VfL Bochum - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1971/1972 - 30. Spieltag

3:1 (2:1)

Termin: Sa 06.05.1972, 15:30 Uhr
Zuschauer: 15.000
Schiedsrichter: Walter Niemann (Hamburg)
Tore: 1:0 Hans-Günther Etterich (10.), 1:1 Bernd Hölzenbein (23.), 2:1 Hans Walitza (40.), 3:1 Hans Walitza (89.)

 

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VfL Bochum Eintracht Frankfurt

  • Hans-Jürgen Bradler
  • Gerd Wiesemes
  • Harry Fechner
  • Erwin Galeski
  • Heinz-Jürgen Blome
  • Hans Walitza
  • Werner Krämer
  • Dieter Fern
  • Reinhold Wosab
  • Hans-Günther Etterich
  • Hans-Werner Hartl

 


 

Wechsel
  • Hans-Jürgen Köper für Gerd Wiesemes (46.)
Wechsel
Trainer
  • Hermann Eppenhoff
Trainer

 

Niederlage, Untergang und Wunder

Not gegen Elend? 1:9 Punkte ist die Bilanz des Aufsteigers aus Bochum gegen die Südvereine. Und die Eintracht? Sie hat ihrerseits seit einem halben Jahr nicht mehr auf des Gegners Platz gewinnen können. 2:14 Punkte bei 8:15 Toren sind keine ermutigende Auswärtsbilanz für die Hessen, denn die Bochumer sind seit vier Spielen ungeschlagen. Der überspielte Nickel, dem Trainer Ribbeck im Spiel gegen Bielefeld eine Auszeit gönnte, um wieder zu Kräften zu kommen, ist im Stadion an der Castroper Straße mit von der Partie, Rohrbach fällt wegen seines Jochbeinbruchs vorerst aus. Bei ihm besteht aber mittlerweile die Hoffnung, dass er im Saisonfinale doch noch einmal eingesetzt werden kann.

Natürlich ruhen die Hoffnungen bei den Frankfurtern ein weiteres Mal auf ihren Kapitän Jürgen Grabowski, der mit der Nationalelf Mitte der Woche den aufsehenerregenden 3:1-Sieg im Hinspiel des EM-Viertelfinales gegen England in Wembley feiern konnte. Das faire Bochumer Publikum erweist dem Spielführer der Eintracht seine Referenz und bedankt sich vor dem Anstoß mit Sonderbeifall beim Außenstürmer der DFB-Auswahl, der nach dem Spiel in London den Triumph so erklärt hatte: "Weil wir eine Klasse-Elf sind. Da gab es keinen, der aus der Reihe tanzte. Da hat sich jeder bedingungslos untergeordnet. Jedes Dribbling zu viel wäre doch im Fight gegen diese harten englischen Jungs von Übel gewesen. Gleich abspielen - das war unsere Devise. Und wir haben uns strikt daran gehalten. Und was durch die disziplinierte Haltung des Teams herauskam? Ein Sieg gegen England. Das Wunder von Wembley."

Vielleicht liegt es an der Präsenz dieses Ausnahmefußballers und begnadeten Technikers, dass die Frankfurter nach dem Anpfiff das Spiel mit einer Vehemenz an sich reißen, dass dem Bochumer Trainer Eppenhoff um seine Elf angst und bange werden muss. Vielleicht liegt es aber auch an der neu formierten VfL-Abwehr, in der neben Versen auch Zorc verletzt fehlt. Die Reservisten Wiesemes und Blome tun sich sichtbar schwer gegen Weidle und Grabowski, wobei Blome die undankbarere Aufgabe zufällt: Jürgen Grabowski ist - euphorisiert von seinem Wembley-Auftritt - zumindest zu Beginn des Spiels kaum zu halten. Wie der Liverpooler Hughes im Länderspiel muss nun Blome feststellen, dass es einfacher ist, unbeschadet einen Schwarm Bienen in Schach zu halten als einen Jürgen Grabowski in Gala-Form.

Die Eintracht dominiert, da setzt Bochum mitten in der Frankfurter Drangperiode einen Kontrapunkt: Der 20-jährige Etterich, Hölzenbeins direkter Gegenspieler, erzielt nach Vorarbeit von Wosab in der 11. Minute mit einem von Schämer abgefälschten Bogenschuss das 1:0. Dr. Kunter hat das Nachsehen und die Aufgabe, den Ball wieder aus dem Netz zu holen. Eine Überraschung - Knaller dieser Güteklasse sieht man in Bochum sonst nur von Hans Walitza.

