Eintracht Frankfurt - Alemannia Aachen

Bundesliga 1967/1968 - 6. Spieltag

1:1 (1:1)

Termin: Sa 16.09.1967, 16:00 Uhr
Zuschauer: 21.000
Schiedsrichter: Gerhard Schulenburg (Hamburg)
Tore: 1:0 Walter Bechtold (21.), 1:1 Hans-Jürgen Ferdinand (38.)

 


>> Spielbericht <<

Eintracht Frankfurt Alemannia Aachen

 


  • Gerhard Prokop
  • Peter Schöngen
  • Horacio Troche
  • Josef Martinelli
  • Josef Thelen
  • Erwin Hoffmann
  • Karl-Heinz Bechmann
  • Hans-Jürgen Ferdinand
  • Heinz-Gerd Klostermann
  • Alfred Glenski
  • Herbert Gronen

 

Wechsel
Wechsel
  • Karl-Heinz Sell für Hans-Jürgen Ferdinand (75.)
Trainer Trainer
  • Michael Pfeiffer

 

 

Blutleerer Auftritt

Zu Gast im Frankfurter Waldstadion ist der Aufsteiger Alemannia Aachen, dem es die hartgesottenen Eintrachtfans zu verdanken haben, dass die Partie heute nicht gegen den wenig ge- und beliebten Vizemeister von 1959 stattfindet. Denn die Alemannen haben sich in der Gruppe 2 der Regionalliga-Aufstiegsrunde knapp gegen die Kickers durchsetzen können - auch der 1. FC Saarbrücken, Göttingen 05 und Tennis Borussia Berlin blieben auf der Strecke.

Es ist also erst das sechste Bundesligaspiel der Aachener, die es in den bislang absolvierten fünf Partien immerhin auf sechs Punkte und damit einen mehr als der Gastgeber Eintracht Frankfurt gebracht haben. Während sie in den ersten beiden Spielen gegen Bayern München (0:4) und bei Borussia Dortmund (0:1) noch Lehrgeld zahlen mussten, brachten die folgenden drei Treffen mit Siegen gegen den KSC (2:1), in Neunkirchen (1:0) und gegen den HSV (2:0) die optimale Punktausbeute.

Etwas mehr als 20.000 Zuschauer wollen erleben, wie sich der Aufsteiger als Gast in Frankfurt präsentiert und ob die Eintracht dem ihr im Vorfeld zugeteilten Favoritenstatus gerecht wird. Und die Rollen auf dem Feld scheinen klar verteilt: Die Alemannen offenbaren, dass sie voller Respekt vor dem Namen der Eintracht nach Frankfurt gekommen sind, die Riederwälder bestimmen das Spiel. Allerdings wirken sie dabei fast überheblich, es hat den Anschein, als würden sie den Gegner unterschätzen. Zusätzlich genährt wird diese Einstellung in der 21. Minute durch den Führungstreffer, als Bechtold eine Vorlage von Sztani in den Strafraum geschickt annimmt und den Ball aus der Drehung ins Eck des von Gerhard Prokop gehüteten Aachener Tores schießt. Prokop lässt den nicht besonders scharf getretenen Ball unter seinem Körper hinweg gleiten, fasst noch nach, erreicht das Leder aber nicht mehr und es steht 1:0.

Die Eintracht zeigt Traumkombinationen, bei denen der Fußballfreund vor Freude feuchte Augen bekommen könnte, wenn diese Spielzüge mit einem weiteren Tor oder wenigstens einem saftigen Schuss abgeschlossen würden. Aber Grabowski und Huberts wollen nach tausendundeinem Trick den Ball auch noch mit dem Fuß ins Tor der Alemannen tragen.

