Eintracht Frankfurt - Karlsruher SC

Bundesliga 1965/1966 - 32. Spieltag

1:0 (1:0)

Termin: Sa 14.05.1966, 16:00 Uhr
Zuschauer: 11.000
Schiedsrichter: Horst Herden (Hamburg)
Tore: 1:0 Peter Blusch (38.)

 

 

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Eintracht Frankfurt Karlsruher SC

 


  • Siegfried Kessler
  • Gustav Witlatschil
  • Willi Dürrschnabel
  • Josef Marx
  • Walter Rauh
  • Gerhard Kentschke
  • Arthur Dobat
  • Hans Cieslarczyk
  • Horst-Dieter Berking
  • Klaus Zaczyk
  • Horst Wild

 

Trainer Trainer
  • Werner Roth

 

 

 

Kaninchen und Belämmerte

Zurück von der Irlandreise mit der Fußballnationalmannschaft sind die Eintrachtspieler Lutz, Trimhold und Grabowski, der in der DFB-Auswahl sein Debüt feierte. Während Grabowski und Lutz sowohl beim 4:0 gegen Irland als auch drei Tage später beim 2:0 gegen Nordirland mit von der Partie waren, blieb Trimhold lediglich die Rolle des Zuschauers. Die Hoffnung, von Bundestrainer Helmut Schön mit zur Weltmeisterschaft nach England genommen zu werden, haben aber alle drei Akteure weiterhin.

Nicht Weltmeister, aber immerhin Kreismeister ist Werner Roth, der Trainer des Karlsruher SC. Als Mitglied des Kleintierzuchtvereins Neureut 1905 verdiente sich der Kaninchenzüchter Roth mit 372 von 375 möglichen Punkten die Meisterehren. „Gute Tiere werden verkauft, die schlechten kommen in die Backröhre“, skizziert er das Schicksal seiner Tiere.

Nicht ums Überleben, aber zum dritten Mal in Folge um den Klassenerhalt kämpfen er und seine Spieler, die heute im Frankfurter Waldstadion gastieren. Und genau diese Gastauftritte sind das Problem: Zu Hause ist der KSC gutes Bundesligamittelmaß, auf fremden Plätzen erstarrt die Truppe von Roth dagegen wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange. Nur zwei Punkte haben die Badener bislang von ihren Reisen mitgebracht und sind damit nur deswegen nicht die schlechteste Auswärtsmannschaft, weil das Schlusslicht Tasmania auch in dieser Hinsicht die negative Spitze der Liga ist, in die die sportlich völlig überforderten Berliner nie hätten aufrücken dürfen.

Drei Spieltag vor Rundenende ist nun der Tabellenvorletzte Borussia Neunkirchen mit zwei Siegen hintereinander dem ersten Nichtabstiegsplatz, Rang 16, mit 20 Punkten wieder nahe gekommen. Der KSC kann sich wegen der überraschenden Siege der Saarländer gegen die Eintracht in Frankfurt und die Eintracht aus Braunschweig mit seinen 24 Punkten nicht mehr sicher fühlen, zumal es am letzten Spieltag nach Neunkirchen geht. Hoffnungen setzten die Badener auf Schalke 04, das mit 23 Punkten auf Platz 16 steht und heute die Neunkirchener empfängt.

Gehofft wird beim Gast auch darauf, dass ihm im Waldstadion ein ähnlicher Coup gelingen möge wie der Borussia vor drei Wochen. Genährt werden diese Hoffnungen vom 4:0-Erfolg in der Hinrunde sowie von den zwei bisherigen Bundesligaduellen im Waldstadion, die der KSC mit insgesamt 10:0 Treffern für sich entscheiden konnte. Andererseits ist es keine Frage, dass die Eintracht heute vor eigenem Publikum nicht nur wegen der peinlichen Heimniederlage gegen Neunkirchen etwas gut zu machen hat.

Trainer Elek Schwartz lässt seine Mannschaft nach dem Unentschieden in Braunschweig und dem Sieg bei der Tasmania zum dritten Mal in Folge in derselben Besetzung antreten, beim KSC kehrt Witlatschil für Kafka in die Elf zurück. Im Tor steht mit Siegfried Kessler weiterhin die Nummer 3 der Karlsruher. Er bekommt den Vorzug vor Manfred Paul, dem Trainer Roth nach dem 2:8 beim Meidericher SV am 28. Spieltag zum zweiten Mal in dieser Runde das Vertrauen entzogen hat. Beim ersten Mal kam Ersatzkeeper Erich Wolf zum Zuge, der sich aber am 23. Spieltag beim 1:0-Sieg gegen Bayern München bereits zum zweiten Mal den kleinen Finger gebrochen hat. Die erneute Chance, die Paul nach Wolfs Verletzung erhielt, verspielte Wolf dann beim Debakel an der Wedau.

