Bayern dokumentiert Beckenbauer in der 24. Minute mit seinem fünften Saisontreffer, den er nach Zuspiel von Müller mit einem Linksschuss aus 18 Metern erzielt, der flach neben dem linken Pfosten einschlägt.

Hoffnung im Lager der Hessen gibt acht Minuten später der Anschlusstreffer von Thomas Parits. Gegen die unaufmerksame Hintermannschaft der Bayern hebt Jürgen Grabowski einen Freistoß von der rechten Strafraumgrenze gefühlvoll auf den Kopf des Österreichers, der allein gelassen am Fünfmeterraum steht. Ein Kopfballspezialist ist Parits allerdings nicht, denn das Leder tropft als Aufsetzer ohne rechte Wucht in Richtung des Bayerntores. Doch der auf der Linie stehende Verteidiger befördert den Ball mit seinem Rettungsversuch, der zum Fallrückzieher wird, lediglich weiter ins eigene Tor.

Grabowski, der sich immer wieder weit zurückfallen lässt, inszeniert aus dieser Position brandgefährliche Konter gegen den allzu stürmischen Meisterschaftskandidaten Nummer eins. So stellt Bayern-Trainer Lattek richtig fest: "Wenn wir 2:0 führen, sind wir selbst unser stärkster Gegner." Schon gegen den HSV gaben die Münchner eine sichere 3:1-Führung noch aus der Hand und benötigten am Ende einen umstrittenen Elfmeter, um die Partie zu gewinnen.

Kurz nach Wiederanpfiff ist Roth im Strafraum frei, wird aber von der beherzten Grätsche Trinkleins geblockt, der nachsetzt und den Münchner nach links abdrängt. Hölzenbein eilt hinzu, übernimmt das Duell, ohne jedoch Roth unter Druck zu setzen. So kann dieser gezielt nach innen flanken, wo Gerd Müller mit dem Kopf zum 3:1 vollstreckt. Dr. Kunters vergeblicher Sprung nach dem Ball verleiht dem Tor einen größeren visuellen Wert, eine echte Abwehrchance hat er gegen den direkt vor ihm ungedeckt auftauchenden Müller indes nicht. Die Frankfurter stecken aber trotz des Rückstandes nicht auf. Ender Konca spielt Johnny Hansen Knoten in die Beine - der Däne im Münchner Dress gewinnt nicht einen Zweikampf gegen den türkischen Stürmer. Aber auch Georg "Katsche" Schwarzenbeck hat mit dem wendigen Thomas Parits nicht viel weniger Mühe.


Grabowski köpft den Anschlusstreffer

Der 34-jährige Libero der Eintracht, Friedel Lutz, der im Hinspiel den Siegtreffer zum 3:2-Sieg der Hessen erzielte, ist auch am 2:3 beteiligt. Nach einem schönen Doppelpass flankt Konca vom rechten Flügel auf den langen Pfosten, wo Jürgen Grabowski sich der Bewachung von Breitner entzogen hat und auch von Beckerbauer nicht mehr gestellt werden kann. Aus fünf Metern Torentfernung köpft er das Leder per Aufsetzer auf Maiers Kasten. Der Abwehrversuch Maiers im Stile eines Handballtorwarts kann den Anschlusstreffer der Eintracht in der 55. Minute nicht verhindern, der Ball rutscht unter seinem rechten Fuß ins Netz.

Eine Minute später ist wieder Grabowski am Leder. Am rechten Strafraumeck düpiert er Breitner mit seinen Finten, bevor den dann den Ball flach und hart in den Strafraum passt. Hölzenbein bemächtigt sich des von seinem angespielten Mitspieler hoch abspringenden Balles, lässt Roth ins Leere grätschen und zieht aus zentraler Position von der Strafraumgrenze ab. Der flach getretene Ball zieht wie an der Schnur gezogen am sich lang machenden Maier vorbei ins linke Eck. 3:3 - wer hätte das vor 120 Sekunden für möglich gehalten? Ob sich der - wahrscheinlich – kommende Deutsche Meister von diesem Doppelschlag erholen wird?

Die Antwort auf die letzte Frage lautet: ja. In der 68. Minute "müllert" es wieder. Breitner lässt sich von Rohrbachs Grätsche vor dem Strafraum nicht aufhalten und versucht dann Müller anzuspielen. Dem steht Trinkleins Abwehrbein entgegen, doch die Kugel prallt zu Breitner zurück. Die anschließende Grätsche des heranstürmenden Trinklein umdribbelt Breitner elegant und passt den Ball an Kunter vorbei quer in den Fünfmeterraum, wo Müller mit seinem ersten Versuch an dem auf der Linie postierten Reichel scheitert. Im Nachsetzen aber ist Müller wie so oft schneller als alle seine Kontrahenten und schießt die Kugel im Fallen ein. Der "Bomber der Nation" ist in dieser Saison nicht zu stoppen und spielt wie entfesselt. Übertreffen kann sich der Mittelstürmer ohnehin nur noch selbst. Er bricht alle Rekorde. In der Nationalelf hat er Uwe Seeler als erfolgreichsten Torschützen abgelöst, und nun verbessert er die von ihm gehaltene Bestmarke für den Torschützenkönig der Bundesliga mit seinem Tor zum 4:3 auf 39 Treffer.