Angetrieben von Nickel und Grabowski versuchen die Hessen unbeeindruckt, die Bochumer Führung zu egalisieren. Ihre Bemühungen werden schon in der 23. Minute belohnt. Hölzenbein macht seinen Fehler beim 1:1 wieder wett. Auf Zuspiel von Parits erwischt er das Leder im Strafraum des VfL, schießt sofort aus der Drehung und lässt dem guten Bochumer Torhüter Bradler keine Abwehrchance.

Mehr haben die Frankfurter allerdings nicht mehr zu bieten. Grabowski sind die Strapazen des Länderspiels mit zunehmender Spieldauer ebenso anzusehen wie Bernd Nickel, dem nicht nur die ständige Doppelbelastung zwischen internationalen Einsätzen für die Olympia-Auswahl des DFB und die Bundeswehrauswahl sowie den Ligaspielen zu schaffen macht, sondern auch eine schmerzhafte Verletzung im Oberschenkel. Nickel ist fitgespritzt, aber auch die beste Spritze lässt irgendwann in ihrer Wirkung nach ...

Galeski, wie Wiesemes und Blome bei Trainer Eppenhoff oft nur zweite Wahl, hat sich in dieser Phase des Spiels zum erstklassigen Libero gemausert, der seine Abwehr umsichtig dirigiert. Der fehlerfreie Torhüter Bradler ist der Bochumer Defensive ein zusätzlicher Rückhalt. Überragend ist jedoch der ehemalige Dortmunder Wosab, der das Herz und der Motor des Bochumer Angriffsspiels ist. Wie gut könnte der abstiegsbedrohte BVB in diesen Tagen einen Spieler vom Format Wosabs gebrauchen …

Großartig, wie Wosab fünf Minuten vor dem Wechsel das 2:1 vorbereitet, als er gegen drei Frankfurter anrennt, dann aber blitzschnell zu Walitza legt. Hans Walitza eifert seinem jungen Mannschaftskameraden Etterich nach und schickt eine seiner typischen Granaten flach auf das Tor von Dr. Kunter. Knallhart saust der Ball in die Maschen, auch diesmal hat der Frankfurter Torhüter keine Möglichkeit das Unheil zu verhindern. 2:1 für die Mannschaft aus dem Ruhrpott.

"Das ist doch, von ein paar Minuten abgesehen, ein Spiel, wie es die Zuschauer lieben. Ich selbst bin allerdings nicht zufrieden", ist Trainer Ribbeck nach 45 Minuten mit der Führung der Gastgeber nicht einverstanden. "Ein Unentschieden wäre doch verdient. Aber meine Mannschaft braucht eben zu viele Chancen für ein Tor." Bei den Bochumer herrscht in diesen Minuten keine Verärgerung, aber Aufregung – der elfte Mann fehlt! Bochums Trainer Hermann Eppenhoff, der mit seiner Abwehr etwas Sorgen hat und bei Halbzeit Köper für Wiesemes austauschen will, läuft herum, wie ein aufgeschrecktes Huhn, und ruft: "Hat denn niemand den Köper gesehen?" Tatsächlich spielt Bochum zu Beginn der zweiten Halbzeit ein paar Minuten mit nur zehn Mann. Köper, der sich zum Aufwärmen auf einen Nebenplatz begeben hatte, hat den Schiedsrichterpfiff zum Auftakt der zweiten Halbzeit schlicht überhört …

Nach der Pause dominiert die Eintracht, der schon einige Passagen des ersten Durchgangs gehört hatten, eindeutig. Weil aber von Hölzenbein, Grabowski und Nickel zu wenig kommt, müssen Schämer und Trinklein immer mehr nach vorn rücken - die drei Frankfurter Stars leiden, so scheint es, besonders unter dem frühsommerlichen Temperaturanstieg. "Diese Hitze ist ja kaum auszuhalten", stöhnt beispielsweise Grabowski.