Für die 11.000 Zuschauer ist es eingedenk der Situation des KSC keine Überraschung, dass der Gast zaghaft und ganz auf Defensive bedacht beginnt. Um ihren Stopper Marx herum errichten sie vor ihrem Strafraum eine Festung, die der Eintracht zu schaffen macht. Dabei ist deren Idee, dass Innentrio mit Friedrich, Trimhold und Huberts zurückzuziehen, um die KSC-Deckung mit langen Pässen auf die Flügel auszuhebeln, durchaus die richtige. Die Dribblings von den Außen Grabowski und Solz sind im Ansatz auch gut, aber am Ende nicht von Erfolg gekrönt, weil immer eines der zahlreichen Karlsruher Abwehrbeine im Weg steht.

Das ist natürlich kein Fußball, der den Zuschauern gefällt. Die quittieren die Ereignislosigkeit in den Strafräumen und die Beschäftigungsarmut der Torhüter mit Pfiffen. Mehr zu tun als die Schlussmänner haben die Betreuer beider Seiten mit ihren „Fünfern“. Die einen behandeln Rauh, der sich in der 10. Minute bei einem Zusammenprall mit Lechner verletzt hat, und die anderen in der 36. Minute Verteidiger Blusch. Der ist aber bereits 120 Sekunden später wieder obenauf, nachdem ihm der andere zuvor angeschlagene Akteur in Position bringt: Rauh (andere meinen allerdings, es sei Wild gewesen) hat einen Schuss Lechners mit der Hand gestoppt, was Schiedsrichter Harder mit einem Freistoß ahndet. Aus nahezu 30 Metern jagt Blusch das Leder durch eine Lücke in der Mauer des KSC auf Kesslers Kasten und lässt diesem keine Abwehrmöglichkeit. Flach neben dem Pfosten schlägt das Geschoss ein und es steht nach 38 Minuten 1:0 für die Eintracht.

Wer nun erwartet, dass die Gäste angesichts des Rückstandes ihre strikt defensive Haltung aufgeben, erlebt eine Überraschung. Ob es die sommerliche Hitze ist oder die Hoffnung, irgendwann mit einem Konter zum unverdienten Erfolg kommen zu können, der KSC bleibt auf alle Fälle in der eigenen Hälfte wie eine Schnecke in ihrem Gehäuse.

Erfrischend sind bei diesem Gekicke allein die Vorstöße von Blusch. Friedrichs Tatendrang und Trimholds Fleiß imponieren, doch das Kurzpassfestival beider Mannschaften zieht das Spiel nur in die Breite und stellt die Geduld der Besucher auf eine Probe, die mit zunehmender Dauer immer weniger Zuschauer bestehen.

Der KSC ist deutlich schlechter als Neunkirchen vor drei Wochen, aber die Eintracht kann daraus keinen Nutzen ziehen. Wenn sie sich doch einmal dazu anschickt, dann stellt sich der famose Torhüter Keßler den Versuchen der Frankfurter erfolgreich entgegen. Neben Keßler gefällt der ungemein fleißige Kentschke, der unermüdlich rackert, doch das kann nicht ausgleichen, dass allzu viele Spieler der Gäste keine Form erreichen, der man ohne Magenschmerzen Bundesligareife bescheinigen würde.

Den Aberwitz eines Unentschieden verhindert der KSC dann folgerichtig zwei Minuten vor dem Abpfiff selbst. Wild ist bei einem Angriff in Position gelaufen und wartet nur noch auf Rauhs Zuspiel, um zum Ausgleich einschießen zu können, wird von seinem Mitspieler aber übersehen. So bleibt es nach einem schwachen Spiel bei einem verdienten Sieg der Eintracht. Das bestätigt gleichfalls Bundestrainer Helmut Schön, dem sich heute keiner der Kandidaten für die Nationalmannschaft aufgedrängt hat, in seinem Urteil: Er habe eine sehr einseitige Partie gesehen.

