Eintracht Frankfurt - Werder
Bremen |
Bundesliga 1970/1971 - 9. Spieltag
0:2 (0:1)
Termin: Sa 03.10.1970, 15:30 Uhr
Zuschauer: 6.000
Schiedsrichter: Hans Hillebrand (Essen)
Tore: 0:1 Bernd Windhausen (43.), 0:2 Bernd Windhausen (57.)
Eintracht Frankfurt | Werder Bremen |
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Rächer, Rufmörder und Säcke aller Art Sieben Mal gastierte Werder Bremen in der Bundesliga bislang im Frankfurter Waldstadion und sechs Mal sind die Norddeutschen als Verlierer vom Platz gegangen. Lediglich am 5.9.1964 gelang nach den beiden Treffern von Gerhard Zebrowski ein 2:0-Sieg. Heute kommt Werder – allerdings mit einem Spiel weniger, weil die Nachholpartie in Dortmund noch aussteht – als Tabellenletzter, der in dieser Runde noch keine Partie gewinnen konnte, und mit dem „letzten Aufgebot“, wie der neue Bremer Trainer Robert „Zapf“ Gebhardt meint. Die Frankfurter Eintracht, die sich in dieser Saison vor eigenem Publikum mit vier Punkten in vier Heimspielen noch schwer tut, sollte dagegen nach den letzten drei Begegnungen an Selbstvertrauen gewonnen haben. Innerhalb einer Woche gab es in Oberhausen und zuletzt in Köln jeweils ein torloses Unentschieden und dazwischen gegen Schalke 04 mit 1:0 den ersten Heimsieg. Auffällig und bedenklich ist allerdings die ungefährliche Offensive der Hessen, der in acht Punktspielen bislang nur vier Treffer gelungen ist. Unterschiedliche Voraussetzungen also für die beiden Trainer, die sich übrigens schon lange kennen: In der Saison 1961/62 stieg Gebhardt als Trainer mit dem Wuppertaler SV in die damals erstklassige Oberliga West auf, der heutige Eintracht-Coach Erich Ribbeck war damals einer seiner Spieler. Auf ein Wiedersehen anderer Art brennt Horst Heese, der im März in Bremen nach einem Foul von Horst-Dieter Höttges eine 15 cm lange klaffende Risswunde am Schienbein und eine Knieverletzung erlitten hat: „Heute will ich‘s wissen, heute mache ich mein Tor.“ Wissen will Heese es dann auch tatsächlich. Ein Tor gelingt ihm nicht, dafür interpretiert er das Spiel ohne Ball einmal gänzlich anders. Das Leder ist nämlich nicht in Reichweite, als Heese Höttges so auflaufen lässt, dass der mit einer Schulterprellung schmerzverkrümmt und mit Tränen in den Augen in die Kabine humpelt. Da sind vor nur 6.000 Zuschauern bereits 37 Minuten gespielt, ohne dass die drückend überlegene Eintracht gegen die ganz auf Verteidigung ausgerichteten Gäste etwas Zählbares zustande gebracht hätte. Genau dies würden die in Himbeerrot spielenden Frankfurter in der 43. Minute gerne ändern, wenn denn Schiedsrichter Hillebrand mitspielen würde. Doch das tut er aus unerfindlichen Gründen nicht. Grabowski hatte Nickel geschickt freigespielt und dessen wuchtiger Schuss ließ Werder-Schlussmann Bernard nicht einmal die Chance zu einer Reaktion, doch Hillebrand will eine Abseitsstellung erkannt haben, die sonst niemand – auch kein Bremer – bemerkt hat. Die Entscheidung des Unparteiischen ist aus Frankfurter Sicht schwer zu akzeptieren, aber eigentlich kein Grund, die Konzentration zu verlieren. So aber geht es der Eintracht, die sich im direkten Gegenzug in Person von „Kalla“ Wirth von Bernd Lorenz am linken Flügel überlaufen lässt. Der Angreifer, der bisher in dieser Runde lediglich einmal eingewechselt wurde und heute von der Personalmisere bei den Bremern profitiert, flankt maßgerecht in den Strafraum, wo Mittelstürmer Bernd Windhausen die Kugel in den Winkel versenkt und damit den Spielverlauf auf den Kopf stellt. Ribbeck reagiert in der Halbzeitpause, nimmt Walter-Michael „Wawa“ Wagner aus der Mannschaft