Borussia Neunkirchen - Eintracht
Frankfurt |
Bundesliga 1965/1966 - 13. Spieltag
1:6 (0:2)
Termin: Sa 20.11.1965, 14:30 Uhr
Zuschauer: 15.000
Schiedsrichter: Gerd Siepe (Köln)
Tore: 0:1 Walter Bechtold (13.), 0:2 Wilhelm Huberts (36.), 0:3 Jürgen Grabowski (52.), 1:3 Elmar May (55.), 1:4 Walter Bechtold (64.), 1:5 Horst Trimhold (84.), 1:6 Walter Bechtold (88.)
Borussia Neunkirchen | Eintracht Frankfurt |
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Trainer
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Von Kopf bis Fuß Vor dem Auswärtsspiel der Eintracht bei Borussia Neunkirchen nimmt sich ein Boulevardblatt der Entwicklung der Elf von Trainer Schwartz an. „Vom Pantoffelhelden zum Haustyrannen“ habe sich die Truppe entwickelt, schreibt die „Bild“, die diese Formulierung den „Spöttern im Lande“ zuschreibt. In der Tat ist nicht zu leugnen, dass die Eintracht in der letzten Saison mit 12:18 Punkten die mit Abstand schlechteste Heimmannschaft der Bundesliga stellte. Doch in dieser Runde ist den Frankfurtern nach Punkten bislang nur der TSV 1860 München über, der im eigenen Stadion erst einen Zähler abgeben musste. 12:2 Heimpunkte haben die Frankfurter, die am letzten Spieltag vor 14 Tagen die Eintracht aus Braunschweig mit 4:1 besiegten, bereits auf dem Konto. Bisher ging daheim nur ein Spiel verloren, „ausgerechnet gegen den bisher schwächsten Gast, den Nürnberger Club“, wie sich Trainer Schwartz passend zu seinem Nachnamen ärgert. Das schnellere und direkte Spiel der Eintracht macht Mittelfeldspieler Georg Lechner für die wiedergewonnene Heimstärke verantwortlich. „Und ein guter Start, das 2:1 gegen den HSV, löste unseren Heimkrampf“, meint er: „Wir haben jetzt keine Bange mehr vor einen Heimspiel.“ „In der vergangenen Saison verkrampften wir uns zu Hause immer mehr und dann verbissen wir uns an der Defensivtaktik unserer Gäste“, ergänzt Huberts: „Auswärts dagegen stürmten ja unsere Gastgeber, und wir hatten genügend Auslauf.“ Der scheint der Eintracht allerdings in dieser Runde zu fehlen. Denn während die Hessen in der letzten Saison auswärts mit 17:13 Zählern zusammen mit Meister Werder Bremen nach dem 1. FC Köln die beste Bilanz aufzuweisen hatten, ist bisher bei den Gastspielen nur ein einziges Pünktchen herausgesprungen, das man dem VfB Stuttgart mit einem torlosen Unentschieden abringen konnte. Für Trainer Elek Schwartz gibt die maue Ausbeute jedoch keinen Anlass, an der eigenen Stärke zu zweifeln: Das sei „keine Schwäche, sondern Pech, wir kommen schon noch.“ Nun also geht es nach Neunkirchen, wo die Frankfurter bereits in der letzten Saison beim damaligen Aufsteiger mit 0:4 untergingen. Die Borussia aber ist ihrer Heimstärke verlustig gegangen und hat im Ellenfeldstadion nach zwei Unentschieden zu Rundenbeginn lediglich am 5. Spieltag einen Sieg gelandet. Doch seit diesem Erfolg gegen den Club aus Nürnberg wartet die Elf von Trainer Horst Buhtz vergebens auf einen weiteren Punktgewinn in der 1. Liga. Sieben Spiele hintereinander hat die Truppe verloren und ist auf den 17. Platz abgestürzt. Mit 33 Gegentoren stellen die Saarländer außerdem die zweitschlechteste Abwehr der Liga, nur Aufsteiger Tasmania Berlin ist mit 42 kassierten Treffern noch schlechter. Trainer Buhtz versucht eine Änderung herbeizuführen, indem er den Rhythmus umstellt und nur ein verkürztes Trainingslager abhält. „Die Spieler öden sich sonst zu sehr an“, begründet er seine Maßnahme. Sein Mannschaftsführer Hans Schreier verkündet währenddessen optimistisch in Anlehnung des Schlagers, den Marlene Dietrich im Film „Der blaue Engel“ berühmt gemacht hat: „Wir sind von Kopf bis Fuß auf Sieg eingestellt!“ Es liegt aber nicht an der kessen Lippe des Neunkirchener Kapitäns, dass Elek Schwartz den Tabellenvorletzten nicht zu unterschätzen gedenkt: „Ich habe die Borussia erstmals im Fernsehen beobachtet. Die Saarländer sind nicht schlecht.“ Außerdem kann der Eintrachttrainer nicht auf seine beste Elf zurückgreifen, denn Linksaußen Wolfgang Solz ist erkrankt und auch Torwart Peter Kunter fehlt weiterhin. Dafür steht ihm aber Dieter Lindner, der am letzten Wochenende beim 5:4-Sieg gegen die ungarische Auswahl fehlte, wieder zur Verfügung. Die Partie beginnt vor 15.000 Zuschauern mit einem Paukenschlag, denn schon in der ersten Spielminute liegt der Ball im Kasten von Egon Loy. May hat den Frankfurter Schlussmann mit einem Kopfball überwunden, so scheint es, doch auf Nachfrage von Schiedsrichter Siepe räumt May ein, den Ball ebenso mit der Hand berührt zu haben. „Ein wirklicher Sportsmann!