Rainer Zobel entscheidet die Partie fünf Minuten später endgültig. Müller hat Hoffmann am linken Strafraumrand in Szene gesetzt und der Linksaußen seinem Gegenspieler im Spurt das Nachsehen gegeben. Beim folgenden Pass in die Mitte, der von den anderen Abwehrspielern aus sicherer Entfernung verfolgt wird, ist Zobel mit einem langen Bein zur Stelle. Dass er dabei auf den Ball tritt, kann das 5:3 auch nicht mehr verhindern. Der fleißige, aber unscheinbare Zobel tritt heute mit seinen Saisontreffern zwei und drei ein wenig aus dem Schatten seiner Mitspieler Beckenbauer, Hoeneß und Müller heraus. Der seit Februar wegen der im Freundschaftsspiel gegen Kiew erlittenen Verletzung ausgefallene Jürgen Kalb kommt nun aufseiten der Eintracht für Horst Hesse in die Partie. Es gibt sicher bessere Momente für eine Rückkehr auf den Fußballplatz.


Müllers drittes Tor in diesem Spiel

Fünf Minuten später ist es wieder Müller, der nach einer Flanke von der rechten Seite den Ball mit dem Hinterkopf verlängert und dann durch die Grätsche eines Frankfurters (Konca?) vor die Füße gelegt bekommt. Verzweifelt setzt der Eintrachtspieler zu einer weiteren Grätsche an, doch Müller ist einfach reaktionsschneller und schießt aus wenigen Metern flach an Dr. Kunter vorbei ein. Das Leder rollt – vom Frankfurter Keeper gesehen – in die untere linke Ecke: 6:3. Mit dem 40. Saisontreffer Müllers ist der Torhunger des im Augenblick wahrscheinlich weltbesten Mittelstürmers für heute gestillt, wobei nicht unterschlagen werden soll, dass Müller neben seinen drei Toren noch zweimal den Pfosten getroffen hat.

Den Schlusspunkt setzt Trainer Ribbeck, der in der 81. Minute dem hoffnungsvollen, jungen Eigengewächs der Eintracht die Gelegenheit gibt, für ein paar Minuten Bundesligaluft zu schnuppern: Wolfgang Kraus. "Scheppes" Traum, in der Bundesliga neben Grabowski zu spielen, ist also schneller in Erfüllung gegangen, als es sich der junge Mann vorgestellt hat.

Die Bayern, die in der nächsten Saison ins Olympiastadion umziehen, verabschieden sich in ihrem vorletzten Heimspiel vom Grünwalder Stadion mit einem wahren Torfestival. Die Eintracht kassiert erstmals seit dem 13. Oktober 1971 wieder sechs Tore – damals gab es beim Deutschen Meister aus Gladbach ein 2:6. Meister können auch die Bayern in dieser Spielzeit werden. Dazu ist allerdings eine konzentriertere Abwehrleistung notwendig, weiß Trainer Lattek: "Hoffentlich zeigen wir diese Schwächen gegen Schalke nicht." Sein Kollege Ribbeck sieht das etwas anders: "Wer einen Gerd Müller hat, kann so offen spielen."

Mit drei Toren stellt der im letzten Bundesligaspiel im Grünwalder Stadion gegen Eintracht Frankfurt einen neuen Bundesliga-Torrekord auf: 40 Tore in einer Saison. "Er ist eine einmalige Erscheinung. Der Gerd stellt alle Rekorde auf, die es gibt", schwärmt selbst der Präsident von Bayern München, Wilhelm Neudecker. "Mich interessieren die Rekorde kaum", sagt Gerd Müller allen Ernstes. "Früher war ich einmal verrückt danach." "Der letzte Tag von Grünwald war einer der schönsten", sagt der treffsichere Mittelstürmer aber selbst. Für Gert Trinklein, Frankfurts Abwehrchef, der den Stürmer am Samstag bewachen sollte, ist Müller ein Phänomen. Er gibt zu: "Der Gerd kennt alle Tricks. Er ist auch nicht empfindlich, wenn man ihn hart anpackt. Diesmal habe ich ihn gelegentlich am Handgelenk festgehalten. Es ist das einzige Mittel, das gegen ihn hilft - außer Handschellen."