Schnell wird aber klar, dass der erste Eindruck getäuscht hat. Nach ihrer guten Partie in Duisburg liefern die Hausherren heute brotlose Kunst und damit ein eher schwaches Spiel ab. So agiert die Mittelfeldachse mit Sztani und Friedrich nur verhalten effizient, insbesondere der langsame Sztani leistet sich viele Fehlpässe. Im Sturm macht sich das Fehlen des in der letzten Partie in Duisburg verletzten Wolfgang Solz deutlich bemerkbar. Huberts, der ihn im Sturmzentrum vertreten soll, lässt sich schon früh weit zurückfallen und scheut Zweikämpfe mit Troche und Martinelli, den konsequent deckenden Innenverteidigern der Aachener. Horacio Troche ist den deutschen Fußballfans ja noch von der Weltmeisterschaft in England bekannt, als er bei der 0:4-Niederlage Uruguays gegen die deutsche Auswahl in der 49. Minute nach einem üblen Foul vom Platz gestellt wurde und Uwe Seeler obendrein eine Ohrfeige verpasste.

Grabowski präsentiert sich immerhin noch zu Spielbeginn überzeugend und hat in der 26. Minute mit einem Lattenschuss Pech, im Laufe des Spiels baut der technisch beschlagene Dribbler auf Rechtsaußen aber immer mehr ab. Der Vierte im Bunde der Frankfurter Offensivkräfte, Oskar Lotz, ackert und rackert zwar wie von ihm gewohnt, kann das Aachener Tor aber auch nicht in Gefahr bringen. Aachens kompromisslose Abwehr ist allerdings nicht kleinlich in der Wahl ihrer Mittel und hat es besonders auf Grabowski abgesehen, der von Schöngen oft mit unsauberen Mitteln gestoppt wird.

Neun Minuten vor der Pause rächt sich dieser blutleere Auftritt der Heimelf, als Schämer einen Freistoß in Schlagweite des Frankfurter Tores verursacht. Hoffmann tippt den Ball an, Glenski zieht die Kugel lang an vier reglos zusehenden Eintrachtspielern vorbei und Ferdinand lenkt den Schuss aus drei Metern unhaltbar für Tilkowski in den Kasten zum 1:1. Auch heute offenbart die Abwehr die alte Rissigkeit, die niemand zu kitten versteht, weil keiner das Kommando übernimmt.

Die Chance zur erneuten Führung bietet sich den Hausherren in der 42. Minute, als Grabowski von Schöngen im Strafraum von den Beinen geholt und das Foul vom Schiedsrichter mit einem Elfmeterpfiff quittiert wird. Der Gefoulte tritt selbst an, schießt den Strafstoß aber so schwach und unplatziert, dass Prokop abwehren kann. Es ist kein Wunder, dass der Schütze scheitert, wenn er die von ihm gewählte Ecke so deutlich signalisiert, dass es noch der letzte Zuschauer im oberen Stadionwinkel erkennen kann.

Auch nach der Pause gelingt es der Eintracht nicht, Druck auf das gegnerische Tor aufzubauen. Martinelli und Troche dirigieren die Aachener Viererreihe erfolgreich, im Mittelfeld der Gäste wird Bechmann immer selbstsicherer und leitet einige schöne Angriffe ein. Eine Schrecksekunde für die Eintrachtler verursacht Schämer, als er in der 65. Minute den Ball im Strafraum mit der Hand spielt. Doch das Malheur bleibt ohne Folgen, Tilkowski kann den von Glenski zwar scharf, aber unplatziert geschossenen Elfmeter mit einer Glanzparade abwehren.

Dass es für die Frankfurter zu nicht mehr als einem Punkt reichen wird, ist ab der 72. Minute klar, als der Torschütze Bechtold dem Boxabend, der ganz in der Nachbarschaft im Radstadion ausgetragen werden soll, den schönsten K.o. vorweg nimmt. Von Martinelli gefoult, revanchiert er sich in einer blitzartigen Reaktion mit einem Faustschlag und wird vom allzu viel pfeifenden Schiedsrichter Schulenburg aus Hamburg des Feldes verwiesen. Ohne Widerrede verlässt Bechtold den Platz.

Die zahlenmäßige Unterlegenheit verschlechtert die Position der Eintracht weiter, die schon zuvor bei Martinellis Vorstößen ohnehin meist nicht wussten, was zu tun ist. Und einen torgefährlichen Stürmer des Typs Ferdinand, dem eine Schilddrüsengeschichte zu schaffen macht und der deshalb in der 75. Minute ausgewechselt wird, hat die Eintracht auch nicht auf dem Rasen.

