Eintracht Frankfurt - Borussia Mönchengladbach

Bundesliga 1970/1971 - 34. Spieltag

1:4 (1:1)

Termin: Sa 05.06.1971, 15:30 Uhr
Zuschauer: 65.000
Schiedsrichter: Ewald Regely (Berlin)
Tore: 0:1 Günter Netzer (43.), 1:1 Bernd Nickel (45.), 1:2 Horst Köppel (70.), 1:3 Jupp Heynckes (78.), 1:4 Jupp Heynckes (81.)

 

 

>> Spielbericht <<

Eintracht Frankfurt Borussia Mönchengladbach

 


  • Wolfgang Kleff
  • Berti Vogts
  • Ludwig Müller
  • Klaus-Dieter Sieloff
  • Hartwig Bleidick
  • Günter Netzer
  • Peter Dietrich
  • Jupp Heynckes
  • Horst Köppel
  • Herbert Wimmer
  • Herbert Laumen

 

Wechsel Wechsel
  • Rainer Bonhof für Peter Dietrich (28.)
Trainer Trainer
  • Hennes Weisweiler



Die Erlösung kam aus dem Lautsprecher

"Heute kann die Eintracht ja verlieren." Diese» Trostwort sprach Bundestrainer Helmut Schön vor dem Spiel auf der Tribüne. Beim 1:2 stand die Eintracht am Rande des Abstiegs, beim 1:4 aber war sie gerettet. Helmut Schön rang nach dem Spiel und Kenntnis der anderen wichtigen Ergebnisse erfolglos um einen Kommentar in Sachen Abstieg. Sprudelnd hingegen seine Laudatio für den alten, neuen Deutschen Meister: „Mönchengladbach hat eindeutig bewiesen, daß es derzeit die beste deutsche Mannschaft ist." Dieses Lob schloß die Leistung der Frankfurter Eintracht ein, die gab, was sie noch geben konnte. Vor ein paar Wochen noch hätte sie der Borussia vielleicht ein Bein stellen können, an diesem Tag aber waren ihre nervlichen und physischen Kräfte restlos aufgebraucht.

Dennoch lehrte sie dem nachher strahlenden Sieger lange Zeit das Fürchten. In dieser fast unerträglichen Spannung und Ungewißheit, in diesem überschwenglichen Jubel auf der einen und banger Zerknirschtheit auf der anderen Seite, sprach Stadionansager Birkholz nach Schlußpfiff das erlösende Wort: „Wir bitten Sie liebe Zuschauer aus Mönchengladbach, bei aller verständlichen Freude, den Stadionrasen wieder zu verlassen, denn die Eintracht braucht ihn auch noch in der nächsten Bundesligasaison." Nun erst ebbte das Rechnen im weiten Rund langsam ab.

Die Partie war, was die äußeren Umstände und die Atmosphäre betraf, eines „Endspieles" würdig. Erstmals seit dem Spiel gegen Bayern München, im Januar 1966, war das Stadion ausverkauft. Die Stimmung hatte lange vor dem Spiel schon ihre Fiebergrade an das zu erwartende Spektakulum angepaßt. Die Eintracht sorgte durch ihren Auftakt dafür, daß sie nicht abebbten. Noch hatten nicht alle Zuschauer Platz genommen, als Grabowski einen Freistoß auf Kleffs Tor zirkelte, den abgewehrten Ball im Nachsetzen ins Ziel setzen wollte, doch auf der Torlinie rettete Ludwig Müller. Nach dem anschließenden Eckball prallten Müller und Heese beim Kopfballduell zusammen und blieben liegen. Gegenseitig Trost spendend rappelten sie sich wieder hoch, die geschundenen Kopfe reibend.

Nur langsam kristallisierte sich auf beiden Seiten ein System heraus, und die Bewachungspärchen fanden sich. Endgültiges aber gab es an diesem Tag nicht, Positionsverschiebungen waren der rote Faden. Grabowski, Nickel und Hölzenbein standen zunächst in vorderster Reihe, Heese bei Netzer, Kalb und Trinklein im Eintracht-Mittelfeld. Schon bald aber wechselte Heese nach vorne und Kalb übernahm Netzer. Diese Entscheidung war logisch, weil Heese am deutlichsten Verschleißerscheinungen herumschleppte, Kalb hingegen massenhaft Energien freilegte.