„So ein belämmertes Spiel“, schimpft dagegen KSC-Trainer Roth nach dem Schlusspfiff in blumenreicher Sprache. Freude bereitet Roth lediglich das Ergebnis auf einem anderen Platz: „Das Beste von heute: die Nachricht vom Schalker Sieg über Neunkirchen.“ Viel mehr gibt es nicht zu sagen, findet er: „Zu unserem Spiel: dürftig, was dürftig heißt.“

Die Eindrücke aus dem Spiel beschäftigen auch die Neuverpflichtung der Eintracht für die nächste Saison, den jugoslawischen Nationalspieler Fahrudin Jusufi, der sich zusammen mit seiner Frau Natascha das Geschehen auf der Tribüne angesehen hat: „Eine großartige Elf“, bescheinigt er seinen zukünftigen Kameraden spielerische Klasse und fügt hinzu: „Aber so müde …“

„Unser schwacher Angriff hatte es gegen diese Maurermannschaft schwer“, beginnt Elek Schwartz seine sattsam bekannte Klage über die fehlende Durchschlagskraft im Sturm. Mitverantwortlich für den zu knapp ausgefallenen Sieg ist jedoch nicht nur in seinen Augen im gleichen Maß der Torwart der Gäste: „Keßler brachte uns alle zur Verzweiflung.“

Schwartz ist übrigens nicht nur mit seiner Sturmreihe, sondern ebenso mit dem Unparteiischen unzufrieden. „Der Schiedsrichter versagte uns zwei klare Elfmeter“, bemängelt er und fragt: „Muss man erst einen von uns erschießen, damit Strafstoß gepfiffen wird?“ In seinem Zorn scheint der Fußballlehrer vergessen zu haben, dass seine Elf erst am letzten Spieltag einen, zudem nicht unumstrittenen Elfmeter zugesprochen bekommen hat … Zur Ehrenrettung des Trainer sei aber darauf hingewiesen, dass der „schwarze Mann“ bei Karl Seeger, dem Beobachter des „kicker“, ebenfalls nicht gut weg kommt: „Herden war von der Gilde der ‚Kleinigkeitskrämer’, traf oft Fehlentscheidungen“, kritisiert Seeger.


Epilog

Der KSC verliert zwar zu Hause gegen Eintracht Braunschweig mit 1:4 und am letzten Spieltag in Neunkirchen mit 0:1, bleibt als 16. aber in der Bundesliga. Neunkirchen hat am 33. Spieltag beim seit Wochen feststehenden Absteiger Tasmania Berlin verloren und die letzte theoretische Chance auf den Klassenerhalt vergeben. Das 2:1 bedeutet für die Tasmanen übrigens den zweiten und letzten Erstligasieg. Den ersten landete man zum Saisonauftakt mit einem 2:0 gegen den KSC …

Manfred Paul verlässt den KSC am Ende der Saison, ohne noch einmal in der Bundesliga gespielt zu haben. Der „Elfmetertöter“, der in der 1. Liga unter anderem Strafstöße von Dieter Krafczyk, Wilhelm Huberts und Günter Netzer gehalten hat, wechselt in die Regionalliga Süd zu den Stuttgarter Kickers. Im Alter von 67 Jahren stirbt Paul am 5. April 2006 in Karlsruhe.

Siegfried Keßler wird in der Saison 1966/67 Stammtorhüter beim KSC. In der folgenden Spielzeit muss er diesen Posten überwiegend an Neuzugang Jürgen Rynio abgeben, was den Abstieg der Karlsruher aber nicht verhindert. Keßler bleibt im Gegensatz zu Rynio in den sechs Regionalligajahren beim KSC, mit dem er 1974 in die neu gegründete 2. Liga Süd aufgenommen wird und 1975 in die 1. Liga zurückkehrt. Dort vertritt er den verletzten Rudi Wimmer, der seit 1969 die Nummer eins im Kasten des KSC ist, in den ersten 12 Spielen, unter anderem beim 2:0-Auftaktsieg des Aufsteigers gegen die Eintracht im Waldstadion. Nach einer weiteren Saison beendet Keßler seine Karriere. Er stirbt im Alter von 71 Jahren im Februar 2013.

Erich Wolf bestreitet lediglich noch ein Bundesligaspiel. Mit dem KSC verliert er im Waldstadion am 4. März 1967 mit 1:5. Im Sommer 1967 wechselt der Tormann zum FSV Frankfurt in die Regionalliga Süd. Nachdem der FSV am Ende der Runde überraschend in die Drittklassigkeit absteigt, beendet Wolf mit 27 Jahren seine Laufbahn als Fußball-Profi. „Im Fußball gibt es Ungerechtigkeiten ohne Ende“, hadert er noch Jahrzehnte später u. a. mit seinem (Verletzungs-)Pech und mit seinem damaligen KSC-Trainer Werner Roth. Im Gespräch mit dem Fußball-Magazin „Auf, ihr Helden!“ zeigt sich Wolf überzeugt: „Mit dem Glück eines Oliver Kahn, der mit Anfang zwanzig in ein Bundesligator kam, hätte ich auch so eine Karriere gemacht.“ (rs)


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