Auch der Regisseur des VfL, "Eia" Krämer, spielt – wie bei sommerlichen Temperaturen gewohnt - fast nur aus dem Stand. Doch die Hessen können daraus kein Kapital schlagen. Was Krämer an läuferischem Einsatz fehlt, macht Etterich mit seinem Laufpensum mehr als wett und gegen das Kämpferherz von Reinhold Wosab haben die Frankfurter wenig entgegenzusetzen. Der 34-Jährige zeigt ihnen, was der Wille auch bei hohen Temperaturen vermag: Reinhold Wosab hat eine Halbzeit lang gekämpft und gerackert, dass manch junger Spieler in sich gehen könnte, um die eigene Laufbereitschaft zu hinterfragen. Im Verlauf des zweiten Durchgangs lässt zwar auch Wosab ein bisschen nach, doch wenn er antritt, schrillen in der Frankfurter Defensive die Alarmsirenen.

Natürlich bemühen sich die Riederwälder trotz der großen Hitze bis zum Schluss um den Ausgleichstreffer. Doch wie es im Fußball oft ist, wenn sich eine Mannschaft mit Macht um ein Tor bemüht: Den ersehnten Treffer erzielt der Gegner. Eine schöne Kombination von Etterich und Galeski schließt Walitza mühelos mit dem Kopf zum 3:1 ab.

Bochums Trainer Hermann Eppenhoff weiß nach dem Abpfiff, wer sich um den Erfolg besonders verdient gemacht hat: "Diesen Sieg verdanken wir unserer Abwehr." Dass Eppenhoff den Sieg als um ein Tor zu hoch ausgefallen ansieht, tröstet seinen Kollegen Ribbeck nicht: "Die Bochumer verstanden es besser, ihre Chancen zu nutzen. Wir brauchen einfach zu viele Chancen", klagt Ribbeck. "Was soll ich machen, wenn die spielerische Reife vorhanden ist, der kämpferische Einsatz jedoch zu wünschen übrig lässt", legt er den Finger schonungslos in die eigene Wunde. "Mit den warmen Temperaturen kann man das allein nicht entschuldigen. Wir haben zu Recht verloren. Aber nicht, weil wir schlechter gespielt haben, sondern weil wir unsere Chancen nicht nutzen konnten."

"Doch auch die Bochumer haben nicht alle elf Mann bis zum Ende gekämpft", fügt Ribbeck noch an und erinnert: "Grabowski bringt ohnehin in den letzten Wochen noch nicht die Leistung, wie vor seiner Verletzung. Und Nickel, seit zehn Tagen ohne Training, hatte am Ende keine Kraft mehr." Nickel erklärt dazu: "Mittwoch, Samstag, Mittwoch, dazu ab und zu an anderen Werktagen, immerzu nur Spiele, in denen ich Höchstleistungen zeigen musste. Dazu kam eine schmerzhafte Verletzung, wohl ein Muskelfaseranriss im Oberschenkel, die durch Spritzen ständig unterdrückt wurde. Am letzten Mittwoch spielte ich noch in einer Bundeswehrauswahl, um mich für heute zu testen. Es ging recht gut. Doch bereits nach zehn Minuten heute habe ich mich erneut verletzt. Jetzt sage ich erst einmal alle Verpflichtungen für die kommenden Wochen ab, auch Herrn Derwall für die Junioren-Nationalmannschaft – so leid es mir tut."

Sieg für die einen, Niederlage für die anderen - am Tabellenstand ändert sich dadurch für beide Mannschaften nichts: Die Eintracht bleibt auf Platz fünf, Bochum auf neun. Dort, wo die Eintracht steht, wollen die Bochumer Spieler und ihr Trainer hin: Sie wollen Fünfte werden, um am UEFA-Cup teilnehmen zu dürfen. Der Vorstand des Aufsteigers aber hat damit noch nichts im Sinn: "Wenn wir gleich in der ersten Saison so weit vorn landen, dann wollen die Zuschauer im nächsten Jahr noch mehr. Und das ist natürlich nicht zu schaffen."

Schade, dass Hubert Schieth, von 1949 bis 1953 gefürchteter Mittelstürmer der Frankfurter Eintracht, kein Sieg seines Vereins vergönnt war. Aus Essen ist er nach Bochum gekommen, um seine Eintracht spielen zu sehen. "Es sind andere Spieler als damals, aber die Mannschaft ist so launisch geblieben wie in meinen Tagen", hat Schieth erkannt und lobt das unbestreitbare Können, das die Riederwälder auch bei dieser Niederlage immer wieder andeuten konnten: "Das war doch Spielkultur!" Dennoch tadelt Schieth auch die Nachlässigkeit, mit der die Mannschaft ihre Chancen verbrauchte und bringt das Problem der Eintracht auf den Punkt: "Sie war eine Klasse besser als Bochum, aber sie hatte keinen Walitza!"

