Eintracht Frankfurt - Eintracht Braunschweig

Bundesliga 1970/1971 - 27. Spieltag

5:2 (3:1)

Termin: Sa 03.04.1971, 15:30 Uhr
Zuschauer: 19.000
Schiedsrichter: Wilfried Hilker (Bochum)
Tore: 1:0 Bernd Hölzenbein (3.), 1:1 Horst Heese (16., Eigentor), 2:1 Horst Heese (17.), 3:1 Jürgen Kalb (30.), 4:1 Bernd Hölzenbein (62),. 4:2 Dietmar Erler (73.), 5:2 Horst Heese (85.)

 

 

>> Spielbericht <<

Eintracht Frankfurt Eintracht Braunschweig

 


  • Horst Wolter
  • Wolfgang Grzyb
  • Max Lorenz
  • Joachim Bäse
  • Franz Merkhoffer
  • Jaro Deppe
  • Friedhelm Haebermann
  • Dietmar Erler
  • Bernd Gersdorff
  • Lothar Ulsaß
  • Rainer Skrotzki

 

Wechsel Wechsel
  • Michael Polywka für Lothar Ulsaß (8.)
  • Eberhard Haun für Friedhelm Haebermann (46.)
Trainer Trainer

 

 

Einsatz bis zum Schluss

Das Tabellenbild ist durch Spielausfälle etwas verzerrt, doch wenn an diesem Samstag die Mannschaften aus Frankfurt und Braunschweig im Waldstadion aufeinandertreffen, ist das Duell zwischen dem aktuell 17. und dem 3. der Tabelle tatsächlich die Begegnung eines Abstiegskandidaten mit einer Spitzenmannschaft, wobei vor allem die Frankfurter auf die Punkte angewiesen sind. Denn dass die Eintracht im Nachholspiel beim Spitzenreiter Bayern München punkten könnte, hoffen ohnehin nur die größten Optimisten.

Die Hessen, die ihren letzten Punkt auf fremden Platz am 8. Spieltag geholt haben, waren nach acht erfolglosen Versuchen in der Fremde am vergangenen Wochenende in Bremen nahe dran, mussten jedoch nach dem Gegentreffer zum 0:1 in der 90. Minute wieder geschlagen und ohne Zählbares an den Riederwald zurückkehren. Wenn den Frankfurtern der Klassenerhalt gelingen soll, dann müssen sie die Punkte wohl am heimischen Main holen. Nach dem 3:0-Sieg gegen Kickers Offenbach am 16. Spieltag gelangen ja auch drei weitere Heimsiege in Folge, doch gegen den 1. FC Köln, der die Elf von Trainer Ribbeck im Februar mit einem 4:1 im Waldstadion aus dem DFB-Pokal geworfen hat, gab es im letzten Heimspiel nur ein 1:1-Unentschieden.

Zudem kommt mit den Braunschweigern eine Elf, die man getrost als einen Angstgegner der Hessen bezeichnen kann: Nur eine der zehn letzten Bundesligapartien gegen die Frankfurter haben die Niedersachsen verloren. Und aktuell ist der Deutsche Meister des Jahres 1967 in der Liga seit mehreren Wochen ungeschlagen: Von den letzten sechs Punktspielen wurde keines verloren, aber vier gewonnen. Auch die Frankfurter Hoffnung, dass der torgefährliche Lothar Ulsaß verletzt ausfallen könnte, hat sich nicht erfüllt. Der in dieser Runde vor des Gegners Tor bereits 15 Mal erfolgreiche Spielmacher ist vor 19.000 Zuschauern im Waldstadion mit von der Partie.

Die Freude von Braunschweigs Trainer Otto Knefler über das Mitwirken seines wichtigsten Spielers ist jedoch nicht von langer Dauer. „Eisenkopf“ Horst Heese nimmt sich des Braunschweiger Nationalspielers an und schon die ersten beiden Duelle sehen Ulsaß mit Schmerzen am Boden. Nach dem dritten Zusammenstoß der beiden Kontrahenten, bei dem wiederum Ulsaß zu Boden geht, muss der Kapitän der Gäste in der 8. Minute vom Platz geführt und ausgewechselt werden. Michael Polywka kommt für ihn in die Partie.


Das 1:0 durch Hölzenbein

Zu diesem Zeitpunkt führen die Hausherren, die den Gästen mit harten bis überharten Spiel den Schneid abzukaufen versuchen, bereits mit 1:0. Nach einem Eckball Grabowskis in der 3. Minute verunglückte Heeses Schussversuch, der Ball sprang zu Bernd Nickel und dessen Abschluss fälschte Bernd Hölzenbein ab. Torhüter Horst Wolter wurde bereits am Boden liegend von der Richtungsänderung überrascht und konnte auch mit dem ausgestreckten rechten Arm das Leder nicht mehr erreichen. Hölzenbein jubelte bereits über seinen zweiten Saisontreffer, während Kalb und Papies dem Ball noch gebannt nachstarrten.

