Schalke 04 - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1971/1972 - 22. Spieltag

2:0 (1:0)

Termin: Sa 26.02.1972, 15:30 Uhr
Zuschauer: 25.000
Schiedsrichter: Gert Meuser (Ingelheim)
Tore: 1:0 Herbert Lütkebohmert (40.), 2:0 Klaus Fischer (72.)

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Schalke 04 Eintracht Frankfurt

  • Norbert Nigbur
  • Jürgen Sobieray
  • Rolf Rüssmann
  • Klaus Fichtel
  • Hartmut Huhse
  • Klaus Fischer
  • Herbert Lütkebohmert
  • Erwin Kremers
  • Klaus Scheer
  • Helmut Kremers
  • Reinhard Libuda

 


 

Wechsel
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Trainer Trainer

 

Harte Nüsse und dumme Dinger

Nach dem man dem Deutschen Meister im DFB-Pokal einen großen Kampf geliefert hat, aber leider am Ende doch ausgeschieden ist, macht sich die Eintracht an diesem Wochenende auf den Weg ins Ruhrgebiet, wo der Tabellenführer Schalke 04 auf die Hessen wartet. Bei den „Knappen“ hängt der Haussegen ein wenig schief, weil der pferdesportbegeisterte Torwart Norbert Nigbur am Tag vor dem Spiel seine Zulassungsprüfung als Amateurfahrer für Trabrennen ablegen wollte und damit den Unmut seines Trainers Ivica Horvat auf sich gezogen hat. „Damit war ich nicht einverstanden“, bestätigt der ehemalige Spieler und Ex-Coach der Frankfurter Eintracht: „Jede Prüfung kostet Nerven. Fußball ist Nigburs erster Job. Heute kann er rennen, soviel er will!“

„Meine jungen Leute fühlen sich schon wie Weltmeister“, bemängelt Horvat insgesamt den mentalen Zustand einiger seiner Spieler. In dieser Selbstüberschätzung sieht der Coach auch die Ursache für das bisher schwächste Schalker Heimspiel der Saison, das 2:1 gegen Düsseldorf im Pokal. Eintracht-Trainer Ribbeck, der die Gelsenkirchener bei dieser Partie beobachtet hat, ist sich aber sicher, dass seine Elf am Samstag auf eine Schalker Truppe trifft, die sich in anderer Form präsentieren wird. Nur ein einziges Mal hat die Eintracht „auf Schalke“ gewinnen können und das ist lange her – es war im März 1964. „Gerade in Schalke haben wir immer recht ordentlich verloren“, meint Eintracht-Geschäftsführer Gerhardt dazu etwas missverständlich.

Irrtümer ausschließen will Ribbeck mit seiner akribische Nachbereitung. Während der Bundesligaspiele seiner Mannschaft hält der Trainer nämlich die gut gelungen und die besonders zu beanstandenden Spielzüge mit einem Tonbandgerät als Gedächtnisstütze fest: „So weiß ich hinterher bei der Mannschaftsbesprechung noch über jedes Detail Bescheid und kann gezielt loben oder tadeln.“ Das eine wie das andere wird diesmal im Fall von Friedel Lutz nicht zum Zuge kommen, denn der Abwehrchef hat seinen Trainer gebeten, ihn nach den zuletzt schwachen Leistungen vorübergehend nicht mehr aufzustellen.

Durch den Verzicht von Lutz ergeben sich Änderungen in der Mannschaftsaufstellung. Heese wird als Lutzersatz aus dem Mittelfeld zu Trinklein ins Abwehrzentrum beordert, Reichel und Hölzenbein bleiben auf den Außenverteidigerpositionen. Rohrbach kommt neu in die Elf, soll aber weder Außenverteidiger noch –stürmer spielen, sondern im Mittelfeld auflaufen. Ribbeck lässt die Frankfurter heute nämlich nur mit zwei Spitzen, Ender und Parits, stürmen. Jürgen Grabowski, der im Pokalspiel gegen Gladbach eine zehnwöchige Verletzungspause wegen seines lädierten linken Knöchels beendet hat, beginnt wie Rohrbach im Mittelfeld.

Dieses Mittelfeld mit Grabowski, Nickel, Rohrbach und Weidle, der in den letzten Wochen „Grabi“ als Außenstürmer gut vertreten hat, macht den Schalkern tatsächlich größere Probleme, als es den Hausherren lieb sein kann. Die wenigen Chancen, die die massive Eintracht-Deckung zulässt, vereitelt zudem der gewohnt zuverlässige Dr. Kunter im Tor der Hessen.

Die Frage, wie seine, eine der auswärtsschwächsten Mannschaften der Liga beim heimstärksten Team bestehen soll, das zudem Tabellenführer ist und Meister werden will, hat Ribbeck lange beschäftigt, und er scheint die richtige Antwort beim Pokalspiel der Schalker gegen Fortuna Düsseldorf gefunden zu haben. Die 4-4-2-Taktik des Frankfurter Trainers geht jedenfalls trotz deutlicher Feldüberlegenheit der Gastgeber lange Zeit prächtig auf.