und verhilft Hans Lindemann zu seinem ersten Punktspiel in dieser Saison. Sieben Minuten später muss Ribbeck erneut wechseln, weil sich Vorstopper Gert Trinklein verletzt hat. Dafür kommt der Neuzugang Jürgen Papies aufs Feld, den Gäste-Trainer Gebhardt übrigens ebenfalls noch aus Wuppertaler Zeiten kennt. Ein weiterer Angreifer ist angesichts des Rückstandes und der Schwäche des Frankfurter Sturmes bestimmt nicht die schlechteste Idee. Doch die scheitert an der Umsetzung. Mit Trinklein ist nämlich auch der Bewacher von Windhausen vom Platz gegangen und für den Mittelstürmer der Gäste fühlt sich nun offensichtlich erst einmal keiner so recht zuständig. Das nutzen die Gäste sogleich aus. Karl-Heinz Kamp bedient Windhausen und der trifft aus 10 Metern Torentfernung mit seinem Flachschuss zum 0:2. Etwas mehr als eine halbe Stunde hat die Eintracht nun noch Zeit. Und diese nutzt sie, um den Einsatz und die Entschlossenheit zu zeigen, die man zuvor vermisst hat. Allein ist auch dieses Bemühen vergebens, denn die Harmlosigkeit im Angriff ist weiterhin nur schwerlich zu überbieten. Fünf Minuten vor dem Ende der Begegnung hat Windhausen sogar erneut Gelegenheit, den Hausherren eine Kostprobe seines Könnens zu geben und ihnen zu zeigen, wie man es machen könnte. Die Eintracht hat Glück, dass sein Versuch am Pfosten landet und es beim 0:2 bleibt. „Ob verdient oder nicht verdient, so was zählt im Fußball nicht“, verteidigt Werder-Trainer Gebhardt die defensive Spielweise seine Elf und sein Kollege Ribbeck nimmt ebenfalls die eigene Mannschaft in Schutz, die sich vom Frankfurter Anhang einiges anhören musste: „Es ist traurig. Unsere Spieler freuen sich auf Auswärtsspiele, weil sie vor dem eigenen Publikum wirklich Angst haben müssen.“ „Wir haben so lange nicht mehr gewonnen, dass ich mir wie ein Weihnachtsmann vorkomme“, strahlt Gebhardt, während sich seine Spieler bei „Bild“-Journalist Paul Palmert über dessen 5:1-Tipp lustig machen: „Sie haben doch absichtlich falsch getippt, um uns einzuschüchtern“, witzelt Flügelstürmer Werner Görts. Nicht zum Spaßen aufgelegt sind die Bremer allerdings an anderer Stelle. „Das war eine große Unverschämtheit von Heese“, ereifert sich Gebhardt, „jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, wie ich meine Hintermannschaft formieren soll. Steinmann, Piontek, und jetzt Höttges — all die Spieler, die Respekt einflößen, sind kaputt.“ In den Tagen nach der Partie schlagen die Wogen erst richtig hoch, weil Heese nach dem Spiel in Bremen angekündigt hatte: „Wenn der Höttges nach Frankfurt kommt, geht seine Laufbahn zu Ende.“ Nach Höttges Ansicht hatte Heese es darauf abgesehen, diese Ankündigung in die Tat umzusetzen: „Nach einer halben Stunde hat er mich dann auch bei einem Foul von hinten voll erwischt. Solche Leute wie Heese dürften grundsätzlich nicht auf einen Fußballplatz gelassen werden.“ Die folgende verbale Auseinandersetzung der beiden Fußballprofis ist natürlich ein gefundenes Fressen für die „Bild“. „Der Bremer Spieler Björnmose sagte mir jetzt: Wenn du das nächste Mal nach Bremen kommst, kannst du die Schuhe für immer ausziehen“, wird Heese dort zitiert und verhilft Palmerts Artikel so zu der Überschrift: „Die Rächer sind los“. Heese zeigt für die Vorwürfe des Bremer Nationalspielers kein Verständnis: „Ich habe schon allerhand mitgemacht: Vier Beinbrüche, zwei Nasenbeinbrüche, einmal den Fuß gebrochen, dann die Schulter. Seit zwei Jahren kann ich nicht mehr auf der rechten Schulter schlafen. Aber ich schwöre – niemals hat es so weh getan wie damals bei Höttges. Ich verstehe gar nicht, dass der Höttges jetzt so auf die Tränendrüse druckt und sich bemitleiden lässt. Er gehört doch selbst zum Klub der harten Männer. Der Höttges wäre doch ohne seine Härte nie bei zwei Weltmeisterschaften zum großen Zerstörer geworden.