Die Frankfurter sind fest entschlossen, dieses Spiel für sich zu entscheiden. Die Elf lässt sich nicht einmal davon beeindrucken, dass Heese in der 16. Minute eine Flanke von Jaro Deppe ins eigene Netz köpft. „Lorenz drückte mich etwas, aber ich bekam das Ei im Sprung halt voll auf die Stirn“, erklärt Heese sein Missgeschick, das er in der folgende Minute schon wieder ausbügelt. Nach Grabowskis Freistoß fliegt er in Knöchelhöhe heran und wuchtet die Kugel mit dem Kopf zum 2:1 und damit zur erneuten Führung ins richtige Tor.


Heeses 2:1

Der Jubel währt jedoch nur drei Minuten, dann scheint die Eintracht einen entscheidenden Nachteil zu erleiden. Libero Friedel Lutz lässt sich nach wiederholten Tritten durch seinen Braunschweiger Kontrahenten Deppe in seinem Schmerz zu einem Revanchefoul hinreißen und wird nach seinem linken Haken von Schiedsrichter Wilfried Hilker vom Platz gestellt. Es ist eine zweifache Premiere: Es ist der erste Platzverweis für Lutz in der Bundesliga und das erste Mal, dass die neu eingeführte Rote Karte gezückt wird. Hilker, der im Dezember des letzten Jahres für Aufsehen sorgte, weil er Gerd Müller nach einer Tätlichkeit gegen Josef Heynckes des Feldes verwies, steht unfreiwillig schon wieder im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Und beim Frankfurter Anhang, der die korrekte Entscheidung des Unparteiischen mit lauten Pfiffen quittiert, ist Hilker natürlich unten durch.

Doch den Braunschweigern gelingt es nicht, aus ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit einen Vorteil zu ziehen. Sie versuchen zwar, es den Frankfurtern mit gleicher Münze heimzuzahlen, wobei Max Lorenz es besonders auf Heese abgesehen hat, doch den Widerstand der Hessen können sie so nicht brechen und schon gar nicht die Räume nutzen, die ihnen durch das Fehlen von Lutz zur Verfügung stehen könnten. Der enorm fleißige Heese, der es nun anstelle von Ulsaß mit Lorenz zu tun hat, ist ohnehin nicht aufzuhalten und hat das Gespür für den rechten Einsatz im rechten Moment.

Neben Heese überzeugen Hölzenbein, Kalb, Linder und Wirth besonders, doch alle werden überragt vom besten Spieler auf dem Feld: Jürgen Grabowski. Der ist auch am dritten Frankfurter Treffer beteiligt und ist bereits zum zweiten Mal der direkte Vorbereiter. Seinen Freistoß köpft Jürgen Kalb ein und nach einer halben Stunde steht es 3:1 für die Frankfurter.

Zu Beginn des zweiten Durchgangs wechselt Trainer Knefler zum zweiten Mal aus und bringt Eberhard Haun für Friedhelm Haebermann. Zehn Minuten später reagiert auch Erich Ribbeck auf Frankfurter Seite und versucht mit Gert Trinklein für den im Vergleich mit seinen Kollegen abfallenden Jürgen Papies das Spiel seiner Elf zu stabilisieren. Die Begegnung bleibt jedoch hektisch, wozu auch die eine oder andere umstrittene Entscheidung Hilkers beiträgt. In der 59. Minute bringt er erneut die Frankfurter Zuschauer gegen sich auf, als der 50 Meter von ihm entfernt stehende Braunschweiger Grzyb seinen Schuh verliert und Hilker das Spiel unterbricht und mit einem Schiedsrichterball fortsetzt.

Die Gäste enttäuschen weiterhin auf ganzer Linie. Bernd Gersdorff und Rainer Skrotzki bleiben blass und Joachim Bäse und Franz Merkhoffer sind nie in der Lage, dem Spiel ihrer Elf Sicherheit und Struktur zu verleihen. Und während die Spitzenmannschaft teilweise wie ein Absteiger auftritt, kombiniert der Abstiegskandidat ansatzweise meisterlich. In der 62. Minute profitiert Hölzenbein von einem präzisen Zuspiel des grandios aufspielenden Grabowski und gibt Wolter mit einem platzierten Schlenzer zum vierten Mal an diesem Nachmittag das Nachsehen.

Auch wenn Dietmar Erler elf Minuten später den famos haltenden Dr. Kunter mit einem Schrägschuss ins kurze Eck zum zweiten Mal überwinden kann und auf 4:2 verkürzt, besteht kein Zweifel mehr, dass die mittlerweile über 50 Minuten in Unterzahl kämpfenden und rennenden Frankfurter die Oberhand behalten werden. Ribbeck geht auf Nummer sicher und setzt sieben Minuten vor dem Ende auf die Erfahrung von Lothar Schämer, der für Peter Reichel kommt.