Ender Konca ist den hohen Erwartungen bisher tatsächlich nicht gerecht geworden. Kein Wunder also, dass die Eintracht einen erstklassigen Stürmer sucht, und ebenfalls keine Neuigkeit, dass in diesem Zusammenhang immer wieder der Name des Duisburger Olympia-Amateurs Klaus Wunder auftaucht. "Ich kann dazu nichts sagen", erklärt Trainer Ribbeck: "Nur soviel: Die Eintracht steht mit mehreren Stürmern der Bundes- und Regionalliga in Verhandlungen."

Die Planungen für die nächste Spielzeit sind bei den Hessen sonst schon weit fortgeschritten. Als Abgänge stehen Friedhelm Aust, Manfred Diehl, Siegbert Feghelm, Paul-Werner Hofmann, Kurt Ritter, Dieter Ungewitter und "Kalla" Wirth fest, Lothar Schämer bleibt eventuell ein weiteres Jahr. Der 18-jährige Wolfgang Kraus, ein Eigengewächs und Jugend-Nationalspieler, soll an den Profikader herangeführt werden. Zur Eintracht wechseln die beiden Stürmer Raimund Krauth (FC Neureut) und Josef Markert (Großwallstadt), von Singen 04 kommt der junge Torhüter Günter Wienhold, der als Nachfolger von Dr. Kunter aufgebaut werden soll. Vom FC Dossenheim wurde der Jugend-Nationalspieler Karl-Heinz Körbel (FC Dossenheim) verpflichtet, und von Rot-Weiß Oberhausen kommt ein weiterer Abwehrspieler, der 22-jährige Uwe Kliemann, der als Vorstopper und als Libero eingesetzt werden kann. Der 1,92 m große Kliemann wird einen Zweijahresvertrag erhalten, sobald sein Name auf der Transferliste des Deutschen Fußball-Bunds auftaucht.

Auf welchem Platz diese Neuen auflaufen werden, ist allerdings noch fraglich. Zwei Tage nach dem Spiel wendet sich Albert Zellekens nach seinem "dringlichen Appell" Mitte März in der Sportzeitung der Eintracht erneut an die Öffentlichkeit. "Der Untergang des Frankfurter Traditionsvereins Eintracht Frankfurt wird nicht mit dem Namen Zellekens verbunden sein", erklärt der Eintracht-Präsident aufs Äußerste erregt. Zellekens appelliert letztmals an die Stadt Frankfurt, dem Verein in seiner schwierigsten Situation nicht allein zu lassen. "Ich mache nicht mehr mit, wenn sich die Konstellation, die sich aus dem Umbau des Waldstadions zum WM-Stadion ergeben hat, nicht grundlegend ändert", sagt Zellekens und fügt hinzu: "Wenn keine Lösung gefunden wird, geraten wir in eine Verschuldung, die nie mehr auszugleichen ist. Die Energie, die ich in den letzten zwei Jahren aufgebracht habe, um das durch hohe Schulden schwer angeschlagene Eintracht-Schiff wieder flottzumachen, bringe ich nicht noch einmal auf!"

Grund des Zorns ist die gerade getroffene Magistratsentscheidung der Stadt Offenbach, die die Bitte des Frankfurter Sportdezernenten Professor Rhein ablehnt, der Eintracht für ein Jahr Gastrecht auf dem Bieberer Berg zu gewähren. Die Situation der Eintracht ist dadurch tatsächlich verzweifelt geworden: Das im Umbau befindliche Waldstadion wird für die nächste Saison nicht bundesligafähig sein. Das Angebot der Stadt Frankfurt an die Eintracht, das FSV-Stadion am Bornheimer Hang zu benutzen, weist Zellekens entrüstet zurück: "Wenn schon, dann, spielen wir in unserem Riederwald-Stadion. Am Bornheimer Hang müsste eigens eine Flutlichtanlage erstellt werden. Dieses Geld allein würde ausreichen, den Riederwald spielfähig zu machen. Aber die Stadt will das nicht." Empört weist Zellekens auf all die leeren Versprechungen der Stadt Frankfurt in den letzten zweieinhalb Jahren hin: "Wenn die Stadt so weiter macht, dann wird der Eintracht der finanzielle Garaus gemacht." (rs)


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