Eintracht Frankfurt - Borussia
Dortmund |
Bundesliga 1967/1968 - 26. Spieltag
4:1 (2:1)
Termin: Sa 16.03.1968, 15:30 Uhr
Zuschauer: 19.000
Schiedsrichter: Alfred Ott (Rheinbrohl)
Tore: 1:0 Bernd Nickel (6.), 2:0 Wilhelm Huberts (7.), 2:1 Horst Trimhold (25.), 3:1 Jürgen Friedrich (80.), 4:1 Bernd Nickel (87.)
Eintracht Frankfurt | Borussia Dortmund |
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Nachträgliche Geschenke vom Geburtstagskind Es rumpelt gewaltig im Umfeld von Borussia Dortmund, dem heutigen Gegner der Eintracht. So gewaltig, dass BVB Trainer Heinz Murach, der seinen Vertrag bereits im Januar zum Saisonende gekündigt hat, konstatiert: "Bei uns sind die Puppen am Tanzen." Und auch Fußballobmann Otmar Rhein stellt fest: "Das ist ein reiner Nervenkrieg, der auch die Mannschaft erfasst hat, die ja Fußball spielen kann. Dieses Hickhack muss bald ein Ende haben, sonst macht man die Truppe tatsächlich kaputt." Anlass für die gereizte Stimmung bei den Borussen ist der aktuelle Präsident Willi Steegmann, im 'wirklichen' Leben Abteilungsleiter des Hoesch-Konzerns, dem seine Gegner vorwerfen, den Verein ausschließlich nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu führen und von Fußball keine Ahnung zu haben. Die Opposition, die sich herausgebildet hat, ist durchaus illuster: Mit Sandmann und Bracht zählen ehemalige Spieler dazu, die auch jetzt noch einen direkten Draht zu Mannschaft pflegen, aber auch Funktionäre, wie der Brauerei-Prokurist Heinz-Peter Hillefeld und der frühere Spielausschussvorsitzende Heinz Stork, zählen zu den Gegnern des Präsidenten. Der wiederum reagiert wenig diplomatisch auf die Kritik und entzieht Bracht und Stork die Ehrenkarten, was nicht zur Ruhe im Verein beiträgt. Aus dem Umfeld des Riederwalds sind im Gegensatz zur Gegend um den Borsigplatz derzeit keine fundamentalen Angriffe auf die Vereinsführung oder gar der Vereinsführung auf die sportliche Leitung zu melden. So kann sich Trainer Elek Schwartz, dessen Abschied zum Ende der Saison feststeht, auf die Mannschaftsaufstellung konzentrieren. Wieder für die erste Elf nominiert ist Bernd Nickel, der bei seinen bisherigen zwei Einsätzen gegen die Bayern in der Liga und beim Pokalspiel in Köln überzeugt hat und einen Tag nach seinem 19. Geburtstag nun seine Heimpremiere in der ersten Mannschaft feiert. Verzichten muss Trainer Schwartz auf Bechtold, der nach seiner Trainingsverletzung noch nicht wieder einsatzfähig ist. Für ihn rutscht überraschend Racky in die Startelf, und Bronnert läuft statt Hölzenbein auf, für den ein Platz auf der Bank reserviert ist. Gegen Dortmund ebenfalls nicht dabei ist Wolfgang Solz, der beim Pokalspiel in Köln eine Fußverletzung erlitten hat, die er in der Orthopädischen Klinik Friedrichsheim in Frankfurt auskuriert. Prof. Dr. Hanns Schoberth, der Arzt der deutschen WM-Elf, glaubt, dass Solz schon in zwei Wochen wieder spielen kann. "Na, ganz so optimistisch bin ich da nicht", meint Solz, "aber der Professor muss es ja wissen." In der Tat wird Wolfgang Solz erst wieder am 33. Bundesligaspieltag Mitte Mai zu einem Pflichtspieleinsatz kommen – seinem vorletzten für die Eintracht. Eine gewisse Pikanterie erhält die Partie durch die Transferaktivitäten der beiden beteiligten Vereine. So brennen Eintracht-Keeper Hans Tilkowski, bis zum Ende der letzten Saison bei den Dortmundern in Lohn und Brot, sowie auf der anderen Seite Horst Trimhold, von 1963 bis 1966 bei der Eintracht, darauf, ihrem jeweils alten Verein zu zeigen, dass ihr Transfer ein Fehler war. Die rund 18.000 