Für Merkhoffer, dem Bewacher Grabowskis, ist die Tortur noch nicht zu Ende. Immer wieder bleibt er in den Duellen mit dem Frankfurter Stürmer zweiter Sieger. Und Grabowski ist auch am fünften und letzten Tor der Frankfurter beteiligt: Sein zunächst abgewehrter Eckball wird von Heese an Wolter vorbei ins Tor gewuchtet. Der Braunschweiger Schlussmann erlebt die nächste Premiere an diesem Nachmittag: Fünf Gegentore hat er in der Bundesliga noch nie kassiert - und nun das gegen eine Mannschaft, die es in der gesamten Hinrunde nur auf neun Treffer gebracht hat und heute gegen die Abwehr mit den bislang wenigsten Gegentreffern antrat … Heese jubelt derweil über seinen zweiten Treffer ins richtige Tor und tut das nach Meinung eines der anwesenden Journalisten „wie Hermann der Cherusker ohne Schwert“: „Er streckt den rechten Arm senkrecht in die Luft und grüßt die Tribüne.“ Zum Treffer ins eigene Tor sagt der „Eisenkopf“ nach dem Schlusspfiff: „Der Peter Kunter muss mich für einen Überläufer gehalten haben.“

„Frankfurt hat sehr geschickt gespielt und großartig gekämpft“, lautet das fachmännische Urteil von DFB-Trainer Helmut Schön, der einen Akteur heraushebt: „Ein ganz großes Spiel von Grabowski.“ Das sieht auch die „Bild“ so und bescheinigt ihm mit der Höchstnote 6 eine „Weltklasseleistung“. „Ich habe ja immer gesagt, dass wir noch nicht abgestiegen sind und dass wir es noch wissen wollen“, erklärt Grabowski gewohnt ruhig.

„Und ich habe auch vor Monaten schon gesagt: So lange ich für die Eintracht spiele, werde ich mich einsetzen bis zum Schluss“, erinnert er die Journalisten und lässt sich sonst nichts zu seinen Absichten und Tendenzen entlocken: „Erst muss der Klassenerhalt gesichert sein, dann sprechen wir weiter.“ Wilhelm Neudecker, der Präsident des FC Bayern München, der nach 1968 zum zweiten Mal um die Dienste des einzigen aktuellen Frankfurter Nationalspielers buhlt, befürchtet: „Wenn Frankfurt drin bleibt, werden wir den Kampf um Grabi wohl nicht gewinnen.“

„Jetzt erst recht, sagten wir uns nach der Herausstellung“, berichtet Bernd Hölzenbein den Journalisten frohgestimmt: „Und niemand von uns zweifelte von da ab an unserem Sieg!“ „Toll, einfach toll, und das nur mit zehn Mann“, ist auch Erich Ribbeck von seiner Truppe begeistert. Des einen Freud‘, ist aber auch hier des anderen Leid: „Das war eine Katastrophe für uns. Diese vielen unnötigen Tore“, stöhnt Braunschweigs Trainer Otto Knefler: „Und Ulsaß ist schon wieder verletzt.“

Unter vorübergehendem Gedächtnisverlust leidet nach dem Schlusspfiff der vom Platz gestellte Friedel Lutz: „Ich kann mich gar nicht richtig erinnern, wie das Ganze passiert ist.“ „Schauen Sie sich meine Wade an, sie ist blau und rot. Ich war vom Schmerz betäubt, als ich den Braunschweiger Deppe von mir drängte“, kehrt später die Erinnerung aber doch noch zurück, zumal ihr Schiedsrichter Hilker auf die Sprünge hilft: „Lutz hat Deppe mit den Fäusten weg- oder zurückgestoßen.“


Epilog

Schiedsrichter Hilker leitet bis 1978 Spiele der 1. Fußballbundesliga, doch die Rote Karte zückt er kein einziges Mal mehr.

Als nach und nach bekannt wird, dass einige der Spiele der Saison 1970/71 manipuliert wurden, werden auch Spieler von Eintracht Braunschweig bestraft. Sie haben allerdings im Gegensatz zu anderen keinen Geld erhalten, weil sie absichtlich verloren, sondern als zusätzlichen Anreiz, um das Spiel gegen Rot-Weiß Oberhausen am letzten Spieltag zu gewinnen. Die Partie endete übrigens 1:1. Während die meisten seiner Mitspieler mit einer Geldstrafe davon kommen, erhält Lothar Ulsaß eine Sperre, die seine Laufbahn in der Bundesliga beendet – auf dem Höhepunkt seiner sportlichen Leistung, denn er erzielte in seiner letzten Saison mit 18 Treffern so viel wie nie zuvor.

Dass die erstaunliche 2:5-Niederlage der Braunschweiger im Waldstadion das Ergebnis einer Manipulation war, wird gelegentlich behauptet, wurde aber nie bewiesen. (rs)

 

 

>> Spieldaten <<

 


(aus dem 'Kicker' vom 05.04.1971)



© text, artwork & code by fg