Kunter muss Lütkebohmerts
Freistoß passieren lassen

Es sieht tatsächlich alles danach aus, als ob die Partie auch torlos in die Halbzeitpause gehen würde. Doch wie so oft, wenn der ersehnte Treffer aus dem Spiel heraus einfach nicht fallen will, kommt eine Standardsituation zur Hilfe. Wohl dem, der einen ausgezeichneten Schützen, wie den heute – neben Sobieray – besten Schalker Spieler Herbert Lütkebohmert, in seinen Reihen weiß. In der 40. Minute legt sich Lütkebohmert die Kugel zum Freistoß zurecht, Trinklein hatte zuvor Sobieray zu Fall gebracht. Gegen den folgenden Schuss ist kein Kraut gewachsen und selbst ein Dr. Kunter machtlos: Der Ball schlägt vom Schützen aus gesehen im linken oberen Torwinkel der Eintracht ein. Lütkebohmert unterstreicht mit diesem Treffer und seinem energischen Einsatz, dass er an dem Lehrgang der DFB-Auswahl in Hofheim, zu dem er erstmals von Helmut Schön eingeladen wurde, nicht als staunender Tourist teilnehmen will.

Frankfurts Ligaobmann Ernst Berger gefällt sich in der Pause zwischen den Halbzeiten gegenüber den Journalisten des Boulevards als Prophet: „Ich verspreche Ihnen eine schöne zweite Halbzeit.“ Für diese Vorhersage benötigt man allerdings keine hellseherischen Fähigkeiten, ein klein wenig Fußballsachverstand reicht dafür völlig aus: Natürlich ist die Eintracht bei Wiederanpfiff des Spiels angesichts des Rückstandes dazu gezwungen, die bisherige defensive Spielweise aufzugeben.

Und siehe da – die Offensive der Eintracht hat durchaus Mittel die Schalker in Bedrängnis zu bringen. Hartmut Huhse, Helmut Kremers und Rolf Rüssmann verraten plötzlich unvermutete Schwächen, der Ausgleichstreffer der Hessen ist greifbar nah. Huhse schafft es oft nicht rechtzeitig, den Ball aus der Gefahrenzone zu bringen, und Nigbur muss bei einem Schuss von Konca nachfassen, bereinigt die Situation dann aber.

Trinklein und Reichel schalten sich immer wieder mit in den Angriff ein und auch Bernd Nickel und Bernd Hölzenbein machen auf Frankfurter Seite ein gutes Spiel. Gerade Hölzenbein liefert, wie bereits im Pokal gegen Gladbach, auf dem immer noch ungewohnten Außenverteidigerposten eine bemerkenswerte Leistung und kämpft Schalkes Rechtsaußen Stan Libuda in Grund und Boden.

Im Vergleich zum ersten Durchgang bietet der Zweite natürlich einen wesentlich höheren Unterhaltungswert. Die Eintracht geht nun aufs Ganze, was die Spannung ebenso erhöht wie die turbulenten Szenen in beiden Strafräumen. Die einseitige Geschichte des Spiels aus den ersten 45 Minuten, in denen die Schalker den Strafraum der Gäste umzingelt hatten, wie Indianer in einem Hollywoodwestern eine Wagenburg, wird jetzt neu geschrieben. Es ist ein offener Schlagabtausch zweier Teams, die Fußball spielen können und es endlich auch beide tun. Die Frage, die es angesichts dieses Gefechts mit offenem Visier zu beantworten gilt, lautet: Wer wird am Ende noch stehen, um die Punkte einzusammeln?

Nun, der Tabellenführer wankt, aber er fällt nicht. Der Eintracht will es einfach nicht gelingen, aus den Unsicherheiten in der gegnerischen Deckung Kapital zu schlagen. Eine Chance von Roland Weidle und einen Freistoß von Bernd Nickel entschärft der Schalker Keeper Norbert Nigbur, der sich seit Wochen in bestechender Form befindet. Zudem kommen sowohl Weidle als auch Parits und Ender zu keiner Phase an ihre gewohnten Leistungen heran. Aber auch Grabowski ist seine lange Verletzungspause immer deutlicher anzumerken, gegen Mönchengladbach wusste der Kapitän besser zu gefallen.

Doch auch die Hausherren scheitern in Serie am glänzend aufgelegten Frankfurter Schlussmann Dr. Kunter. Nacheinander versuchen sich Klaus Scheer, Erwin Kremers und Klaus Fischer, ohne den „fliegenden Zahnarzt“ im Kasten der Eintracht bezwingen zu können. Klaus Fischer schafft es in der 72. Minute dann aber doch noch, der Schalker Überlegenheit auch im Ergebnis Ausdruck zu verleihen. Es ist eine glänzende Leistung Fischers, der einen Fehlpass von Grabowski aufnimmt, Heese umspielt, Reichel nicht mehr herankommen lässt und mit einem unhaltbaren Schuss das 2:0 und damit die Vorentscheidung besorgt.