Zuschauer, die das weite Rund des Frankfurter Waldstadion leidlich füllen, brauchen ihr Kommen nicht zu bereuen. Denn die Eintracht brennt schon in den ersten Minuten auf dem Platz ein sinnbildliches Feuerwerk ab, das schon bald auf den Rängen - zum Leid der Platzordner - in Form entzündeter Böller und Leuchtraketen seine reale Fortsetzung findet. Gerade einmal fünf Minuten sind gespielt, als der Jüngste im Eintrachtbunde, Bernd Nickel aus Eisemroth im Dillkreis, nach einem nach links abgerutschten Fernschussversuch von Blusch am schnellsten reagiert und den Ball aus sechs Metern direkt zum 1:0 für den Gastgeber ins Eck zirkelt. Der Jubel der Eintrachtfans unter den Zuschauern ist noch nicht verklungen, da sorgt Willi Huberts für eine erneute phonetische Explosion. Der Österreicher nimmt den Ball im Mittelfeld nach einem Pass von Lotz auf, wird von den Dortmundern nicht ernsthaft bei seinem Lauf vor das Tor gestört und zieht aus gut 25 Metern ab. Der Schuss überrascht Schlussmann Köddermann und schlägt hoch oben im linken Eck zum 2:0 ein. Da hat Werner Köddermann, der statt Stammkeeper Bernhard Wessel im Dortmunder Tor steht, keine sonderlich gute Figur gemacht.
Dieser Treffer versetzt den sensiblen Huberts in die rechte Spiellaune. Da auch der unermüdlich ackernde Friedrich im Mittelfeld trotz seiner obligatorischen Abspielfehler eine ordentliche Leistung zeigt und immer wieder mit in die Spitze stößt, stellt das Duo seine beiden Gegenüber Sturm und Trimhold klar in den Schatten. So bestimmt die Eintracht nicht nur das Mittelfeld, sondern auch das Spiel. Imponierend ist zudem, was die Zweitbesetzung im Sturm - immerhin fehlen mit Bechtold, Solz und Grabowski drei Stammspieler - zustande bringt. Meist ist es Nickel, den auch ein erfahrener Gegenspieler wie Kurrat kaum stoppen kann, der Gefahr für den Dortmunder Kasten heraufbeschwört. Der 19-Jährige verfügt über eine gewandte Ballführung, hat den Blick für die Situation und die Kondition, sich unermüdlich freizulaufen. Aber auch Racky, der seit November kein Punktspiel mehr bestritten hat, überzeugt. Einzig Oskar Lotz, der einzige Stammspieler in der vorderen Reihe, hat seine liebe Not, einigermaßen Schritt zu halten. Trotz der Frankfurter Überlegenheit schleichen sich immer wieder Unachtsamkeiten beim Gastgeber ein. So kann Trimhold in der 25. Minute einen Freistoß von Libuda zum 2:1 einköpfen, nachdem Blusch Held an der Strafraumgrenze ohne Ball gesperrt hat. Ansonsten ist von den Dortmunder Angreifern wenig zu sehen. Denn auch in der Defensive liefert die Eintracht Vorzügliches ab, wie Ludwig Dotzert, Reporter der Frankfurter Rundschau, feststellt: "Nur in der ersten Halbzeit hatte Blusch mit der hochfrisierten Rennmaschine Siggi Held seine Schwierigkeiten. Aber Held pumpte sich zu früh aus. Nur Neuberger hielt sich spielerisch und kämpferisch auf seiner Höhe; zu einer Gemeinschaftsleistung der beiden, die der Eintracht selbst an diesem Tag zu schaffen gemacht hätte, fanden sich die einsamen Lichter nur selten. Libuda schlingerte hoffnungslos im Schlepptau des aggressiven Jusufi durch die Gegend. Rechtsaußen Hofmeister, wegen seiner Bundeswehrverpflichtungen weniger bekannt, gestattete dem Lothar Schämer endlich wieder einmal einen jener fröhlichen Wandertage, an denen der linke Verteidiger der Eintracht Schüsse abfeuert, die wie Attentate wirken." Kurz vor dem Halbzeitpfiff herrscht noch einmal Aufregung auf dem Platz, als Assauer den Frankfurter Racky im Stil eines Eishockeyspielers per Bodycheck stoppt. Assauer geht bei dieser Aktion zu Boden