Mönchengladbach sah sich in die Defensive gedrängt. Gelegentliche Konter prallten an der glänzend formierten Eintracht-Abwehr ab, wo Lindner als Vorstopper gegen Laumen gewaltig aufräumte, Reichel seinen Widerpart Heynckes im Griff hatte, Friedel Lutz ein umsichtiger Libero war, Dr. Kunter vollkonzentriert und reaktionsschnell agierte und eigentlich nur Karlheimz Wirth gegen Köppel Schwierigkeiten hatte. Grabowskis Duelle gegen Berti Vogts hatten den erwarteten Gütegrad. Die beiden neutralisierten sich lange Zeit, und erst im Finale, als Vogts nach vorne marschierte und den Sieg für seine Farben vorbereitete, hatte der Mönchengladbacher das indirekte Duell gewonnen.

Von Hölzenbein am linken Flügel und dem nach vorne preschenden Reichel gingen die Impulse aus, effektvoll unterstützt von Lindner, der in der 15. Minute mit einem Fernschuß nur knapp das Ziel verfehlte. Günther Netzer kam lange Zeit nicht zur Entfaltung. Er wirkte müde und holte sich das Mißfallen des Publikums durch einige Mätzchen. Der garstigste Akteur aber war Ludwig Müller, dessen Attacken permanent gesundheitsgefährdend waren. Er blieb vom Schiedsrichter unbehelligt. Dagegen bekam Grabowski wegen Reklamierens die „gelbe Karte" gezeigt und später auch Netzer. In der 25. Minute brachten Dietrich und Kleff Hölzenbein regelwidrig im Strafraum zu Fall. Elfmeter, so bewies es die Fernsehkamera später. Doch der Pfiff blieb aus. Dietrich mußte mit einer Gehirnerschütterung benommen vom Platz geführt werden. Bonhof kam und war für seine Elf eine Verstärkung. Laumen und Bleidick streuten Gefahr vor dem Eintrachttor ein, doch die Abwehr schien Herr der Lage, bis Kalb ein ärgerliches Versäumnis gegen Netzer unterlief. In diesem Moment blitzte die Klasse des Mönchengladbachers auf, der den Ball unhaltbar ins lange Eck placierte. Unmittelbar danach foulte Heynckes Heese am Borussia-Strafraum. Trinklein schlich sich in die Abwehrmauer der Gäste und riß eine Lücke auf, in die Spezialist Nickel den Ball hindurch und ins Tor setzte.

Niemand bezweifelte, daß dieses Remis hochverdient war. Die Reife und Güte des Meisters wurde spät offenbart. Doppelpässe und flüssige Großraumkombinationen wurden erst Mitte der zweiten Halbzeit kreiert. Vogts peitschte sein Team nach vorne. Zusätzliches Stimulans war das Zwischenergebnis aus Duisburg. Die Eintracht baute ab, sackte zusammen. Trinklein ging und Rohrbach kam, als der Meister seine Lawine rollen ließ, als Köppel das 2:1 geschossen hatte. Jetzt marschierten Köppel und Bonhof und entfaltete Wimmer all seine Tugenden. Jetzt war die Eintracht klein und der Meister groß. Niemand konnte ihn noch aufhalten. Die Eintracht wurde zur Statisterie verurteilt, und nur Nickels Lattenschuß, kurz vor Schluß, erinnerte an die beachtliche Gegenwehr vor dem Niedergang.


Ein glücklicher Verlierer

Schade, daß es solch ein Spiel nur zum Abschluß einer Saison geben kann, die bis zur letzten Minute spannend und dramatisch verlief. Ein ausverkauftes Waldstadion, herrliches Wetter, eine Eintracht, die in der ersten Hälfte loslegte, als ob sie den Meister in Grund und Boden spielen wollte, und last not least eine Gladbacher Truppe, die wie ein echter Meister in der zweiten Halbzeit ihre Chancen nutzte. Die Spannung war unbeschreiblich. Per Sprechfunkgerät wurden die Zwischenergebnisse aus Duisburg, Braunschweig, Köln und Berlin von der Pressetribüne an die Trainer weitergeleitet. Die unerträgliche Nervenbelastung löste sich erst ein wenig, als Duisburgs Führungstor und der Kölner Führungstreffer zum 3:2 bekannt wurden.