Eintracht-Trainer Erich Ribbeck lässt dann auch keinen Zweifel daran, dass Müller den Bayern das Spiel allein gewonnen hat. "Bayern hat gewonnen, weil es einen Müller hat. Wenn dieser Mann bei uns gespielt hätte, wäre es anders ausgegangen. Ich kann es immer wieder nur unterstreichen: Gerd Müller ist unbezahlbar. Franz Beckenbauer ist große Klasse - aber für einen Müller gäbe ich sogar zwei Beckenbauer." "Wir sind froh, dass wir ihn haben", sagt der Libero, den Ribbeck im Doppelpack eintauschen würde: "Es gibt keinen gefährlicheren Stürmer auf der Welt. Das beweist der Gerd Jahr für Jahr."

"Sagt mir ja keiner, der Gerd könne nicht Fußball spielen", stellt Ribbeck auch die spielerischen Qualitäten des Bayern-Stürmers heraus und Trinklein ergänzt seinen Chef: "Müller macht nämlich Sachen, die außer ihm keinem gelingen. Er ist der beste Doppelpass-Partner." Auch Müllers Ex-Trainer, Tschik Cajkovski, der den Stürmer einst in die Bayernelf eingebaut hatte, ist voll des Lobes: "Die Leute sagen immer, Gerd Müller kann nur Tore machen. Er ist der beste Torjäger der Welt, aber heute hat er auch hervorragend gespielt." "Ich bin eben im Laufe der Jahre spielerisch reifer geworden", begründet Gerd Müller seinen neuen Ruhm als Torjäger und -vorbereiter. "Mein größtes Vorbild war ja seit eh und je Max Morlock, und der war ja auch Torschütze und Spielgestalter." Nicht nur in dieser Hinsicht eifert er Morlock nach: "Ich will 1974 mit Deutschland Weltmeister werden."

Cajkovski allerdings entkommt derweil nicht seiner Vergangenheit. Der Geschäftsführer der Bayern, Walter Fembeck, der Müller vor acht Jahren von Nördlingen nach München holte, frischt die Erinnerung auf: "Weißt du noch, was du damals gesagt hast? Diese junge Mann hat dicke Beine, unmöglich." Zur Ehrenrettung des Trainers, der sich damals über "kleines, dickes Müller" lustig machte, muss aber auch erwähnt werden, dass der Mittelstürmer heute gut 15 Kilo weniger auf die Waage bringt.

"Sicher, mit diesen Toren kommen wir der Hunderter-Grenze ein ganzes Stück näher", bestätigt indes Udo Lattek, "aber wie so häufig in einem Torrausch waren wir wieder einmal selbst unser stärkster Gegner." Dabei spielt Lattek auf die erste Viertelstunde nach der Pause an, als die Frankfurter aus einem 3:1 in kürzester Zeit ein 3:3 gemacht haben. "Da schauten sich unsere Abwehrspieler treu und tief in die Augen", kritisiert Lattek, "und jeder wartete, dass der andere etwas unternimmt."

Die Eintracht rutscht durch diese Niederlage vom begehrten fünften Platz auf Rang sechs ab und hat nun einen Zähler Rückstand auf die jetzt fünftplatzierte Hertha. Die Berliner, die zuvor auf dem Betzenberg fünf Jahre nicht mehr getroffen hatten, haben in Kaiserslautern mit 4:3 gewonnen und die Pfälzer damit im Rennen um die Qualifikation für den UEFA-Cup weit zurückgeworfen. "Einmal wollten wir noch zeigen, was für gute Fußballer wir sind", erklärt Wolfgang Gayer, der wie über ein Dutzend anderer Berliner Spieler in den Manipulationsskandal verwickelt ist und mit einer Sperre rechnen muss. Am nächsten Spieltag muss die Hertha gegen den Zwangsabsteiger Bielefeld antreten, gegen den Verein also, der in der letzten Saison den 1:0-Sieg bei der Hertha erkaufte, in dem er ein höheres Angebot für eine Berliner Niederlage abgab, als die Offenbacher Kickers für einen Berliner Sieg zu zahlen bereit waren. Die Eintracht tritt im Waldstadion gegen den Tabellensechzehnten Hannover an, der den Klassenerhalt bereits in der Tasche hat.

Wichtig für den Bundesligaendspurt sind für die Eintracht natürlich Bernd Nickel und Jürgen Grabowski. "Es ist nach der letzten Pause doch schon wieder gut gelaufen. Wenn ich jetzt noch 14 Tage voll trainiere, kann ich noch stärker sein", meint der Kapitän am Tag nach der Klatsche im Grünwalder Stadion. "Ich konnte nicht nur die Muskelverletzung am Oberschenkel völlig ausheilen, auch meinem lädierten Knöchel bekam die Ruhe. Ich kann jetzt völlig ohne Beschwerden spielen und das Bein voll belasten", gewinnt Jürgen Grabowski seiner letzten Blessur gute Seiten ab und glaubt an seine Chance auf einen Einsatz im Halbfinale der Europameisterschaft: "Ich glaube an meine Chance in Belgien. Die letzte Entscheidung hat natürlich der Bundestrainer." (rs)


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