und wird von dem über ihn stürzenden Racky am Kopf getroffen. Später wird sich herausstellen, dass sich Assauer bei dieser Aktion einen doppelten Bruch des Unterkiefers zugezogen hat. Aber auch Dortmunds Torwart Köddermann hat bereits während der Halbzeitpause Grund zur Klage – er ärgert sich über die Gegentore: "Diese dummen Dinger. Ich glaube, der Ball ist entschieden zu leicht, der eierte ja." Die zweite Hälfte beginnt, wie die erste geendet hat: Eine überlegene Eintracht kontrolliert das Spiel. Ab der 56. Minute darf sich dann auch der zweite Nachwuchsspieler auf dem Feld präsentieren: Trainer Schwartz wechselt den wenig glücklich agierenden Bronnert gegen Hölzenbein aus. Tilkowski wird bei einem Sturmlauf von Assauer, der in der zweiten Spielhälfte ins Mittelfeld vorgerückt ist und trotz der Schmerzen im Kiefer durchhält, an der Stirn verletzt. Für kurze Zeit ist Tilkowski weggetreten. "Wie lange geht's noch?", lautet seine erste Frage, nachdem er wieder zu sich gekommen ist. In der 68. Minute zieht der Dortmunder Trainer Murach die Auswechsel-Option und bringt Lothar Emmerich für Josef Hofmeister, der zuvor neben Torhüter Wessel auf der Bank saß. "Beide sind zur Zeit außer Form", erklärt Murach nach dem Spiel, und wird durch die Leistung Emmerichs bestätigt: Der Torschützenkönig der letzten beiden Spielzeiten kommt gegen Blusch und Lindner nicht zum Zug und wird schon bei der Einwechslung mit Gelächter, Pfui-Rufen und "Emma raus"-Sprechchören begrüßt. Hatte die Eintracht ihre Fans zu Beginn des Spiels gebührend mit zwei Toren empfangen und sich damit artig für deren Besuch bedankt, verabschiedet sie das Publikum auch mit einem furiosen Schlussakt. In der 80. Minute ist es Hölzenbein, der sich wendig und entschlossen durch die halbe Dortmunder Abwehr bis in die Nähe des Elfmeterpunkts durchwühlt und dabei die Abwehr der Gäste in Unordnung bringt. Dreimal schießt Hölzenbein, dreimal bekommt er den Ball zurück. Beim vierten Male ist Friedrich da und setzt den Ball unter dem fallenden Torhüter Köddermann zum 3:1 ins Gehäuse. Drei Minuten vor dem Abpfiff ist wieder Nickel an der Reihe. Nach einem ungenauen Abspiel von Wosab, das von den Eintrachtlern abgefangen wird, wird der junge Stürmer von Racky angespielt, kann Kurrat, Wosab und auch Keeper Köddermann aussteigen lassen und das Leder zum 4:1 ins leere Tor schießen. Das Publikum dankt der Eintracht für ihr überzeugendes Spiel an diesem Samstagnachmittag mit einem gesteigerten Interesse am anstehenden Wiederholungsspiel des DFB-Pokals gegen den 1. FC Köln am kommenden Dienstag. Vor den eigens für den Kartenvorverkauf eingerichteten Kassenhäuschen bilden sich lange Schlangen. Retrospektiv stellt Elek Schwartz fest, dass er seit dem 25. November vorigen Jahres beim 2:0 gegen Eintracht Braunschweig kein besseres Spiel mehr von seiner Mannschaft gesehen habe: "Ich bin froh, dass wir dieses Spiel gewonnen haben, froh auch, dass unsere durch Verletzungen erzwungenen Experimente geglückt sind." Ansonsten sehr zurückhaltend mit positiver wie negativer Kritik an den eigenen Spielern, hat Schwartz heute ein Lob für den zweifachen Torschützen parat: "Nickel ist ein Mann ohne Emotionen. Es ist ihm vollkommen gleichgültig, gegen wen er spielt, er hat einen guten Schuss und schießt, wenn sich die geringste Gelegenheit bietet. Wer viel schießt, der trifft auch hin und wieder. Nickel ist ein Vollblutstürmer. Wenn der an sich arbeitet, kann man viel von ihm erwarten." Das sieht Bundestrainer Helmut Schön ähnlich: "Der Junge hat Selbstvertrauen, erkennt