In der 81. herrscht erneut große Aufregung. Der für Ferdinand eingewechselte Sell taucht plötzlich allein vor Tilkowski auf, ist aber nicht abgebrüht genug, so dass Schämer wieder in Aktion treten und den Ball nach Sells Schuss aus dem Kasten schlagen kann. Dieses Mal ist zwar keine Hand im Spiel, aber völlig unklar, ob die Kugel nicht bereits die Torlinie überschritten hat.

So ist man in den Reihen der Frankfurter letztlich mit dem einen Zähler zufrieden nicht aber mit der Leistung. „Ein schlechtes Spiel!“, schimpft Trainer Schwartz, während sein Kollege Pfeiffer strahlt: „Was wollen wir mehr? In der englischen Woche haben wir fünf Punkte geholt.“ „Und außerdem wird das Fernsehen beweisen, dass Schämer den Ball erst hinter der Linie erwischt hat“, behauptet Alemannias Präsident Leo Führen. „Wir haben den Punkt verloren, weil unsere Mannschaft schlecht spielte und aus den vielen Chancen vor der Pause nicht genügend Tore machte“, erklärt Elek Schwartz: „Harte Attacken, wie Aachen sie gegen unsere Spieler anwendete, liegen uns nicht.“

Nicht weniger aggressiv angegangen als seine Spieler vom Gegner wird Schwartz nach der Partie von den eigenen Anhängern. „Schwartz raus! Weiß rein!“, rufen empörte, aber nicht eben besonders wortwitzige Eintrachtfans nach dem enttäuschenden Unentschieden und schreien in Richtung des Trainers: „Sie haben keine Ahnung von Taktik. Sie vermasseln unserer Eintracht wieder die Meisterschaft. Hören Sie endlich auf mit der albernen Raumdeckung. Packen Sie Ihren Bettel, hauen Sie ab!“ Elek Schwartz aber ist seinen Spielern ein Vorbild und stellt sich der aufgebrachten Meute. „So, jetzt dürft ihr schimpfen“, sagt Schwartz ruhig: „.Also, da zerreißt’s mich halt. Schickt mich in die Wüste, verdammt mich nur! Aber macht’s nicht hinter meinem Rücken, seid keine Feiglinge. Sagt mir offen ins Gesicht, was ihr gegen mich habt.“

Schwartz’ Unerschrockenheit überrascht und beruhigt, denn aus dem Genöle und Gegröle wird nach einigen Minuten tatsächlich eine sachliche Diskussion. „Wir sind ein Opfer falsch verstandener Regelauslegung“, erklärt der Fußballlehrer inmitten der Menschenmenge:„Jeder Gegner weiß schon, dass man unseren Leuten nur kräftig und mit Ausdauer auf die Knochen treten muss. Gegen Fouls außerhalb des Strafraums gibt es ja allenfalls Freistöße. Diese ewige Treterei zerstört den Rhythmus unserer Mannschaft, die Spieler vergessen sich - wie der brave Bechtold - und fliegen vom Platz.“ Mit Kopfnicken quittieren die eben noch so lautstarken „Kritiker“ des Trainers dessen Urteil über seine Mannschaft, die zwischen Weltklasse und erschreckender Hilflosigkeit hin und her schwankt. „Aber wenn der Krieg verloren wird, dann ist immer der General schuld“, weiß der erfahrene Coach und bringt die Leute endgültig zum Verstummen, als er von der bisher erfolglosen Suche nach einem richtigen Mittelstürmer berichtet. Schwartz macht auch kein Geheimnis daraus, dass er die Eintracht fast verlassen hätte. „Bleiben Sie in Frankfurt, Herr Schwartz“, wird er nun von den Menschen gebeten, die eine Viertelstunde zuvor noch seinen Abschied verlangt haben. „Welt, Welt, o Welt! Lehrt’ uns dein seltsam Wechseln dich nicht hassen, das Leben beugte nimmer sich dem Alter“, ließ Shakespeare in seinem „King Lear“ Edgar sagen, doch es ist wohl nicht die Welt, sondern die Menschen, die so seltsam wechselhaft sind …