“ Höttges will das in diesem Fall nicht gelten lassen: „Ich weiß, dass ich selbst hart spiele. Aber kein Mensch wird mir vorwerfen können, dass ich jemals einen Gegner absichtlich verletzt habe.“ Heese wiederum weist diesen Vorwurf zurück: „Natürlich wollte ich Höttges nicht verletzen. Er sollte nur wissen, dass er mit seiner Härte auch mal an den Falschen geraten kann …“ „Heute spielst du nicht lang“, habe Heese ihm vor dem Spiel gesagt, soll Höttges dennoch unbeirrt weiter behaupten. Das wiederum ruft die Eintracht auf den Plan. „Das grenzt an Rufmord“, erregt sich ihr Präsident Albert Zellekens. „Wir gehen deshalb vor ein ordentliches Gericht, weil Heese nicht dulden kann, dass diese Verleumdungskampagne gegen ihn geführt wird“, teilt Eintracht-Rechtsanwalt Dr. Remberg-Behrendt der Presse mit. Ziel der Eintracht ist es, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, nach der Höttges bei Androhung von sechs Monaten Haftstrafe oder einer Geldstrafe in unbegrenzter Höhe nicht mehr behaupten darf, Heese habe ihn vorsätzlich gefoult. Nun mag der DFB nicht mehr länger unbeteiligter Zuschauer sein und lädt die Kontrahenten zu einem Versöhnungstermin ein. Schlichter ist das Bundesligaausschussmitglied Karl Schmidt: „Ich bin überzeugt, dass das Kriegsbeil begraben werden kann. Streitigkeiten zwischen Sportlern sollten nur im äußersten Notfall, und wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind, vor einem ordentlichen Gericht ausgetragen werden. Wir hoffen, auch in diesem Falle im eigenen Hause schlichten zu können.“ Die Frankfurter Eintracht zeigt sich kompromissbereit und kündigt an, auf gerichtliche Schritte verzichten zu wollen, wenn Höttges seine Anschuldigung zurückziehen sollte.
Ein paar Tage später, am 12. Oktober, ist die Sache vom Tisch. Unter Schmidts Vorsitz einigen sich Höttges und Heese, vertreten durch ihre Vereinsvorsitzenden, keine weiteren gerichtlichen Schritte zu unternehmen. „Ich habe nicht gesagt, dass Hesse mir vor oder während des Frankfurter Spiels Rache geschworen hat“, lautet nun die Aussage von Höttges. Das Foto, der beiden Spieler, die das Ende ihres Streits mit einem Händedruck besiegeln, zeigt Horst Heese mit geschlossenen Augen: „Handschlag – und alles vergessen“.
Heese erhält in dem auf die Einigung mit Höttges folgenden Bundesligaspiel beim VfB Stuttgart nach einer halben Stunde die Rote Karte. Die Eintracht, die zu diesem Zeitpunkt mit 1:0 in Führung liegt, verliert die Partie in den Schlussminuten mit 1:2. „Unglaublich, da hat man Frau und Kinder zu ernähren, und dann kommt so ein Witzbold und schickt einen vom Platz“, schimpft Jürgen Grabowski auf den Schiedsrichter und Erich Ribbeck vermutet gar eine Kampagne gegen Heese: „Ohne die Sache mit Höttges wäre er nie vom Platz gestellt worden.“ Vergessen hat Heese die Auseinandersetzung mit Höttges auch fast 40 Jahre später nicht. In einem Interview mit mittelhessen.de schimpft er noch 2009: „Der Horst-Dieter Höttges war ’ne feige Sau. Der konnte nur zu Hause treten. Der hat mich so übel am Knöchel erwischt, dass ich rausgetragen werden musste. Auswärts ging dem die Düse. Dann kam er nach Frankfurt. Und ich hatte ihm schon im Kabinenausgang gesagt, „pass auf, mein Freund.“ Dann habe ich ihn einmal gefoult, da hat er sich gleich raustragen lassen, der feige Sack.“ (rs)
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