Wenige Minuten später ergibt sich für die Eintracht zwar die Chance, den Anschlusstreffer zu erzielen, doch Weidle scheitert kläglich, nachdem er von Parits glänzend freigespielt wurde. Horvats junge Elf hat nach einer 30minütigen Schwächephase die Begegnung wieder fest im Griff und bringt den Sieg sicher über die Zeit.

Das 2:0 ist für die am Ende bessere Mannschaft verdient - gerade in Anbetracht der Vielzahl von Chancen, die sich der Heimmannschaft während der hitzigsten Phase der Partie geboten haben. Die Sturm- und Drangphase der Eintracht in der zweiten Halbzeit wirft nach dem Spiel aber auch die Frage auf, ob es Trainer Ribbeck nicht von Anfang an mit einer offensiveren Taktik hätte versuchen sollen. Am Ende jedoch bleibt diese Frage akademischer Natur.

Die Eintracht bleibt somit zum ersten Mal seit dem 25. September 1971 ohne eigenen Torerfolg. Gegen diese Gelsenkirchener Elf ist das allerdings keine Schande: Es ist das 15. Bundesligaspiel, in dem ein Gegner Schalkes nicht zu einem Torerfolg gekommen ist. Norbert Nigbur musste außerdem in den letzten sieben Ligaspielen nur ganze zwei Gegentore hinnehmen und hält seinen Kasten bereits seit 273 Minuten völlig sauber. Schalke baut durch diesen Sieg den Vorsprung auf den Tabellenzweiten aus München auf drei Punkte aus, während die Eintracht zwei Plätze einbüßt und nun auf Rang sieben liegt.

„Diese Eintracht war eine harte Nuss. Man muss sie erst einmal knacken“, lobt Ivica Horvat den Gegner und dann das eigene Team: „Wir haben sie geknackt.“ Erich Ribbeck regt sich über die beiden Gegentore auf, die seine Mannschaft hat hinnehmen müssen: „Zwei ausgesprochen dumme Dinger. Wenn wir die vermieden hätten, was absolut möglich war, dann hätte ich einmal sehen wollen …“ Bei diesem Satz fragt sich der geneigte Zuhörer, was der Trainer denn dann hätte sehen wollen? Dumm oder nicht, reinbekommen muss man die „Dinger“ eben auch. Und wer das nicht schafft oder wenigstens erkennt, der läuft irgendwann Gefahr, nicht mehr für eine harte, sondern für eine taube Nuss gehalten zu werden.

Aber Trainer leben wohl manchmal in einer eigenen Welt. „Es ist ein großer Irrtum im Länderspiel gegen Ungarn ein Vorbereitungsspiel für England zu sehen. Ungarn ist ein vollwertiges Ereignis für sich, wenn es auch nicht um die Europameisterschaft geht“, diktiert beispielsweise Bundestrainer Schön den Journalisten am Sonntag in die Notizblöcke. Zu welchem Zweck denn das Spiel in Ungarn stattfindet, wenn nicht, um sich für die Engländer einzuspielen, das verrät Schön jedoch nicht.

Beim ersten Lehrgang der DFB-Auswahl in diesem Jahr fehlen übrigens der Münchner Vorstopper Georg Schwarzenbeck sowie die beiden Schalker Fichtel und Nigbur, die Schön allesamt eine Absage erteilen mussten. Neben Lütkebohmert und Grabowski ist jedoch überraschend ein anderer Aktiver aus dem Spiel zwischen Schalke und Frankfurt mit von der Partie: Bernd Nickel.

Der Eintrachtspieler ist zum ersten Mal bei der A-Nationalmannschaft dabei, erfahren hat er von seiner Einladung zuerst über das Radio. Nach den Absagen der anderen Spieler hatten Helmut Schön, sein Assistent Jupp Derwall, die DFB-Geschäftsstelle und auch Mitspieler Jürgen Grabowski versucht, Nickel zu erreichen.

„Ich freue mich, dass Helmut Schön mich gerufen hat. Allein schon mal im Kreis der Nationalelf dabei zu sein, davon träumt doch jeder“, ist „Dr. Hammer“ glücklich.„Und wenn ich mit dem Traktor hätte anreisen müssen - ich wäre auf jeden Fall gekommen“, kommentiert der schussgewaltige Mittelfeldspieler schlagfertig den Hinweis eines Boulevardjournalisten auf Nickels Mini-Cooper, der ihn von Eisemroth im Dillkreis zum Frankfurter Waldstadion gebracht hat, wo Schöns Auswahl trainiert: „An diesem Kleinwagen sieht man halt, dass ich nur Olympia-Amateur bin.“ (rs)


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