“, lobt der Unparteiische den aufrichtigen Stürmer. Doch auch auf den Rängen ist echter Sportsgeist vertreten, wie sich im Laufe der Begegnung herausstellt. Während der Frankfurter Anhang die Eintracht mit „4 - 2 - 4, 4 - 2 - 4“-Sprechhören anfeuert und Huberts, Lechner, Grabowski und Trimhold famosen Kombinationsfußball zeigen, gibt es auf offener Szene Beifall der fachkundigen Zuschauer für die Spielkunst der Hessen. Dabei kommt der Eintracht gelegen, dass ihr nach 13 Minuten die Führung gelingt. Nach einem Eckball von Lotz steht Bechtold blank und hat wenig Mühe den unsicher wirkenden Ertz zu bezwingen. Die Neunkirchener halten dagegen, doch sie scheitern in Person von May, Kuntz und Peter an Torwart Loy, dem Rückhalt der Frankfurter in dieser Phase. Der Widerstand der Saarländer ist aber nach 36 Minuten gebrochen, als die unnötig weit aufgerückte Borussen-Abwehr kein Mittel gegen das Solo von Lechner findet – Huberts schließt den Konter mit dem 0:2 ab. Ertz, der nach zwei Spielen mit 1:10 Toren seinen Platz im Kasten für Kirsch räumen musste und diesen wiederum nach der 1:4-Niederlage bei den Löwen am letzten Spieltag gerade wieder verdrängt hat, muss fürchten, dass Buhtz, der seine Schlussmänner gerne und schnell austauscht, in der nächsten Partie wieder auf den Konkurrenten setzen wird. Nach der Halbzeitpause ist es erneut ein Alleingang, den die Borussia nicht aufzuhalten vermag. Dieses Mal ist Jürgen Grabowski unterwegs und läst zuguterletzt sogar Schlussmann Ertz aussteigen, bevor er zum 0:3 vollendet. Die Gastgeber erzielen zwar nur drei Minuten später durch Elmar May das 1:3, als der Stürmer nach einer Flanke von Kuntz per Kopf trifft, doch dieses Tor kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Saarländer am Auseinanderbrechen sind, während das 4-2-4-System der Frankfurter nun wie am Schnürchen läuft. Bechtold, der beim 5:4 gegen die ungarische Nationalelf am letzten Wochenende bereits vier Tore beigesteuert hat, trifft nun auch heute nach Belieben. Nach einer Hereingabe von Blusch erzielt er in der 64. Minute mit seinem Hinterkopf das 1:4. Zwanzig Minuten beschränkt sich die Eintracht aufs Zaubern, bevor sie wieder Ernst macht: Trimhold verwertet in der 84. eine Vorlage Grabowskis zum 1:5. Auch Bechtolds drittes Tor bereitet der Flügelspieler der Frankfurter vor. Der Niederwöllstädter bekommt den Ball von Grabowski perfekt aufgelegt und macht zwei Minuten vor dem Ende das halbe Dutzend voll. 6:1 – so hoch hat die in dieser Saison bislang auswärts sieglose Eintracht in der noch jungen Geschichte der Bundesliga noch nicht auf fremden Platz gesiegt. Es gibt im Augenblick keine deutsche Mannschaft, die das 4-2-4 so exzellent beherrscht wie die Eintracht. Da spendet nicht nur der Saarländer Anhang Beifall, auch der geschlagene Gegner gratuliert nach dem Schlusspfiff spontan. Sportsmänner sie sie, die Borussen, allesamt. Während die Eintracht ihren höchsten Auswärtssieg in der noch jungen Bundesligageschichte feiert, verzweifeln die Neunkirchener Funktionäre Norbert Engel und Kurt Gluding: „Wer soll bei uns die Tore schießen – wer?“ Elek Schwartz ist dagegen von seinen Männern angetan: „Endlich haben meine Jungs die Marschroute eingehalten. So muss ein Spiel laufen.“ Auf einen seiner Schützlinge geht der Trainer nach dem Spiel sogar zu, gibt ihm die Hand und sagt: „Ich gratuliere Ihnen, Herr Lechner. Sie haben ein großes Spiel geliefert!“ Lechner deutet einen Diener an und antwortet: „Danke schön, Herr Schwartz!“ „Die Eintracht war einfach prächtig - eine Klasse besser als in der letzten Saison. Sie hat uns schlecht aussehen lassen“, bekennt Horst Buhtz und verspricht: „Wir haben es offensiv versucht und machen so weiter.“ „Ich bin froh, dass unsere Elf auch auswärts etwas zeigte“, schließt Elek Schwartz: „Die ersten 15 Minuten waren schwer, dann waren wir besser und im Angriff gefährlicher.“ Epilog Das muntere Wechselspiel im Tor der Neunkirchener geht weiter. Im nächsten Spiel, einem 2:1-Sieg bei Eintracht Braunschweig, steht Horst Kirsch im Kasten. Doch schon bei den folgenden beiden Partien – dem 1:0 gegen Schalke 04 und dem 3:1 gegen Tasmania Berlin – hütet wieder Willi Ertz das Heiligtum der Saarländer. Am Saisonende wird Ertz in der Bundesliga 21 Mal und Kirsch 13 Mal zwischen den Pfosten gestanden haben. Borussias Kapitän Hans „Hennes“ Schreier, der vor dem Spiel wie seine Mannschaft von Kopf bis Fuß auf Sieg eingestellt war, wird mit der Borussia in einem Pflichtspiel keinen Erfolg mehr erleben. Er hat gegen die Eintracht sein letztes Punktspiel gemacht. Lediglich am 19.2.1966 kommt er vier Tage vor seinem 29. Geburtstag noch einmal im DFB-Pokal zum Einsatz, als Neunkirchen beim Hamburger SV mit 0:4 unterliegt und aus dem Wettbewerb ausscheidet. (rs)
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