schnell, wo eine Chance sich bietet und fackelt dann nicht lange. Ein Talent, das einiges verspricht." Bei allem Lob für die Nachwuchsspieler vergisst Schwartz aber nicht, die Leistungen der älteren Aktiven ins rechte Licht zu rücken, wo bei besonderes Lob für das Gespann der Eintracht im Mittelfeld aus 'Künstler' Huberts und 'Arbeiter' Friedrich bereithält: "Ausgezeichnet die Abwehr, hervorragend die Achse Friedrich-Huberts, die eine vorzügliche Mischung der Charaktere ist." Damit nimmt er dem Präsidenten Rudi Gramlich etwas Wind aus den Segeln, der sich direkt nach dem Spiel vorschnell zu einem "Jetzt brauchen wir die Alten nicht mehr. Die haben wir lange genug gesehen" verleiten ließ. Erst recht keine Freunde macht sich Torwart Tilkowski, der wie in der Hinrunde erneut gegen seinen alten Club nachritt: "Das Spiel bewies, was ich schon nach dem ersten Match meinte: Aus der guten alten Borussia ist ein Trümmerhaufen geworden." "Ein Trauerspiel der Borussia", hat allerdings auch Dortmunds Trainer Murach gesehen, "von Nummer 1 bis 11 haben alle schlecht gespielt. Wir haben auch in dieser Höhe verdient verloren, es war eine verteufelt schlechte Leistung. Bei uns wurde zu viel Klein-Klein gespielt. In der Abwehr wurde gefummelt und vorn fehlten die Steilpässe." Mit diesem klaren Erfolg verabschiedet sich die Eintracht endgültig aus der Abstiegszone - bei nun 24:26 Punkten beträgt der Abstand zum Vorletzten Borussia Neunkirchen sieben Zähler. Auch die einstelligen Tabellenplätze sind in Reichweite gerückt, denn der Tabellensiebte MSV Duisburg weist gerade einmal drei Punkte mehr als die Eintracht auf, die zudem noch das Nachholspiel gegen den VfB Stuttgart in petto hat.
Nationalspieler Lothar Emmerich, ein "Liebling" des Boulevards, ist zu einem Buhmann der Bundesliga geworden. Dazu beigetragen hat, dass sich Franz Beckenbauer über Emmerich beschwerte, nachdem dieser am letzten Spieltag der vergangenen Saison zwei Tore gegen die Bayern und seinen Bewacher Beckenbauer erzielt und dem Bayernstar ein paar blaue Flecken verpasst hatte. Emmerich, so Beckenbauer, sei der unfairste Fußballer, gegen den er bisher angetreten sei. Ende August des letzten Jahres tobte dann Alemannia Aachens Spielausschussmitglied Josef Hirtz nach der 0:1-Niederlage in Dortmund und dem Platzverweis für seinen Spieler Pawellek: "Dieser Emmerich ist ein Oberstrolch! Er ist ein Schauspieler und schlimmer als der Koslowski in seiner Glanzzeit. Junge, unerfahrene Schiedsrichter und Spieler fallen auf Emmas Schau rein. Ich habe noch in unserer Sitzung gesagt: Lasst euch von dem Strolch Emmerich nicht provozieren." "Pawellek ist unschuldig. Wenn Emma merkt, dass er keinen Stich bekommt, reißt er eine Schau ab", blies Aachens Spielmacher Erwin Hoffmann in dasselbe Horn. Emmerich, der nicht nur in den Augen Beckenbauers zu den Spielern gehört, "die meinen, dass sie die größten sind", wurde von seinem damaligen Trainer Murach gegen Hirtz’ natürlich in Schutz genommen: "Dieser Ausspruch geht doch wohl zu weit. Ich weiß, dass Lothar ein fanatischer Fußballspieler ist. Doch zu unüberlegten Handlungen lässt er sich nicht hinreißen." "Ich rege mich darüber nicht auf. Ich spiele Fußball, so wie es erlaubt ist", gab sich Emmerich kühl: "Und wenn man bewusst bei mir auf die Knochen geht, dann möchte ich denjenigen sehen, der sich so etwas alles gefallen lässt. Der Pawellek hat geschlagen wie der Troche bei der Weltmeisterschaft in England. Scheinbar haben sie von dem viel gelernt." (fgo/rs)
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