Seltsames und Bemerkenswertes ist auch in der Begegnung zwischen 1860 München und dem 1. FC Kaiserslautern geschehen, wo der Sechziger Torhüter Radenkovic Bechtolds Faustschlag übertraf, in dem er seinen eigenen Mitspieler Jimmy Schmitt an der Gurgel packte und zu Boden riss. Schmitt, dem am letzten Wochenende ein Eigentor unterlaufen ist, wäre dieses Missgeschick um ein Haar ein zweites Mal passiert. Das brachte „Radi“ in Rage. Trainer Sing verbannte den überspannten Torhüter in der Halbzeit auf die Reservebank, wo er beobachten musste, wie dem Lauterer Roggensack im zweiten Durchgang gegen Ersatztorwart Gigl ein Hat-Trick zum 3:0-Sieg gelang. „Ich verurteile das Verhalten Radis auf das Schärfste“, sagt der Vereinspräsident der Münchner, Adalbert Wetzel: „Ein Mann von 32 Jahren muss sich mehr in der Gewalt haben. Er wird eine empfindliche Geldstrafe erhalten. Aber aufgestellt muss er werden. In unserer jetzigen Situation können wir uns keine Experimente erlauben.“ „Ich wollte Jimmy nicht weh tun. Es ist ein Unglück, dass er umgefallen ist“, will der Torwart derweil seine Aktion zu beschönigen: „So haben Zuschauer gemeint, ich hätte ihn geschlagen.“ „Ich hatte schon zahlreiche gefährliche Situationen geklärt. Im Magen hat es schon früh gekocht. Doch ich blieb ruhig. Als Jimmy den Ball an mir vorbeischob, bin ich dann explodiert“, versucht Radenkovic seinen Ausraster zu erklären: „Ich habe mich bei Jimmy sofort entschuldigt. Die Sache lässt sich sicher im kameradschaftlichen Kreis regeln.“ „Wir alle kennen Radi. Er ist ein Hitzkopf“, meint Kapitän Peter Grosser, doch der von 1860 entlassene Trainer Max Merkel, der aktuell mit dem Club aus Nürnberg erfolgreich ist, meint seinen ehemaligen Pappenheimer zu kennen, zumal dieser auch schon auf ihn losgegangen sei: „Die Dinge nehmen ihren Lauf. Anstatt auf den Fußballplatz gehört der Radi doch zu den Catchern. Der kann solange er will mit Schirm, Charme und Melone herumlaufen. Er ist und bleibt ein Wilder.“


Epilog

Am Abend werden – wie erwähnt - in der Radrennbahn des Waldstadions die Fäuste geschwungen. Karl Mildenberger trifft dabei im Hauptkampf auf den argentinischen Schwergewichtschampion Oscar Bonavena.

Vor einem Jahr lieferte Mildenberger im Waldstadion Muhammad Ali einen beeindruckenden Fight, in dem der deutsche Boxer sich dem favorisierten Weltmeister erst in der 12. und letzten Runde geschlagen geben musste, als der Ringrichter den Kampf wegen der Verletzungen Mildenbergers beendete.

Da Ali in diesem Jahr wegen seiner Kriegsdienstverweigerung die Boxlizenz entzogen und der Titel aberkannt wurde, ist Mildenberger nun wieder Weltranglistenerster und trifft in einem Weltmeisterschaftsausscheidungskampf auf Bonavena. Der Argentinier fügt Mildenberger nach 12 Runden eine unerwartet schwere Niederlage zu – vier Mal schickt er den Europameister auf die Bretter.

Nach zwei weiteren Niederlagen in den nächsten drei Kämpfen zieht sich „Karl, der Große“ aus dem Ring zurück. Sein großer Kampf gegen Ali aber hat ihn zur Legende gemacht. (fgo/rs)

 

 

>> Spieldaten <<





© text, artwork & code by fg