Gänzlich unberührt davon die Spieler des Meisters: Kalt bis ans Herz erwehrten sie sich der Eintracht-Anfangsoffensive (schon in der 1. Minute holte Müller mit dem Kopf einen Grabowski-Schuß von der Linie und Lindners Fernschuß verfehlte nur um Zentimeter das leere Tor, um denn kurz vor der Pause durch den bis dahin schwachen Netzer ein typisches Kontertor anzubringen. Selbst Nickels Ausgleich mit dem Pausenpfiff wurde gut verdaut. Nach einer Stunde dann fiel die Eintracht ihrem eigenen Tempo zum Opfer, nun wurde der Tabellenabstand deutlich, denn MG war einem fünften Tor näher als Frankfurt dem zweiten, obwohl Nickels Bombe in der 87. Minute die Latte traf.

Sehr gut löste Frankfurts Trainer Ribbeck das Problem Netzer. Schnell nahm er Sturmtank Heese von ihm weg und ließ ihn abwechselnd durch Hölzenbein und Kalb beschatten, die, weil läuferisch überlegen, den zum Schluß wüst kämpfenden Günther schachmatt setzten. Auf der Gegenseite wurde Eintracht-König Jürgen Grabowski von Berti Vogts demontiert. Aber beide Teams hatten ihre Ersatz-Könige. Bernd Hölzenbein machte eine Stunde bravourös das Spiel (besonders augenscheinlich seine sensationellen technischen Fähigkeiten). Beim Meister war Herbert Wimmer der Ersatz-König für Günther Netzer. Sein Laufpensum war umwerfend, seine Wirkung für die Eintracht, insbesondere für den tapferen Trinklein, löblich. Helmut Schön wird diese Leistung honorieren. „Huckys" heroische Taten gewinnen noch an Wert, wenn man bedenkt, daß Dietrich schon nach zehn" Minuten (Zusammenprall mit Heese) benommen umherlief und nach knapp einer halben Stunde mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ausscheiden mußte, Bonhof aber Rechtsaußen spielte, und Köppel nun mal in der Defensive nicht allzu stark ist. Eintrachts Trümpfe waren neben Hölzenbein der ansatzlos und hart schießende Nickel sowie Vorstopper Dieter Lindner in seinem letzten Spiel für die Eintracht, in dem er MG-Schützenkönig Laumen das Leben zur Hölle machte.

Nette Szene am Rande: MG-Ersatzspieler Heinz Wittmann lief alle fünf Minuten in die Kabine, um dem verletzten Dietrich den Zwischenstand mitzuteilen. Ein Meister der Kameradschaft.

Die Tore

  • 0:1 (43.) Netzer mit Flachschuß in die lange Ecke, nachdem Kalb einen Schuß von L. Müller mit der Schulter zu kurz abgewehrt hatte
  • 1:1 (45.) Nickel mit direktem Freistoß, der in der MG-Mauer abgefälscht wurde. Heynckes hatte Heese gefoult
  • 1:2 (69.) Köppel geschickt nach herrlichem Steilpaß von Vogts
  • 1:3 (78.) Heynckes im Nachschuß nach Hereingabe von Laumen
  • 1:4 (81.) Heynckes mit 18-Meter-Schuß

Stimmen zum Spiel

Ribbeck (Frankfurt): „Zum ersten Mal bin ich auch nach einer Niederlage zufrieden. Wir haben gegen eine Klassemannschaft verloren. Es wäre schön gewesen, wenn wir ein Unentschieden erreicht hätten, doch die kräftemäßigen Beanspruchungen in den vergangenen Wochen, besonders im letzten Spiel in Offenbach, machten sich schließlich doch bemerkbar. Außerdem habe ich noch eine Wette gewonnen! Niemand wollte mir glauben, daß Bielefeld in Berlin gewinnt. Mönchengladbach ist der würdige Meister, denn die Elf ist unwahrscheinlich gut eingespielt!"

Trainer Weisweiler (Mönchengladbach): „Es ist keine Frage, daß ich glücklich bin, mit meiner Mannschaft nun zum zweitenmal den Titel geholt zu haben. Eintracht Frankfurt war bis zum 3:1 ein gleichwertiger Gegner. Es war ein herrlicher und großartiger Kampf, in dem sich meine Mannschaft in der zweiten Halbzeit steigerte. Ich bin auch glücklich darüber, daß Eintracht Frankfurt nicht abgestiegen ist."

 

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